SINSAENUM: Frédéric Leclercqs Achterbahnfahrt der Emotionen

06.08.2025 | 13:02

Wer hätte gedacht, dass a) SINSAENUM nach dem tragischen Tod Joey Jordisons noch einmal zurückkommen und b) "In Devastation" solch eine geballte Machtdemonstration sein würde. Doch es ist, wie es ist, und das dritte Scheibchen der Black'n'Death-Metal-Supergroup hat es faustdick hinter den Ohren. So geht es in unserem Gespräch mit Gründungsmitglied Frédéric Leclercq aber nicht nur um Verwüstung und Zerstörung, sondern vor allem sehr emotional um die familiären Einflüsse, kraftmetallische Vergangenheit und die berühmt-berüchtigte Midlife-Crisis. Ein sehr offenes Gespräch, das zum Denken anregt...

Fred, ich war ziemlich überrascht, als du von DRAGONFORCE zu KREATOR gewechselt bist…

Ich hatte einfach genug davon, das ist alles. Ich glaube, ich war noch nie der größte Fan dieses Genres. Es hatte nichts mit den Leuten zu tun, wir sind noch immer Freunde und ein paar Power-Metal-Sachen mag ich nach wie vor. Ich liebe RHAPSODY und ANGRA und natürlich war auch ich Teil des Genres, aber es war nie mein Lieblingsgenre. In der Metal-Welt haben wir mit DRAGONFORCE ein bisschen experimentiert, und ich war sehr in das Songwriting von "Maximum Overload" und "Reaching Into Infinity" eingebunden; das war ziemlich cool und half uns, die Marke DRAGONFORCE weiter aufzubauen. Aber Sam und Herman wollten danach wieder back to the roots, zurück zu den älteren Tagen, und das war einfach nicht das, wo ich hinwollte.

War es denn für dich schwierig, vom schnellen, melodischen Power Metal zum Thrash Metal zu wechseln?

Nein, denn das ist Teil meiner DNA. Das ist die Art von Metal, die ich schon immer gehört habe. Weißt du, die Leute sehen dich an und denken, du wärst ein One-Trick-Pony, der nur Power Metal spielen kann. Aber bevor ich bei HEAVENLY war, war ich in einer Black-Death-Metal-Band als Teenager. Das habe ich schon immer gemocht und gespielt, doch bei vielen geht es um das öffentliche Image, das es dem Musiker nicht erlaubt, auch in anderen Genres zu spielen.

Also sehen wir dich bald in einer Black-Metal-Band?

Zumindest habe ich schon Songs in dieser Richtung geschrieben, haha. Beim letzten SIGH-Album "Shiki" habe ich die Bass- und Gitarrenspuren beigesteuert. Es gibt auch bei SINSAENUM einen Hauch von Black Metal…

Und hier würde ich gern ansetzen, war ich doch mehr als positiv überrascht, als ein neues Album angekündigt wurde. Es gibt nicht wenige Bands, die sich nach dem tragischen Ableben eines Mitmusikers erst einmal verabschieden. Gab es Überlegungen, nach Joeys Tod die Band aufzulösen?

Nein, nein, nein. Erstens habe ich schon 2019 angefangen, die Songs für das neue Album zu schreiben, habe mir damit aber Zeit gelassen, da ich erst KREATOR beigetreten bin. Natürlich hatte ich auch Angst, weil ich zuvor schon so viel für SINSAENUM getan habe. Zwei Alben, eine EP, eine Tour, während ich mit DRAGONFORCE unterwegs war, und so weiter. Als ich mich KREATOR angeschlossen habe, ist auch mein Vater gestorben, was mich komplett ausgebremst hat – vor allem, was die Inspiration angeht, nicht einmal ein Jahr nach Joeys Tod.

Das tut mir sehr leid…

Danke schön. Da denkst du einfach nicht über Musik nach. Versteh mich nicht falsch, Musik ist mein Leben. Aber es ist auch "nur" Musik. Musik ist wichtig für die Menschen und hilft ihnen, über gewisse Dinge hinwegzukommen. Aber wenn man ein Elternteil verliert, wird das nebensächlich und rückt alles in eine andere Perspektive. Als wir Joey verloren haben, stand ich erst einmal total neben mir. Dann fingen wir aber an, über das nächste Album zu sprechen, es gab überhaupt kein Wort darüber, eventuell aufzuhören. Es ist schlichtweg so, dass das nächste Album Joey gewidmet ist. So ging es weiter, wir hörten nicht auf. Er war derjenige, der den Namen erfunden hat, also macht es auch total Sinn, weiterzumachen, damit er durch den Namen und die Band weiterleben kann. Es ist also nie daran gedacht worden, aufzuhören.

Und das freut mich als Fan der ersten beiden Platten ungemein. Das neue Album ist ein wenig progressiver geworden, finde ich. Doch dazu später mehr. Trotzdem hat "In Devastation" eine gewisse Zeit gebraucht.

Ich denke, es war einfach an der Zeit. Das letzte Album ist sieben Jahre her und alles musste ja in Verbindung mit meinem Zeitplan mit KREATOR geschehen. Jetzt war es in meinem Kopf sehr präsent, und dieses Jahr standen die Sterne perfekt, alles hat gepasst, zumal es auch schon viel Death Metal gab. Man braucht einfach Zeit, um an einem Album zu arbeiten, wenn man immer auf Tour ist – es dauert einfach, weil man das Album so weit im Voraus planen muss, um auch beispielsweise Videos vorzubereiten. Es war vorher einfach nicht möglich.

Ihr habt mit André einen neuen, sehr talentierten Schlagzeuger gefunden. Wie seid ihr auf ihn aufmerksam geworden?

Ganz einfach, es war Joeys Drumtechniker auf unserer Welttournee. Ich kannte ihn schon vorher, weil wir einige Sachen schon gemeinsam aufgenommen haben. Er ist ein Freund aus London, war also schon Teil der Familie. Als wir also darüber nachdachten, wer am Schlagzeug sitzen könnte, machte es einfach total Sinn, jemanden zu nehmen, der bereits Teil der Familie ist. Als wir ihn gefragt haben, hat er sofort zugesagt.

Es kommt also zusammen, was zusammengehört. Wie auch das Artwork: Mir springt sofort die leuchtende Kugel ins Auge, eine Mischung aus Mond und Sonne…

Travis Smith hat es gemacht, der auch schon das vorherige Cover entworfen hat. Ich habe ihn durch Joey kennengelernt. Weißt du, es macht alles Sinn, denn Joeys Geist ist einfach in jeder einzelnen Minute spürbar. So haben wir auch gerne wieder mit Travis gearbeitet. Ich habe ihn gefragt, ob er schon Artworks basierend auf der Idee eines Albums namens "In Devastation" hätte, an denen wir arbeiten können. Zwei fielen mir sofort ins Auge, wobei das andere eher das war, was man erwartet hätte, eher etwas Gewalttätiges. Aber das andere ist wie eine Art Pose, schwer zu erklären, doch wie bei einer Selbstreflexion hält man kurz inne und schaut in diese Sonne. Es ist ruhig, schön und traurig zugleich – ein ziemlicher Kontrast zu einem Titel wie "In Devastation". Das ist es, was ich daran mag, es hat mich einfach gepackt, ich musste es haben. Ein paar Dinge haben wir dann verändern lassen und sind total glücklich damit, fast wie Hamlet mit dem Schädel. Es passt zum Unterton des Albums, auch wenn kein Song außer 'Last Goodbye' wirklich traurig ist.

Es ist eher progressiv, aggressiv und melodisch. Es ist nicht so, dass es ein trauriges Album ist, im Gegenteil – es ist sehr kraftvoll und hat eine coole Stimmung. Und wenn ich an den Titel "In Devastation" denke, dann gibt es auch Raum für etwas Neues, wenn etwas verwüstet oder zerstört wird, oder?

Vielleicht kann man es als Neuanfang bezeichnen mit dem Vibe und Geist von Joey im Mond bzw. der Sonne. Schließlich haben wir auch das Logo verändert. Es ist tatsächlich wie eine Wiedergeburt, wenn man so will. "In Devastation" fühlt sich an wie eine Zusammenfassung meiner Gefühle, meines Lebens in den letzten Jahren. Es war einfach der passende Titel. Deine Interpretation ist auch sehr gültig und interessant. Wenn alles den Bach runtergeht, gibt es auch Raum für Wachstum und Wiedergeburt – alles hat auch eine positive Seite.

Das Album ist also Joey und deinem Vater gewidmet? Wie stark waren seine Einflüsse auf deine musikalische Karriere?

Er war sehr stolz auf alles, was ich gemacht habe. Er hat selbst in einer kleinen Band gespielt, als er noch jünger war, nichts Ernstes oder Professionelles. Meine Eltern haben mich immer unterstützt, als ich mich für Musik interessiert habe. Meine Mutter hat Klavier gespielt, als ich noch im Mutterleib war, weil sie gehört haben, dass das Baby im Mutterleib hören kann, was draußen vor sich geht. Das hat wahrscheinlich dazu beigetragen, dass sich mein Gehör so entwickelt hat, dass ich sehr sensibel auf Musik reagiere, weil beide eben die ganze Zeit Musik gehört haben. Mein Vater war immer sehr stolz. Natürlich, als es anfing mit den Bands, und ich kein Geld hatte, sagte er immer, dass ich mir einen richtigen Job suchen solle, aber so sind Eltern eben, oder? Trotzdem war er immer unterstützend und später, als es dann bergauf ging, auch sehr stolz. Er hat mich mit der ersten Gitarre, einer akustischen, auch zur Musik gebracht. All das hat mir geholfen, mich für die Musik zu entscheiden. Er hat mich zu dem gemacht, was ich war und abgesehen von der rein musikalischen Ebene hat er mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Aber das ist etwas, was man erst merkt, wenn die Person nicht mehr da ist. Die Person lebt durch dich weiter – so wie Joey durch unsere Musik. Mein Vater lebt durch mich und alles, was ich mache, weiter.

Wahre und sehr schöne Worte, Fred. "Echoes Of The Tortured" und "Repulsion For Humanity" waren richtige Brocken, wohingegen "In Devastation", wie schon gesagt, leicht vertrackter zu sein scheint. Worin liegen für dich die Unterschiede zwischen beiden Phasen?

Klar, könnte ich jetzt Interview-Bullshit sagen, dass es schneller, besser und härter ist. Natürlich will man ein Album machen, das besser ist als das davor. Sonst hat es keinen Sinn weiterzumachen. Als ich angefangen habe, die Promo für die Platte zu machen, musste ich sie natürlich analysieren. Das erste Album war mein Liebesbrief an das Genre, weil es mein erster Schritt in die Welt des Death Metals als Musiker war, der von anderen Leuten anerkannt wird. Deshalb musste ich auch vorsichtig sein. Nicht, dass es mich sonderlich kümmert, was die Leute denken, aber bisweilen muss man schon Rücksicht nehmen, weil man nur so weiter Musik machen kann. Ich wollte das Album machen, das ich selbst gerne hören würde. Bei der zweiten Scheibe hatten wir Schwierigkeiten, auf Tour zu gehen, wie wir es in einer idealen Welt womöglich hätten machen sollen. Joey wollte, hat aber zu der Zeit an anderen Dingen gearbeitet, und es war aus Gründen des Managements schwierig. Ein paar Shows haben wir zwar gespielt, aber mehr kam leider nicht zustande. Es war also recht kompliziert, was mich genervt hat. Wir haben eine EP und das zweite Album veröffentlicht, Schlag auf Schlag – es war eher so, dass ich einfach wütend war und eine Art Midlife-Crisis hatte. Ich habe zu sehr auf Kritiken zum Album geachtet. Und die Leute waren nicht glücklich mit der Art und Weise, wie ich Death Metal sah. Ich konnte die innerliche Krise bei Interviews zu "Echoes Of The Tortured" spüren. Ich hätte mich eigentlich über die Veröffentlichung freuen sollen, spürte aber diese merkwürdige Veränderung. Ich war im Grunde genommen einfach wütend. Das Album hieß nicht umsonst "Repulsion For Humanity".

Du sprichst auch das Artwork an?

Ja, richtig. Ich wollte einfach ein böses Grinsen haben. Das war ich, das war Wut. Nach all dem war ich fertig. Und im Vorfeld zum neuen Album verspürte ich so viel Energie. Weißt du, wir haben die Tour gemacht, und die hätte viel erfolgreicher sein können. Aber es gab eine Menge Leute, die ihren Job nicht gemacht haben, weil sie dachten, dass es allein aufgrund des Namens Joey Jordison keinen Grund gegeben hätte, noch mehr Werbung zu machen. Für mich stand daher fest, dass ich ein SINSAENUM-Album mache, das einfach dann erscheint, wann ich es will und wie ich es will – ohne jeglichen Druck. Meine Karriere hat sich geändert: Ich bin bei KREATOR eingestiegen, habe wieder angefangen, Musik zu schreiben, und wir haben einfach unser Ding gemacht, quasi die Ketten gesprengt. Das Label hat mich unterstützt, hat mir die Zeit gegeben. Dieses Album ist mehr SINSAENUM als jemals zuvor. Ich konnte schreiben, was ich will. Nach zwei Alben hat man ein Gespür, was die Leute mögen. Das beeinflusst das Ganze im Hinterkopf, aber trotzdem dachte ich mir: Ich will Clean-Vocals? Ich will Cello und Sitar? Ich will eine schöne Ballade und andere klassische Instrumente? Nur her damit.

Bei 'Last Goodbye' hatte ich einen ziemlichen Kloß im Hals. Der Song, den du vor allem Joey und deinem Vater gewidmet hast?

Ja, genau, es geht um die Trauer, um den Verlust von Menschen, um die Menschen, die zurückgelassen werden. Und der Schrecken liegt nicht in der Tiefe seines Abgrunds, sondern wie Trauer dich zum Abgrund bringen kann und wie verführerisch es sein kann, in Trauer zu fallen. Ich schätze, es machte einfach Sinn, mit all den Elementen, die in mein Leben kamen, abzuschließen. Es ist sehr persönlich, denke aber auch, dass es jeden anspricht: Diejenigen, die den Tod fürchten, die den Tod erleben, oder diejenigen, die wissen, dass er einfach ein Teil des Lebens ist. Niemand sagt dir, wie du mit dem Tod umgehen sollst, bis er dich schließlich trifft. Und wenn er eintritt, dann ist es verheerend. Ich war irgendwann in der Lage, auch wenn es eine Weile gedauert hat, mich mit Musik entsprechend auszudrücken. Musik hilft dir, aus sehr schwierigen und schlechten Zeiten herauszukommen, Familie und Freundschaften sind aber so viel größer, größer als je zuvor und alles andere.

Das ist ein wunderbares Schlusswort für ein sehr intimes und schönes Gespräch, Fred. Ich danke dir dafür sehr!

Danke auch dir, Marcel. Alles Gute!

 

Fotocredits: Celone Kopp

Redakteur:
Marcel Rapp

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