Am Ende des Weges (DVD)
- Regie:
- Schneider, Aaron
- Jahr:
- 2009
- Genre:
- Drama
- Land:
- USA / Deutschland / Polen
- Originaltitel:
- Get Low
1 Review(s)
18.06.2011 | 15:38Eine Geschichte von Liebe, Tod und Vergebung
Felix Bush ist im Tennessee der 1930er Jahre das, was man einen Sonderling nennt. Er lebt als Einsiedler im Wald, behandelt alle schroff, und üble Geschichten gehen über ihn herum. Jetzt ist er alt wie Stein und wünscht sich eine würdevolle Bestattung mit allem, was an Pomp und Nachrufen so dazugehört. Und zwar zu Lebzeiten.
Als die Geistlichkeit empört ablehnt, wendet sich Bush mit einer dicken Geldrolle an die freie Wirtschaft und weckt den Ehrgeiz des kaum minder exzentrischen Bestatters Quinn. Der organisiert ein denkwürdiges Happening. Aber er ahnt nicht, was Bush wirklich vorhat… (Quelle: VideoMarkt)
Handlung
Prolog:
Ein Haus steht in Flammen und eine Gestalt stürzt brennend daraus hervor und verschwindet in der Nacht ...
Haupthandlung:
Caleb County, Tennessee, in den 1930er Jahren. Vierzig Jahre lang hat Felix Bush (Duvall) als Einsiedler in der Wildnis gelebt, nur mit seinem Maultier Gracie und mehreren verstorbenen Hunden. Wilde Geschichten über den um sich ballernden alten Kerl gehen in der Kleinstadt um. Er habe Menschen getötet. Auch als er sich dort mal blicken lässt, wird er gleich wieder vertrieben - nicht ohne den Schreihals zusammenzuschlagen. Felix Bush ist noch gut bei Kräften.
Aber er wird keineswegs jünger und spürt das Alter. Seine Freunde und Bekannten sterben nach und nach weg. Er will für seinen Abgang vorsorgen. Also bestellt er beim Pfarrer eine Beerdigung. Der lehnt rundweg ab, weil Felix seinen Frieden mit Gott noch nicht gemacht habe. Das aber hört Buddy Robinson (Black), der gerade wegen der Taufe seines Erstgeborenen in der Kirche ist.
Buddy ist der Assistent des Bestattungsunternehmers Frank Quinn (Murray). Er bietet dem Alten an, die Beerdigungsfeier für ihn auszurichten. Wenig später betritt Felix das Bestattungsinstitut Quinns, legt eine Rolle Geldscheine auf den Tisch und bestellt einen Sarg und eine Feier. Angesichts des Geldes kommt ihm der stets klamme Quinn sehr entgegen.
Allerdings gibt es zwei Haken an der Sache: Erstens soll die Feier zu Bushs Lebzeiten stattfinden und jeder gast eine Geschichte über ihn erzählen. Zweitens, so erzählt Bush beim Radiosender, werde er, Bush, sein Land dem Gewinner einer Lotterie vermachen, solange dieser ein Los für fünf Dollar gekauft habe. Und da jeder Zuhörer und Zeitungsleser weiß, dass Bush den besten Wald weit und breit besitzt, ist der Andrang zur Lotterie enorm. Quinn wittert ein Riesengeschäft und will Bush alles recht machen.
Zwei Dinge muss Bush noch erledigen, bevor die Feier am 16. Februar steigen kann. Seine Jugendfreundin Mattie Darrow (Spacek) ist aus St. Louis zurückgekehrt, nachdem ihr Mann gestorben war. Doch als Mattie das Foto ihrer Schwester Mary Lee an Felix' Bett erblickt, ist es aus mit der Harmonie. Von Gefühlen übermannt stürzt sie davon. Was hat es mit Mary Lee, die seit 40 Jahren in ihrem Grab liegt, auf sich?
Die zweite Sache ist ein Besuch bei Reverend Charlie Jackson (Ray), dessen Kirche in Illinois Felix Bush einst gebaut hatte. Und sie ist immer noch schön, denn Felix ist ein begnadeter Tischler und Zimmermann (er baut gerade seinen eigenen Sarg zusammen). Er bittet Charlie, bei seiner Beerdigungsfeier die Grabrede zu halten. Charlie lehnt ab, weil Felix sich immer noch weigert, um die Vergebung Gottes für seine Missetat zu bitten.
Doch wofür büßt Felix Bush seit vierzig Jahren freiwillig in der Einsamkeit der Wälder?
Mein Eindruck
Die Geschichte verbindet drei Grundthemen des menschlichen Lebens, nämlich Tod, Schuld und Liebe. Die Sache mit dem Tod ist uns klar, sobald Bush eine Beerdigung bestellt. Doch den Grund seiner Schuldgefühle erfahren wir erst ganz zum Schluss. Sie sind mit dem Thema der Liebe eng verknüpft. Auf diese Weise kann sich ein spannendes Garn entspinnen, das uns nicht nur verstandesmäßig interessiert, sondern auch emotional engagiert.
Bushs Schuldeingeständnis ist der Höhepunkt des Films und in dieser für Robert Duvall so großartigen Szene kann kein Auge trocken bleiben. Hier kehrt der Film zu seinem Prolog (s. o.) zurück, sodass die Handlung zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehrt. Die Geschichte hinterlässt einen geschlossenen Eindruck, ein kleines Juwel, das sich erwachsene Zuschauer immer wieder anschauen können.
Die Schauspieler:
Weil die Geschichte nur funktioniert, weil so großartige Schauspieler sie darstellen, sollen sie hier eingehender gewürdigt werden. Topdarsteller ist natürlich Robert Duvall. Er ist mittlerweile ein Elder Statesman unter den amerikanischen Schauspielern, auf dem gleichen Niveau des Einflusses wie Tommy Lee Jones und wie dieser selbst Regisseur und Produzent.
Er spielt die Hauptfigur sowohl grantig abweisend als auch verletzlich, sowohl hinterlistig yankeehaft als auch von historischer Tiefe. Ohne diese vielen Dimensionen der Hauptfigur wäre der Film halb so lustig und nicht annähernd so interessant. Weil wir nie wissen, was wir von Bush zu gewärtigen haben, sind wir bis zum Schluss gespannt, was als Nächstes kommt.
Zweiter in der Riege ist Bill Murray als Bestatter Quinn. Um 1930 hat das hinterste Tennessee, das hier den Schauplatz abgibt, noch Züge der Pionierzeit (die erst 40-50 Jahre zuvor mit dem Einpferchen der letzten Prärie-Indianer und der Kapitulation Geronimos ihr Ende fand). Quinn ist daher als verschmitzter Selfmademan zu erkennen, der schon einige trickreiche Geschäfte hinter sich hat. Er scheut sich deshalb auch nicht, das Maximum aus der Beerdigungsfeier von Mr Bush herauszuholen.
Lucas Black ist in der Rolle des Bestattungsgehilfen Buddy Robinson das moralische Zentrum der Geschichte, von dem aus wir alle anderen beurteilen. Deshalb verfolgen wir die meisten Geschehnisse aus seinem Blickwinkel und dem seiner Frau, mit der er ein kleines Kind hat. Nur so können wir nachvollziehen, dass auch Felix Bush einmal jung war und eine Frau liebte.
Die Führerin in diese Vergangenheit, quasi unser Vergil in der Unterwelt, ist Mattie Dawson, wunderbar gespielt von Sissy Spacek ("Badlands" u. v. a.). Mattie ist als Witwe in ihre Heimat zurückgekehrt und erinnert sich bestens an Felix und ihre seinerzeit verstorbene Schwester Mary Lee. Als Mattie das Foto von Mary Lee an Felix' Bettkante sieht, rastet sie empört aus und geht. Doch was hat Felix getan, dass Mattie noch nach 40 Jahren eine solche Reaktion zeigen kann?
Felix sucht Vergebung für seine damalige Tat, doch die ist gar nicht so einfach zu bekommen. Weder das Dorf noch die ihm nahestehenden Menschen sind bereit dazu. Also muss er sich erst bußfertig zeigen und mit der Wahrheit herausrücken. Deshalb wird seine Beerdigungsfeier, statt ein trauriger Anlass für Trübsinn zu sein, zu einem Triumph der Selbstbefreiung.
Mein Eindruck: die DVD
Die Qualität des Bildes ist einwandfrei, soweit ich dies anhand der gelieferten Presse-DVD beurteilen kann. Selbstverständlich wurde mit modernstem Equipment gedreht. Auffällig ist die ungewöhnliche Handhabung des Schnitts. Der Regisseur selbst zeichnet für den Cut verantwortlich. Weil eine Einstellung manchmal nur ein oder zwei Sekunden lang ist, heißt es für den Zuschauer: ständig aufpassen. Auch auf diese Weise hält der Regisseur die Spannung aufrecht.
Der Ton ist ebenfalls einwandfrei, liegt aber nicht in DTS vor. Warum auch Untertitel in Hindi beigelegt wurden, ist mir ein Rätsel, aber schließlich gibt es überall Hindi sprechende Menschen. Gut fand ich, das sämtliche Extras deutsch untertitelt wurden. Man braucht also kein Englisch-Experte zu sein, um alle Informationen zu erhalten.
Am Soundtrack, der mit Bluegrass-Instrumenten wie etwa einem Banjo, einer Geige und vor allem einer Slide Guitar bestritten wird, ist noch der Abspann-Song hervorzuheben. Dieser sehr emotionale, wehmütige Song wird von der vielfach preisgekrönten Bluegrass-Sängerin Alison Krauss vorgetragen. Ich habe den Song auf dem Flieger nach Las Vegas in der Bordmediathek wiederentdeckt: Er findet sich auf Krauss' neuestem Album.
EXTRAS:
Alle Extras sind deutsch untertitelt.
1) "Der tiefe Süden: Verborgene Geheimnisse" (7:20 min)
Die Geschichte des Felix Bush beruht auf wahren Begebenheiten, die sich in dieser Gegend zutrugen. Die großen Themen der Geschichte sind Schuld, Erlösung, Vergebung, Verlust und Buße. Daher ergab sich laut Regisseur Schneider und Produzent Zanuck eine heutzutage unpopuläre Mischung aus Historiendrama, Tragödie und Komödie. Die Finanzierung allein dauerte fünf Jahre! Aber die Story zog gute Darsteller wie Robert Duvall und Sissy Spacek an. Gedreht wurde in Crawfordville, Georgia.
2) "Ein langer Weg: Charakterstudien" (9:08 min)
Die Hauptfiguren werden detailliert charakterisiert. Frank Quinn sollte gemäß Schneider das Yin zu Felix Bushs Yang darstellen, und Buddy Robinson bildet das moralische Zentrum der Geschichte, denn er führt den Zuschauer in das Thema ein. Mattie Darrow ist das Mädchen, das in die alte Heimat zurückkehrt und Felix Bush von der Besessenheit mit seiner verstorbenen Mary Lee heilen muss. Sogar Gracie, das Muli, ist eine bemerkenswerte Figur: Gracie kann auf dem Hintern sitzen, zählen und allerlei Tricks vorführen. Sie stammt aus Virginia.
3) "Aus Sicht des Drehbuchautors" (4:59 min)
Der Film hat erstaunlich viele Drehbuchautoren erfordert: nicht weniger als vier. Während Seeke und Provenzano die Story entwarfen, gab ihr George Mitchell mit seiner großen Erfahrung den letzten Schliff und fügte besonders den Schluss an. Während Felix Bushs finaler Rede musste er weinen, so überzeugend trug Robert Duvall das vor, was Mitchell selbst geschrieben hatte. Laut Mitchell erzählt der Film eine Offenbarung, wer dieser gefürchtete Einsiedler wirklich ist. Der lokale Hintergrund habe sehr viel mit ihm selbst zu tun, so Mitchell.
4) "Besetzung und Crew: Fragen & Antworten" (9:00 min)
Die Hauptdarsteller, der Regisseur und der Produzent Dean Zanuck stellen sich auf dem Tribeca Festival 2009 in New York City den Fragen der Zuschauer. Das ist eine recht lustige Angelegenheit, besonders wenn Sissy Spacek und Bill Murray antworten. Alle loben Aaron Schneider, den Jungen aus Peoria, Illinois, und OSCAR-Preisträger ohne Ausnahme. Die Autoren Provenzano und Seeke bedauern lediglich, dass es acht Jahre dauerte, bis der Film fertig war.
5) "Auf dem roten Teppich" (Interviews, 4:13 min)
Interviews auf dem roten Teppich vor dem Kodak Theatre in Los Angeles, wo die OSCAR-Zeremonie stattfindet. Die Hauptdarsteller, die Crew, die Autoren sowie mehrere andere Schauspieler antworten. beispielsweise auf die Frage: "Wie würden Sie Ihre Beerdigungsfeier gestalten? Und wen würden Sie einladen?"
6) Kommentar mit Robert Duvall, Sissy Spacek, Regisseur Aaron Schneider und Produzent Dean Zanuck
Ich hatte leider keine Zeit, den Kommentar abzuhören.
7) Kinotrailer (2:00)
Der Trailer erzählt die Highlights der ungewöhnlichen Story und macht neugierig, was hinter Felix Bushs seltsamem Wunsch steckt.
8) Trailershow (vorgeschaltet)
a) "The Social Network" (über Facebook und dessen Entstehung)
b) "Eat Pray Love" (mit Julia Roberts)
Unterm Strich
Die Geschichte erinnert an manche von Balzacs und Dumas' Rückkehrer-Epen, doch diesmal geht es nicht um Rache à la Montecristo, sondern im Gegenteil um Vergebung und Erlösung für eine Missetat, die vor 40 Jahren geschah. Aber was damals wirklich geschah, weiß nur einer wirklich. Erst wenn er bereit ist, öffentlich die Wahrheit zu sagen und um Vergebung zu bitten, wird er frei sein und eine Zukunft haben. Ironischerweise eine Zukunft, die nur das Grab als nächste Station vorsieht.
Deshalb steht als Fundament der Geschichte etwas Nichtfranzösisches, und das ist auch der Grund, warum Felix Bush überhaupt um Vergebung seiner sogenannten Sünde bitten will: Er will mit reinem gewissen vor seinen Schöpfer treten, glaubt er doch offenbar an ein Strafgericht nach dem Tod der sterblichen Hülle.
Was aber vielleicht noch wichtiger ist: Er will im Andenken der Menschen seiner Heimat nicht als der schräge Kauz aus dem Wald zurückbleiben, sondern als Mensch, der im Grunde unschuldig ist. Von dieser Wahrheit profitiert also nicht nur er selbst, sondern auch seine Umgebung. Das ist also eine warmherzige und humorvolle Geschichte für Erwachsene. Teenager dürften damit wenig anfangen können, denn dafür fehlt es dem Film an Tempo, jungen Darsteller und vor allem an Action.
Die DVD:
Die Silberscheibe ist von Sony sauber produziert, mit einwandfreiem Sound und Bild, ja sogar mit dem Abspann-Song einer mehrfach ausgezeichneten Sängerin (Alison Krauss). Das Bonusmaterial ist überraschend umfangreich und erklärt mit seinen Informationen die Intentionen des Regisseurs, der vielen Drehbuchautoren und der Produzenten zur vollsten Zufriedenheit.
Fazit: vier von fünf Sternen.
Filminfos
O-Titel: Get Low (USA 2009)
Dt. Vertrieb: Sony
VÖ: 23. Juni 2011
FSK: ab 6
Länge: ca. 99 Min.
Regisseur: Aaron Schneider (OSCAR-Preisträger)
Drehbuch: Scott Seeke, Chris Provenzano, George Mitchell, Aaron Schneider
Musik: Jan A.P. Kaczmarek und Alison Krauss (!)
Kamera: David Boyd
Darsteller: Robert Duvall (Felix Bush), Sissy Spacek (Mattie Darrow), Bill Murray (Frank Quinn), Lucas Black (Buddy Robinson) u. a.
Die DVD
Technische Infos
Bildformate: 16:9 - 1.78:1
Tonformate: GB in DD 2.0 und DD 5.1, Deutsch in DD 5.1
Sprachen: D, Englisch
Untertitel: Deutsch, Englisch, Türkisch, Hindi
Extras:
1. Besetzung und Crew: Fragen & Antworten
2. Der tiefe Süden: Verborgene Geheimnisse
3. Ein langer Weg: Charakterstudien
4. Aus Sicht des Drehbuchautors
5. Auf dem roten Teppich
6. Kommentar mit Robert Duvall, Sissy Spacek, Regisseur Aaron Schneider und Produzent Dean Zanuck
- Redakteur:
- Michael Matzer