WITH FULL FORCE 2010 - Roitzschjora

27.07.2010 | 00:33

02.07.2010, Flugplatz

Und also schwieg Zarathustra...

Samstag, 03. Juli 2010

Der Kopf schmerzt, die Sonne brennt und der Geschmack der Knüppelnacht hängt im Rachen. Wer jammert, wird angemalt. Also ab vor die Bühne!

Schon im zweiten Jahr in Folge kündigt sich eine ganz besondere Band an. Beheimatet im Mannsfelder Land machen die Jungs von ELSTERGLANZ diese Region beziehungsweise ihren Dialekt in ganz Deutschland bekannt. Berühmt geworden über YouTube mit der Nachbearbeitung von Filmen wie "Rambo", "300" und "Titanic" haben die Macher des With Full Force schnell gemerkt, welches Potenzial hier auf der Matte steht. "SLIPKNOT werden heute nicht performen." Großer Freudentaumel bei dieser Ankündigung, die Lachmuskeln gehen nun auf Abenteuerkurs! "Ich begrüße ... - ach, fickt euch doch alle."

Statt Metalkeule schwingen die Jungs feinen, subtilen Humor. Die Bühne zugestellt mit Krempel, eine Schranke, die sich plötzlich schließt, ein Einkaufswagen, der vorbeifährt, Herdplatten, die im Rhythmus zu brennen anfangen, und alte Männer, die auf der Bühne inmitten von Pappläden Bier ausschenken. [Das präpubertäre Backdrop nicht vergessen. - Anm. v. Carsten]

Für mich sind ELSTERGLANZ jetzt bereits Headliner des Tages. Der Rest des Publikums scheint mir zuzustimmen, denn der eigentliche Headliner VENOM kriegt den Bühnenacker nicht viel voller. Nach Titeln, die noch mächtig die Kasse klingeln lassen werden, wie 'Jacke in Brand', 'De Mutter von James Bond' oder 'Hartmann ist tot' sowie einem Schiffsduell (natürlich unentschieden) folgt endlich der Wirsingpreis, auf den schon alle gewartet haben. Zum Mega-Aggro-Hit 'Kaputtschlahn' wird die Bühnenausstattung stilecht in ihre Einzelteile zerlegt ("ist gar kein Fleisch drin, könnt ich alles kaputtschlahn"). Dem Nachbarn hat's gefallen. Klauen hoch!
[Nadine Ahlig]

Nach so viel guter Laune ist es Zeit, endlich wieder den Knüppel aus dem Sack zu holen. Nur knapp eine Stunde vor Viertelfinalanpfiff entern die niederländischen Frustmusiker von BORN FROM PAIN die Hauptbühne. Sänger Rob hat offenbar schon mächtig einen in der Krone und holt zum Frontalangriff aus. Keiner ist vor seinen Spuckattacken sicher.

Aber das ist man ja von Holländern während der WM-Zeit gewöhnt. Ihr derber Hardcore lässt zwar jegliche Sensibilität vermissen, aber wer sich eigentlich nur "Auf die Fresse hauen"-Musik erhofft, steht vor der richtigen Bühne. Doch so richtig aggressiv ist Rob dann doch nicht, denn immerhin wünscht er sich Deutschland als Finalgegner seiner Käsköppe.
[Enrico Ahlig]

Den ungünstigsten Zeitpunkt für einen Auftritt haben die Schweden GRAND MAGUS erwischt, denn sie beginnen ihren Gig um 15.40 Uhr, also zwanzig Minuten vor dem Viertelfinale Deutschland gegen Argentinien. Da heißt es, den Nietengürtel noch enger als gewöhnlich zu schnüren und die Faust zum Himmel zu recken. Der Sound ist von Beginn schlicht umwerfend. Kaum zu glauben, dass drei Mann einen solchen Druck erzeugen können.

GRAND MAGUS konzentrieren sich erwartungsgemäß auf die Präsentation neuer Stücke vom "Hammer Of The North"-Album, was allerdings absolut keinen Makel darstellt, ist die Platte doch ein absoluter Oberhammer. Metallische Hymnen wie 'Silver Into Steel' oder 'Wolf's Return' sind selbst bei gefühlten 50 Grad Celsius in der Lage, mir eine Gänsehaut zu verschaffen. Als Deutschland das 1:0 schießt und großer Jubel ausbricht, meint JB trocken: "Congratulations, Germany! I guess something happened or I just played the best guitar solo ever." Großartig!

Mit dem Abpfiff kommen dann die Bay-Area-Götter EXODUS auf die Bühne. Sänger Rob Dukes hat sicherheitshalber eine Deutschlandflagge um den Hals, was ihm bei dem Spielergebnis natürlich eine Extrapackung Jubel beschert. Die Kalifornier sind Hitze gewöhnt, und so gibt es auch keine Ermüdungserscheinungen zu verzeichnen.

Im Gegenteil: Die Thrasher legen los wie die Feuerwehr und lassen kaum Zeit zum Durchatmen. Von so einer unbändigen Liveenergie können sich Szenegrößen wie MEGADETH oder SLAYER getrost eine Scheibe abschneiden, denn so macht Thrash Metal Spaß. Good friendly violent fun eben. Gitarrengott Gary holt (Achtung: Wortwitz!) ein irrwitziges Solo nach dem anderen aus seiner Klampfe und das alles meist unter musikalischem Volldampf. Manch groovige Stelle lädt aber auch zum entspannten Headbanging ein. Klasse Gig!
[Philipp Halling]

Nach dem deutschen 4:0-Kantersieg gegen Argentinien ist die Stimmung zwar unverständlicherweise nicht bei jedem Redaktionsmitglied bestens, dafür aber beim Publikum. "Germany won, hm?", erkundigt sich EKTOMORF-Fronter Zoltán auch sogleich. "Then go as crazy as you can!", schreit der in ein Che-Shirt Gedresste und schiebt 'Ambush In The Night' hinterher. Das Publikum springt artig zum Tribal-Metal, sucht angesichts der drückenden Sonne aber vor allem die Schatten spendende Bühnennähe.

Dann packt "Zoli" die Akustikklampfe aus und singt gemeinsam mit seinen Anhängern 'Who Can I Trust' – mehr als drei Akkorde haben die Ungarn aber auch im Balladentempo nicht zu bieten. Und auch beim anschließenden JOHNNY CASH-Tribute greift man auf vergleichsweise einfache Optionen zurück. Der Mob findet trotzdem Gefallen – manche Dame hechelt dabei natürlich die Frontsau an – und hüpft brav zu 'I Know Them'. Nach einem kurz angespielten 'Blind'-Cover von KORN ist dann Schluss. Durchschnitt.
[Carsten Praeg]

So langsam beginnt der Abend und die Sonne startet in den Feierabend. Doch wie kann man das rote Ding endgültig loswerden? Natürlich mit einer Prise CANNIBAL CORPSE. Also wetzt die Messer und reinigt die Kettensäge! George "Corpsegrinder" Fisher stellt den Rotor an und lässt seine Haare unbarmherzig fliegen. Irgendwann fällt dieser gewaltige Hals einfach ab. Unterdessen streicht Alex Webster zart über seinen Bass – not!

Hier wird Kleinholz gemacht, und die Emo-Kappen wandern in den Fleischwolf. Leider interessieren sich die anwesenden Zuschauer überhaupt nicht für brutalen Death Metal, sondern stehen gelangweilt rum und warten auf HEAVEN SHALL BURN. Man merkt deutlich, welches Publikum nach Roitschjora gekommen ist. Kindergarten-Coverbands wie EKTOMORF werden abgefeiert, und bei echten Bands wie GRAND MAGUS oder CANNIBAL CORPSE herrscht tote Hose. Traurig! Das Highlight des dennoch gelungenen Gigs kommt von Corpsegrinder: "Hier stehen zu viele vor der Bühne nur herum. Bewegt euch, oder ich zeige euch, was Schmerz ist!"
[Enrico Ahlig]

Stacheldraht, Hilfe suchende Hände und ein Börsenticker werden nacheinander auf die Bühnenwand projiziert. "Lufthansa ist um drei Prozent gefallen", meint ein angeschwipster Kumpel noch augenzwinkernd, dann brettern HEAVEN SHALL BURN los. Beim Argentinien-Spiel war das Gedränge zwar größer, dafür soll das Publikum den Platz vor der Bühne aber noch eifrig nutzen. 'Endzeit', der Überhit der Thüringer, kommt schon recht früh im Set und heizt die Stimmung zusätzlich an. Fronter Marcus animiert die Fans zur Welle und fordert sie zu 'Voice Of The Voiceless' zur Wall Of Death auf, was Hunderte auch eifrig befolgen.

Aber das lässt sich noch toppen: "Ich will einen Circle Pit rund ums Mischpult, die Bretzelbude oder sonst was", ruft Marcus. Und die Schlange vor dem Bierstand staunt Bauklötze, als plötzlich eine riesige Meute auf sie zugestürmt kommt. So sieht das übrige Publikum zwar vor lauter aufgewirbeltem Staub während des restlichen Gigs die Bühne nicht mehr, das Full Force dafür aber seinen vielleicht größten Pit aller Zeiten.
[Carsten Praeg]

Nach diesem unglaublichen Gig muss man für VENOM das Schlimmste befürchten. Und ja, es trifft ein. Bei keiner Band an diesem Tag stehen weniger Menschen vor der Bühne. Wer auf die Idee kam, VENOM als Headliner auf ein Metalcore-Festival zu stellen (von einem Metal-Festival will ich aufgrund der Besucher nicht mehr sprechen), sollte sich selbst hinterfragen. Früher gab es Bands wie IRON MAIDEN oder JUDAS PRIEST auf dem With Full Force, im Jahr 2010 VENOM?

Aber davon lässt sich ein echter Rumpelfan nicht beirren und geht vor Cronos auf die Knie. Mit 'Black Metal' lässt er den ersten Hammer los und zeigt, dass man die Leute auch im neuen Jahrtausend mit primitiven Songs und einem unglaublich schlechten Sound erfreuen kann. Cronos post, während seine Mitstreiter noch nicht einmal angestrahlt werden. Es folgt eine 75-minütige, rotzig-dreckige Old-School-Pausendresche, die zwar musikalisch eher zweifelhafter Natur ist, aber als Kult beschrieben werden muss.

Songs wie 'Antichrist', 'Calm Before The Storm' oder 'At War With Satan' rumpeln, was das Zeug hält, und lassen die Pommesgabeln gen Himmel fliegen. Also wirklich, wer bei Textzeilen wie "Yeah, you’re going straight to hell" nicht in Stimmung kommt, der wurde wohl in den Neunzigern geboren. Gelegentliche Pyros runden diesen "interessanten" Gig unterhaltsam ab. Noch einmal: Kult!
[Enrico Ahlig]

Wer könnte das diesjährige "Saturday Night Fever" besser beenden als die Urväter des Gummipuppen-Metals, GWAR? Da darf zuerst ein Hitlerverschnitt und später ein überdimensionaler Elch (oder sowas in der Art) mit seinem überdimensionalen Gummipenis rote Flüssigkeit in die Menge spritzen (Frage an die erste Reihe: War's wenigstens Rotwein? Bei ZIMMERS HOLE gab's schließlich mal Vodka-Wixe.), anschließend geköpft (inklusive grünem Gespritze) und sein Torso noch gevögelt werden. Da wird ein "Dschihad!" brüllender Turbanträger durchlöchert und verteilt anschließend sein Kunstblut. Und eigentlich wird so ziemlich zu jedem Song irgendwo zwischen den Musikern in ihren Horrorkostümen irgendwas geköpft, gevierteilt, sexuell penetriert oder sonst was. Aber während alteingesessene Fans darüber philosophieren, dass GWAR-Shows früher ja noch so viel abgefahrener waren, ruft so langsam doch der Tequila- samt benachbartem Backfisch-Stand auf dem Zeltplatz.
[Carsten Praeg]

 

Redakteur:
Enrico Ahlig
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