NOW OR NEVER - Now Or Never
Mehr über Now Or Never
- Genre:
- Hard Rock / Heavy Metal
- ∅-Note:
- 8.00
- Label:
- Mausoleum Records
- Release:
- 15.11.2013
- Reach Out For The Sky
- Now Or Never
- Wind Of Freedom
- Brothers
- Hardened Steel
- Princess Of Undiscovered Land
- An Angel By My Side
- How Do You Feel
- Dying For You
- Who's In The Mirror
- Something's Missing
- Weirdo Lullaby
Ausnahmegesang trifft modisch gekleideten Heavy Metal
NOW OR NEVER? Nie gehört. Jo Amore? Da war was, ja. Zugegeben, mir war NIGHTMARE, die Stammformation des französischen Ausnahmesängers, auch nur unter "ferner liefen" bekannt. Wer allerdings schon einmal über besagte Power-Metal-Kombo gestolpert sein sollte, dürfte angesichts der charakteristischen, ausdrucksstarken und im besten Wortsinne klassischen Gesangsstimme von Monsieur Amore auch schon ins Staunen geraten sein. Wenn sich nun vier so erfahrene Musikveteranen wie Amore, Ricky Marx, Kenn Jackson (beide Ex-PRETTY MAIDS) und Ronzo zu einem neuen Projekt zusammen schließen, wäre alles andere als eine geballte Ladung zumindest routinierten Heavy Metals eine Enttäuschung. Die maßgeblichen Fragen lauten daher eher: In welche Richtung bewegt sich NOW OR NEVER? Und können die alten Haudegen in der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts einen zeitgemäßen Beitrag zu ihrem mit zahlreichen Klassikern gesättigten Genre leisten? Nun: NOW OR NEVER steht durchaus für eine moderne Herangehensweise an die klassischen Heavy-Metal-Vorreiter. Auf dem Nährboden, den vor gefühlten Ewigkeiten JUDAS PRIEST und IRON MAIDEN bereitet haben, vermischen Amore, Marx & Co. ihre eigenen angestammten Einflüsse zu einem flotten, modernen Edelstahl-Boliden. Das Songwriting fällt dabei bis auf einzelne Elemente allerdings recht konventionell aus, und würde Jo Amore dem Album nicht mit einer herausragenden gesanglichen Leistung seinen Stempel aufdrücken, wäre "Now Or Never" erheblich irrelevanter als das nun vorliegende Ergebnis. Doch eins nach dem anderen.
Ein uninspiriert gerendertes Coverartwork sowie der einfallslose Bandname mögen den geneigten Hörer zunächst noch abgeschreckt haben, doch sobald die ersten Töne des Openers 'Reach Out For The Sky' erklungen sind, fallen die Zweifel wie das Herbstlaub von den Bäumen: Wilde Entschlossenheit prägt diesen modernen Power-Metal-Ohrwurm, der auch soundtechnisch an den neuesten STRATOVARIUS-Output erinnert; die scharfen Gitarrenriffs brezeln enorm, der Schlagzeug-Groove peitscht unerbittlich nach vorne – und nach einem glücklicherweise kurzen einleitenden Growl-Part erklingt endlich Jo Amores fantastische Gesangsstimme. Nach dem Genuss dieser überragenden Vorstellung würde ich den Franzosen ohne weiteres in eine Reihe stellen mit Größen wie Michael Kiske, Fabio Lione oder auch Klaus Meine. So viel Verve, so viel Energie, so viel Leidenschaft – phänomenal! Und wenn 'Reach Out For The Sky' dann seinen grimmig-erhabenen Refrain erreicht, dürfte sich kaum ein Metalfan dem Gänsehautfeeling entziehen können, welches die internationale Kombo hier entfaltet. Nur geht es leider nicht ganz auf vergleichbar hohem Niveau weiter. NOW OR NEVER verlässt an diesem Punkt größtenteils wieder den eingeschlagenen Power-Metal-Pfad und wendet sich klassischen Hard-Rock- und Heavy-Metal-Strukturen zu. Der folgende Titeltrack fällt deutlich unspektakulärer aus, einfach weil die Rock-Größen und Riffs der 70er und 80er Jahre schon zuhauf zitiert wurden, und daran auch ein modernes Soundgewand und eingestreute Industrial-Effekte nichts ändern. Und apropos "Industrial": Hin und wieder experimentieren die Herren Berufsmusiker eher unglücklich mit besagten Effekten und schaffen es so beinahe, den einen oder anderen Song der Platte (beispielsweise 'Hardened Steel') zu verhunzen. Anders liegt der Fall bei 'Brothers', der, einem RAMMSTEIN-Hammer gleich, furios stampfend einsetzt und als einziger Titel auch einem Industrial-Album gut zu Gesicht stehen würde.
Über die stark klischeebehafteten Texte breiten wir besser den Mantel des Schweigens – hier befindet sich auch NOW OR NEVER noch tief in den Traditionen der metallischen Gründerväter. Diese sind mit dafür verantwortlich, dass es an vielen Stellen des Zwölftrackers nur so trieft vor Pathos und Kitsch. Den Abschuss stellt 'An Angel By My Side' dar, eine Ballade wie sie quer durch alle Schichten des Hard Rock vieltausendfach vertont wurde, und die man ohne körperliche Schmerzen in dieser Form kaum noch ertragen kann. An anderer Stelle macht die Band diesen Fauxpas allerdings gleichermaßen wieder wett: 'Something’s Missing', der letzte vollwertige Track des Albums, ist nicht minder emotionsgeladen als der Schmachtgesang wenige Nummern zuvor, weiß aber wirklich zu berühren und zu verzaubern – eine nachdenkliche, leidenschaftliche Liebeserklärung, die in einer Liga mit den besten Momenten der SCORPIONS oder MEAT LOAF spielt. Weitere nennenswerte Highlights auf "Now Or Never" sind die ebenso konventionelle wie mitreißende Hard-Rock-Hymne 'Wind Of Freedom', die mit einem weiteren Gänsehautchorus aufwarten kann, sowie der in EDGUY-Gefilden schnüffelnde Streuner 'Who’s In The Mirror', ein melodischer, groovender Midtempo-Kracher.
Steht es mir Grünschnabel wirklich zu, ein Urteil zu fällen über ein Album dieser Herren, die vielleicht im Heavy Metal nicht selbst die großen Maßstäbe gelegt, diese aber doch über viele Jahre hinweg mit ausgelotet und feinjustiert haben? Nach zahlreichen Hördurchgängen will ich mir zumindest ein grob umrissenes Fazit erlauben: NOW OR NEVER erfindet das Rad nicht neu, verleiht den Strukturen des klassischen Heavy Metal mit dem gleichnamigen Debüt aber so manch frischen Anstrich. Nicht alles, was die Veteranen anpacken, überzeugt durchweg, doch das Niveau auf "Now Or Never" ist ebenso hoch wie die Schlagzahl der meisten feilgebotenen Songs, und trotz stellenweise angebrachter Kritik ist die Aufgeschlossenheit der vier Routiniers gegenüber neuartigen Einflüssen für mich auch einer der positiven Aspekte ihres gemeinsamen Debüts. Über jeden Zweifel erhaben ist auf alle Fälle der kongeniale Gesang des Herrn Jo Amore, der sich mit diesem Album ein eigenes Denkmal gesetzt haben dürfte. Jeder, der sich prinzipiell für Rockmusik interessiert, sollte dieser interessanten Veröffentlichung einmal sein Ohr leihen. Es dürfte Musikfreunde geben, die in "Now Or Never" einen modernen Klassiker entdecken werden – und alle anderen sollten sich zumindest an der überragenden Gesangsleistung von Jo Amore erfreuen können.
Anspieltipps: Reach Out For The Sky, Wind Of Freedom, Brothers, Something’s Missing
- Note:
- 8.00
- Redakteur:
- Timon Krause