AVRALIZE - Groovie. Heavy. Exotisch.
31.10.2025 | 15:54Metalcore mit Farbe, Groove und Haltung: AVRALIZE bricht mit Klischees und setzt auf Spielfreude statt Szene-Posen. Wer das Quartett aus Rottweil erlebt, spürt sofort, dass hier mehr passiert als nur Genre-Handwerk. AVRALIZE könnte Trendsetter einer neuen Generation werden.
Es gibt Bands, die sich langsam an die Spitze arbeiten, und es gibt Bands, die vom ersten Tag an das Gefühl vermitteln: Hier passiert gerade etwas Besonderes. AVRALIZE gehört eindeutig zur zweiten Kategorie. Das Quartett aus Rottweil - Sänger Severin Sailer, Gitarrist Philipp Tenberken, Bassist Valentin Noack und Drummer Bastian Gölz - hat sich in kürzester Zeit vom Geheimtipp zur festen Größe der jungen deutschen Metalcore-Szene entwickelt. Spätestens seit dem Debüt "Freaks" (2024) und den intensiven Live-Shows auf den diesjährigen Sommer-Festivals (siehe u.a. auch mein Bericht zum "Metalacker" Tennenbronn 2025) ist klar: Diese Band hat nicht nur das Handwerk, sondern auch die Vision, ihren eigenen Weg zu gehen.
Vom Debüt zur nächsten Stufe
Schon "Freaks" zeigte, dass AVRALIZE keine Angst davor hat, Genre-Grenzen aufzubrechen. Vielseitige Arrangements, Groove, elektronische Einflüsse - das alles war bereits da. Mit "Liminal", das am 14. November erscheint, macht die Band nun einen großen Schritt nach vorn. Das Review zur neuen Platte veröffentlichen wir etwa eine Woche vorher. "Wir sind insgesamt deutlich funkier und natürlicher geworden - der Sound hat mehr Groove, mehr Leichtigkeit, ohne dass die Energie verloren geht", sagt die Band übereinstimmend. Dabei sei auch die Gesamtvision gereift: "Unsere Art Direction und die ganze Vision rund um "Liminal" ist viel fokussierter als früher. Wir wussten genau, welche Stimmung, welche Farben, welches Gefühl das Album haben soll - visuell und musikalisch. Alles greift diesmal mehr ineinander, und das macht's für uns wesentlich stimmiger als beim Debüt."
"Liminal" - Schwellenzustand
Schon der Albumtitel ist Programm. "Liminal steht für den Zustand des Übergangs, also Momente, in denen man merkt, dass sich was verändert, man aber noch nicht genau weiß, wohin das Ganze führt", erklärt Severin, der auch die Texte schreibt.
"Es geht viel um innere Konflikte, Identität, Selbstzweifel, aber auch ums Loslassen und Wachsen." Persönliche Erfahrungen spielen dabei eine zentrale Rolle: "Ich verarbeite viel Persönliches - manchmal ziemlich direkt, manchmal eher abstrakt. Mir ist wichtig, dass die Lyrics was Echtes transportieren, auch dass jeder sie ein bisschen anders interpretieren kann."
Damit positioniert sich AVRALIZE klar abseits des reinen Party-Metalcore, der in der Szene oft dominiert. Die Songs sind intensiv, wuchtig, dabei aber nie eindimensional. Das liegt auch daran, dass die Texte nicht Beiwerk sind, sondern integraler Bestandteil: Wenn Severin über Selbstzweifel, Transformation und Wachstum singt, spürt man, dass da keine ausgedachten Floskeln stehen, sondern echte Erfahrungen.
Wer das Debüt "Freaks" kennt, wird manche dieser Themen wiedererkennen – aber in "Liminal" wirken sie reifer, bewusster, fokussierter. Wo "Freaks" noch das Aufbegehren und die Unruhe einer Band im Aufbruch eingefangen hat, strahlt "Liminal" das Selbstvertrauen einer Formation aus, die ihren Platz gefunden hat. Die Wut ist nicht weg, aber sie hat Richtung bekommen. Es ist, als würde die Band einen Schritt über die Schwelle setzen und dabei zurückblicken, um zu verstehen, was sie hierher geführt hat.
Auch das Konzept hinter dem Titel zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Album: dieser Schwebezustand zwischen Alt und Neu, zwischen Zweifel und Zuversicht, zwischen Chaos und Klarheit. AVRALIZE schafft es, diesen Übergang musikalisch spürbar zu machen – nicht nur in den Texten, sondern auch im Sound selbst. Genau darin liegt die besondere Spannung von "Liminal": Es ist ein Album, das nicht stehen bleibt, sondern sich ständig in Bewegung befindet – immer auf der Suche nach dem nächsten Schritt.
Organisches Songwriting mit Vision
Dass AVRALIZE bei aller Energie und Klarheit keine kopfgesteuerte Band ist, merkt man schnell, wenn die Musiker über ihr Songwriting sprechen. Hinter "Liminal" steckt zwar eine durchdachte Vision, doch die Songs wachsen aus spontanen Ideen heraus, aus Stimmungen, die im Leben entstehen, und aus der Energie, die jeder Einzelne einbringt. Das Ergebnis ist eine Musik, die strukturiert klingt, aber nie verkopft wirkt - organisch und lebendig. "Es war von Anfang an klar, dass wir ein Album machen wollen. Wir hatten schon früh die Vision, was "Liminal" werden soll - nicht nur eine Sammlung von Songs, sondern ein zusammenhängendes Ding mit einer eigenen Atmosphäre und Story", erklärt die Band.
Dieses Zusammenspiel aus Zielstrebigkeit und Offenheit zieht sich durch den gesamten Entstehungsprozess. Oft beginnt alles mit kleinen Fragmenten - einem Riff, einer Melodie, einem Gefühl. Daraus formt sich nach und nach ein größeres Bild, das mehr ist als die Summe der Teile. "Wir starten meistens mit einzelnen Ideen oder Emotionen und bauen darauf auf. Jeder bringt was ein, und im Laufe der Zeit formt sich das Ganze immer mehr zu einem Gesamtbild."
Besonders spürbar wird das im Studio. Dort, wo Müdigkeit, Druck und Euphorie dicht nebeneinander liegen, erlebte AVRALIZE Momente, in denen plötzlich alles Sinn ergab. "Einer der Momente, die hängengeblieben sind, war definitiv der Punkt, an dem wir gemerkt haben, dass der Sound und das Konzept wirklich zusammenfinden. Auch die Zeit im Studio, wo man völlig durch ist, aber trotzdem weitermacht, weil plötzlich alles klickt - das sind so die Momente, wo man merkt, warum man das Ganze überhaupt macht."
Gerade für Severin, der die Texte schreibt und einsingt, war das eine besonders intensive Erfahrung. Er öffnet sich in den Lyrics und steht im Studio gewissermaßen nackt da - ohne Maske, ohne Pose. "Für mich persönlich war's auch besonders manche der Texte einzusingen, weil da viel Persönliches drinsteckt. Wenn du merkst, dass du gerade was einsingst, das sich echt anfühlt, ist das schon intensiv." Es ist diese Mischung aus Handwerk, Vision und Emotionalität, die "Liminal" so kraftvoll wirken lässt.
Zwischen Härte und Atmosphäre
Im Metalcore gilt oft die Formel: je härter, desto besser. Doch AVRALIZE beweist, dass wahre Intensität auch aus Kontrasten entsteht. "Der Kontrast ist für uns super wichtig. Klar, wir lieben Breakdowns und harte Momente - die gehören zu unserem Sound einfach dazu. Aber wir wollen auch Räume schaffen, in denen Atmosphäre, Melodie und Groove Platz haben." Diese Vielfalt macht "Liminal" zu einem Album, das nie vorhersehbar wirkt - egal ob brutale Djent-Rhythmen oder poppig anmutende Passagen: Alles darf rein, solange es dem Song dient.
Bühne im Hinterkopf
Auch live hat AVRALIZE längst bewiesen, dass die Band eine Macht ist. Auf dem "Metalacker" Tennenbronn war ihr Auftritt einer der am meisten diskutierten des Wochenendes - intensiv, wuchtig, aber auch optisch markant. "Wir schreiben die Songs zwar nicht direkt für die Bühne, aber wir haben beim Entstehen immer im Hinterkopf, wie sie live wirken könnten. Für "Liminal" wollten wir außerdem bewusst ein bisschen mehr Live-Sound reinbringen - dass es roh, kraftvoll und direkt klingt, als würde man uns gerade auf der Bühne erleben."
Wer die Band einmal erlebt hat, weiß, was gemeint ist: Sie wirkt nicht wie eine weitere Metalcore-Band im schwarzgewandeten Düsterlook, mit Vollbart und Basecaps, sondern wie eine Truppe, die mit Farben, Bildern und einer spürbaren Spielfreude ihre eigene Sprache entwickelt.
Einflüsse jenseits des Metalcore
Dass der Sound von AVRALIZE so frisch und eigen wirkt, hat viel mit den breit gefächerten Einflüssen zu tun. Schon auf "Freaks" hörte man, dass sich die Band nicht damit begnügt, bloß bekannte Metalcore-Bausteine neu zu sortieren. Auf "Liminal" wird dieser Ansatz noch deutlicher. "Musikalisch hören wir viele andere Sachen als Metalcore wie z.B. elektronische Musik, Hip Hop, Funk, Pop und R&B. Aber gerade im Metalcore kann man super fremde Einflüsse reinbringen und mixen", erzählen die Vier.
Dieser Mut zum Blick über den Tellerrand sorgt dafür, dass AVRALIZE-Songs immer wieder neue Farben annehmen. Wo andere Bands hartnäckig an der Genre-Formel festhalten, experimentieren die Rottweiler ganz selbstverständlich - mal groovend, mal elektronisch, mal mit funkigen Akzenten. Das Gleiche gilt für die visuelle Ebene. Auch abseits der Musik lässt sich AVRALIZE inspirieren: "Abgesehen davon lassen wir uns viel von Popkultur, Fashion und unserem persönlichem Umfeld, unserer Generation inspirieren. Das beeinflusst, wie wir Songs schreiben, das Album inszenieren und unseren Look auf der Bühne gestalten. Wir wollen, dass Musik, Artwork und Performance zusammen ein stimmiges Gesamtbild ergeben."
Am Ende ist es genau diese Verknüpfung von Klang, Bild und Haltung, die die Band so besonders macht. Aus all den Einflüssen entsteht ein Stil, der nicht nur groovt und kracht, sondern gleichzeitig futuristisch, verspielt und offen wirkt. Wo andere krampfhaft "anders" sein wollen, ist AVRALIZE es einfach - ohne Attitüde, ohne Maske, und damit umso authentischer.
Was bleibt?
Und was sollen wir von "Liminal" mitnehmen? "Uns ist vor allem wichtig, dass die Leute beim Hören von "Liminal" richtig Spaß haben - vielleicht auch mal schmunzeln oder einfach mitgrooven können. Gleichzeitig sollen die Songs auch emotional berühren: Gänsehaut, Euphorie, Melancholie - alles, was man beim Hören fühlt, darf da sein. Wir wollen, dass die Leute merken, dass Musik Freude macht und Emotionen weckt."
So klingen keine Musiker, die auf Szene-Codes oder Trends schielen. So klingt eine Band, die selbstbewusst ihren eigenen Weg geht - und damit eine der wichtigsten Stimmen der neuen Metalcore-Generation sein könnte. Oder, wie AVRALIZE sich selbst beschreibt: "Groovie. Heavy. Exotisch."
Livefotos: Marc Eggert vom "Metalacker" Tennenbronn 2025
- Redakteur:
- Marc Eggert






