AVRALIZE - Liminal
Mehr über Avralize
- Genre:
- Metalcore
- ∅-Note:
- 9.00
- Label:
- Arising Empire
- Release:
- 14.11.2025
- medicine
- nothing here feels real
- wanderlust
- open spaces
- close to you
- cyanide
- childhood
- liminal
- bite my tongue
- helium
- spinning round and round
- upside down
- like a boomerang
- fading faster
Ein progressiv anmutender Brocken Metalcore - so mühelos vorgetragen, als hätte die Band das Genre neu erfunden.
AVRALIZE aus Rottweil hat mit "Liminal" ein Album geschaffen, das die Grenzen des modernen Metalcore mit Leichtigkeit verschiebt. Statt sich in bekannten Mustern zu verlieren, setzen die vier Musiker auf Kreativität, technische Versiertheit und eine ungewohnte Offenheit, die sie ganz selbstverständlich in ihre Songs tragen. Wo andere Bands krampfhaft "anders" wirken wollen, klingt AVRALIZE so, als könnte sie gar nicht anders - und genau das macht ihren Reiz aus.
Schon 'Medicine' legt die Basis: harte Riffs, hymnische Refrains, zwischen Liebe und Sucht changierende Texte. Das Stück hat das Zeug zum Aushängeschild der Platte, auch wenn es bei genauerem Hinhören eher das Eingangstor zu einer ganzen Erlebniswelt ist. 'Wanderlust' treibt die Rastlosigkeit rhythmisch nach vorn, brutal und unruhig, getragen von Growls und Synth-Flächen.
Mit 'Close to You' folgt ein überraschender Bruch: balladesk, fast poppig, verletzlich und doch selbstbewusst - ein Song, der zeigt, wie weit die Band die Dynamik ihrer Musik ausreizen kann. 'Bite My Tongue' bringt die Wut zurück: ein Track über unausgesprochene Worte, deren Gift jede Beziehung zerfrisst. Hier wird geschrien, gespien und gleichzeitig fast schon selbstironisch reflektiert.
Der zentrale Härtepunkt ist der Track 'Helium'. Rhythmisch vertrackt, mit harten Djent-Anleihen, walzt der Song alles nieder - und wirkt doch nicht stumpf, sondern packend und durchdacht. Die Frage "How did I become so dull so fast?" steht sinnbildlich für die existenziellen Abgründe, die AVRALIZE hier musikalisch wie textlich auslotet. Für viele dürfte das der Song sein, der die Essenz des Albums greifbar macht.
Der Titeltrack 'Liminal' selbst ist ein Manifest. "Liminal" bedeutet "Schwellenzustand" - ein Dazwischen. Genau da siedelt die Band ihre Musik an: zwischen brachialen Grooves und melodischem Gesang, zwischen Studioexperiment und Live-Wucht, zwischen Härte und einer überraschenden Leichtigkeit.
Zum Ende hin schließt 'Upside Down' den Kreis. Düster, paranoid, fast klaustrophobisch - doch mit einem klaren Hoffnungsschimmer: "Make it out alive, it's worth the fight". Damit hinterlässt Avralize die Hörer nicht in Verzweiflung, sondern mit dem Gefühl, dass Kampf sich lohnen kann.
Besonders bemerkenswert sind die vielen kleinen Momente, die ich meistens "Ear Candy" nenne: kurze Funk-Einlagen, Vocoder-Spielereien, Synth-Übergänge. Das sind Details, die hier schon schlau platziert werden: ... kurz bevor ich glaube, dass ich weiß wie der Song weitergeht und den Finger auf der Skip-Taste habe. Diverse Brüche und teilweise eigensinnige Stil-Elemente zeigen aber auch, dass die Band keine Angst hat, Genres und Stimmungen zu verschmelzen, solange es dem Song dient.
Auch die kurzen Interludes wie 'Nothing Here Feels Real' oder 'Childhood' sind Teil dieses Konzepts. Sie sind keine Lückenfüller, sondern kleine Atempausen, die den Fluss des Albums strukturieren und gleichzeitig neue Farben ins Spiel bringen.
AVRALIZE tritt damit in einer Szene auf, in der Härte oft mit Ernsthaftigkeit und Schwarz getragen wird. Hier aber stehen vier Musiker, die lieber lachen, die auch mal quietschbunte Visuals wählen, die nichts vom Habitus der "bösen Jungs" brauchen. Es wirkt nicht inszeniert, sondern natürlich. Genau diese Authentizität, gepaart mit einer spielerischen Offenheit, macht sie zu möglichen Trendsettern innerhalb des Metalcore - einer Szene, die Veränderung oft nur zögerlich zulässt.
AVRALIZE zeigt, dass die Band technisch und kreativ längst über das Level hinausgewachsen ist, auf dem sich viele Genrekollegen noch bewegen. Am Ende bleibt ein Album, das Härte, Emotionalität und Experimentierfreude zu einer eigenständigen Sprache verbindet - und das neugierig macht auf alles, was noch kommt. Für mich eines der Alben, das in meiner Top 10 des Jahres landet.
- Note:
- 9.00
- Redakteur:
- Marc Eggert


