BIFFY CLYRO - Futique
Mehr über Biffy Clyro
- Genre:
- Rock
- ∅-Note:
- 10.00
- Label:
- Warner Music International (Warner)
- Release:
- 19.09.2025
- A Little Love
- Hunting Season
- Shot One
- True Believer
- Goodbye
- Friendshipping
- Woe Is Me, Wow Is You
- It's Chemical!
- A Thousand And One
- Dearest Amygdala
- Two People In Love
Mehr als nur ein bisschen Liebe.
Satte vier Jahre sind ins Land gezogen, seit uns BIFFY CLYRO mit "The Myth Of The Happily Ever After" zuletzt entzückt hat. Dabei hat die Kompromisslosigkeit, mit der das Trio auf diesem Album sein Ding durchgezogen hat, nicht nur für Begeisterungsstürme gesorgt. Es war ein Werk, mit dem sich der Hörer auseinandersetzen musste, das wenige Instant-Hits hatte. Nicht einmal die damalige erste Single 'Unknown Male 01' war mit ihren über sechs Minuten das, was gemeinhin Hit genannt wird. 'Errors In The History Of God' oder 'A Hunger In Your Haunt' kamen dem am nächsten, aber große radiotaugliche Songs wie 'Re-Arrange', 'Biblical', 'Mountains' oder 'Bubbles' waren auch sie nicht. Es war ein Album für die Fans, welche die stetige Entwicklung der Band schätzen, die gerade auch auf die abwegigen Songs wie 'Slurpy Slurpy Sleep Sleep' oder 'Seperate Missions' anspringen. Zum Bersten kreativ und auch deshalb nicht für jedermann.
Wenn ich nun schreibe, dass "Futique" wie ein Gegenentwurf von "The Myth Of The Happily Ever After" klingt, könntet ihr natürlich zu dem Schluss kommen, dass es nicht kreativ ist, weniger wagemutig und damit weniger gut. Als ich die erste Single 'A Little Love' das erste Mal hörte, waren das tatsächlich Gedanken, die ich hatte. Doch als ich dann "Futique" in Gänze hören durfte, verblassten diese Gedanken ganz schnell wieder. Man kann argumentieren, dass das Album weniger wagemutig ist, weil bewusst platzierte Fremdkörper wie 'Cloud Of Stink', 'The Fog', 'Small Wishes', 'Cop Syrup' oder 'Separate Missions' fehlen und es so keine Momente gibt, wo zumindest ich mich frage, was zur Hölle ich da eigentlich gerade höre. Dafür hat aber eine wunderbare Harmonie übernommen, die "Futique" schlüssiger und somit auch schöner werden lässt.
Nach ein paar Durchläufen habe ich festgestellt, wie ich förmlich in das Album hineingezogen werde, in die Stimmungen, die Texte, die Songs eintauche. Das führt zu dem Dilemma, dass ich auch nach mittlerweile mehr als vierzig Spins noch nicht wirklich einen Lieblingssong habe. Ein Zustand, der mich zuerst verwirrt hat, weil dies bei den Vorgängern immer anders war und für mich einige Songs von Beginn an immer über dem Rest schwebten. Doch hier ertappe ich mich immer wieder dabei, wie ich unterschiedliche Textstellen aus allen elf Songs vor mich hin summe. Die im letzten Absatz genannten Gedanken zu "weniger gut" und "weniger kreativ" können damit ebenfalls ad acta gelegt werden.
Doch kommen wir mal zu den neuen Songs im Detail. Bei den Texten fällt schnell auf, dass die Wut, die Teile der letzten drei Alben geprägt haben, hier Platz macht für Liebe, Freundschaft und Vertrauen. Dass das Album mit 'A Little Love' beginnt und mit 'Two People In Love' endet und genau in der Mitte 'Friendshipping' steht, ist kein Zufall. Es sind die Grundpfeiler von "Futique", die auch in den meisten anderen Songs ihren Platz erhalten. Das harmonisch im Midtempo eröffnende 'A Little Love' sollte Fans dabei längst bekannt sein und wurde auch bereits live erfolgreich getestet. Das wunderbare Video repräsentiert dabei den Ton von "Futique" perfekt.
Auch 'Hunting Season' ist mittlerweile als Single ausgekoppelt, begeistert mit dem bandtypischen Drive und einem großen Refrain. Das 'Give It To Me' in der punkigen Bridge vor dem Chorus finde ich einfach sensationell, auch wenn das nur eine kleine Facette des Songs ist. Es sind Details wie diese, die oft den Unterschied machen zwischen einem guten und einem exzellenten Song. 'Shot One' ist beinahe poppig, ein paar Keys setzen Farbtupfer, die Steigerung in der Mitte sorgt dann dafür, dass wir hier eine weitere Luxusnummer haben, die spätestens mit der Textzeile 'Love is all that matters, but it also shatters' im Ohr bleibt. Ganz fein.
'True Believer' ist eine dieser epischen Rocknummern, wie sie eben nur BIFFY CLYRO schreibt. Das 'how about now?!' dürfte livehaftig von den Fans übernommen werden, worauf ich mich heute schon freue. Auch hier gibt es zudem kleine, feine Pianoelemente zu hören, so dass zukünftig vielleicht auch ein Keyboard auf der Bühne steht. Mit 'Goodbye' folgt die erste, obligatorische Ballade. Wunderschön vor allem die Textzeile 'Goodbye my love, it was too much, but never enough'. So einfach, so wahr. Wenn in der zweiten Hälfte die Band angeführt von Simons weinender Gitarre voll einsteigt, hat das auch einen wunderbar dramatischen Effekt. Mehr 'Folding Stars' als 'Re-Arrange' und das ist absolut ein Kompliment.
Vor Komplimenten von mir kann sich "Futique" eh kaum retten, denn mit 'Friendshipping' folgt gleich der nächste Höhepunkt, der in Zukunft aus vielen Kehlen mitgesungen wird, wenn Simon 'Friendships come and friendships go, some we miss and some we don't' schmettert. Simon hat die Gabe große Wahrheiten in einfache Worte zu packen. 'Woe Is Me, Wow Is You' startet mit 'I set my soul to exquisit black' dagegen schon fast poetisch. Der sich langsam steigernde Rocker ist mittlerweile vielleicht mein Liebling auf "Futique", was aber ein Status ist, den sich der Song hart erarbeitet hat. James und Ben sind hier mit ihren Backings auch vokal ein elementarer Bestandteil und ich schäme mich fast, dass ich die beiden bisher noch nicht erwähnt habe. Bens abwechslungsreiches Spiel ist sowieso immer ein Genuss und auch über James mit seinem Bass muss ich kaum Worte verlieren. Das Zusammenspiel der Brüder ist präzise wie die berühmten Schweizer Uhrwerke, sorgt immer für den nötigen Drive und setzt auch immer wieder Akzente. Die erste Minute dieser Nummer ist ein guter Zeitpunkt, darauf zu achten. Spätestens aber wenn 'this is to special' kommt, zieht einen die Nummer komplett in den Bann, so dass man wie im Rausch durch die Bude hüpft. Glaubt mir, das wurde getestet.
Aber gut, weiter im Rausch, äh, Text. 'It's Chemical' rauscht im Midtempo aus den Boxen, setzt ein paar Farbtupfer mit Synthies und hat auch wieder Textzeilen zum Verlieben dabei: 'so make your mistakes while you can, you're still fucking breathing', wobei sich der Text an Menschen richtet, die in der Vergangenheit feststecken und nicht nach vorne sehen und nun zu alt sind, um dies noch zu ändern. Wunderbar. Wunderbar ist auch die folgende, von Pianoklängen eröffnete Ballade 'A Thousand And One', die vielleicht noch am ehesten als Nachfolger von 'Opposite' oder 'Re-Arrange' angesehen werden darf. Doch Simon ist einfach ein so begnadeter Songwriter und Texter, dass auch diese Nummer wie Honig in den Lauschern bleibt: 'I always knew when I was wrong, but I couldn't say sorry'. Wer kennt das nicht?
Mit 'Dearest Amygdala' geht es in den Endspurt, wo wieder einmal eine simple Wahrheit ausgesprochen wird: 'the wrong way is just another way, the right way is just another way'. Genau, denn auch vermeintlich schlechte Entscheidungen können dazu beitragen, dass am Ende alles gut ist. Mein Höhepunkt an dem Song ist aber, dass das Trio in der letzten Sekunde des Songs das eigentlich unsingbare Wort 'Amygdala' am Ende einmal richtig betont, um zu zeigen, dass sie wissen, dass die Betonung auf der zweiten Silbe liegt und nicht - wie im Rest des Songs gesungen - auf der dritten Silbe. Herrlich. Das abschließende 'Two People In Love' ist dann noch einmal ein großer, epischer Rocker mit riesigem Refrain und einem instrumentalen Schlussteil zum Davonschweben, der dazu einlädt live zelebriert zu werden. Dass das Piano hier sogar eine tragende Rolle einnimmt, ist im BIFFY CLYRO-Kontext dabei durchaus eine Überraschung.
Bleibt die Frage zu klären, wie sich das Album im Gesamtschaffen der Band platziert. Klar ist, dass das in meinen Ohren schwindelerregend hohe Niveau seit "Puzzle" beibehalten wird. Ich persönlich liebe jedes Album seitdem auf seine Weise, jedes hat seinen eigenen Charakter und große Momente, die live bereits auch vielfach zelebriert wurden. "Futique" wird da keine Ausnahme machen, mein eingangs angeführtes Dilemma sehe ich im Fazit dann auch eher als eine Stärke als eine Schwäche an. Für mich ist "Futique" ein perfektes Rock-Album geworden und das kann hier nur mit einer Bewertung adäquat dargestellt werden.
- Note:
- 10.00
- Redakteur:
- Peter Kubaschk