Popkomm-Festival - Berlin

03.10.2006 | 12:38

22.09.2006, Kulturbrauerei

Dass die Musikmesse Popkomm vor drei Jahren von Köln nach Berlin gezogen ist, tangiert das Nicht-Fachpublikum eher weniger. Aber das dazugehörige Festival bietet den Hauptstädtern auch in diesem Jahr wieder ein abwechslungsreiches und qualitativ hochwertiges musikalisches Rahmenprogramm für wenig Geld. In der Kulturbrauerei kann der Musikfan zum Kombipreis von 35 Euro in acht verschiedenen Hallen drei Tage lang durchfeiern. Weniger Ausdauernde sind mit 15 Euro pro Abend immer noch gut bedient und haben dabei freie Auswahl von Pop bis Metal. Ich zähle in meinem nicht mehr ganz so jugendlichen Alter zu letzteren und finde daher lediglich am dritten Tag den Weg in diese stimmungsvolle Location. Auf dem mit Bierbänken übersäten Innenhof genießen auch Nicht-Festivalbesucher die laue September-Nacht, während an ihnen vorbei ein stetiges Kommen und Gehen zwischen den einzelnen Hallen herrscht. Da mich die vier Bühnen in Wacken schon überfordern, picke ich mir von vornherein nur zwei der acht Veranstaltungsorte heraus: Den kleinen und gemütlichen Club 23, in dem heute "Metal" auf dem Programm steht, und zu später Stunde das Kesselhaus, dessen "Dutch Night" von THE GATHERING gekrönt wird.

Die für 20 Uhr angesetzten SUBCONCIOUS verpasse ich leider, denn obwohl ich deutlich vor 21 Uhr im Club 23 ankomme, ist die Spielzeit der einzelnen Acts offenbar auf 30 Minuten beschränkt. Dafür betreten SABATON mehr als pünktlich die kleine Bühne und untermauern ihren Ruf als erstklassigen Liveact. Zwar erfinden sie mit ihrem traditionellen Heavy Metal das Rad nicht neu, wissen diesen jedoch überzeugend zu vermitteln und garnieren ihre - soweit auf dem beengten Raum möglich - bewegungsreiche Bühnenshow mit ein paar schenkelklopf-würdigen Ansagen, die zwar nicht nur leicht unter die Gürtellinie zielen, aber gerade deswegen fast schon Kult-Charakter haben. "Was würdet ihr dazu sagen, wenn ich ein Lied über meinen Penis singen würde?", fragt der mit einem schmucken Brust-Panzer-Shirt bekleidete Fronter. "Es heißt 'Rise Of Evil'!" Die Einleitung zu 'Into The Fire' fällt sogar unter die Rubrik "nicht jugendfrei", weshalb ich sie besser nicht wortwörtlich zitiere - stellt euch einfach eine abstruse Geschichte über eine Hitzewallungen verursachende Geschlechtskrankheit vor und ihr seid auf dem richtigen Weg. Ob man derart schwanzgesteuerten Ansagen mag oder nicht - das anfangs noch sehr verhalten rockende Publikum taut zusehends auf, und SABATON erhalten im Refrain von 'Primo Victoria' sogar recht stimmgewaltige Unterstützung aus den vorderen Reihen.

Dreißig Minuten später wandert das Mikrophon von Schweden nach Finnland. DIABLO, die heute ihre Deutschland-Premiere feiern, sind so etwas wie die Suomi-Version des Göteborg-Death-Metals. Melodische Gitarren-Leads untermalen die irgendwo typisch finnischen Keif-Stimme des knuffigen Sängers, der trotz der Doppelbelastung Gitarre/Gesang die Lyrics auch noch mit lebhafter Mimik und kleinen Gesten untermalt - ich liebe so was! Und nachdem anfangs genau sechs Fans am Bühnenrand die Band lautstark abfeiern, füllt sich das Loch hinter ihnen nach und nach - was neben der engagierten Bühnenshow und den sympathischen Ansagen vor allem an den tollen Songs liegt, die sich der Fünfer aus den Handgelenken schüttelt. A propos Ansagen: Schaut euch mal die Setliste bei den Fotos an. Offenbar war Rainer Nygård im Vorfeld so nervös, dass er nicht nur die zu spielenden Songs, sondern auch die dazugehörigen Ankündigungen zu Papier gebracht hat. Inklusive "We're DIABLO from Finland" und "Thank you". Drollig! Auch der Gag, dem Publikum ein finnisches Wort beizubringen, ist genau skizziert, wobei "Perkele" - wie mir eine Finnin später erklärt - eher unter die Kategorie "Schimpfwort" fällt. Kennt ihr die Szene aus "My Big Fat Greek Wedding - Hochzeit auf Griechisch", wo der werdende Bräutigam von seinem zukünftigen Schwager an der Nase herum geführt wird, indem er lauthals Wörter in der für ihn fremden Sprache nachplappert, die eine völlig andere Bedeutung haben als er annimmt? Vermutlich lacht sich Rainer heimlich ins Fäustchen bei dem Gedanken, zu welchen unpassenden Gelegenheiten seine Fans "Perkele" wohl eines Tages anbringen könnten.

Nach diesem amtlichen nordischen Doppelpack fällt die Entscheidung, welcher Band in welcher Halle ich jetzt meine Gunst schenken soll, schwer. Nein, nicht weil jetzt zwei Hochkaräter gegeneinander antreten, ganz im Gegenteil. Ich versuche es zunächst mit dem für meinen Geschmack etwas zu poppigen Rock von KREZIP, der das Kesselhaus allerdings gut zum poppen, äh, tanzen bringt. Die Holländer haben gleich drei hübsche Grazien in ihren Reihen und sind im weitesten Sinne eigentlich der perfekte Anheizer für THE GATHERING, können mich allerdings nicht lange bei der Stange halten.

Ich riskiere daher nochmals ein Blick zurück in den Club 23, nur um festzustellen, dass nicht alles, was aus Finnland kommt, unbedingt gut sein muss. SHADE EMPIRE kredenzen den inzwischen etwas lichteren Reihen eine gesichtslose Melodic-Black-Metal-Mixtur, die vor allem an dem belanglosen, aber umso lauteren Keyboardgeklimper krankt. Es liegt sicher nicht nur an den Killernieten des Fronters, dass für Blackmetal-Fetischisten zwar zu viel Weichspüler (klare, ganz akzeptable Gesangspassagen inklusive) zum Einsatz kommt, das ganze für das Gros des Publikums aber trotzdem noch zu "keif" und "schrammel" klingt. Also zurück ins Kesselhaus ...

... So jedenfalls mein Plan, der jedoch fast an der urplötzlich rigiden Einlasspolitik der Sicherheitskräfte scheitert. Ich sehe mich im Geiste schon zu BIF NAKED im Palais rocken statt zu THE GATHERING im Kesselhaus schwelgen. Aber irgendwann gehen die Türen doch wieder auf, und da es drinnen eigentlich gar nicht so voll ist, wie befürchtet, verstehe ich die Aktion im Nachhinein auch nicht so ganz.

Ein echter Headliner darf aber auch das - sein Publikum warten lassen nämlich. Eine halbe Stunde nach Plan betreten die Holländer die Bühne und steigen mit 'Shortest Day' in ihr einstündiges Set ein. Und wieder einmal wird mir bewusst, warum ich die männlichen THE GATHERING-Mitglieder niemals auf der Straße erkennen würde: Weil diese tänzelnde, lächelnde, hibbelige, dramatische, charmante, verträumte, rockende, leidende, dauergrinsende und vor allem sooo stimmgewaltige Dame hinter dem Mikro sofort alle Augen auf sich zieht und man daraufhin keinen Blick der Sorte "den schenke ich dir ganz persönlich", keine in sich versunkene Geste, keinen ausgelassenen Hopser mehr verpassen möchte. Aus den Augenwinkeln nimmt man zwar wahr, wie entspannt und lässig das jüngste Bandmitglied Marjolein Koojiman (auch eine hübsche Frau, aber eben eher eine Stille) den Bass zupft, wie René Rutten an der Gitarre kurz den Rocker raushängen lässt, wie Frank Boeijen von seinem Keyboard runter zu einer Art Mini-Mischpult vor den Füßen und zurück lustige Verrenkungen macht ... Aber der imaginäre innere Scheinwerfer ruht dennoch die ganze Zeit auf der bezaubernden Anneke van Giersbergen, die egal mit welcher Haarfarbe (aktuell: rot) und in welchem Outfit (heute: schneeweiß) ein Geschenk Gottes an alle Musikliebhaber dieser Welt verkörpert. Während süßliche Rauchschaden durch das Publikum ziehen, schaffen es THE GATHERING sogar, zwei meiner persönlichen Lieblingshits in der viel zu kurzen Setlist unterzubringen. Die 'Liberty Bell' ertönt glasklar, und diese sanfte Passage in 'Waking Hour', in der Annekes Stimme sehr hoch und sehr zerbrechlich, fast ohne instrumentale Begleitung, mich auf CD fast zu Tränen rührt, stellt auch live einen der vielen Höhepunkte dieses wie immer phantastischen Konzerts dar. Und allen "wir haben mit Metal nichts (mehr) am Hut"-Statements zum Trotz, bildet das verhältnismäßig heftige 'Eleanor' den Rausschmeißer, und es ist herrlich zu sehen, dass die Band auch heute noch Spaß an dieser Nummer hat - genau wie ihre Fans. Großartiges Konzert, ganz großartig!

Auch unser Fotograf und Gastautor zeigt sich ähnlich begeistert, weshalb seine Eindrücke an dieser Stelle ebenfalls wiedergegeben werden sollen.
[Elke Huber]

Im März musste ich fast weinen, weil die heiß ersehnte Tour von THE GATHERING wegen Krankheit ausfiel. Am Freitag sollten sie nun endlich, lange nach der Veröffentlichung des Albums "Home", in Berlin spielen. Die Vorfreude und Erwartungshaltung sind groß, schließlich ist es neben Hamburg das einzige Deutschland-Konzert in diesem Jahr. Die für mich beste Band der Welt wird spielen! Ich stehe herum, lasse die anderen holländischen Bands an mir vorbei rauschen, schaue ein wenig auf der Metal-Stage vorbei und bin in Gedanken eigentlich nur auf der Reise irgendwo zwischen "How To Measure A Planet?" und "Souvenirs".

Beim Herausgehen erspähe ich René und stoße dabei fast mit Anneke zusammen. Ihr Gesichtsausdruck erzählt mir "Ich habe ein 18 Monate altes Kind, das all meine Kraft kostet, ich habe kaum geschlafen, ich muss jetzt arbeiten". Als die Band gegen Mitternacht endlich die Bühne betritt, ist davon nichts mehr zu sehen und zu spüren. Anneke strahlt, und ihre Energie und Freude springen sofort aufs Publikum über. Die beiden eher stillen Eröffnungstracks 'Shortest Day' und 'In Between' entfesseln live erst ihre volle Wirkung und ziehen das gemischte Pokomm-Publikum sofort in ihren Bann. Da ist es wieder, das THE GATHERING-Gefühl: Diese Show ist ganz für dich allein! Dieses bezaubernd schöne, hyperaktive Energiebündel mit einer Stimme aus purem Gold hat wirklich für jeden Fan einen Blick übrig. Ich versuche standhaft zu bleiben und auch die anderen Bandmitglieder abzulichten, aber wie ein Magnet zieht Anneke mein Objektiv immer wieder an.

Bei 'Liberty Bell' meldet sich mein Bauchgefühl, genauer gesagt lässt der Bass mein Zwerchfell schwingen. Ich nehme mir einen Moment Zeit und widme meine Aufmerksamkeit Marjolein. Sie scheint ganz in die Musik eingetaucht zu sein, spielt dezent, aber gleichzeitig unheimlich druckvoll. Es ist beeindruckend, wie perfekt diese so zierliche und ausgesprochen niedliche Frau in die Band passt, sowohl vom Sound als auch von der Ausstrahlung und Leidenschaft.

Mit 'Eleanor' wird der Saal nochmal zum Kochen gebracht, bevor die Band grinsend von der Bühne stolpert. Leider sind 50 Minuten THE GATHERING pro Jahr sind einfach zu wenig. An das großartige Konzert 2004 in der Passionskirche kommt dieser kurze Auftritt auch nicht heran, die Band selbst zählt dieses Konzert zu den fünf besten Shows dieser Tour. Die Auswahl der Songs auf der Popkomm ist gut, aber viel Zeit für Improvisationen und die von mir so heiß geliebten Effekt-Exzesse an der Gitarre bleibt leider nicht. So steht man leicht entrückt nach dem Konzert herum, der letzte Song hallt im Kopf nach und es wäre viel zu schade dieses beglückende Gefühl mit einer der nachfolgenden Bands zu zerstören.
[Gastautor Thomas Mellenthin]

Setlist:
Shortest Day
In Between
Liberty Bell
Probably Built In The Fifties
Even The Spirits Are Afraid
Saturnine
Monsters
Waking Hour
Eleanor

Als zZz die Bühne zu vorgerückter Stunde betreten, ist auch mir mehr nach "zzz" im kuschligen Bett als nach der - wie es aussieht - holländischen Variante von Mambo Kurt zumute. Zumindest besteht diese Formation nur aus einem Hammondorgel-Spieler und einem singenden Schlagzeuger. Ganz so gaga wie unser Mambo tönt das ganze zwar nicht, aber die beiden THE GATHERING-Ladies, die sich unter das inzwischen sehr spärliche Publikum mischen, sehen ziemlich nach "Partylaune" aus. Danke, ich hab für heute genug gefeiert!

Redakteur:
Elke Huber

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