ÍON: Interview mit Duncan Patterson

15.01.2007 | 18:07

Duncan Patterson, früher Bassist von ANATHEMA, hat bereits mit ANTIMATTER dem Metal-Genre den Rücken gekehrt und dennoch stets hochwertige und anspruchsvolle Musik komponiert. Sein neuestes Projekt hört auf den Namen ÍON, und das Debüt "Madre, Protégenos" lädt den offenen Musikfan ein zu einer sehr intimen Reise durch neun minimalistische und gleichzeitig sehr tiefgründige Songs, die vor allem von den internationalen Musiker/innen und Sänger/innen aus Griechenland, Irland, Italien, Mexiko, Argentinien, Russland, Australien und den U.S.A. geprägt werden. Duncan berichtet nachfolgend über die Hintergründe dieses echten "World Music"-Albums.

Elke:
Duncan, die meisten werden dich als Bassist von ANATHEMA in Erinnerung haben, wo du ungefähr zehn Jahre lang tätig warst. Danach warst du für einige Jahre bei ANTIMATTER aktiv. Warum bist du dort ausgestiegen und hast ÍON gegründet?

Duncan:
Mit ANTIMATTER habe ich sieben Jahre lang zusammengearbeitet, was eine ziemlich lange Zeitspanne ist. Die Dinge haben sich für mich persönlich einfach in eine andere Richtung entwickelt, ich musste weiterziehen. Für all die Arbeit und Energie, die ich in ANTIMATTER gesteckt habe, habe ich nicht allzu viel Positives zurück bekommen. Ich habe in den letzten Jahren hart an mir gearbeitet und versucht, jeden Aspekt meines Lebens zu verbessern, und ich denke, das spiegelt sich auf dem ÍON-Album wider.

Elke:
Deine Musik hat sich im Laufe der Zeit mehr und mehr von dem Metal-Genre wegbewegt. Trotzdem scheint es eine Menge Leute in der Szene zu geben, die deine Arbeit auch nach dem Weggang von ANATHEMA aufmerksam verfolgen und wertschätzen. Denkst du, deine Fans sind genauso offen für andere Stilrichtungen wie du selbst?

Duncan:
Es ist amüsant, dass ich immer noch häufig auf meine Metal-Vergangenheit angesprochen werde. Ich habe seit "The Silent Enigma" [ANATHEMA-Album aus dem Jahr 1995 - die Verfasserin] kein Metal-Album mehr veröffentlicht, vielleicht lassen sich Teile von "Eternity" [der Nachfolger aus dem Jahr 1996 - die Verfasserin] noch diesem Genre zuordnen. Das ist wirklich sehr lange her, und seitdem habe ich so viele andere Sachen gemacht. Ich denke, die Menschen, die mein Schaffen als Songwriter/Künstler - oder wie auch immer du es nennen möchtest - verfolgt haben, verstehen, wonach ich strebe und warum ich verschiedene Dinge ausprobiere, und meine Kompositionsweise ist in gewisser Weise auch ziemlich beständig. Am Wichtigsten ist für mich, dass ich selbst das Interesse an dem, was ich tue, nicht verliere, weshalb ich gerne neue Elemente wie z. B. andere Instrumente ausprobiere. Doch mein persönlicher Stil hat sich in all den Jahren nicht allzu sehr verändert. Ich schätze, viele Leute - sowohl Musiker als auch Fans - wollen unbedingt Teil eines bestimmten Genres sein, aber das war noch nie meine Denkweise.

Elke:
Kürzlich gab es zwei Akustik-Sets mit deinem Ex-Mitstreiter von ANATHEMA, Vincent Cavanagh, in der Türkei sowie einen "Abend mit Duncan Patterson" in Bukarest, bei dem auch einige ANATHEMA-Tribute-Bands auftraten. Es scheint dir offenbar Spaß zu machen, deine alten Werke an ungewöhnlichen Orten zu spielen.

Duncan:
Das stimmt. Die Gigs in der Türkei waren toll - das sind für mich die perfekten Rahmenbedingungen, wenn zu solchen eher intimen Akustik-Konzerten trotzdem über 500 Leute pro Abend kommen. Wir haben dort quasi auf Tuchfühlung mit den Zuhörern ein paar alte ANATHEMA-Sachen gezockt sowie ein paar Cover-Versionen, und ich glaube, alle hatten dabei eine gute Zeit. Der Tribute-Abend in Bukarest war auch großartig, dort kamen sogar über 650 Gäste - viel mehr, als wir erwartet hatten. Es waren ungefähr 25 Musiker an der Aktion beteiligt, die Songs von allen ANATHEMA-Alben spielten. Ich habe sie bei fünf oder sechs Stücken am Bass oder an der Gitarre begleitet, und es hat Spaß gemacht, ein paar von den alten Metal-Stücken nach so langer Zeit wieder live zu spielen.

Elke:
Lass uns über dein aktuelles Betätigungsfeld ÍON sprechen. Wann hattest du die Idee für ein solch internationales Projekt?

Duncan:
Es hat sich einfach so ergeben. Ich hatte bereits einige Sachen komponiert und versuchte mich an verschiedenen Möglichkeiten der Instrumentierungen. Gleichzeitig hatte ich die Idee, dass es ein globales Album werden sollte, auf dem verschiedene Sprachen zum Einsatz kommen. Der Titel "Madre, Protégenos" bedeutet "Mutter, beschütze uns", also alle von uns, und das Cover des Albums verdeutlicht den Gedanken dahinter.

Elke:
Bildet der Album-Titel auch so etwas wie einen roten Faden zwischen den einzelnen Songs?

Duncan:
Ja, alles passt irgendwie zueinander, und wenn du dir die Texte anhörst, wirst du die Zusammenhänge erkennen.

Elke:
Wie viele unterschiedliche Sprachen hört man auf dem Album?

Duncan:
Die meisten Texte sind auf Englisch, abgesehen von einigen gesprochenen Passagen auf Spanisch und Griechisch und zwei Strophen in brasilianischem Portugiesisch. Im Titel-Track allerdings treten verschiedene Leute unterschiedlichster Nationalitäten auf, die den Titel in ihrer eigenen Sprache wiedergeben.

Elke:
Wie bist du mit den beteiligten Musikern in Kontakt gekommen?

Duncan:
Einfach, in dem ich mit verschiedenen Leuten über meine Idee gesprochen hatte, und einige von ihnen haben auch selbst die Initiative ergriffen.

Elke:
Es gibt fast nur Sängerinnen auf dem Album. Ist das auch Teil des Konzepts?

Duncan:
Ich wollte für den Großteil der Stücke Sängerinnen haben und hatte auch schon ein paar potentielle Kandidatinnen angesprochen. Doch dann boten mir Emily Saaen [eine "Russische Muse" - http://www.emilysaaen.ru - die Verfasserin] und Valentina Buroni [Sängerin von der italienischen World-Music-Formation IRIDIO - http://www.iridiomusic.com - die Verfasserin] ihre Dienste an. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich ohne Emily gemacht hätte ...

Elke:
Eine der bekanntesten Sängerinnen des Albums - zumindest in der Metal-Szene - ist Marcela Bovio (STREAM OF PASSION). Wie kam es zu der Zusammenarbeit?

Duncan:
Ich hatte Marcela bereits vor ihrem Engagement bei STREAM OF PASSION kennengelernt, als ich vor einigen Jahren zum ersten Mal in Mexiko war. Sie gab mir eine Kopie des ELFONÍA-Debüts und ich liebte ihre Stimme sofort. Bei meinem letzten Besuch in ihrem Heimatort Monterrey war ich ihr Gast und spielte ihr einige meiner Demos vor, um sie zu fragen, ob sie einige Gesangs-Passagen übernehmen könnte. Es ist schön, dass sie zugesagt hat, denn sie ist ein toller Mensch und eine phantastische Musikerin, und ich freue mich für sie, dass sie jetzt die Aufmerksamkeit bekommt, die sie verdient.

Elke:
Was kannst du mir über die anderen Musiker und Sänger erzählen?

Duncan:
Einige davon kenne ich bereits seit Jahren, andere haben mich oder wurden von mir gezielt angesprochen. Ich suchte nach bestimmten Instrumenten und erkundigte mich nach Musikern, die diese beherrschten. Emily Bly gehört zu denen, die ich schon zuvor kannte. Sie flog aus Amerika ein, um die Flöten- und Klarinetten-Passagen einzuspielen, die schon in einem sehr frühen Stadium arrangiert waren. Die anderen kamen einfach nach und nach dazu und leisteten ihren Beitrag. Die Musik ist sowieso eher minimalistisch, so dass auf dem Album nicht allzu viel passiert.

Elke:
Die Irish-Folk-Einflüsse auf dem Album sowie einige mediterrane Elemente hört man leicht heraus. Aber angeblich hat jeder Musiker einen Teil seiner nationalen Kultur in die Musik einfließen lassen. Was kannst du mir über die Herangehensweise und die Aufnahmen erzählen?

Duncan:
Ich bin mit irischer Musik aufgewachsen, sie wurde mir also quasi in die Wiege gelegt, zumal es in meiner Familie viele Musiker gibt. Die anderen Einflüsse habe ich vermutlich einfach auf meinen zahlreichen Reisen aufgeschnappt. Ich habe viel Zeit in Griechenland verbracht und interessiere mich allgemein sehr für traditionelle Musik. Normalerweise komponiere ich auf der akustischen Gitarre und dem Klavier - Ideen und Melodien tauchen in meinem Kopf auf und verwandeln sich schließlich in Songs. Der Großteil des Albums wurde im Studio eines Freundes in Longford, Irland, aufgenommen. Es hat alles viel länger gedauert, als ich hoffte, weil das Studio nicht immer zur Verfügung stand und die Beteiligten nicht alle sofort greifbar waren. Einen Teil des Albums habe ich schließlich in Athen aufgenommen, zusammen mit meinem guten alten Freund Vangelis Yalamas von FRAGILE VASTNESS, der mir in einigen schwierigen Momenten sehr geholfen hat. Ich kann ihm gar nicht genug dafür danken.

Elke:
Das Stück 'Goodbye Johnny Dear' ist ein irisches Volkslied, das von einem gewissen Johnny Patterson geschrieben wurde. Ich nehme an, dass es sich um einen Verwandten von dir handelt?

Duncan:
Johnny Patterson ist mein Urgroßvater. Seine Lieder sind in Irland sehr bekannt und er war zu Lebzeiten ein recht berühmter Musiker. Diese alten Emigranten-Lieder sind echte Schätze, und ich musste 'Goodbye Johnny Dear' einfach auf das Album packen.

Elke:
In der Presse-Info zur CD heißt es, dass "Madre, Protégenos" deine bisher persönlichste Schöpfung sei. Was macht das Album so "persönlich"?

Duncan:
Keine Ahnung - vermutlich, weil ich alles selbst komponiert habe, außer natürlich 'Goodbye Johnny Dear'.

Elke:
ÍON ist das gälische Wort für "rein", und ich finde, der Name passt hervorragend zur Musik. Wusstest du eigentlich, dass das Projekt CRONIAN, u. a. bestehend aus Andreas Hedlund alias VINTERSORG und Øystein G. Bruns von BORKNAGAR - ursprünglich den gleichen Namen im Auge hatte?

Duncan:
Bei ihnen handelte es sich sicher um das englische Wort "Ion", was ja eine völlig andere Bedeutung hat.

Elke:
Da könntest du recht haben - was so ein kleiner Strich auf dem I alles ausmachen kann... Ist ÍON eigentlich als einmaliges Projekt gedacht, oder gibt es bereits Pläne für ein zweites Album?

Duncan:
Ich habe bereits ein paar Stücke für das nächste Album komponiert, und die meisten Musiker stehen auch schon fest. Gestern Abend habe ich mich mit Vincent Cavanagh getroffen, der mir seine Mitarbeit anbot. Davon abgesehen hoffe ich, wieder auf die Dienste der gleichen Sängerinnen und Sänger zurückgreifen und zusätzlich noch ein paar Irinnen anwerben zu können. Als ich in Istanbul war, begleitete uns außerdem eine junge Violistin live bei einigen Songs. Sie war phantastisch, und wir haben bereits darüber gesprochen, gemeinsam Musik zu machen.

Elke:
Das klingt alles sehr, sehr vielversprechend! Die ÍON-Homepage spricht von Plänen für eine kleine Europa-Tour. Was können wir von dieser Tour erwarten?

Duncan:
Ich stehe derzeit mit einigen Leuten in Verhandlungen über potentielle Auftrittsmöglichkeiten, aber bisher ist noch nichts konkret. Nach Prüfung der Möglichkeiten werde ich sehen, was sich realisieren lässt. Ich würde aber auf jeden Fall gerne in kleinen, bestuhlten Hallen spielen mit einer entspannten Atmosphäre.

Elke:
Das würde auch viel besser zu dieser Musik passen als eine gewöhnliche Konzerthalle. In welche anderen Bands und Projekten bis du derzeit noch involviert?

Duncan:
Ich habe eine Zeit lang bei THE AFTERMATH als Live-Bassist ausgeholfen, weil ihr eigentlicher Bassist im Ausland lebt. Was ursprünglich nur für zwei oder drei Auftritte geplant war, wurde zu einem ganzen Jahr mit vielen Gigs in Irland und einigen in Griechenland. Ich hätte mich wohl besser auf meine eigene Musik konzentriert, aber es hat einfach zu viel Spaß gemacht, wieder live mit einer richtigen Band zu spielen. Sie sind hier im Moment ziemlich erfolgreich, allein 2006 hatten sie zwei Singles in den Top 20. Ich drück euch für die Zukunft die Daumen, Jungs!

Redakteur:
Elke Huber

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