Shining - Berlin

09.12.2007 | 18:06

06.12.2007, K17

Wir haben schon jede Form von Kunstblut gesehen. Brennende Kirchen auch. Selbst zerstochene Leichen und Stücke von Gehirn gab es schon. Wie also noch im Black Metal provozieren? SHINING haben auf diese Frage während ihre aktuellen Tour eine ganz eigene Antwort gefunden: Sie nehmen die Homophobie in der Szene auf die Schippe, die gefühlte Ablehnung von schwulen Lebensweisen durch breite Teile der extremen Metal-Szene. Protagonist dieses besonderen Schauspiels ist SHINING-Frontmann Niklas Kvarforth, der sich während des Gigs immer einmal zu Fans in der ersten Reihe herunterbückt - und sie einfach auf den Mund küsst. Oder sie auch einfach mal als Trottel beschimpft, wenn sie ihre Black-Metal-typischen Fanschreie ablassen - worauf sie wieder jubeln. Das Bild vom Meister und seiner blinden Herde, im K17 drängt es sich einige Male auf.

Außerdem darf in dem Berliner Metal-Club der Unterschied zwischen Hausmannskost-Musik und innovativ-extravaganten Kapellen konstatiert werden: An jenem Nikolaus-Donnerstag ist er schon an der rein geographischen Entfernung der auftretenden Bands untereinander abzulesen. Das liegt daran, dass mit SHINING und SKITLIV der Headliner und die erste Band des Abends aus Norwegen kommen, dem Land steter musikalischer Revo- und Evolution. HELLSAW als Mittelstück des Konzerts kommen dagegen aus Österreich und klingen wie deren Nationalmannschaft allenfalls durchschnittlich. Klar, der erste Höreindruck ist ganz nett: Recht rauer Black Metal mit einer gehörigen BATHORY-Schlagseite wird geboten. Die Songs haben "bedeutungsträchtige" Titel wie 'Might and Hate' oder 'Execution', ein paar Fans vor der Bühne feiern sie sogar ab. Doch letztlich stellt sich mit zunehmender Dauer des Gigs das Gefühl ein, jede nächste Melodie schon Sekunden vorher zu kennen: Musikalische Überraschungen gibt es nicht. Mit 'Hate - War - Victory' beenden die Alpenländler ihren Gig - und sind schon wieder aus dem Sinn. Nur ihre lustige Black-Metal-Schminke bleibt in Erinnerung.

SKITLIV und SHINING haben solche Farbe im Gesicht nicht mehr nötig. Sie funktionieren anders. SKITLIV zum Beispiel spielen extrem doomigen Black Metal, mit ein wenig Elektronik versetzt klingen sie extrem sick und bösartig. Und SHINING sind so und so eine Kategorie für sich: Frauengesang leitet ihren Gig ein, Niklas kniet mit dem Rücken zum Publikum, bewegt sein Hände als wolle er meditieren. Dann plötzlich steht er auf, spuckt Blut. Und beginnt zu klaustrophobisch-elegischem Black Metal seinen Tanz des Wahnsinns, den er mit einer über dem Publikum verkippten Flasche Met eröffnet. Seinen ohnehin überall tätowierten Oberkörper hat er für den Abend passend bemalt: In großen schwarzen Lettern steht dort "Fuck Rock Hard", wohl ein eindeutiges Statement zu Deutschlands großem Metal-Magazin. Seine Band und das Heft stehen also offenbar auf Kriegsfuß, wohl wegen des äußerst umstrittenen Suizide-Image, das SHINING für sich selber kreiert haben. Doch heute ritzt Niklas sich nicht seine heftig vernarbten Oberarme auf, heute lässt er allein sein schauspielerisches Talent und die Musik seiner Band für sich sprechen. 'Lat Oss Ta Allt Fran Varandra' ist einer dieser magischen Songs, die ohne Umwege ins Zwischenhirn kriechen und dort verharren. Oder 'Yttligare Ett Steg Närmare Total Jävla Utfrysning'. Es sind solche Stücke, die die ganze Beseeltheit, die entrückte Kreativität und die besessene Atmosphäre in sich vereinen, die das diabolische Team von SHINING zu einer der dunkelsten Höllen-Gespanne dieser Tage machen. Dazu überrascht Niklas immer wieder: Manchmal umarmt er einen der Fans in der ersten Reihe, um ihn im nächsten Moment brutal wegzustoßen, als wolle er sofort zuschlagen. Oder er küsst ihm zujubelnde junge Männer mit einem wahnsinnigen Lächeln auf ihren Mund, spielt lasziv an ihren Haaren. Irgendwann kommt für einen Song ein dicklicher und blondierter Typ auf die Bühne: Maniac, der Sänger von SKITLIV und frühere Frontmann von MAYHEM. Damals sah er aus wie MARILYN MANSON, heute eher wie BILLY IDOL ... zusammen kreischen er und Niklas in zwei Mikros, saufen dabei eine mitgebrachte Jägermeister-Flasche, küssen und betatschen sich. Das Publikum jubelt trotzdem, schreit.

Vor allem die Black-Metal-Puristen in der ersten Reihe werden in der Folge von Niklas immer wieder beschimpft, als Poser und so weiter. Doch die Jungs scheinen ihr Hirn zu Hause gelassen haben und jubeln weiter, ohne wirklich zu merken, dass sich der SHINING-Frontmann über sie einfach nur lustig macht. Niklas kann so mit ihnen anstellen, was er will: Irgendwann trinkt er Whiskey und lässt seinen Mundinhalt in langen Fäden in die geöffneten Münder der ersten Reihen laufen. Begierig öffnen die Fans ihre Münder. Als Niklas' Flasche alle ist, rennt er fix von der Bühne runter zur nahen Bar, dort warten neue Schnapsgläser auf ihn - der Abend wird zum Alkohol-, statt zum (Eigen-)Blut-Exzess. Und zwischen seinen fortgesetzten Männer-Flirtereien zeigt Niklas schließlich auch, dass er auf Frauen steht: Noch einmal geht es runter von der Bühne auf der Seitentreppe in den Zuschauerraum, in dem er sich ohne größere Vorauswahl die erstbeste Blondine schnappt. Das Mädchen lässt sich von ihm auf die Bühne schleppen, wird geküsst, dann brutal in die Hocke gestoßen, dass ihr Kopf ganz nah zwischen seinen Beinen verharrt. Und kurz darauf, da lässt Niklas sie einfach auf der Bühne stehen und spielt in der Folge lieber selbst an sich herum, mit der Hand im Schritt. Das blonde Mädchen steht bald wieder unten, schaut gedankenverloren auf die Bühne. Kopfkino. Und ein Indiz mehr, dass SHINING, so verrückt und krank sie auch sind, großartige Manipulatoren menschlicher Regungen sind, mithin eine der bizarrsten und authentischsten Black-Metal-Bands der Gegenwart.

Redakteur:
Henri Kramer

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