LACRIMOSA und [SOON] - München
27.10.2025 | 14:1406.10.2025, Backstage - Halle
Ein Abend mit außergewöhnlicher Rockmusik.
"Aus schlaflos gelebtem Tagtraum erwacht, so bin ich der Sehnsucht Opfer." Diese Textzeile ging mir einige Tage vor diesem LACRIMOSA-Konzert durch den Kopf, als ich es in großer Vorfreude vor lauter Neugier nicht mehr aushielt und im Weltnetz in die Setliste "spickelte". Ich bin in diesem Fall aber sehr froh, das getan zu haben, weil ich das Konzert so wie sonst auch genießen kann und nicht von Lied zu Lied mehr der Erwartungshaltung und Enttäuschung anheim falle, wie das manchmal bei liebgewonnenen Live-Acts passieren kann.
So ist mir im Vorfeld klar, dass ich 'Halt mich', aus dem das obige Textzitat stammt, nicht hören werde. Das Fehlen von 'Alleine zu zweit', 'Copycat', 'Feuer' und 'Durch Nacht und Flut' kann ich verschmerzen. Schwerer wiegt für mich der Wegfall von 'Seele in Not' und dem wunderbaren 'Malina'. Zudem schlägt es schon eine klitzekleine Wunde ins Fanherz, wenn man 1997 durch 'Siehst du mich im Licht?" auf einem Rockhard-Dynamit-Sampler zum Fan wurde, und genau dieser Song dann fehlt. Einen klaffenden, stark blutenden Einschnitt stellt für mich darüber hinaus der Verzicht auf einen der weltbesten Konzert-Opener überhaupt, namentlich 'Ich bin der brennende Komet', dar. Aus meiner Sicht freilich dick aufgetragenes Gejammer, durfte ich LACRIMOSA seit 2001 doch immerhin schon sechsmal live erleben und habe dabei alle diese Lieder teilweise schon mehrfach gehört. Ergänzend ist unbedingt anzumerken, dass zum einen Abwechslung in einer Setliste nicht zuletzt für die Bands selbst oft Not tut, um die Spielfreude an bestimmten Liedern nicht zu verlieren. Zum anderen fällt Anne Nurmi bekanntermaßen aufgrund ihrer schweren Erkrankung auf dieser Tour aus. Allerbeste Genesungswünsche an dieser Stelle, liebe Anne! Auch das hat eventuell die Setliste ein Stück weit beeinflusst.
Also auf zum siebten Konzert!
Am heutigen Montagabend ist die Backstage-Halle "okay" gefüllt. Altersmäßig bewegt sich die Spanne der anwesenden Liebhaber dunkel-romantischer Gothic-Rock-Klänge hauptsächlich etwa zwischen 25 und 65, die meisten werden zwischen 35 und 55 Jahre alt sein. Dieses Publikum empfängt die Support-Band [SOON] interessiert und freudig.
Etwa eine halbe Stunde lang verwöhnen Sänger Eric, Lenny an der Gitarre und Schlagzeuger Jakob die Anwesenden mit ihren tanzbaren, dunklen aber eingängigen Dark-Rock-Klängen.
Die heftige Lautstärke wird vor allem durch den wuchtigen Bass-Sound getragen und nötigt mich zum sofortigen "Stöpseln", was ich jedoch ohnehin meist mache. Die beiden genannten Musiker übernehmen den Großteil der Bühnenaction und sind für die Zuschauer an allen Punkten der Bühne des Öfteren präsent.
Den beiden gelingt es, guten Kontakt zum Publikum aufzubauen, was dessen Reaktion und Partizipation ganz klar verstärkt, die Lautstärke der Rufe und die Anzahl der Mitklatschenden sind für eine Vorband durchaus erwähnenswert. Auch mit seinen sympathischen Ansagen und durch seine nette Art kann Eric das Publikum für sich gewinnen. Letztendlich gelingt es [SOON], trotz der bereits reichlich mit LACRIMOSA-Logos verzierten Bühne, nicht nur wegen zweier Aufsteller mit dem eigenen Logo, sondern auch durch ihre eingängigen Dark-Rock-Songs bei den LACRIMOSA-Fans einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen.
Setliste [SOON]: Dead-End-Street; Our Isolation; Estrangement; All I Wanted; Empty Promises; Desperate; Attempts To Deceive
Nach einer halbstündigen Umbaupause wird das Licht in der Halle erneut gedimmt, und das altbekannte, immer noch eindrucksvolle "LACRIMOSA-Theme" ertönt.
Als die Musiker, wie in der Backstage-Halle üblich, über einen seitlich an der rechten Hallendecke angebrachten Steg aus den Backstage-Räumlichkeiten am Publikum vorbei zur Bühne gehen, ist schon einmal ein Vorgeschmack auf die gegen Ende des Gigs vorherrschende Publikumslautstärke zu vernehmen.
Zunächst kommen die überwiegend in LACRIMOSA-Shirts, Longsleeves und Pullis gewandeten Fans jedoch nicht so richtig "aus dem Quark". Das erste Lied 'Avalon' drückt laut und metallisch aus den Boxen, alle im Raum scheinen sich zunächst hineinhören zu müssen. Die überschwenglich ausgelassene, aber doch feierliche, lautstarke Atmosphäre, die zumeist bei LACRIMOSA-Auftritten vorherrscht, vermisse ich zu Beginn einfach in Gänze. Der 'Komet' fehlt zum Zustandekommen dieser Stimmung schon deutlich, da haben auch die nachfolgenden LACRIMOSA-Perlen 'Der Morgen danach', der Ultra-Klassiker 'Alles Lüge' und die von mir besonders verehrte 'Lichtgestalt' als Trio kein leichtes Spiel.
Tilo schafft es durch sein heiteres Wesen und seine sympathische Art dennoch sofort, ein Band, vor allem zu den ersten Reihen aufzubauen. Man spürt, dass der Auftritt auch für ihn alles andere als gewöhnlich ist, die Leichtigkeit fehlt daher anfangs ab und an manchmal etwas.
Er ist aber stets bemüht und schafft es auch, gesanglich und instrumental, egal ob mit Trompete oder Gitarre musizierend, gut mit seiner Nichte Lara zu harmonieren. Jene junge Frau, ist glücklicherweise für Anne Nurmi eingesprungen und macht einen wirklich tollen Job!
Yenz Leonhardt lässt eine wohlbekannte dunkel-düstere Bass-Line vernehmen, und schickt sich an, aus unsere Herzen zu flüchten: 'Ich verlasse heut' dein Herz' kann auch heute die Zuhörerschaft mitnehmen. Es folgt der erste Deep-Cut, 'Kelch der Liebe', zu finden auf dem Album "Lichtgestalt". Langsam, ganz allmählich taut das Publikum auf, etwas mehr Bewegung und auch Rufe aus dem hinteren Publikumsraum sind zunehmend zu hören. Der Titeltrack des neuen Albums, 'Lament', kommt musikalisch zwar sehr gut an, wirft die Stimmung jedoch abermals ein klein wenig zurück. Der nächste Klassiker, mittlerweile auch ein Deep-Cut im Schaffen von LACRIMOSA, steht mit 'Vermächtnis der Sonne' an.
Die Begeisterung im Publikum kann leider auch von dieser musikalischen Großartigkeit nicht wirklich in Schwung gebracht werden, obwohl Tilo, Yenz, JP, Julien am Schlagzeug und Lara wirklich harmonieren und alles geben. Der neue Track 'Du bist alles was ich will' ist überdies schon sehr ruhig.
Insgesamt muss ich mich noch ausführlicher mit dem neuen Album befassen, das kam bei mir leider noch etwas zu kurz. Die 'Rote Sinfonie' schafft jetzt endlich die Wende im Stimmungsbogen des heutigen Abends. Tilo kommt im zweiten Teil des Liedes richtig aus sich heraus, gibt an seiner Gitarre den Rockhelden und hat sichtlich Spaß am Spielen und Posen. Man fühlt trotz der speziellen Situation, dass er liebt, was er da tut. Ab jetzt rockt die Band richtig! JP und auch Yenz, der nun vermehrt von seinem Platz rechts neben dem Drumkit nach vorne kommt, nutzen die ganze Bühnenbreite und nehmen Sichtkontakt zu den Fans in den ersten Reihen auf. Am Ende des Liedes ist die Lautstärke der Begeisterung dann endlich in gewohnten LACRIMOSA-Regionen angekommen.
Ein Track des neuen Albums hat es bereits in meine persönliche "Hall of Fame", LACRIMOSA betreffend, geschafft: Das schnelle, aber dabei chansonhafte und pathetische, melodiös-punkige 'Punk & Pomerol' kann mit allen, teils heute Abend schon gehörten Hits mithalten und wird es sicherlich bis auf Weiteres weiterhin in die Setliste schaffen.
Das Publikum in der Halle ist nun jedenfalls fast bei einer der Band würdigen Betriebstemperatur angekommen. Folgerichtig greift diese nun endlich wieder zu einem Signature-Klassiker, zu 'Stolzes Herz'. Ab jetzt ist auch der Schreiberling von Powermetal.de am - von pathetischen Gesten begleiteten - Schrei-Singen: "Mit blutbeschmierten Händen, mit einer Träne im Gesicht, einem Lächeln auf den Lippen und der Hoffnung tief im Blick...".
Nach wie vor ein ganz großartiger Live-Song und mitreißend wie eh und je! Danach folgt der erste Abschied. Nach einem nun frenetisch gefeierten Hin-und Her der Band auf dem Steg zu den Backstage-Backstage-Räumen (Was für ein herrliches Wortspiel!), kommt ein "Satura"-Uralt-Klassiker zur Aufführung: 'Flamme im Wind'. Wie es so Sitte ist, kann dieser Gothic-"Hit" trotz seiner Düsternis die Stimmung prächtig halten. Diese ist dem Publikum jedoch erst wieder beim rockigen, vom neuen Album stammenden 'Memoria' so richtig anzumerken. Tilo ist wieder voll bei der Sache, die Rocklieder machen ihm sichtbar großen Spaß.
Nach einer weiteren Verabschiedung und einer diesmal kürzeren Zeitspanne steht die Band ein letztes Mal auf der Bühne und Tilo widmet Anne Nurmi den letzten Song: 'Schakal'.
Der übergroße Klassiker der Band lässt alle Dämme brechen, das Publikum singt nun in Gänze mit und der Blick durch den Raum am Schluss des Konzerts zeigt dem Betrachter ein, wie stets, glückseliges LACRIMOSA-Publikum! Nur der Weg dahin war heute ein etwas anderer.
Setliste LACRIMOSA: LACRIMOSA-Theme (Intro); Avalon; Der Morgen danach; Alles Lüge; Lichtgestalt; Ich verlasse heut' dein Herz; Kelch der Liebe; Lament; Vermächtnis der Sonne; Du bist alles was ich will; Rote Sinfonie; Punk & Pomerol; Stolzes Herz; 1. Zugabe: Flamme im Wind; Memoria; 2. Zugabe: Schakal
Text und Photo Credit: Timo Reiser
- Redakteur:
- Timo Reiser





