Wacken Winter Nights - Wacken

02.03.2017 | 10:07

10.02.2017,

"Wie ein Familientreffen!"

Als mystisches "Wintermärchen" pries der Veranstalter im Voraus die WACKEN WINTER NIGHTS an, die vom 10. bis zum 12. Februar im Mekka des Heavy Metal ihr Debüt feierten. Bei winterlicher Kälte, heißem Met und einem Line-Up, das sich zwischen Düsterrock und Mittelaltermetal bewegt, erweist sich der Neuling vor allem als eines: Ein Familientreffen der Dunklen Szene.

Die WACKEN WINTER NIGHTS dabei mit dem "großen Bruder" im Sommer zu vergleichen, ist dabei ein Ding der Unmöglichkeit. Das stelle ich nach dem ersten Rundgang über das wesentlich kleinere Gelände am Freitag schnell fest. Statt auf Größe setzt man hier auf die Liebe zum Detail: Das Festivalgelände ist einem stilisierten Dorf nachempfunden, dessen Häuser die mittelalterlichen Markstände und Imbissbuden darstellen. Walking Acts wie die Eiskönigin oder die Harlekina lassen vor allem jüngere Besucher, von denen erstaunlich viele über den gefrorenen Boden flitzen, mit offenem Mund stehen bleiben. Und auch die Schwertkämpfe und die Feuershow in der Dunkelheit scheinen geradezu prädestiniert, dem ein oder anderen Künstler auf der Bühne die Show zu stellen. Nicht so jedoch am ersten Tag:

Denn die freundliche UNZUCHT heizt den verfrorenen Gästen im EISPALAST gleich am Freitagnachmittag ordentlich ein. Der erste Slot der ersten Ausgabe der WACKEN WINTER NIGHTS steht ganz im Zeichen des gefiederten "Neuntöter". So starten die Herren aus Hannover nicht nur mit drei Stücken ihres aktuellen Albums (u.a. 'Der dunkle See'), sondern greifen den Vogel als Scherenschnitt auch in ihrem Bühnenbild auf. Spuren hat die Tour zum neuen Album, welche die Unzüchtigen quer durch Deutschland und das Vereinigte Königreich führte, nicht hinterlassen: Mit dem obligatorischen Stage-Diving von Daniel Schulz, der fetten Drum-Batterie von Toby und dem Gewitter der Saitenhexer Daniel De Clerq und Alex bei Brechern wie 'Neuntöter' hängen die Dark Rocker die Latte für die nachfolgenden Bands in gewaltige Höhen. So eröffnet man ein Festival!

Weiter geht es in das anliegende THEATER OF GRACE. Schon lange, bevor NACHTGESCHREI die Bühne betritt, ist es in der kleinen Garage, wie einige Festival-Besucher die Halle schon liebevoll getauft haben, gerappelt voll. Enge herrscht dabei nicht nur vor der Bühne, sondern auch ruckzuck bei den sieben Nachtgestalten. Allzu ausladende Gesten sind bei den Frankfurtern heute nicht möglich, stattdessen ist Vorsicht angesagt. Der Show von NACHTGESCHREI tut die Platzlimitierung jedoch keinen Abbruch: Mit dem 'Kerberos' geht der wilde Ritt los, den die Sieben mit etablierten Nummern ebenso wie frischem Material wie 'Aus dem Licht' zum Besten geben. Die Livepanne in Form einer streikenden E-Gitarre wird mit einem spontanen Tanz galant überbrückt - wenn jemand die hohe Kunst der Improvisation beherrscht, dann wohl NACHTGESCHREI! Schließlich verkündet Martin noch frohe Kunde aus dem Lager der Nachtgestalten: So geht kurz nach dem Auftritt das Musikvideo zur Single 'Tiefenrausch', dem Vorboten des gleichnamigen Albums online. Kein Wunder, dass nach dieser Meldung erstaunlich viele Menschen nach dem Auftritt von NACHTGESCHREI mit ihren Smartphones in der Halle verweilen...

Nach den Herren von VERSENGOLD, die auch aus der Ferne ihre Partykanone aus Liedern wie 'Drei Weiber' und 'Ich und ein Fass voller Wein' abfeuern, sorgt MONO INC im EISPALAST wieder für ruhigere Töne. Statt mit der episch-orchestralen Neu-Veröffentlichung "Together 'Till The End" spielen die Hanseaten auf den WACKEN WINTER NIGHTS ihr Akustik-Set in erweiterter Besetzung. Das Publikum ebenso wie Martin Engler, der sich zwischen den Songs immer wieder die Finger warmpustet, braucht dabei einige Zeit um mit den gediegenen Tönen warmzuwerden. Schließlich wandelt sich die respektvolle Stille vor der Hauptbühne jedoch in Verzauberung und Begeisterung. Vielen stiehlt sich bei den Balladen ein fast schon seliges Lächeln ins Gesicht. Vor allem die engelsgleiche Stimme von Katha Mia sowie das grandiose 'Potter's Field', gesungen von Ronan Zeidler, der MONO INC am Keyboard unterstützt, sorgen am frühen Abend für echte Gänsehaut-Momente.

Im THEATER OF GRACE lädt anschließend NACHTBLUT zur schwarzen Messe. Mit Feuerschalen und umgedrehten Kreuzen auf der Bühne schaffen die Düsterrocker das wohl stimmungsvollste Ambiente an diesem Abend - und auch der musikalische Eindruck bleibt hinter der Optik nicht zurück. Mit lakonisch bissigen Kommentaren heizt Askeroth der anfangs noch etwas statischen Menge ein. Das wäre jedoch gar nicht nötig gewesen, kommt bei den harten Riffs von Greif und Ablaz bei den meisten doch ohnehin das Blut in Wallung. Ein Publikum, das bei Refrains wie 'Töte mich' jede Zeile fast schon frenetisch mitsingt: NACHTBLUT sorgt am Freitag der WACKEN WINTER NIGHTS für einen morbiden Moment der Extra-Klasse und zählt für mich neben UNZUCHT zu den Gewinner des ersten Festivaltags. Schade jedoch, dass ich zur Zugabe weiterhuschen muss, denn die Uhr tickt:

Im Eispalast haben bereits die Totentänzer Einzug gehalten: SALTATIO MORTIS macht an diesem Abend dort das Schlusslicht für den ersten Tag. Der Zirkus Zeitgeist bittet in die Manege. Gerade erst aus der sonnigen Karibik von der "70.000 Tons Of Metal" zurückgekehrt, haben die Spielmänner den ersten Temperaturschock schnell überwunden und liefern auch ohne die obligatorische Feuer-Show eine solide Zwei-Stunden-Show ab. Dabei konzentriert sich SALTATIO MORTIS vor allem auf die neueren Stücke der Band, überrascht jedoch beispielsweise bei der deutlich angerauterten Variante von 'Wachstum über alles', welches Alea an diesem Abend mehr screamt als singt. Gefällig klingt dies nicht für alle Ohren, doch spätestens bei der emotional geladenen Nummer 'Nachts weinen die Soldaten' zeigen sich sämtliche Gemüter wieder besänftigt und versöhnt.

Redakteur:
Leoni Dowidat

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