Gruppentherapie: HELL - "Human Remains"

26.05.2011 | 08:04

Es wird viel Wirbel um HELL gemacht. Dabei sind die Songs auf "Human Remains" bereits mehr als 20 Jahre alt. Der dritte Platz in unserem Soundcheck beweist, dass die Herren doch eher höllisch gut als höllisch überbewertet sind.


Der Kult treibt schon merkwürdige Blüten. HELL haben Anfang der Achtziger offiziell eine einzige Single veröffentlicht und dennoch dreht ein kleiner Teil an Fans völlig frei als bekannt wird, dass Kev Bower, Andy Sneap und ihre Sidekicks jetzt ernst machen. Das geht so weit, dass bereits im Vorfeld mit Superlativen nur so um sich geworfen wird. Superlative, die der Band nur mit Abstrichen gerecht werden. "Human Remains" ist ein zeitgemäß produziertes Album, das deutlich den Spirit der NWoBHM atmet, mit David Bower einen markanten, theatralischen Sänger und einige echte Granaten an Songs am Start hat. Das eröffnende 'On Earth As It Is In Hell' ist ein brillanter, eingängiger Hit, bei dem der stimmliche Wahnsinn Bowers voll zur Geltung kommt. Und bei dem Hit bleibt es nicht ('Plague & Fyre', 'Save Us From Those Who Would Save Us'). Allerdings verlaufe ich mich immer mal wieder in den stellenweise überlangen Songs und verliere dabei den berühmten roten Faden. Ich bin ziemlich sicher, dass man 'Blasphemy And The Master', 'The Deadly Weapon', 'No Martyrs Cage' oder 'Macbeth' hätte kürzen können. Aber wahrscheinlich wollte man einfach die exakt 66 Minuten vollbekommen. Böse.

Note: 8,0/10
[Peter Kubaschk]

Etwas zu spät wurde ich geboren, um - eben frisch eingeschult - bereits Anfang der Achtziger den viel beschworenen kleinen, begrenzten aber angeblich doch vorhandenen Rummel um die NWoBHM-Obskurität HELL mitzubekommen. Daher kann ich sehr unvoreingenommen und frei von großen Erwartungen heran gehen, an das ebenfalls spät geborene Debütalbum der 1982 gegründeten, bald darauf verblichenen und nun mit drei Fünfteln des originalen Line-ups zurück gekehrten Band. Dass kein Geringerer als Andy Sneap der Vierte im Bunde ist und die verwaiste Gitarre seines verstorbenen Mentors Dave G. Halliday übernimmt, ist folgerichtig. Dass er "Human Remains" auch produziert hat nicht unumstritten. Zu sehr ist sein meist zeitgemäßer, fetter Produktionsstil manchem Traditionalisten verhasst. Dabei muss man sich schon arg anstrengen und tief in unbelehrbarer Nostalgie schwelgen, um den Sound als "zu modern" aufzufassen. Da ist es dann für mich ein Segen, nicht mit den alten Demos und der EP aufgewachsen zu sein, und diese Rückkehr als Neuanfang genießen zu können. Hat man nämlich kein fixes Klangbild davon im Ohr, wie eine Band wie HELL denn nun zu klingen habe, dann entfaltet sich "Human Remains" als dynamisches, mitreißendes Heavy-Metal-Album. Dieses lebt von tollen, abwechslungsreichen und spannenden Songs, einer gediegenen sakralen Gruselatmosphöre sowie vom überragenden, psychotischen, theatralischen und bissigen Gesang David Bowers - denn der Bruder des Gründungsmitglieds Kev Bower macht die Fünfe voll. Einen besseren Langspiel-Einstand kann man kaum haben!

Note: 9,0/10
[Rüdiger Stehle]


Ein Festschmaus für jeden Kultfanatiker und Anhänger des guten, alten 80er Jahre Sounds. Über die Briten von HELL ragt sich mir vor jener Veröffentlichung ein großes Fragezeichen: Wie konnte jene Truppe einen Legendenstatus entwickeln, obwohl sie in diesen Tagen ihr erstes Album veröffentlicht? Demos und zahlreiche Auftritte machen es eben möglich, sodass speziell Altfans 2008 die Ohren aufsperrten, als HELL zur Reunion ansetzten. Nun steht somit das erste, full-length-Album HELLs in den Startlöchern und was soll man sagen? "Human Remains" lässt beinahe keine Wünsche offen. Mit einem leicht diabolisch angehauchten Unterton bestückt, rockt die Platte vom ersten bis zum letzten Ton. Unterstützt mit einigen Zwischenspielchen, die zwar die höllische Aura verstärken, den Spielfluss aber ein wenig einschränken, avancieren Songs wie das eröffnende 'On Earth As It Is In Hell', 'Plage And Fyre' oder 'Blasphemy And The Master' zu Klassikern. Auch wenn es schwer fällt, einzelne Stücke der Masse hervorzuheben, so ist es doch auch 'Let Battle Commence', das jedenfalls mir eine zentimeterdicke Gänsehaut beschert. Somit ist es wohl eine Frage der Zeit, besser gesagt der Anzahl der Durchläufen, bis die Klasse und Atmosphäre von "Human Remains" weiter wachsen kann. Freunde des traditionellen NWoBHM-Klanges, dieses Erstlingswerk manifestiert den Status HELLs, auch wenn man ihm einige Zeit zur vollkommenen Entfaltung zugestehen muss, was nicht zuletzt an der Leistung eines David Bower liegt. Es lohnt sich.

Note: noch 8,0/10

[Marcel Rapp]

Ja, das Geheimnis, warum mir das so gut gefällt, ist als Stichwort bereits mehrfach gefallen: New Wave of British Heavy Metal. Das liegt sicher an meinem metallischen Werdegang, aber es fällt mir schwer, etwas aus dieser Zeit und mit einem solchen Stil nicht zu mögen. Und so rennt HELL bei mir eine offene Drehtür ein. Dieser Stil hebt sich erfrischend ab von vielen aktuellen Veröffentlichungen und fällt heutzutage auf wie Senf auf der Erdbeertorte. Dass diese Lieder auch vor 30 Jahren eine gute Figur gemacht haben, glaube ich gerne, warum sie damals nicht zu Vinylehren kamen, ist mir unerklärlich. Umso wohlwollender gehe ich natürlich an die menschlichen Überreste heran und lasse mir vor allem die Hymne 'On Earth As It Is In Hell' und 'Let Battle Commence' reinlaufen. Ja, lange ignoriert, dafür jetzt gut produziert, gelobt und auf Nuclear Blast. Manchmal siegt doch die Gerechtigkeit. Hell, yeah!

Note: 8,0 / 10
[Frank Jaeger]


An HELL konnte ich ganz unvoreingenommen herangehen und war ein paar Minuten lang auch noch recht zuversichtlich. Doch leider hat kein weiteres Stück die Power des angenehm nach vorn galoppierenden Auftaktsongs 'On Earth As It Is In Hell', welcher mich aller NWoBHM-Euphorie zum Trotz sogar leicht an OVERKILL erinnert. Doch schon 'Plague And Fyre' mit diesem beinahe weinerlichen Gesang und den seltsamen Chören im Refrain und das zerrige 'The Oppressors' sind eher schwer zu ertragen. Dieser Eindruck überwiegt auch in der Folge, da auch rifftechnisch und im Melodiebereich nichts geboten wird, was in irgendeiner Weise aufhorchen lässt. Lediglich 'Let Battle Commence', 'The Quest' und 'Save Us From...' haben noch einmal ansatzweise Gefallpotenzial, wenn auch nicht in dem Maße wie der Opener. Zudem brauchen etliche Songs ein bis zwei Minuten, bevor es überhaupt richtig losgeht. Diese zahlreichen quasi-Intros lassen das Ganze recht zäh und unnötig in die Länge gezogen erscheinen. So bleibt es insgesamt tatsächlich nur bei einer einigermaßen guten Nummer, der Rest ist bestenfalls schwachbrüstig, zumeist aber ziemlich ermüdend und öde. Ich kann da beim besten Willen nicht erkennen, warum ausgerechnet diese Kapelle es verdient hat, abgefeiert zu werden. Musikalisch allenfalls Mittelmaß und mit diesem anstrengenden Kreisch-Gesang ausgestattet, sind HELL eine der Bands, die ich schnell wieder vergessen möchte und werde. Aber so verschieden ist das eben - andere freuen sich hingegen fast dreißig Jahre lang auf ein auf Polycarbonat verewigtes Lebenszeichen der Truppe.

Note: 5,5/10
[Stephan Voigtländer]

Redakteur:
Peter Kubaschk
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