XANDRIA: Interview mit Marco Heubaum

02.02.2023 | 15:50

Nachdem Bandkopf Marco Heubaum im vergangenen Jahr eine komplette Neubesetzung XANDRIAs sowie die neue Single 'Reborn' angekündigt hat, wurden Fans der Symphonic-Metal-Band sehr hellhörig. Nun kehrt die Bielefelder Ohrwurmschmiede mit einem neuen Album zurück an das Tageslicht und präsentiert sich mit "The Wonders Still Awaiting" stärker denn je. Wir sprachen mit Marco über die vergangenen Monate, den aktuellen Rundling und die künftigen Taten.

Hallo Marco. Wie geht es dir? Wie ist die Stimmung bei XANDRIA?
Hallo, immer wieder schön, bei POWERMETAL.de zu sein! Ihr seid schon so lange da und unterstützt die Szene, das finden wir wirklich klasse! Bei uns soweit alles gut - wir sind etwas aufgeregt, weil das neue Album bald erscheint natürlich. Wir sind sehr stolz darauf und hoffen, dass es den Leuten gefällt.

Seit eurem letzten Album "Theater Of Dimensions" ist einige Zeit ins Land gegangen. Und im letzten Jahr gab es den großen Dreh am Besetzungskarussell. Was waren denn die Gründe, dass sowohl Gerit als auch Steven und Aeva die Band verlassen haben?
Aeva war ja kein festes XANDRIA-Mitglied, sondern ist zu der Zeit nur für ein paar Konzerte eingesprungen. Ansonsten brauchte ich einen kompletten Neustart, um wieder mit XANDRIA weiter machen und meine musikalische Vision weiter verfolgen zu können. Leider waren wir in der alten Besetzung nicht mehr auf einer Wellenlänge und es hätte nicht mehr gepasst. Daher haben wir uns getrennt, aber in aller Freundschaft. Es war schmerzvoll, aber leider geht es im Leben manchmal nicht anders, als einen Neuanfang zu machen. Die Erfahrung hat denke ich fast jeder schon gemacht.

Ihr habt mit Tim von HARDBONE sowie Dimitrios von STAHLMANN und Rob allerdings eine sehr gute und harmonierende Instrumentalmannschaft zusammengeschustert. Wie kamen die Kontakte zustande und inwieweit waren die Neuankömmlinge schon in das Songwriting zum neuen Album involviert?
Danke, ja, die Jungs sind wirklich klasse Musiker und, noch viel wichtiger eigentlich, klasse Typen. Wir hatten auf unserer ersten Tour bereits viel Spaß miteinander und es hat gleich sehr gut gepasst. Sie sind in die Band gekommen, indem ich unter befreundeten Musikern etwas herumgefragt habe, ob nicht jemand jemanden kennt, der für XANDRIA in Frage käme. Dann habe ich sie angesprochen, unter Lockdown-Bedingungen natürlich erst aus der Distanz. Und dann haben wir uns irgendwann getroffen und geprobt und Videos zusammen gedreht, und plötzlich waren wir mittendrin und es hat sich angefühlt, als ob wir schon lange zusammen unterwegs sind. Das war ein gutes Zeichen.

Ins Songwriting waren sie aber nicht involviert, abgesehen von Ambre, die einige der Texte geschrieben hat. Aber die Musik für das Album habe ich komplett geschrieben und auch selbst produziert. Das war auch mein Plan, als ich XANDRIA jetzt wieder ganz zu meinem eigenen Projekt gemacht habe. Ich war zwar schon immer der Hauptsongwriter und die musikalische Vision für XANDRIA stammte immer vor allem von mir, aber jetzt hatte ich die Gelegenheit, es vom großen Ganzen bis ins kleinste Detail so zu formen, wie ich es im Kopf hatte. Das war eine sehr schöne Erfahrung, das so machen zu können. Natürlich hatte ich großartige Leute, die mir dabei geholfen haben, und ihren Input mit hineingegeben haben. Ohne das geht es nicht und das macht alles natürlich am Ende noch viel besser!

Du hast Ambre schon angesprochen, die mit ihrem Gesang euren Sound veredelt. Da ich nicht viel von eurer neuen Frontfrau herausfinden konnte, stell Ambre doch einmal kurz vor und teil uns mit, wie sie Teil XANDRIAs wurde.
Ich finde ihre Stimme wunderschön, und das Großartige ist, dass sie sehr ausdrucksstark und emotional berührend singt, und dann auch noch mehrere Gesangsstile beherrscht. Das macht es mir möglich, als Komponist variabler zu sein und bestimmten Parts einfach noch mehr Intensität und das richtige Gefühl zu verleihen. Ich bin sehr froh darüber, diese Möglichkeiten jetzt zu haben. Zum ersten Mal gesehen hatte ich das, als wir zusammen an einem anderen Projekt gearbeitet haben, und da wurde mir klar, dass dies für mich auch die richtige Stimme für XANDRIA wäre.

Es hat sich also viel getan und nach fünf Jahren gab es vergangenes Jahr mit 'Reborn' erstmals neue Musik. In mehreren Hinsichten ziemlich stellvertretend für XANDRIA, oder?
Wenn du den Titel des Songs meinst, dann hast du natürlich recht. Das war genauso beabsichtigt und in dem Text geht es auch um meine Gefühle dazu. Und der Song ist musikalisch ein starkes Ausrufezeichen dafür, dass XANDRIA wieder da ist, mit allem, was XANDRIA wirklich ausmacht und wichtig dafür ist. Aber auch mehr als nur das, was man bisher von XANDRIA kannte. Das haben wir dann mit den Singles danach noch nachdrücklicher gezeigt, denke ich.

Der Song ist Teil eurer neuen Scheibe "The Wonders Still Awaiting". Rein musikalisch betrachtet, was unterscheidet das neue Album von eurer letzten Platte "Theater Of Dimensions"?
Ich denke, sie ist in vielerlei Hinsicht anders, auch wenn man klar erkennen kann, dass beides XANDRIA ist. Aber ich glaube, das neue Album ist viel vielschichtiger und tiefgehender. Es ist komplexer, aber auch gleichzeitig intensiver und kraftvoller. Mir haben Leute gesagt, die das Album schon gehört haben, dass sie das Gefühl haben, das XANDRIA auf einem ganz neuen Level angekommen ist. Und dieses Gefühl hatte ich beim Schreiben auch schon. Es war sehr aufregend, Neuland zu betreten und gleichzeitig dem musikalischen Traum XANDRIA noch ein Stück näher zu kommen als wahrscheinlich je zuvor. Nämlich eine aufregende Reise durch die musikalische Fantasie zu erschaffen.

Verfolgt die Platte einen konzeptionell roten Faden? An einigen Stellen höre ich da einen Hauch von Gesellschaftskritik heraus.
Ich denke, wer unser Video zu 'You Will Never Be Our God' gesehen hat, wird wissen, dass es mehr als nur ein Hauch ist. Wir müssen aufpassen, dass autoritäre und rechtskonservative Bewegungen nicht die Errungenschaften unserer Zivilisation wie Demokratie, Pluralismus, Diversität, Meinungsfreiheit und die Toleranz gegenüber anderen Wegen zu leben, oder auch nur zu lieben, kaputtmachen. Diese Bewegungen sprechen die niederen Instinkte wie Furcht und Intoleranz in den Menschen an, um Macht über sie zu gewinnen, und von den wahren Problemen abzulenken. Trotz einer freien und demokratischen Gesellschaft – sofern wir zu denen gehören, die in einer solchen leben dürfen, denn leider gibt es genug, die das nicht tun – haben wir immer noch das Problem wirtschaftlicher Ungerechtigkeit, welche die Reichen immer reicher macht und andere zu diesem Zweck in Armut hält. Und ganz nebenbei unsere Umwelt zerstört und damit unsere Lebensgrundlage.

Diese Bewegungen interessieren sich aber nicht dafür, sie halten die herannahende Klimakatastrophe sogar für eine Lüge. Das wird ein sehr böses Erwachen geben, wenn diese Leute die Oberhand gewinnen. Wenn man sieht, welchen Verschwörungstheorien die Menschen anheimfallen, wenn mal so etwas wie eine Pandemie über uns hereinbricht und man eigentlich vernünftig damit umgehen müsste, anstatt sich gegen Impfungen und Masken zu stellen, dann kann einem schon angst und bange werden. Und diese Sorge findet sich in vielen unserer Texte wieder. 'Two Worlds' sagt, dass wir die Wahl zwischen zwei Welten haben, einer dystopischen, wenn wir die Gegner der Zivilisation gewinnen lassen, oder einer, in der wir zusammen die Kurve kriegen und es schaffen, Natur und unsere Technologie in Einklang zu bringen, wie in den alten Utopien zum Beispiel. 'Paradise' ist ein Zwiegespräch zwischen Menschheit und Natur, 'Astéria' handelt von Kriegsgeflüchteten wie denen aus Syrien und jetzt der Ukraine, 'Illusion Is Your Name' handelt vom schädlichen Einfluss, den religiöser Fundamentalismus oder Verschwörungstheorien haben können, sprich alles, was Fakten ersetzen möchte, und 'You Will Never Be Our God' vom Schicksal verfolgter Menschen in totalitären Regimes wie dem Iran. Die Situation der Frauen dort und auch in Afghanistan war die direkte Inspiration für diesen Song, im Video haben wir das Thema nur etwas globaler angelegt.

Schon 'Ghosts' überrascht mich positiv, da der Song sowohl hart und düster als auch schön melodisch und symphonisch zu Werke geht. Steht der Track stellvertretend dafür, wie vielfältig das neue Album ist?
Ja, ich denke jeder der Songs hat etwas Spezielles an sich, das ihn von den anderen unterscheidet. Ich glaube, dies ist absolut nicht das übliche Symphonic-Metal-Album, weil jeder Song einen eigenen Charakter hat und eine eigene Geschichte. Es ist sehr weit vom "AC/DC-Effekt" entfernt sozusagen, haha!

'Ghosts' baut auf einem Riff auf, das von Bands wie AT THE GATES beeinflusst ist und war in der Urversion sogar viel Melodic-Death-Metal-lastiger. Aber natürlich wird es dann interessant, wenn man eine weitere Schicht mit hineinbringt, in dem Fall unsere Filmscore-Ebene. Das macht diesen Song dann heavy, düster und melodisch zugleich.

Dass ihr Musik auch mit dem cineastischen Hintergrund entwerft, ist klar, aber diesmal überlasst ihr nichts dem Zufall. Erzähl doch einmal, wie die Zusammenarbeit mit Lukas Knöbl zustande kam, der für die Orchestration des Albums verantwortlich war.
Dass wir für die Orchestrationen mit jemandem zusammenarbeiten konnten, der in Hollywood an großen Produktionen wie "Moonfall" von Roland Emmerich arbeitet, ist natürlich fantastisch. Er bringt diese gigantische Filmscore-Atmosphäre in dieses Album, wie man es besser eigentlich gar nicht machen kann. Es hat uns umgehauen, wie wundervoll seine Arrangements waren, die er auf meinen Linien und Vorgaben aufgebaut hat. Da sie so dicht und detailreich sind, und man sie auch allein wie einen Soundtrack genießen kann, haben wir daher der Special Edition des Albums eine Extra-CD beigefügt, auf der man die Arrangements sozusagen in einer puren "Filmscore"-Version hören kann. Es macht wirklich Spaß, ich kann also jedem empfehlen, sich diese Version einmal anzuhören!

Ihr habt neben einem 40-köpfigen klassischen Chor auch keltische Instrumente sowie einen Kinderchor in euren Sound integriert. "The Wonders Still Awaiting" kleckert nicht, sondern klotzt. Wie waren eure Erfahrungen speziell mit den Chören?
Das war sehr beeindruckend, denn wir haben noch nie einen so großen Chor für XANDRIA aufgenommen. Es macht schon noch einmal einen Unterschied, es hört sich viel gewaltiger an. Und den Aufnahmen beizuwohnen war auch ein besonderes Erlebnis. Wir haben davon Videos gepostet, wer auf unseren Social-Media-Kanälen unterwegs ist, wird es vielleicht gesehen haben.

Ist das Album nicht nur im Hinblick auf die XANDRIA-Mannschaft sondern auch den hiesigen Sound eine Art Neuanfang für euch?
Für mich ist es eigentlich eher eine Kontinuität auf meinem Weg, meine musikalischen Träume in die Realität umzusetzen, und auf dem ich immer Neues dazulerne und mir neue Herausforderungen stelle. Es kann gut sein, dass die Möglichkeit, die ich durch den Neustart hatte, alles genau so zu machen, wie ich es im Kopf hatte, dazu beigetragen hat, dass XANDRIA einen größeren Schritt weiter auf diesem Weg gemacht hat als vorher. Aber sonst setze ich schon meinen Weg fort.

Vor allem das abschließende 'Astéria' hat mich beeindruckt. Wie passen griechische Textpassagen in den Sound XANDRIAs?
Da Ambre halb griechischer Herkunft ist, haben wir die Möglichkeit genutzt, die orientalische Atmosphäre des Songs damit zu unterstreichen. Die griechische Kultur ist eng mit der orientalischen verbunden, aber auch mit der westlichen. Sie ist wie eine Brücke zwischen den Kulturen und passt daher gut in einen Song, der auch Brücken bauen will zwischen den Kulturen, indem er für Verständnis wirbt für die Situation der Kriegsgeflüchteten. Als Deutschland seine Türen aufgemacht hat für die syrischen Geflüchteten, war ich wirklich mal stolz auf dieses Land. Das hat wirkliche Stärke und Größe gezeigt. Auch wenn die damalige Kanzlerin es wohl mehr aus Populismus gemacht hat, aber das reflektiert ja auch die Stimmung – ich hoffe, sagen zu können, auch gute Gesinnung - in der Mehrheit der Bevölkerung, der sie damit sozusagen Rechnung getragen hatte.

In Songs wie 'Illusion Is Your Name' macht sich der neue, etwas düstere und härtere Sound bemerkbar. Kann man auch künftig mit dieser etwas härteren Gangart bei euch rechnen?
Ja, ich denke schon. Es kommt immer auf das an, was sich natürlicherweise beim Komponieren ergibt. Die Songs des neuen Albums haben sich sehr natürlich entwickelt und sind dann so geworden, wie sie sind. Aber wir haben ja auch in der Vergangenheit Songs gehabt, die etwas heavier waren, z.B. 'We Are Murderers (We All)' oder 'Soulcrusher'. Von daher ist das ein fester Bestandteil unseres Sounds, weil ich auch viel härtere und "dunklere" Bands höre. Es stimmt allerdings, dass es auf dem neuen Album mehr zur Geltung kommt. Es finden sich sogar ein paar Parts, die direkt vom Black Metal beeinflusst sind, zum Beispiel der Mittelteil von 'Illusion Is Your Name' oder auch von 'The Maiden And The Child'. Hier kommt mein Fantum von Bands wie EMPEROR und DIMMU BORGIR etwas zum Vorschein...

Anfang Februar geht ihr auf eine kleine, aber feine Wochenendtour mit Stops in Essen, Leipzig und München. Was können Fans von den Auftritten erwarten und weshalb sind es erst einmal "nur" drei?
Es hatte organisatorische Gründe, und auch mit Planungen für spätere Konzerte zu tun, die zurzeit stattfinden. Wir wollten diese Shows aber auch zu etwas Besonderem machen, und deshalb zunächst erst einmal nur ein paar wenige zum Album-Release und später dann mehr.

Was wird danach anstehen? Was habt ihr euch für dieses Jahr vorgenommen?
Ein paar Festival-Konzerte und dann wollen wir möglichst noch auf Tour gehen.

Marco, viel Erfolg mit "The Wonders Still Awaiting", einem wirklich tollen Album. Was möchtest du unseren Lesern und euren Fans noch mit auf den Weg geben?
Vielen, vielen Dank für das Kompliment! Wir hoffen, dass das Album euch da draußen auch gefallen wird! Und dass wir möglichst bald bei euch allen in der Nähe spielen können. Wir geben unser Bestes in diesen für Bands nicht so ganz einfachen Zeiten! Danke für den Support, den wir von euch bekommen!

Redakteur:
Marcel Rapp

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