UNEXPECT - In A Flesh Aquarium
Mehr über Unexpect
- Genre:
- Progcore
- Label:
- Ascendance/Soulfood
- Release:
- 16.11.2007
- Chromatic Chimera
- Feasting Fools
- Desert Urbania
- Summoning Scenes
- Silence 011010701
- Megalomaniac Trees
- The Shiver: A Clown's Mindtrap
- The Shiver: Meet Me At The Carrousel
- The Shiver: Another Dissonant Chord
- Psychic Jugglers
Das ist sie also, die Platte, vor deren Kauf ich trotz des eigentlich guten Liveeindrucks im Vorprogramm der US-Tour von SONATA ARCTICA zurückgeschreckt habe. Denn eine derart theatralische Musik wie die der kanadischen Progcore-Neulinge UNEXPECT lebt zu mindestens einem Drittel von der optischen Umsetzung. Und die kann eine Audio-CD naturgemäß nicht vermitteln.
Auch wenn ich vor meinem inneren Auge Sängerin Leïlindel noch irre zuckend tanzen, die beiden Gitarristen/Sänger syriaK und Artagoth sich grimmig blickend spannende Vokalduelle liefern, Geiger Borboën selbstversunken sein Instrument liebkosen oder Groovemonster Chaoth seinen riesigen neunseitigen Bass malträtieren sehe, so ist die Wirkung auf dem mit einem guten Jahr Verspätung nun auch bei uns veröffentlichten USA/Kanada-Debüts "In A Flesh Aquarium" erwartungsgemäß nicht die gleiche.
Aber von was genau rede ich hier eigentlich? Fragen wir die Band selbst: "UNEXPECT sind ein Metal-Labor, in dem Elemente von Black, Death, Core, Symphonic, Progressive und Melodic Metal mit Klassik, Oper, Mittelalter, Gothic, Elektro, Ambient, Psychotik, Noise und Zirkusmusik vermischt und einem gelegentlichen Jazz-Touch angereichert werden. Das Septett beinhaltet eine Violine, Keyboards/Sampling, eine singende zeitgenössische Tänzerin, einen neunseitigen Bass, zwei Gitarristen/Sänger und ein Schlagzeug. Die Gesangsperformance der beiden Sänger geht von einem Extrem ins nächste, wechselt zwischen prächtigen Chören, unmenschlichen Schreien von tief bis hoch, mittlerem Growlen und irrer Intensität sowie theatralischer Erzählkunst. Dazwischen finden sich klare Passagen einer Sängerin, deren engelsgleicher Gesang den Willen des abscheulichsten Politikers zum Schmelzen bringen könnte. ... Denkt an Cirque du Soleil auf Black Metal inmitten einer Acid-Trip-Version des Dunklen Christals. Zweifellos ein Gedanken-Fick, aber ihr bekommt ein Bild." Zitat Ende. Oder kurz gesagt: UNEXPECT sind "eine massive Dosis Verrücktheit und organisiertes Chaos".
Die Prog-Extremisten unseren Lesern brauchen an diese Stelle gar nicht weiter zu lesen und dürfen freudig erregt zum Plattenladen ihres Vertrauens laufen, um mit "In A Flesh Aquarium" fortan glücklich zu werden. Weniger experimentelle Zeitgenossen sollte sich das fleischhaltige Gewässer hingegen ein wenig genauer anschauen. Denn auch wenn jedes oben zitierte Wort wahr ist, so erinnern die zehn Tracks an einen Filmdialog ohne Bild - man bekommt eine Ahnung von der Handlung, aber wirklich verstehen tut man das Drama nicht. Nennt es "anstrengend", "überladen", "wirr" oder schlichtweg eine Ansammlung genialer Ideen, die wahllos aufeinander gestapelt werden. DREAM THEATER-Schlagzeuger Mike Portnoy bezeichnete die Band als "progressivste, technischste, avantgardistischste Musik, die ich je gehört habe. Mein Gehirn schmerzt!", und er hat recht. Live sind UNEXPECT definitiv eine Offenbarung, über Kopfhörer jedoch ein Garant für einen erhöhten Aspirinverbrauch.
Denn gerade wegen des hohen technischen Standards, der gefühlten hunderttausend Takt- und Stilwechsel pro Song und der kaum greifbaren, wenn überhaupt vorhanden Strukturen fällt es mir schwer, mehr als ein ungläubiges Staunen für diese Platte aufzubringen. Liebliche Sequenzen, geprägt von Geige, Klavierklängen und Leïlindels glockenhellem Gesang, werden viel zu schnell von dem nächsten Riffstakkado überrollt, wenn nicht sogar parallel zugekleistert. Hier spielt und singt jeder gegen jeden, es herrscht Krieg. Einzelne Tracks hervorzuheben oder gar in ihre Einzelteile zu zerlegen ist sinnlos, wenn nicht sogar unmöglich. Ihr sucht einen Soundtrack zur Apokalypse? Bitte sehr, hier ist er.
Und so beende ich dieses zitatreiche Review mit der unvermeidlichen Empfehlung für all diejenigen, die trotz meiner ausdrücklichen Warnung immer noch neugierig auf die Platte sind, auf der MySpace-Seite der Kanadier vorbeizusurfen und selbst ein Urteil zu fällen. Dort hinterlegt sind derzeit 'Desert Urbania', eine grob gesagt völlig überdrehte Version eines DIE APOKALYPTISCHEN REITER-Stücks mit jazzig-theatralischen Musical-Elementen und einer Prise EVANESCENCE, und die (vorsichtig formuliert) HOLLENTHON meets THERION meets Zigeunermusik-Mixtur 'Megalomaniac Trees' sowie zwei Stücke der vorangegangen EP "wE_Invaders". Wer das überlebt, sollte sich auf "In A Flesh Aquarium" anschließend zunächst vorwärts durcharbeiten und sich bei dem verhältnismäßig eingängigen, an THE GATHERING erinnernden 'The Shiver: A Clown's Mindtrap' erholen. Danach reichen die Nerven vielleicht auch für den größtenteils richtig durchgeknallten Rest.
- Redakteur:
- Elke Huber