L'APPEL DU VIDE - Metro
Mehr über L'appel Du Vide
- Genre:
- Post Punk / Gloom Punk
- ∅-Note:
- 7.50
- Label:
- It's Eleven Records
- Release:
- 29.03.2024
- Nacht
- Verschwiegen
- Offenbarungseid
- Woanders
- Verbrennen
- Fleisch
- Warteschleife
- Ausgeliefert
- Fragezeichen
Gute Platte, noch besserer "Beipackzettel"...
...zusammengestellt von Flatty Lugosi zum Debutalbum "Metro" seiner Band L'APPEL DU VIDE!
Nachdem ich schon länger keine Info-Emails gelesen hatte, war ich beim ersten Überfliegen der selbsterstellten Informationen der Band doch sehr überrascht: Das las sich gut, war bis auf einige anzusprechende Passagen nicht gnadenlos überzogen und hatte großen Unterhaltungswert! Daher möchte ich mit diesem Review ein kleines Experiment wagen und euch das Herzstück aus dem Infotext des bandeigenen Labels "It's Eleven-Records" im Original-Wortlaut (hier kursiv) wiedergeben und mit meinen Kommentaren versehen. Der zitierte Text stammt von Marius Kovitz.
„Du reitest über die Zwickauer Hügel nach Nordosten. Die Lederzügel schneiden sich in deine gefrorenen Hände, während sich heiss-saurer Sod nach oben brennt. Metaphysischer Katerschweiss sticht sich Pore für Pore durch deine Haut, durch ein verblasstes Sargtattoo auf dem Unterarm. Die müden Füße in den NVA-Stiefeln deines Vaters umklammern die Flanken eines dampfenden, grauen Appaloosa, oder ist es doch nur die frisierte Simson S51? Egal, denn eigentlich ist es deine ur-eigene Mind-Machine, in der du dem Ruf der Leere folgend durch die Ruinen der Selbsterkenntnis irrst. Nach Chemnitz - dem San Francisco des ganz kleinen Mannes."
Eine dampfende Simson S51 käme mir zuerst in den Sinn. "Ruf der Leere" ist, das sei angemerkt, die deutsche Übersetzung für L'APPEL DU VIDE. Zwickau ist übrigens ein nettes Städtchen; Ich habe mich bei einem Konzertbesuch dort einmal sehr wohl gefühlt. Eines noch zu diesem Abschnitt: Vielleicht ist ja auch San Francisco das Chemnitz der Möchtegern-Musikgrößen?
"Erwarten wird dich dort allerdings nicht Bernd Spier's einfältige Flowertime, sondern Asbest, Eternit und vor allem die Risse, die sich durch ebendiesen ziehen. Genau da verdichten sich die Songs auf L'Appel du Vide's erstem Full-Length "Metro" jedem Leerstand trotzend zu einem 9 Stories hohen Monolithen aus Post-Punk, Death-Rock, Synth- und Darkwave, der einen - einmal erklommen - über jene Genregrenzen hinwegschauen lässt. Ein schwarz-schimmernder Jengaturm aus (East-)German Angst und kompromissloser Innenschau. So viel aufrichtiger wankend, als ein Campino im einstudierten Seitwärts-Taumeltanz der Mitte der Gesellschaft weismachen will, führt er dich weg von den tief hängenden Früchten des epigonalen (Post-)Punkswindles. Hin zu den aufgehenden Blüten echter Musikliebhaberei. Man hat sich festgebissen und ist drangeblieben, hat geschürft und sortiert, die Linernotes gelesen und vor allem eins: den vielen Platten zugehört. Die Schubladen aufgemacht und offen gelassen.
BERND SPIER musste ich zunächst googeln, dieser hessische Schlagersänger war mir tatsächlich nicht geläufig. Zudem habe ich Schwierigkeiten, die Texte von L'APPEL DU VIDE als Stories zu sehen. Für mich sind das überwiegend Gefühls- und Situaionsreflexionen, die zudem oft vom Hörer selbst interpretiert werden müssen. Das ist keine einfache Kost und soll es wohl auch nicht sein. Vom musikalischen Gesichtspunkt aus habe ich grundsätzlich mit dem Begriff Death Rock etwas Probleme, da ich nicht so recht weiß, was das sein soll, oder vielmehr diesen Begriff nicht logisch mit der gehörten Musik in Verbindung bringen kann. Synth- und Darkwave passen etwas besser, wobei ich zumeist Post-Punk als richtige Bezeichnung empfinde. Zu dem sprachlich sehr schönen Jengaturm-Campino Vergleich möchte ich ergänzen, das "echte Musikliebhaberei" nicht zwangsläufig derart anspruchsvolle und doch etwas schwer zugängliche Erzeugnisse meinen muss, wie die Musik dieser sächsischen Kapelle in meinen Ohren eines ist. Interessant wäre jetzt noch zu wissen, welchen Platten man zugehört hat, und was dabei gesch(l)ürft (Schpässle!) wurde, letzteres aus einfacher, infantiler Neugierde heraus.
Sänger René klagt sich ohne Allüren, zeigefingerfrei und immun gegen jedes Zeitgeistgeheische ins zunächst eigene Herz. Die Gitarre sägt, klirrt und kreischt vor Hunger und ist doch satt. Die Rhythm-Section knurrt und scheppert und bumst sich geradeaus in den Abyss, aus dem auch analoge Synths hier und da auftauchen um kurz Luft zu schnappen. Überhaupt kann man die Instrumente atmen hören, so ehrlich ist der Sound. Gitarrist Flatty hat die Band Anfang 2023 im Studio Gloom, Chemnitz aufgenommen. Doch da ist nicht nur Sachsen und die zu oft beschworenen, modrigen Wurzeln der Hängengebliebenen. Da ist Detroit, Frisco und Los Angeles. Manchester, New York und Portland. Und genau so wie Poison Idea's "Feel the Darkness" (um dann doch mal eine Reminiszenz zu bemühen) beginnt, endet "Metro" nach 37 Minuten Spielzeit - mit nacktem Piano. Dazwischen: eine Verwandtschaft in Wucht und Haltung, nur ohne Metal- und Gepose. Just Power and Void. Und in der Satteltasche ein altes Foto vom Meer, körnig, schwarz-weiss und doch alle Farben widerspiegelnd“.
Ja, René klagt, und zwar ähnlich monoton wie einst LACRIMOSAs Thilo Wolf auf jenen ersten Alben. Diese stimmliche, vor allem gesangstechnische Ähnlichkeit fällt an einigen Passagen des Albums auf, am deutlichsten aber bei 'Verbrennen'. Was die Assoziationen der Musik der Kapelle aus Sachsen mit allerhand Musikhochburgen angeht, weiß ich momentan nicht, welche Bands da in Detroit, San Francisco, Los Angeles, Manchester und New York gemeint sind. Aus Portland hingegen kommt die POISON IDEA, deren ruppig-brachialer Punkrock gewiss nicht zu großen Teilen mit der Musik von L'APPEL DU VIDE deckungsleich ist. Das trifft zumindest, bis auf das harscher vor sich hinprügelnde 'Fleisch', bei dem übrigens anfangs vermutlich unbewusst von LACRIMOSAS Melodie in "Alles Lüge" abgekupfert wurde, in meinen Ohren auf das ganze Album zu. "Feel The Darkness" ist demnach bis auf den Piano-Part kein passender Vergleich, sondern eine hohe Hausnummer in einer (vor allem auch stilistisch betrachtet) ganz anderen Straße.
"Metro" gefällt mir grundsätzlich als erfrischender Post-Punk Eiswürfel in Albumform, der teils die dunkleren, kühleren Klangfarben und Beats der Neuen Deutschen Welle reproduziert und in andere, weit härtere, gitarrenorientiertere Soundlandschaften transportiert. Da kann man schon mal den Namen IDEAL fallen lassen, auch wenn der ebenfalls keinesfalls gänzlich als deckungsgleiche Assoziation verstanden werden darf. Zudem entbehrt L'APPEL DU VIDEs Musik auf METRO jeglicher kommerzieller Fröhlichkeit und nicht zuletzt des kompositorischen Abwechslungsreichtums, was diesen Vergleich dann doch stark relativiert. Mir persönlich gefällt auf "Metro" vor allem die instrumentale Musik; der Gesang ist mir meist zu repetetiv und vorhersehbar, es fehlen einfach etwas ausgefeiltere Melodien im Schaffen am Mikofon von René Thierfelder. Das kann sich ja in Zukunft noch ändern. Ich bin jedenfalls gespannt und freue mich jetzt schon auf neue Musik und neue "Beipackzettel" von L'APPEL DU VIDE.
Hört mal in "Metro" rein, ein, wie ich finde, sehr spannendes Album!
- Note:
- 7.50
- Redakteur:
- Timo Reiser