Gruppentherapie: KATATONIA - "Nightmares As Extensions Of The Waking State"

25.06.2025 | 11:48

Traumhaft oder Albtraum?

Wir starten durch in den Gruppentherapie-Sommer. Und zwar mit KATATONIA. Wie, KATATONIA und Sommer? Kann das funktionieren? Die Könige der Melancholie bei dreißig Grad plus? Und überhaupt, sind KATATONIA-Alben mit einem Platz 11 im Juni-Soundcheck nicht schon Routine, die den einen oder anderen gar langweilt?

Nun, es hat sich viel getan, Blakkheim zum Beispiel ist nicht mehr da. Ob das schlimm ist, erfahrt ihr in Kollege Hungers Hauptreview; und wer wissen möchte, wie die Neuen so ticken, darf gerne unserem Podcast mit Sebastian "Svalle" Svalland lauschen. Stellt sich also nur noch die Frage, wie warm die Therapeuten mit dem neuen KATA-Dreher werden.

Da es innerhalb des Line-ups trotz beachtlicher Erfolge in den letzten Jahren gehörige Spannungen gegeben hat, musste sich Bandoberhaupt Jonas Renkse nach dem Ausstieg von Roger Öjersson und Anders 'Blakkheim' Nyström zunächst einmal nach neuen Kollegen umsehen. Daher stellte sich im Vorfeld die Frage, wie es weitergehen würde. Aufhören war keine Option für Jonas, und ehrlich gesagt merkt man es dem Album gar nicht mal an, dass mit Sebastian Svalland und Nico Elgstrand zwei Neulinge mit von der Partie sind.

Ob die beiden Einfluss auf das mittlerweile 13. Album der Schweden hatten, weiß man nicht. Im Vergleich zu den beiden Vorgängerwerken "City Burials" und "Sky Void Of Stars" ist jedoch auffällig, dass den Gitarren wieder wesentlich mehr Raum zur Entfaltung gewährt wurde. Allerdings war es keineswegs so, dass die Band bestrebt gewesen wäre, wieder härter zu klingen.

Auch an der eigenen Vergangenheit, in der es mitunter wesentlich brachialer zur Sache ging, hat man sich nicht wirklich orientiert, sondern ging den zuletzt eingeschlagenen Weg konsequent weiter. Dadurch sind es dieses Mal bei aller Schönheit der Arrangements eindeutig die elegant ausgearbeiteten, aber dennoch messerscharfen Riffs und Gitarrenmelodien, die uns in eine dunkle wie düstere, aber dennoch hoffnungsvoll anmutende Atmosphäre entführen. Von wegen "Albtraum" – dieses Album ist einfach nur "traumhaft"!

Note: 8,5/10
[Walter Scheurer]

 

Es gibt wenige Bands mit so einem charakterstarken Sound wie KATATONIA, natürlich auch Dank des eindringlichen Gesangs von Jonas Renkse. Der Besetzungswechsel an den Gitarren ist wahrlich kaum auszumachen, beziehungsweise ist auch mir nicht klar, inwiefern die neuen Männer an den Sechssaitern am Songwriting für "Nightmares As Extensions Of The Waking State" überhaupt schon beteiligt waren.

Highlight ist für mich das epische 'Wind Of No Change', nicht nur, weil er mit den düsteren Chören etwas anders als der Rest tönt, zudem, weil er etwas straighter ist. Auch 'Temporal' (schöne Soli!) und 'Warden' sind herrliche dunkle Diamanten, dynamisch sehr vielfältig, dennoch stets mit rotem Faden im Ohr. Ebenfalls sehr gelungen ist das fast schon darkwave-ige in Schwedisch vorgetragene 'Efter Solen'. Das mächtige Ending von 'The Light Which I Bleed' hätte indes gerne ein paar Takte länger sein können.

Also alles beim Besten? Mein kleines "Problem" mit "Nightmares..." ist, dass, ähnlich wie zuletzt "Sky Void Of Stars" (2023), viele Songs teils sehr verkopft sind und nicht richtig in einen Flow kommen. Nun, wahrscheinlich sollen sie das auch gar nicht, KATATONIA möchte offenbar Musik für Herz UND Kopf machen. Und das gelingt den Schweden mit "Nightmares As Extensions Of The Waking State" wieder verdammt gut. Gewöhnungssache ist allerdings, derartig melancholische Herbst-/Winter-Musik im Hochsommer, aktuell bei 31 Grad, zu hören. Aber der nächste Herbst kommt bestimmt!

Note: 8,0/10
[Jakob Ehmke]

 

Sekundenbruchteile denkt man, jetzt kommt Death Metal: Dann setzt die typische KATATONIA-Voice ein, und man ist mal wieder mittendrin im Zentrum, wo tiefhängende Trauerweiden sich mit morastigem Moor und gespenstischen Nebeln treffen, um arglosen Wanderern falsche Fährten zu legen. "Nightmares As Extensions Of The Waking State" eröffnet mit 'Thrice' ganz wunderbar.

'The Liquid Eye' setzt die Fahrt des Landauers durch Regenvorhänge fort. Der Boden ist schlammig, der Weg kaum sichtbar und die Flasche mit Gin fast leer. Was soll's, ein Grund zum Trauern findet sich immer. Irrlichter, Vampire, Geister und schwarze Schatten stimmen in den Chor ein. Darauf ein zünftiges 'Hail Satan' ('Wind Of No Change').

Fängt KATATONIA nach solch ergreifendem Start an zu schwächeln? Nein, man hält das hohe Niveau, spielt filigrane Atmosphärensoli und zelebriert den Marche Funèbre. Im zweiten Teil des Albums wird es etwas ruhiger, magischer, verwunschener. Gebrochene Stimmen hallen durch die verschattete Nacht. Da gibt es nur eins: Auf den weichen Waldboden legen, den Blick auf die Sterne zwischen den Baumwipfeln richten und träumen. Doch beachtet: Das Erwachen kann Albträume beinhalten.

Auf diesem Album gefällt mir auch die Pianoballade. Elektronisches Gezirpe mit kaleidoskopartigen Vibes stimmt ein, übernimmt die Führung und führt aus dem Song. Zum Finale setzt es 'Suicide', 'Bells' und 'Shadows'. Echte Hochstimmung kann da nicht aufkommen. Oder doch? Die KATATONIA-Mannen sind Meister darin, des Bächleins eisige Wellenkämme über dem verzweifelt Rudernden auftürmen zu lassen.

Note: 8,5/10
[Matthias Ehlert]

Ich zitiere mal Matthias: "Sekundenbruchteile denkt man, jetzt kommt Death Metal: Dann setzt die typische KATATONIA-Voice ein und man ist mal wieder mittendrin...", allerdings in einem mäßig spannenden Song. "Typisch KATATONIA" klingt offensichtlich für viele positiv, für mich eher nicht. Da helfen auch abgehackte, moderne Riffpassagen nicht über wellig fließenden Keyboards, und auch Jonas Renkse, der zweifellos ein großartiger Sänger ist, kann das Ganze für mich nicht komplett retten.

Dabei sind einzelne Lieder gut hörbar, aber auf Albumlänge bin ich doch etwas gelangweilt. Seltsam, ich mag sanfte Sachen, ich scheue vor Prog nicht zurück, kann sogar repetitive Sounds aus dem Post-Rock-Genre problemlos laufen lassen, aber mit "Nightmares As Extensions Of The Waking State" werde ich nur teilweise warm, weil Mittelmäßiges wie der Opener, 'Departure Trails', 'Warden' und 'In The Event Of' und tolle Stücke wie beispielsweise 'The Liquid Eye', das mich dagegen sofort begeistern konnte, sich die Waage halten.

Ich habe es wieder versucht und verstehe die Lobeshymnen hier teilweise, doch entzünden die zahlreichen Funken bei mir nicht immer ein Feuer. Das ist offensichtlich mein Fehler, aber ich kann nicht aus meiner Haut, so muss ich leider ein bisschen den Spielverderber machen. KATATONIA-Fans dürfen mein Geschwafel natürlich getrost ignorieren, wenn euch die vorherigen Alben gefallen haben, könnt ihr auch dieses sofort kaufen. Ich mochte bislang noch keine Scheibe so richtig, vielleicht ist das in diesem Fall ja eine Kaufempfehlung?

Note: 6,5/10
[Frank Jaeger]

 

Was kann ich über diese traumhaft schönen und bedeutungsschweren Albträume noch schreiben, was meine Kollegen noch nicht erwähnt haben? Eigentlich nichts. Nur, dass mich auch die neue KATATONIA-Platte berührt: Das beginnt beim traumhaften Artwork, setzt sich mit dem auffällig größeren Gitarrenfokus, der dennoch in diese einzigartige KATATONIA-Melancholie mündet, fort, und hört bei meinen persönlichen Lieblingen namens 'Wind Of No Change' und 'Departured Trails' auf.

Nein, die passende Jahreszeit ist der aufkommende Hochsommer für die Albträume als Erweiterungen des Wachzustands definitiv nicht, doch KATATONIA kann ja auch nicht nur Alben in dunkleren Momenten veröffentlichen. Das hat bei "Sky Void Of Stars" und meinem Liebling "Night Is The New Day" gut funktioniert, doch ist der atmosphärische Ausdruck auf der neuen Scheibe einfach immens genug, um auch an sonnigen Tagen zu bestehen.

Ich schweife ab und komme daher zum Fazit: Typisch-untypische KATATONIA-Platte mit einigen Geschmacks-Ahas, stattliche acht Punkte gehen nach Schweden.

Note: 8,0/10
[Marcel Rapp]

Wie die Zeit vergeht. Vor 24 Jahren schon ist der letzte faire Deal gescheitert, der mich dennoch über viele Jahre als treuen Anhänger der Schweden gezeichnet hat. In den letzten Jahren haben wir uns aber etwas auseinander gelebt und jetzt ist auch noch Blakkheim raus! Alle reden von Renkse, aber war nicht Herr Nyström der musikalische Kopf von KATATONIA?

Nun muss ich aber zugeben, auch ich höre Blakkheims Aus auf dem Album nicht sofort heraus. Vielleicht ist es ja sein schwindender Einfluss gewesen, der mich bei den letzten – immer noch guten – Veröffentlichungen etwas Abstand hat halten lassen. Bei diesem Gedanken fällt mir dann schon sehr auf, dass KATATONIAs Musik auf "Last Fair Deal Gone Down" und "Viva Emptiness" schon deutlich anders (Nyström?) klang, direkter ins Gefühlszentrum.

Die Songs auf dem neuen Album wirken wie schon auf den letzten Alben feiner ziseliert, proggiger, moderner, aber auch unnahbarer. Und so ist auch mein Hörgefühl jetzt wieder ähnlich. Es ist wirklich schöne, gute Musik, die auch immer wieder kurze berührende Elemente hat. Aber ich kann hier Frank auch verstehen: Viele, aber zu sehr versprenkelte Funken haben es schwer, ein Feuer zu entfachen.

So finde ich bei den ersten Spins für diese Gruppentherapie keinen Widerhaken-Song wie damals 'Evidence', 'Teargas', 'July' oder 'Lethean', der die Tür zum jeweiligen Album öffnen kann. Trotzdem werde ich mir auch das neue Album zulegen und weiter anhören, denn eine KATATONIA-Euphorie ist etwas Tolles und ich hatte sie das letzte Mal so richtig – trotz meiner Neun für "The Fall Of Hearts" – auf "Dead End Kings".

Note: 8,0/10
[Thomas Becker]

Redakteur:
Thomas Becker

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