Nicht böse sein (DVD)
- Regie:
- Reinke, Wolfgang
- Jahr:
- 2006
- Genre:
- Dokumentarfilm
- Land:
- Deutschland
1 Review(s)
19.05.2011 | 13:16Die Macht der Medien ist groß. Wie groß, das verdeutlichen Filme wie die Dokumentation "Nicht böse sein". Zwar geht es in dem Werk der jungen Filmemacher Wolfgang Reinke (Regie & Produktion) und Gines Olivares (Kamera) nicht vordergründig um die deutsche Medienlandschaft und wie diese unser Denken immens beeinflusst, dennoch zeigt der Film über eine Männer-Wohngemeinschaft in Berlin-Kreuzberg, deren Bewohner entweder alkohol- oder drogenabhängig sind und Sozialhilfe empfangen und welch starken Einfluss die tagtägliche "Berichterstattung" gewisser Sender auf unsere Urteilsbildung gegenüber anderen Menschen hat. Denn wer denkt bei Schlagwörtern wie "Drogenabhängigkeit" und "Hartz IV" nicht insgeheim auch an Asoziale mit kaputten Zähnen und verschmutzen Klamotten, Menschen ohne Bildung, die selbstständig nichts auf die Reihe bekommen?
Auf den ersten Blick bestätigt "Nicht böse sein" diese von Vielen gepflegten Ressentiments, nur um den mit entsprechenden Vorurteilen belasteten Zuschauern bereits nach wenigen Minuten vor den Kopf zu stoßen. Denn die Dokumentation über drei vom Schicksal gebeutelte Männer ist ein zutiefst menschlicher, ja ein geradezu wichtiger Film, dessen kaum stattgefundene Präsenz in zumindest seriösen Medien beinahe einem kriminellen Akt gleichkommt. Denn "Nicht böse sein" bricht mit Klischees, zeigt, dass auch "Asis" Menschen mit einer Geschichte und mit Gefühlen sind.
Der Hauptgrund dafür, dass "Nicht böse sein" einen solch starken Eindruck hinterlässt, liegt in erster Linie wohl daran, das Reinke und Olivares etwas tun, was in der Regel verpönt ist: Sie brechen mit der Distanz und werden zum Bestandteil im Leben der Protagonisten. Dieser Schritt ist nicht geplant gewesen, sondern hat sich im Laufe der Dreharbeiten entwickelt. Somit kommen die Filmemacher und im Umkehrschluss auch der Zuschauer ihren drei Hauptpersonen unglaublich nah, sodass der hauptsächlich in der kleinen Wohnung der WG spielende Film, ohne dass eine künstliche Dramaturgie erzeugt wird oder man in verkitschter Sozialromantik schwelgt, den Zuschauer zutiefst berührt.
Da wäre zum Beispiel Wolfgang, der schwer alkoholabhängig ist und im Rausch beinahe psychotische Anfälle hat. Wolfgang schreibt aber auch seit seiner Jugend Gedichte, unzählige, die der ehemalige Buchbinder sich regelmäßig in Bänder binden lässt. Wolfgangs Mitbewohner Dieter hingegen ist seit den 1970er Jahren schwer heroinsüchtig, sammelt Pfandflaschen, um sich seine Sucht zu finanzieren und sieht einer dreimonatigen Gefängnisstrafe entgegen. Auch der jüngste WG-Bewohner, Andi, spritzt seit mehreren Jahren, träumt aber davon, möglichst bald aus der WG zu fliehen. Denn harmonisch ist das Zusammenleben der drei Männer nicht; es regiert Streit um die Miete, um geklaute Pullis, und sowieso hat man keinen Bock aufeinander. Trotzdem: Ohne einander können die drei auch irgendwie nicht, denn jemand anderen haben sie eigentlich nicht.
Das mag nun nach ungemein schwerer Kost klingen, und tatsächlich gibt es Szenen, die den Zuschauer zutiefst bedrückt zurücklassen, etwa wenn Dieter sich etwas spritzen will, es aber einfach nicht funktionieren will oder der Streit zwischen ihm und dem herrischen Wolfgang zu eskalieren droht. Doch "Nicht böse sein" ist auf seine Art und Weise auch ein schöner Film, denn irgendwo erkennt man dann doch die tiefe Zuneigung der Männer zueinander, manche Szenen sind auf ihre eigene Art gar lustig, dass man um ein Lachen kaum herum kommt.
"Nicht böse sein" lässt sein Publikum (mir ging es zumindest so) beeindruckt zurück. Wer mit den Lebensumständen der porträtierten Männer in irgendeiner Weise vertraut ist, wer das System Hartz IV kennt oder sich in anderer Weise mit den Schicksalen der Protagonisten verbunden fühlt, der lernt von dem Film einiges, umso größer wird die Wirkung aber auf jene sein, die sich entschließen einen Blick hinter die eigenen Vorurteile zu werfen. Für diese Leistung und den daraus entstandenen Film kann man Reinke und Olivares nur dankbar sein.
Originaltitel: Nicht böse sein (Deutschland, 2006)
Laufzeit: ca. 96 Minuten
FSK: Ab 12 Jahren
Regie: Wolfgang Reinke
Anmerkung zur DVD:
Der Silberling von "Nicht böse sein" ist bereits am 29. April erschienen und wird von b-ware!media vertrieben. Der Film liegt einzig in deutscher Sprache (Dolby Digital 2.0) mit englischen Untertiteln vor. Das Bild (16:9 - 1,77:1) ist zuweilen etwas trist, was aber daran liegt, dass mit einer Handkamera gefilmt wurde. Da die Qualität (sowohl von Bild und Ton) insgesamt aber gut ist, kann man über kleinere Mankos gerne hinwegsehen.
Als Extras befinden sich auf der DVD sechs Bonusszenen, die zum Beispiel Wolfgang beim Philosophieren über das menschliche Gehirn zeigen oder Andi von seiner Afrikareise berichten lassen. Des Weiteren befinden sich zwei Interviews, einmal mit Wolfgang und Dieter drei Jahre nach den Dreharbeiten sowie mit Wolfgang Reinke und Gines Olivares, die von den Dreharbeiten, den Schwierigkeiten und allgemein der Zeit mit ihren Protagonisten reden, auf der DVD.
8,5/10
- Redakteur:
- Adrian Trachte