Stoned From The Underground - Possen

01.08.2008 | 13:14

11.07.2008, Freizeitpark

Rückblende: In die Vorfreude auf das 8. Stoned From The Underground, welches mit dem beschaulichen Kyffhäuser zum zweiten Mal einen prächtigen Austragungsort hatte, hing sich sinnbildlich wie eine schwarze Wolke am Firmament das Wort "Unwetterwarnung". Und so haderte der ohnehin schon vergrummelte, vom Alltagsfrust geplagte Erdenbürger und dachte: "Nicht auch noch dies. Nicht mir durch Wetterunbill das Stoned-Festival versauen, eine der letzten Bastionen guten Musikschaffens, ein Hort angenehmen und stressfreien Beisammenseins."

Doch um es vorweg zu nehmen: Die Widrigkeiten des Wetters hielten sich in Grenzen (ein bisschen Regen hin und wieder), und gab es doch Donner, Erdenbeben oder Orkane während der zwei Tage, so hatte dies nix mit meteorologischen Extremsituationen zu tun. Und dass man als Festivalbesucher vor drückender Hitze verschont blieb, hatte letztendlich auch sein Gutes, denn so konnte man getrost zwei bis drei stimmungsaufhellende Kaltgetränke zu sich nehmen, ohne gleich in lethargische Trägheit ob zu schwüler Temperaturen zu verfallen. Weiterer angenehmer Nebeneffekt: eine höhere Aufnahmefähigkeit, was bei dieser erstklassigen Auswahl an Bands mit Hang zum Stoner, Hardrock, Doom, Fuzz und Was-weiß-ich-noch-alles schon mal grundsätzlich eine feine Sache ist. Eine Hiobsbotschaft blieb dann aber doch nicht aus: ORANGE SUNSHINE aus Holland mussten leider entfallen. Dennoch war das musikalische Angebot immer noch gut genug, um für feuchte Äuglein oder möglicherweise sogar Höschen zu sorgen. Aber so weit sind wir noch nicht, daher alles zurück auf Anfang, wir waren beim Start in Richtung Harz.
[Stephan Voigtländer]

"Gemächlich gelebt und laut kontrastet" lautet das Motto am zweiten Juliwochenende, als wir uns nun zum wiederholten Male in die harzische Waldstille begaben, um dem kleinen Völkchen der Doomers und Stoners beizutreten. Der Blick auf die umherparkenden Autokennzeichen verrät eine teilweise recht langwierige Anfahrt. Bald aber wird klar, dass hier kaum mal ein Anreisender ganz alleine kommt. Das Mitfahrsystem scheint bei den Psychköppen, Kotelettenzüchtern und Vinylplattenkäufern gut bis sehr gut zu funktionieren. Und wenn dann auf die umfunktionierte Pferdekoppel gerollt wird, es dronen aus den Zwei-Watt-Boxen klassische SAINT VITUS oder modernere KYUSS, grüßt man sich und schlägt die Campingutensilien in den lehmigen Boden. Der bedeckt eine Bergkuppe nah am Städtchen Sondershausen, nennt sich Possen und ist eigentlich für Kinderferien oder Opaausflüge gedacht. Wenn hier kein Papp-Leitsystem an den grauen Lampen der neusanierten Fördergeldhauptstraße hängen würde, man würde suchen, bis die mitgebrachten Bierreserven weggefrustet worden wären. Unweigerlich auch die Vorbeifahrt am Neubau der ARGE, die dort glatt und einsam thront - wer dort mal rein musste, weiß, dass sogar BILLY IDOL unplugged mehr Vergnügen bereitet.

Stephan V. hat euphorisch zwei Sonderpostenholsten weggeatmet, fläzt auf der Rückbank und dirigiert mit einem Mix aus Bestimmtheit und Mirdochegal, "Neeelinks!" und "Habschdochgewusst!". Einrollen auf ein Gelände, das sich sehr einladend ausbreitet. Alles, was dann passiert, ist nur noch mit Entspannung zu beschreiben: Der Harzer Himmel hier oben zeichnet sich durch drohenden Gewittergeifer aus, der auch prompt beim Aufbau der Zeltgewölbe herunterkeift. Nach der Grundsicherung des Trockenschlafplatzes kann auch ich das Ankommhefchen genießen, auf das bald ein weiteres, weiteres, weiteres folgt. Die folgend aufgeregt schnatternde Schlurferei in das Festivalinnere wird bereits von BURN PILOT begleitet, die sich durch unkonventionelle und recht frische Ideen hervortut. Ein schwerer Stand - ein guter Start. Überhaupt sieht das alles wieder sehr familiär aus: Die Security lächelt und grüßt zurück, die Schlange vor dem Bändchencontainer hat durchweg leuchtende Augen, ein Crêpes Ständchen verspricht lecker Nachtisch, und das heimische Bier wird für zwei Euro feilgeboten.
[Mathias Harz]

Überhaupt ist es bemerkenswert, dass sich das SFTU nicht nur durch überwiegend gute bis erstklassige Bands auszeichnet, hier stimmt auch das Ambiente. Denn wo gibt es schon direkt am Festivalgelände Gehege mit Wildschweinen, Hirschen und Bären zu besichtigen, die dem seltsamen Treiben übrigens mit außerordentlicher Gelassenheit begegnen. Dabei mag es durchaus auch vorgekommen sein, dass manch verkaterter Besucher beim verbimmelten Morgenspaziergang feststellen musste, dass er noch ein bisschen strenger riecht als der Herr Keiler, der übrigens für eine stolze Schar von etwa zwanzig Frischlingen verantwortlich zeichnete (verteilt auf drei Muttersäue). Zu den Begleiterscheinungen, das Festivalgelände in einem Freizeitpark aufgeschlagen zu haben, gehört es übrigens auch, dass grüppchenweise Ferienlagerkinder vorbeigetrieben werden, denen wohl eingebläut wurde, jeglichen Blickkontakt mit diesen gefährlich aussehenden Unzivilisierten zu vermeiden.

Wer wirklich nicht ganz ungefährlich aussieht, ist der Klotz, der den Doomstern von DUST vorn ansteht, die mit einem heftig dröhnenden Brett schon mal ordentlich Stimmung in die Hütte bringen. Als er dann auch noch freudig seine Wampe auspackt, einen Bierbauch von wahrhaft stattlichem Ausmaß, sind drei Dinge geklärt. 1. Ästhetik und Anmut sind was für Spießer. 2. Für brachialste Stimmbandverrenkungen braucht es einen mächtigen Resonanzkörper. 3. Da ist es also hin, das ganze Bier, das uns zum trinkfreudigsten Volk Europas nach den noch durstigeren Tschechen gemacht hat.
[Stephan Voigtländer]

Er ist der erste richtige Hingucker, der Frontberg der deutschen Doomfront von DUST, dessen Bauch erhaben auf der Mittelbühne ragt. Dieses Dekolleté der Verdammnis wird dazu benutzt, die Stimmbänder des Eins-neunzig-Mannes mit Luft zu versorgen, als dann das gereichte Bretterpils mit dem Totenkopf des irrationalen Silbergürtels aufgeploppt wird, ist die Stimmung gänzlich schon in die Richtung eines freudigen Ereignisses gekippt.

Die nächsten auf der Liste sind die Südlinge von EARTHFLIGHT. Das hier sind Niederbayern. Der allumfassende Crossover der Musikstile von Schweinerock bis Black Metal ist der Wiedererkennungswert, der hoch ist. Das ist frisch und lockt uns wieder vor die Bühne. Wiederum steht ein Gürtel im Mittelpunkt. Der schwarzbejackte Vokalist hat einen Zaubergürtel mit silbernem Totenkopf umhängen, erntet bei der weiblichen Begleitung angeblich Beifall, wird diesen später als hämisch identifizieren, sich aber mit unserer Stilpolizei umgehend versöhnen. Wegen des Klassik-Metal-Anteils muss sich der Fünfer nicht grämen - der passt. Bisher die Wohltat des laufenden Festivals.
[Mathias Harz]

Wobei man zudem festhalten muss, dass die Typen, die sich da EARTHFLIGHT nennen, auch optisch was hermachen, so dass die Blicke fest an dem kunterbunten, turbulenten Wirbel auf der Bühne kleben. Ihrer coolen Gemengelage aus Stilistiken und Genres hat die Truppe selbst das Etikett "New Wave Of German Krautrock" verpasst, und das trifft's ganz gut. Lediglich der Gesang ist ein bisschen gewöhnungsbedürftig, dafür allerdings recht variabel gehalten und pendelt irgendwo zwischen MONSTER MAGNET und LED ZEPPELIN.

Die nächste Band hatte die mit Abstand längste Anreise aller beteiligten Protagonisten. Und das Trio aus Südamerika hat ein martialisches Etikett an den nun folgenden Andensturm geheftet: LA IRA DE DIOS - der Zorn Gottes soll über alle Ahnungslosen und Gebeugten hereinbrechen. Für vierzig Minuten Mucke nahmen die drei Peruaner sogar eine Flugdauer von über 24 Stunden auf sich, das macht über eine halbe Stunde im Flugzeug für eine Minute auf der SFTU-Stage. Entsprechend brachial ob des langen Auf-dem-Arsch-sitzen-Müssens gehen die infernalischen Drei nun auch zu Werke, wobei ihr Punkrock-lastiges, leicht spaciges Gedröhn sehr zu gefallen weiß und freudestrahlende Stagediver bzw. enthemmte Headbanger in hoher Zahl sichten lässt.
[Stephan Voigtländer]

Exotenbonus haben die Peruaner von LA IRA DE DIOS sowieso; dass sie dann ein Set hinlegen, welches zwar etwas hektisch nervöst, aber mitreißt, ist nicht zu leugnen. Hier wird das Wah-Wah-Pedal malträtiert und das zufriedene Nicken wird von rhythmischen Resthaarzuckungen abgelöst. Überhaupt ist die Mischung eine gute: Ältere Prog-T-Shirts an Faltenzwackeln [Hilfe! - d. Red.] durchmischen sich mit Funeral-Doom-Mundwinkeln, treffen auf eine angenehm hohe Frauenquote und geben dem Rockernachwuchs auch mal ein Ehrenfriedersdorfer aus. Niedlich, wie in Sichtweite des eigenen Aufspannhockers mit Lehnbierloch drei, na, Siebzehnjährige im Zelteingang sitzen, schwitzen, umherstaunen und zusammen Zähne putzen gehen. Wenigstens nicht tumbmusikverseucht. Inzwischen sind alle Plebejer - so gegen halb zwölf nachts - eingetroffen und schließen den vorgefertigten Halbkreis unserer Vorhut mit Auto und Anwesenheit. OJM können nun bereits gemeinsam begafft und bepfiffen werden. Die Italiener spielen geradeausigen [autsch! - d. Red.] Riffrock mit einer gehörigen Brise Entertainment, pumpen mit ihren musikalisch unkomplizierten Wallungen direkte Euphorie in das Zelt. Der routinierte Abschluss wird der Firma ATOMIC BITCHWAX überlassen. Die wirkt so, als wäre die Kernbesetzung Basser/Drummer hier wort- und notenführend, der ein oder andere Gitarristenwechsel hat dem Trio aber nicht die Energie genommen. Trotzdem routiniert: Man grölt und schüttelt sich, saugt wohlige laute Klänge in sich ein, was ja viel zu selten geschieht.
[Mathias Harz]

Und wie. Die wächsernen Atomhuren haben justament die Bühne geentert, als meinereiner, der noch nicht auf Blick-, sondern erst auf Hörweite durchs Dunkel juckelt, mit psychedelischen Klängen das krachgeprüfte Ohr umschmeichelt bekommt. Ein Name taucht vor dem geistigen Auge auf: Syd Barrett. Nein, keine Halluzination: Der psychedelischen Frühphase der sich später als musikalisches Chamäleon erweisenden PINK FLOYD wurde mit 'Astronomy Domine' Tribut gezollt; ein Song, der auf das Konto des damaligen kreativen Kopfes Syd Barrett ging, ohne den PINK FLOYD kaum ihren heutigen Status erreicht hätten, auch wenn er sich letztendlich nur auf einem Album verewigte. Doch bevor die Abschweifung exorbitante Ausmaße annimmt, sei erwähnt, dass ATOMIC BITCHWAX ein fulminantes Geschepper an klassischem Hardrock auffahren, wie, als wenn sie direkt den Siebzigern entstammen würden, dabei häufig Psychedelika einstreuen und die schweißtreibende Show mit abgedrehten Soli würzen. Wie um das zu unterstreichen wird eine weitere Covernummer, dieses Mal 'Maybe I'm A Leo' von DEEP PURPLE, rausgehauen, die durchaus exemplarisch für das BITCHWAX'sche Soundgemisch stehen kann. Chris Kosnik, der sich ja auch bei den großartigen BLACK NASA und GODSPEED verewigte, hält dabei das Zepter jederzeit fest in der Hand. Nachdem dann auch der letzte Stagediver den Absprung geschafft hat, ist zwar der Hauptteil des Abends beendet, DJ-Mucke wird aber noch über den Zeltplatz hallen, bis der Morgen schon wieder graut.
[Stephan Voigtländer]

Leider hat dem SFTU auch noch der Ersatz des Ersatzes von MUSTASCH und WITCHCRAFT, nämlich ORANGE SUNSHINE, kurzfristigst abgesagt. Das bleibt als bitterer Nachgeschmack, für den aber die Organisatoren nix können. Die Trauer wird weggeschlafen und ein dickes Katerchen weckt die übernächtigte Gemeinde.
[Mathias Harz]

Redakteur:
Stephan Voigtländer

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