Euroblast-Festival 2016 - Köln

09.10.2016 | 23:19

30.09.2016, Essigfabrik

Auf den folgenden Seiten heißt es wieder: Auf in die Noten- und Rhythmus-Schlacht, auf ins Progressive Metal-Mekka: Das Euroblast-Festival XII!

HIBAKUSHA aus den Niederlanden eröffnen heute statt OCEANS OF SLUMBER den zweiten und für mich vielfältigsten Euroblast-Tag. Satte Grooves und Deathcore-Growls erfüllen die Halle, was im Prinzip Stangenware auf dem Festival ist. Aber die Band hat es verstanden, dass man nicht immer Vollgas geben muss und, dass man ein paar melidöse Licks einfließen lassen kann. Das macht das Ganze schon viel interessanter und nicht ganz so austauschbar, wie zum Beispiel 'Incarnation' beweist.

[Jakob Ehmke]

Nach ANIMALS AS LEADERS, dem Freitagabend-Höhepunkt in Sachen Show-Off und unmenschlicher musikalischer Überlegenheit wird OCEANS OF SLUMBER (links) zur Eröffnung des Euroblast-Samstags mein emotionaler Höhepunkt. Die Gänsehaut während der mitreißenden Performance des Abschluss-Tracks '…This Road’ war definitiv nicht tiefen Temperaturen geschuldet sondern der Musik. Denn OCEANS OF SLUMBER bedient das Festival mit einer Facette, die mir beim Euroblast und beim modernen Prog allgemein ein wenig abgeht. Nämlich etwas fürs Herz. Und wem dieses bei Cammie Gilberts raumgreifender Stimme nicht aufgeht, dem hat wohl das ganze technische Geknatter des Vortages die entsprechenden Hirnbereiche verklebt. OCEANS OF SLUMBER ist die einzige Band, die auch mal ruhige Töne für längere Zeit aushält, und zwar um ihrer Sängerin Raum zu geben und Wirkung zu entfalten. Immer wieder kommen mir hier die Art-Rocker THE GATHERING in den Sinn, vor allem die Art und Weise, Gefühle zu transportieren, gemahnt an die Frühphase mit Anneke. Und dennoch hat die Band durchaus auch Stoff für den ANIMALS AS LEADERS-Technik-Nerd. Zwar nicht so intensiv und so verknotet aber trotzdem spielerisch à la bonheur lassen die Jungs auch mal die Sau raus, fette Growls inklusive. Das Spektrum von OCEANS OF SLUMBER ist also sehr weit und wenn die Texaner dran bleiben, spielt sie bald schon auf prominenteren Postionen. Dass die farbige Cammie Gilbert dazu noch bildhübsch ist, wird hier sicherlich nicht schaden.

[Thomas Becker]

Nun kommt der Grund, warum meine Kollegen mich unbedingt mal auf dieses Festival schleppen wollten. Du gehst unverhofft zu einer Combo, deren Namen du nie zuvor gehört hast und du wirst völlig umgeblasen. Geeuroblastet sozusagen. “Solo-Gniedler im Keller. Runter. Jetzt.” ruft mir der Oli zu und ich renne hinterher. Schon was da von außen zu hören ist, klingt mehr als nur vielversprechend, also schnell rein in dieses prall gefüllte Kellerloch. Boah, was für ein Sound! Eine Dreiercombo - Drums, Bass, Gitarre - lässt unterstützt von elektronischen Samples und sphärischen Sequencer-Sounds ein Fest für jeden Ästheten härterer Gitarrenmusik vom Stapel. Im Vordergrund ganz klar der junge Gitarrist Benjamin Lechuga, den man völlig zurecht extra aus Chile eingeflogen hat, um auf dem Festival zu spielen. Ganz anders als beim sehr zukunftsgerichteten Tosin Abasi basiert LECHUGAs Kunst eher auf klassischen Einflüssen, seine Flitzefinger-Soli sind meist hochmelodisch und gehorchen den Regeln der alten Schule, in der Rock, Metal, Fusion und Funk verschmelzen. Steve Vai, Timo Tolkki oder John Petrucci oder Alex Masi fallen mir hier alsbald als Referenzen ein. Dennoch legt die Band ein fettes euroblastig-modernes Fundament mit verschobenen Takten und so manchen Stakkato-Riffs, über der Lechuga seine wunderbare musikalische Vision ausbreitet. Ich liebe es, wenn Gitarristen noch mit klassischen Effekten wie Delay und Flanger umgehen können, und wie diese mit den Samples verfliessen, zu entkommen drohen und doch von der Band immer wieder immer wieder eingefangen werden, ist sehr faszinierend. Sogar der grundsätzlich eher skeptische Boss ist sehr zufrieden mit dem Gehörten und zuckt beim ‘Evil Funk’ freudig mit (nicht nur da. Wirklich ganz fantastischer Auftritt! - PK). Der Gig ist zwar von vorne bis hinten durch-konzipiert, wirkt jedoch dennoch locker, lässig, spontan und einfach mitreissend. Hoffentlich finden diese Chilenen genügend Ohren, um eine Eurotour möglich zu machen. Für mich die große Festival-Entdeckung.

[Thomas Becker]

INVIVO habe ich anno 2013 mit dem Album "Arise" kennengelernt und ist mir seitdem relativ positiv in Erinnerung geblieben. Alternative-Prog mit leichtem MUSE- und BIFFY CYLRO-Touch? Ja, so könnte mans beschreiben. Aussehend wie die netten Studenten von nebenan, proggen sich die Italiener mit viel Herz und Verstand in die Ohren der Euroblast-Gemeinde. Ein toller Auftritt, einer Band, von der man in Zukunft bestimmt mehr hört.

[Jakob Ehmke]

Der zweite Tag hat bis zum Auftritt der Australier NE OBLIVISCARIS (links) schon einige Höhepunkte zu bieten gehabt. Dennoch war ich gespannt wie das Sextett mit seinem progressiven Black Metal sich auf dem Euroblast machen würde. Nun, es wird - wie später auch bei ENSLAVED - deutlich, dass die meisten Euroblaster mit dieser Art Musik recht wenig anfangen können, denn die Halle leert sich doch merklich. Selbst schuld, kann ich da nur sagen, denn der Gig der Herren ist in Sachen Technik, Präzision und Abwechslungsreichtum sicher einer der Höhepunkte des Festivals. Schon das 12-minütige Einstiegsmonster 'Pyrrhic' macht das sehr deutlich. Ebenso wird aber auffällig, dass Violine und Klargesang von Tim Charles ein wenig zu sehr im Hintergrund lauern und nicht die Akzente setzen können wie auf den beiden hervorragenden Alben "Portal Of I" und "Citadel". Dafür macht der australische Sonnenschein das mit einer sehr positiven und energetischen Bühnenpräsenz wieder wett. Er ist damit auch optisch das krasse Gegenstück zum grimm und frostbitten hereinblickenden Xenoyr, der seine fiesen Vocals sicher in Norwegen gelernt hat und auch sonst mit seiner Aura an einen Satyr gemahnt. Dieser auch optisch sehr starke Kontrast hat auch etwas Amüsantes. Alles in allem ein sehr guter, wenn auch nicht ganz perfekter Set.

[Peter Kubaschk]

Der Cheffe ist zufrieden, doch mir ist nach dem Auftritt so schwindelig, dass ich draußen kurzzeitig um Orientierung ringe. Doch vor solchen Konzerterlebnissen beim Euroblast wurde ich schon vorher informiert. Ich stelle mich der Herausforderung, doch mein Geist verliert jeglichen Halt in diesem Doublebass-Gewitter, über das gefühlt vier verschiedene Bands vier verschiedene Stilarten übereinander legen, alle mit der Wucht eines Symphonie-Orchesters. Es gibt da eine Star-Trek-Folge, in der Commander Data mit seinem Superchip im Hirn immer ein Dutzend Musikstücke gleichzeitig hört, darunter auch Free-Jazz und klingonische Oper. So klingt das hier auch. Ich konnte schon die CDs kaum am Stück durchhören, heute prügle ich mir aber ein schnelles, frühes Bier rein, danach wird es auch besser und ich kann bleiben. Ich höre Fiedel und Klargesang gut. Beides liegt in meinem Ohr ziemlich neben der Spur. Ich kann sie allerdings auch in kein Verhältnis setzen. NE OBLIVISCARIS ist mir einfach viel zu viel und ich bin froh, nach dem Gig wieder Boden unten den Füßen zu gewinnen. Dabei an die eingängigen Pop-Nummern von ANIMALS AS LEADERS denken hilft. Ihr seht, ich bin extrem konfus. Den Gig von NE OBLIVISCARIS beziehungsweise das Gefühl danach werd ich so schnell sicher nicht vergessen.

[Thomas Becker]

OCEANS ATE ALASKA kommt aus Birmingham und neben dem schrägen Bandnamen ist der typisch englische Akzent auch das einzige, was ich von dieser Band in Erinnerung behalten werde. Sie selbst ordnen sich in der Genreschublade des progressiven Metalcore ein. In der Realität ist das aber nicht viel mehr als 08/15-Deathcore-Geschrubbe, mit einem echt fiesen Gekeife und unzähligen uninspirierten Breakdowns. Die hin und wieder eingeworfenen schmalzigen Emo-Gesangsparts sind auch nur von einer Hörerschaft zu ertragen, die Bands wie ATTACK! ATTACK! zu ihren Favoriten zählt. In ihrer Livedarbietung geben sie schon ordentlich Vollgas und es kommt auch zu kleinen Scharmützeln im Pit-Bereich, aber musikalisch ist das einfach zu dünn, um mir zu gefallen - und es gibt schon mehr als genug solcher Bands. Anstatt der Sidestage der Essigfabrik wäre der benachbarte Schrottplatz der passendere Auftrittsort für diese Band gewesen. Anstatt Alaska sollten wohl eher die Engländer Angst davor haben, nicht von einem Ozean guter progressiver Bands aufgegessen zu werden.

[Christian Stricker]

Die Inder SKYHARBOR (links) haben mit "Blinding White Noise: Illusion & Chaos" und "Guiding Lights" zwei starke, ziemlich luftige Djent-Alben vorgelegt, die aber auch zu einem großen Teil von den Vocals von Daniel Tompkins (TESSERACT) lebten. Auch livehaftig war das vor einiger Zeit im Paket mit dem TWELVE FOOT NINJA aller Ehren wert. Nun hat Tompkins im letzten Jahr den Dienst im Lufthafen quittiert und er wurde ersetzt vom Ami Eric Emery, der gar schon ein paar Grammy-Nominierungen vorweisen kann. Mit seinem tätowierten Kopf macht er auch optisch was her, doch stimmlich sind die Fußstapfen von Tompkins zumindest an diesem Tag viel zu groß für ihn. Während die Inder im Hintergrund ihre luftigen Djentnummern zum Besten geben, ist Emery tatsächlich kaum zu verstehen. Nicht nur ist er zu leise abgemischt, ich empfinde seine Vocals auch als unverständlich. Anders gesagt: der Mann nuschelt und wimmert, aber in welcher Sprache ist kaum auszumachen. Das versaut mir den Hörspaß dann doch sehr nachhaltig, zumal das über den Kurs der 40 Minuten kaum besser wird. Das sorgt natürlich auch dafür, dass zumindest ich die gespielten Nummern kaum zuordnen kann. Noch schwerer fällt diese Schwächeperiode ins Gewicht, weil zuvor die Qualität richtig hoch war. Und so ist SKYHARBOR wohl mein persönlicher Verlierer des Festivals.

[Peter Kubaschk]

Schon das zweite Mal in Folge spielen die Dänen von VOLA auf. Die anfänglichen technischen Probleme sind schnell vergessen, denn VOLA schafft es mit einem knackigen, modernem und zu gleich sehr eingängigem und atmosphärischem Sound und insbesondere einem charakterstarken Gesang, umgehend die Zeit stillstehen zu lassen. Gespielt werden Songs vom Debüt-Album "Inmazes", das just unter Mascot Records wiederveröffentlicht wurde. Das Publikum zeigt sich abermals textsicher und möchte VOLA gar nicht mehr gehen lassen, was vollkommen verständlich ist.

[Jakob Ehmke]

Da hängt einem die Kinnlade aufgrund des überragenden Gigs von COLD NIGHT FOR ALLIGATORS, vom Vorabend, noch auf Halbmast, da schickt sich schon die nächste dänische Newcomer-Kapelle an, um meine Gunst zu buhlen. Bei diesem abwechslungsreichen Djent-Massaker aus Stakkato-Vollgas-Parts sowie diversen grandiosen melodiösen Momenten ist auch jeder Widerstand zwecklos. Am ehesten erinnert mich das Ganze noch an eine Light-Version von PERIPHERY. Wo die Amis häufig recht verkopft klingen, wählt GHOST IRIS relativ simple Songstrukturen, die sich sofort im Ohr festbeißen. Nach nur 40 Minuten sind alle im Keller Anwesenden komplett verschwitzt und dem Charme dieser Band verfallen. Irgendwas machen die dänischen Bands da oben im hohen Norden gerade verdammt richtig.

[Christian Stricker]

BLACK CROWN INITIATE hat das Glück aufgrund der Absage von HEART OF A COWARD von der Side- auf die Mainstage zu wechseln. Spätestens seit dem aktuellen Output "Selves We Cannot Forgive" sind die Amis in aller Munde, zumindest in der Euroblast-Szene. Ihr rasend schneller Extreme Progressive Metal sorgt bei vielen Zuschauern für eine Mischung aus Entzückung und Verwunderung. Auch mir gefällt das Gehörte live auf Anhieb besser als auf Platte. Fettes Brett!

[Jakob Ehmke]

Wie sich die Zeiten doch ändern. Mitte der Neunziger war ENSLAVED (links) Teil einer Bewegung, die die musikalischen Extreme des Metal ausweitete und die Grenzen des musikalischen Härte-Spektums auslotete. Und heute spielt die Band hier an diesem Ort, an dem viele junge Bands sich aufmachen, den Metal neu zu definieren und noch extremer zu gestalten, die Rolle des Bewahrers alter Tugenden. Krass, oder? ENSLAVED liefert eine old-school-Metal-Show im besten Sinne ab, mit so altbackenen Tugenden wie Ansagen, Gitarren-Posing oben ohne. Und fliegenden Haaren. Und damit ist ENSLAVED hier ein Exot, was sich leider auch im Zuspruch der Zuschauer widerspiegelt. Böse Schreiber würden sagen, ENSLAVED habe die Halle leer gespielt. (Was objektiv auch korrekt ist, aber nix mit der Qualität des famosen Gigs zu tun hat. - PK) Auch ich hatte anfangs ein eher maues Gefühl. Nach all dem Fett bei den Bands zuvor wirken besonders die Gitarren seltsam drucklos und die Blastbeats beim ersten Song ziemlich verloren. Das legt sich aber nach einer Weile und ich genieße diesen Kontrast. Denn ENSLAVED hat ein paar feine Liedchen für diesen Gig ausgewählt und greift mit ‘The Crossing’ vom 2003er-Album “Below The Lights” sogar (in Relation zur Euroblast’schen Moderne) tief in die Vergangenheit. Das wird auf dem einen oder anderen Nerd hier musikalisch wohl viel zu bieder und unspektakulär sein, aber das ist mir völlig egal. Feine, einfache Melodien sind ein Gut, das bei aller Innovation nicht aussterben darf. Besonders erwähnenswert ist hier einmal mehr das tolle Wechselspiel der beiden Sänger. Hier der fies keifende Grutle, ein Norweger-Wikinger aus dem Bilderbuch und dort der munter und klar trällernde Herbrand Larsen, der nebenbei auch die Tasten bedient. Und wer sich intensiver mit der Musik beschäftigt, wird all die kleinen Kniffe und Tricks bemerken, die ENSLAVED zu einer bemerkenswerten Band und damit auch interessant für den denkenden Hörer machen. Live bietet ENSLAVED aber vor allem etwas fürs Auge, macht eine coole Metal-Show Show und hat Spaß. Wer hätte dies von den ehemals grim und frostbittenen Norge-Blackies erwartet? Daumen Hoch für ENSLAVED!

[Thomas Becker]

 

 

VEIL OF MAYA sollte eigentlich schon 2012 auf dem Euroblast spielen, sagten aber spontan ab. 2016 ist es dann endlich soweit und die Amis entern die Bühne. Ihr djentlastiger Deathcore zieht wieder auch diejenigen in die Halle, die - warum auch immer - vor der tollen Show von ENSLAVED geflüchtet sind. Die Band hat mächtig Bock und zockt mit einer Leichtigkeit einen Song nach dem anderen runter, als ob sie keine rhythmisch bis aufs Äußerste komplexe Songs spielen würden. Wie ein Uhrwerk rattert die Instrumentalsektion auch die schnellsten und komplexesten Pattern runter, was schon beachtlich ist. Die Klargesänge von Neuzugang Lukas Magyar sorgen für die nötige Auflockerung, auch wenn sie nicht immer mit Überzeugung präsentiert werden. Die Jungs von VEIL OF MAYA werden auf jeden Fall wie Superstars abgefeiert, was bestimmt auch dem Umstand geschuldet ist, dass sich die Band bisher kaum in unseren Breitengraden gezeigt hat.

[Jakob Ehmke]

HIER geht's zu Tag 3, Sonntag.

Redakteur:
Jakob Ehmke

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