LOWEN - Do Not Go To War With The Demons Of Mazandaran
Mehr über Lowen
- Genre:
- (Oriental) Progressive Metal
- ∅-Note:
- 8.50
- Label:
- Church Road Records
- Release:
- 04.10.2024
- Corruption On Earth
- Najang Bah Divhayeh Mazandaran
- Waging War Against God
- The Seed That Dreamed Of Its Own Creation
- May Your Ghost Drink Pure Water
- Ghazal For The Embrace Of Fire
Außergewöhnliche Prog-Klänge treffen auf orientalische Einflüsse.
LOWEN aus London war mir bis vor kurzem noch gar nicht bekannt, obwohl die Band bereits seit 2017 existiert und seitdem bereits ein Album und eine akustische EP veröffentlicht hat. Es war, glaube ich, ein von den beiden Protagonisten der Band betriebener Youtube-Podcast namens "The Serpent Temple", der mein Interesse an der Truppe erstmals weckte, die im Stamm aus Nina Saeidi (Gesang) und ihrem Lebensgefährten Shem Lucas an der Gitarre besteht und durch Cal Constantine an den Drums komplettiert wird. Ein Bassist wird demnach nur hinzugebucht, wenn es denn zu Liveaktivitäten kommt. So weit, so gut.
Obwohl mir der erste Durchlauf des aktuellen Albums "Do Not Go To War With The Demons Of Mazandaran" bereits mehr als gut reinläuft, bin ich mir doch noch nicht ganz sicher, wie ich das Gehörte genretechnisch einordnen soll. Ein Blick bei den Metal Archivisten verrät: Progressive Doom Metal. Soso. Progressive? Definitiv. Doom? Naja, hier und da ein paar dezente Tupfer sind nicht von der Hand zu weisen, ich hätte es aber wohl eher in die "Progressive Metal with Oriental influences"-Schublade gelegt.
Wie immer man es am Ende auch nennen mag: Die sechs Songs, verteilt auf kompakte, aber überaus intensive fünfunddreißig Minuten, punkten vor allem in Sachen Abwechslung, Atmosphäre, Instrumentierung und sehr komplexem, nur vereinzelt überfrachtetem Songwriting. Wer seinen progressiv gefärbten Metal gerne mit orientalischen, fernöstlichen Elementen angereichert mag, kann hier nun bedenkenlos weiterlesen. Denn Sängerin Nina Saeidi hat persische Wurzeln und nutzt diese, um die Songtexte gelegentlich in Farsi und Sumerisch im traditionellen Tahrir-Stil - einer im Iran einzigartigen und sehr gängigen Gesangsweise - eindrucksvoll zu intonieren. Der Gesangspart in 'May Your Ghost Drink Pure Water' (inklusive wunderbarer Cello-Unterstützung) sei hier exemplarisch vorangestellt: einfach nur märchenhaft göttlich. Ihr kraftvolles und wundervoll eindringliches Stimmorgan ist dabei allerdings nicht ihr einziger Trumpf, da sie auch für den Gebrauch traditioneller Instrumente wie Daf und Santoor verantwortlich zeichnet, die hier in kongenialer Weise in die mitunter sehr komplexen Songstrukturen eingewebt werden. Shem Lucas liefert dazu die genau passenden Koloraturen auf sechs Saiten: spielfreudige Gitarrenleads, aggressive und schön saftig klingende Riffs, alles hervorragend produziert, wie überhaupt das ganze Album perfekt und transparent abgemischt wurde. Cal Constantine an der Schießbude genießt hierbei anscheinend absolute Narrenfreiheit, darf er sich doch nach Belieben austoben und seine Trommeln und Felle ohne Rücksicht auf Verluste bearbeiten. Ich stehe durchaus auf drumfokussierte Songs, allerdings sollte man es dabei auch nicht zu sehr übertreiben. Es sei denn, man heißt Neil Peart oder Bobby Jarzombek.
Weniger ist manchmal eben doch mehr, und somit wären wir auch schon bei dem einzigen kleinen Kritikpunkt angelangt: Die mit vielen Emotionen beseelten Songs stecken voller Energie, sind auf kompositorischer Ebene mit viel Raffinement konstruiert und transportieren auf magische Weise viel Atmosphäre, verlieren sich in einigen wenigen Momenten aber doch in sich selbst, so dass der berühmte rote Faden zuweilen entgleitet. Dass es auch anders geht, beweist die Band unter anderem auch mit dem dreieinhalb minütigen, kürzesten Song 'The Seed That Dreamed Of Its Own Creation', werden hier doch alle Stärken der Band komprimiert gebündelt. Auch mein persönliches Lieblingsstück 'Waging War Against God' kommt ohne Umschweife zur Sache, wartet mit einem fantastischen Mittelteil auf und ist, was Spannungsaufbau angeht, kaum zu toppen.
Das ist aber wie gesagt auch das Einzige, was sich hier bemängeln ließe, weil die Truppe ansonsten nämlich absolut alles richtig macht. Sie kreiert auf der Basis von überdurchschnittlich instrumentalem Können und Saeidis berauschend intensiver Gesangsstimme Klanglandschaften von ganz bezauberndem Charakter, in die hinab zu tauchen durchweg große Freude bereitet. Auf textlicher Ebene widmet man sich hier zum einen dem 'Shahnameh', dem altpersischen Buch der Könige und bis heute eines der wichtigsten Nationalepen der persischen- als auch Weltliteratur, welches zu einer Zeit verfasst wurde, als die Regierenden noch empfänglich für Künste aller Art gewesen sind, im Gegensatz zu den heutigen, geistig durchgeknallten Theokraten des Landes. Daher passt es auch, dass Saeidi auf der anderen Seite in Songs wie 'Corruption On Earth' und 'Waging War Against God' seit über dreißig Jahren aktuelle Themen behandelt wie die Todesurteile gegen Frauen, die sich während der 'Woman Life Freedom'-Bewegung gegen die korrupte und kriminelle Islamische Republik Iran auflehnten.
Unterm Strich sei das Album all jenen ans Herz gelegt, für die Progressive Metal mehr ist als technisch perfekt versierte, aber blutleere Griffbrettakrobatik. LOWEN findet, zumindest in den allermeisten Momenten, den perfekten Mittelweg zwischen instrumentaler und gesanglicher Meisterschaft und trotzdem rasch ins Ohr gehenden atmosphärischen und mitreißenden Melodien und Harmonien. Ebenfalls lobend zu erwähnen sei hier noch das Cover-Artwork, welches vom bekannten Ölmaler Hervé Scott Flament gestaltet wurde und mich in seiner Detailverliebtheit auf wundersame Art und Weise an die apokalyptischen "Wimmelbilder" eines Hieronymos Bosch erinnert. Ganz tolles Album!
- Note:
- 8.50
- Redakteur:
- Stephan Lenze