1914 - Viribus Unitis
Mehr über 1914
- Genre:
- Death Metal
- ∅-Note:
- 8.00
- Label:
- Napalm Records
- Release:
- 14.11.2025
- War In (The Beginning Of The Fall)
- 1914 (The Siege Of Przemyśl)
- 1915 (Easter Battle For The Zwinin Ridge)
- 1916 (The Südtirol Offensive)
- 1917 (The Isonzo Front)
- 1918 Pt 1: WIA (Wounded In Action)
- 1918 Pt 2: POW (Prisoner Of War)
- 1918 Pt 3: ADE (A Duty To Escape)
- 1919 (The Home Where I Died)
- War Out (The End?)
Ein eindringliches Werk der Lemberger mit einer ukrainischen Sicht auf den Ersten Weltkrieg.
Wenn eine Band innerhalb von gut zehn Jahren vier vollständige Studioalben und dazu eine Vielzahl von EPs und Splits abliefert, dann steht eines fest: Die Musiker sind hungrig! So liegt ganz offensichtlich der Fall bei der ukrainischen Death-Metal-Walze 1914, die von Anfang an ihr Genre und ihr Konzept sehr wirkungsvoll inszeniert hat. Der fünfköpfige K.u.K.-Infanterietrupp des Lemberger Regiments bleibt sich dabei treu. Er hat sich - der Bandname lässt es erahnen - seit Beginn seiner Karriere weitgehend der Rezeption der Ereignisse des ersten Weltkriegs in seiner westukrainischen Heimat gewidmet, die seinerzeit zur Donaumonarchie gehörte. Die Perspektive ist eine ukrainische, und sie beginnt: 1914! So nimmt es wahrlich niemanden wunder, dass eine zeitgenössische Tonaufnahme der kaiserlich-habsburgischen Hymne das neue Album einleitet; gesungen zu jener wohlbekannten Haydn-Melodie, die auch zum Liede der Deutschen erklingt.
Doch nach dem imperialen Intro ist, ganz wie im wahren Leben, allzu schnell Schluss mit jener Kriegsromantik, die im Vorfeld in so vielen Nationen Europas herrschte. "Viribus Unitis" (zu Deutsch: "mit vereinten Kräften") - im Übrigen das Motto Kaiser Franz Josephs - fegt den Wahn vom siegreichen Helden mit den Klängen des ersten neuen Songs weg und zerstreut ihn in alle Winde. Der Belagerung Lembergs durch die Russen gewidmet ist '1914 (The Siege Of Przemyśl)' ein galliger, rasender, pechschwarzer Feuersturm, der viel mit GOD DETHRONED oder MARDUK gemein hat und sich daher gut in die Riege jener Bands im Grenzbereich zwischen Black und Death Metal einfügt, die sich mit kriegerischen Dingen befassen. Dies spiegelt sich auch in der schonungslos harten Lyrik wider, und in all den Reden, Samples, Zitaten aus jener Zeit, die das Album durchziehen. Doch 1914 hat musikalisch mehr zu bieten als viele andere Bands dieses Genres. Das Quintett arbeitet hier mit Samples alter Tonbandaufnahmen, dort mit Elementen aus Doom, Ambient, Neofolk und Hörspiel, und es lässt sich weder kompositorisch noch gesanglich in ein Korsett pressen.
'1915 (Easter Battle for the Zwinin Ridge)' erinnert sodann an die Erstürmung des Zwinin, eines Bergrückens in den Karpaten, durch deutsche Truppen, und es befasst sich ebenso mit dem dräuenden Untergang des Zarenreichs. Folgerichtig hat es eine doomigere, epischere Note. Durch Windbrausen und dunkle Chorgesänge entfaltet sich eine apokalyptische Stimmung zwischen Untergang und Erlösung. Eine walzendere, zermalmendere Atmosphäre transportiert sodann '1916 (The Südtirol Offensive)', indem es uns puren, fiesen Death Metal serviert, irgendwo zwischen ASPHYX und BOLT THROWER. Die weitere Reise führt unsere Protagonisten vom K.u.K.-Infanterieregiment durch die Wirren des Krieges an die Orte menschlicher Tragödien in Istrien und in Treviso, bevor sie schließlich in Kriegsgefangenschaft auf der sardischen Insel Asinara und in Sizilien landen.
Am Ende gelingt dem Protagonisten die Flucht über Slowenien und Österreich, begleitet von einer eindringlichen Doom/Death-Hymne mit großartigen Gastvocals von Aaron Stainthorpe (ex-MY DYING BRIDE, HIGH PARASITE), der einen königlichen Refrain serviert. Doch am Ende beginnt alles von vorne: Die Donaumonarchie geht unter, die Polen haben Lemberg genommen, die Bolschewiki belagern Kyjiw. Die Lyrik ist drastisch, doch sie ist historisch fundiert und tiefgründig. Man lernt, wenn man zuhört, liest, und vielleicht dazu auch die entsprechenden Wikipedialinks vertieft, oder Geschichtsbücher liest. Dass sich eine ukrainische Band derart äußert, und dabei die Perspektiven ihrer Heimat einnimmt, mag in diesen Zeiten niemanden verwundern. Am Ende erzählt "Viribus Unitis" musikalisch intensiv und mit ergreifenden, ja, teils erdrückenden Worten, die zu jeder Zeit gut verständlich sind, eine sehr authentisch wirkende Moritat vom Krieg, die sich keinen Millimeter weit hinter anderen Protagonisten dieses Genres verstecken muss.
Manche sehen es als kontrovers an, sich der Kriegsgeschichte in dieser Form zu widmen. Dieser Ansicht möchte ich widersprechen, wenn ich mich diesem Album und seiner Lyrik widme. Dann möchte ich es für wichtig und heilsam halten, genau dies zu tun, denn es befasst sich mit grimmigen Realitäten. Mit dem Verklingen des neofolkig-ambienten letzten Stücks '1919 (The Home Where I Died)' und der wunderbaren Gesangsleistung von Jérôme Reuter (ROME), sowie dem sich anschließenden Erschallen einer alten Aufnahme der ukrainischen Nationalhymne, bleibt ein mächtiges und intensives Werk zurück, das die Sicht eines Soldaten aus der Westukraine auf den Ersten Weltkrieg zeigen möchte, als Spielball zwischen den Großmächten.
Und es mag uns beklemmen, dass sich allzu wenig geändert hat, in den letzten hundert Jahren; für die Ukraine, und für den Rest der Welt. Schließen möchte ich an dieser Stelle mit einer dringenden Empfehlung, sich diesem Album und seiner Lyrik zu widmen, und besonders den letzten Worten der Scheibe zu lauschen:
"With love as my armour, the Lord will be my guide.
I'm going back to Ukraine.
The war that never ends."
- Note:
- 8.00
- Redakteur:
- Rüdiger Stehle


