OPETH und PAATOS - Hamburg
07.10.2025 | 12:2229.09.2025, Laeiszhalle
Meisterhafter Dunkelprog in neobarocken Gemäuern.
Eigentlich habe ich nun wirklich (fast) alle relevanten Hamburger Locations durch, was meine Besuche und Live-Reviews seit meinem Redaktionsstart Anfang 2024 betrifft. Eine altehrwürdige Venue steht allerdings noch aus. Und wenn das Wörtchen "altehrwürdig" den Nagel zu hundert Prozent auf den Kopf trifft, dann ist es eben die Laeiszhalle (ehemals Musikhalle), wo sich in den 70er Jahren in Ermangelung damals nichtexistierender Mehrzweckhallen legendäre Rockacts die Klinge in die Tür gegeben haben.
Beispiele gefällig? QUEEN, AC/DC, BARCLAY JAMES HARVEST, PINK FLOYD oder auch MEAT LOAF, der seinerzeit noch mit einer vollgetankten Harley Davidson vom Backstagebereich erst auf die Bühne und anschließend über eine Rampe bis in den ersten Rang geknattert ist. In Zeiten rigider Sicherheits- und Brandschutzauflagen wäre diese Aktion heutzutage wohl völlig undenkbar!
Heute (wie auch damals) wird die Örtlichkeit fast ausschließlich nur noch für klassische Konzerte oder in Ausnahmefällen für Rockbands mit nicht allzu viel Distortion in den elektrischen Instrumenten genutzt. Ich selbst habe hier in den 90ern einmal DEAD CAN CANCE und in der jüngeren Vergangenheit zweimal den ehemaligen GENESIS-Gitarristen STEVE HACKETT bestaunen dürfen.
Doch genug der altklugen Vorrede. Heute haben sich die schwedischen Prog Death-Künstler von OPETH für eben jenes traditionsreiche Konzerthaus als Spielort entschieden. Wie ich im Vorfeld höre, hat sich die Band für die anstehende Tour aber nicht nur in Hamburg einen etwas untypischen und außergewöhnlichen Ort ausgesucht. Also schnell noch einen Blick auf die Eintrittskarte geworfen, um zu schauen, in welcher Reihe und auf welchen Stühlen meine Begleitung und ich denn Platz nehmen dürfen. Jaja, ihr habt richtig gehört. Es handelt sich hier natürlich um eine komplett bestuhlte Veranstaltung. OPETH im Sitzen? Wie zur Hölle soll denn das (auf Konzertlänge) funktionieren?Ich bin da zunächst auch etwas ratlos, schaue aber mal anhand der Vorband PAATOS, ob das ganze Vorhaben hier am Ende denn von Erfolg gekrönt sein wird. Es handelt sich bei besagter Gruppe um eine schwedische Progressive Rock-Band, die 1999 aus den Gruppen LANDBERK und ÄGG hervorgegangen ist und sich 2016 zwischenzeitlich aufgelöst hatte. Ich meine, zumindest den Namen irgendwann und irgendwo schon einmal aufgeschnappt zu haben, weiß aber tatsächlich überhaupt nicht, was genau musikalisch mich und die anderen Anwesenden hier heute erwarten wird.
Leider bestätigt sich meine anfänglich geäußerte Befürchtung, dass das aus rein klangtechnischer Hinsicht hier eine ziemlich riskante Entscheidung gewesen sein könnte. Das Schlagzeug klingt irgendwie "pappig", der ohnehin schon sehr extravagante Gesang von Petronella Nettermalm ist alles andere als glücklich abgemischt und auch sonst wird hier im großen Rund bei extrem hohen Decken so mancher Ton auf Nimmerwiedersehen verschluckt.Der musikalische Bauchkasten, dessen die Band sich bedient, ist dabei wahrlich ziemlich prall gefüllt. Progressive Rock (mich hier und da irgendwie an VAN DER GRAAF GENERATOR erinnernd) trifft auf Alternative Rock. Das Ganze ist abgeschmeckt mit latenten Elementen aus dem Jazz/Fusion und dem Trip Hop und wird dann abschließend nochmals ein wenig durch den Melancholie-Mixer gerührt. Klingt krude und seltsam? Vielleicht, aber auch nach einer guten halben Stunde Auftritt bleibe ich doch etwas ratlos und fragend zurück und kann noch nicht einmal mit Gewissheit sagen, ob ich das Gehörte und Gesehene final nun doch eher in der Plus- oder Minus-Schublade ablegen soll.
Solche Momente soll es ja aber gemeinhin geben, und so nehme ich mir einfach vor, mich zuhause noch einmal eingehender mit der Band zu beschäftigen, denn als "kalter" Erstkontakt war das am Ende der Performance sogar für meine über die Jahrzehnte gut geschulten Ohren doch ein klein wenig too much und der künstlerischen und musikalischen Überforderung etwas zu viel, aber das bedeutet ja zum Glück erst einmal überhaupt nicht Schlechtes.In der Umbaupause genehmige ich mir das obligatorische Pausengetränk, während dem ich mal meinen Blick weitläufig über die Flure schweifen lasse. Gestandene Mannsbilder in langen Mähnen und Kutten, Damen in Black Metal-Shirts und Cowboystiefeln. Und das alles eingerahmt in dieser auch innen neobarock ausgeschmückten Atmosphäre, das hat was! Nach einem kurzen Pläuschchen mit meiner mich heute (ganz spontan!) begleitenden "Metal-Sister" und Fotografin Taina geht es dann wieder zurück auf den angestammten Sitz. In freudiger Erwartung, was denn da nun auf uns alle zukommen mag.
Bereits im Februar hatte ich das wunderbare Vergnügen, OPETH live erleben zu dürfen, und es war seinerzeit nicht weniger als eine "Lesson In Perfection". Von daher war die Messlatte also bereits ziemlich hochgelegt. Bevor sich aber überhaupt jemand auf der nun für den Hauptact doch weit größer angelegten Bühne einfindet, ertönt von Band erst einmal die Intro in Form von APHRODITE'S CHILD's 'Seven Bowls'. Augenscheinlich ist auch hier und heute derselbe geniale Sound- und Lichtmischer am Start wie Anfang des Jahres bei dem Konzert im Docks, obwohl zumindest im Soundbereich auch bei den Schweden noch nicht alle Schieberegler in der hier korrekten Anordnung zu sitzen scheinen. Aber das mag, wie anfangs bereits erwähnt, wohl eher der etwas außergewöhnlichen Lokalität geschuldet sein. Zum Thema Licht: Ich sitze zwar dummerweise so, dass mir einer der richtig grellen Scheinwerfer wie eine zehnfache Autofernlicht-Dosis genau ins halboffene Augenpaar leuchtet, aber davon abgesehen ist das hier auch im weiteren Verlauf des Abends wieder einmal allerfeinstens abgemischtes Augenkino auf Top-Niveau.
Mit '§1' vom aktuellen Album "The Last Will And Testament" wird dann der musikalische Reigen auch eröffnet, gefolgt von 'Master's Apprentices'‚ 'The Leper Affinity' und '§7'. Also exakt derselbe Start wie bei dem ersten Teil der Tour zum neuen Album. Bei DER Fülle an Übersongs, die sich im Laufe von nun sage und schreibe fünfunddreißig Jahren Bandhistorie angesammelt haben, darf man doch auch gerne ein wenig Variation in der Setliste erwarten, finde ich. Indes begrüßt der wie immer bestens aufgelegte Mikael Åkerfeldt das Publikum mit einem wie immer humorvollen "Hello Frankfurt". Die Band sei durch die Bank ein wenig kränklich unterwegs, daher wüsste man also nicht immer, wo genau man sich gerade befindet. Des Meisters wohltuend einzigartiger Humor, der ihn zum Glück von sehr vielen seiner Frontmann-Kollegen unterscheidet. Dabei ist das heute doch aber erst der Auftakt der "The Last Will And Testament"-Tour, zweiter Teil.Darüber hinaus scheint man mein lautes Denken dort vorne wohl erhört zu haben, da mit der 70ies Prog-Verbeugung 'The Devil's Orchard' und dem wunderbar unkitschig-sentimentalen 'To Rid The Disease' nun doch zwei "frische" Songs dargeboten werden. Sehr schön, geht doch! Ich schaue mich derweil mal ein wenig um und stelle nicht besonders überrascht fest: Nicht nur ich würde mich jetzt gerne einmal ein wenig mehr bewegen. Verhaltenes und schüchternes Kopfnicken im Sitzen allerorten. Die armen hier in Zwangsruhe genötigten Metalheads, mich selbst eingeschlossen. Fehlt eigentlich nur noch stilecht die entsprechende Zwangsjacke.
Nützt aber alles nichts, also geht es mit einem der allergrandiosesten Black Metal-Longtracks dieses Planeten weiter, dieses Stück hört auf den Namen 'The Night And The Silent Water' und befindet sich auf der zweiten Scheibe "Morningrise". Angekündigt wird die Nummer im Übrigen sinngemäß mit den Worten: "Der Song klingt in etwa so wie die Atmosphäre hier in diesem Haus." Da ist schon was dran. Davon abgesehen: Was für ein verdammtes Meisterwerk und Monster von Song das noch immer ist!
Mit dem 3er-Paragraphen kommen die Schweden dann nochmals auf die aktuelle Scheibe zurück. Offensichtlich wird auch Åkerfeldt sich langsam der Tatsache bewusst, dass das Heer an OPETH-Jüngern da unten zwar eine ganze Menge Spaß hat, was sich zweifelsohne an den lauten und euphorischen Reaktionen zwischen den Songs ablesen lässt, aber mit der zwangsverordneten Bewegungseinschränkung nicht so wirklich lässig umzugehen weiß. "Hey guys, there is no absolute need to keep sitting, you lazy asses!" Der gute Mann bringt es mit seinem ihm ganz eigenen Humor wieder einmal treffend auf den Punkt.
Bevor dann mit 'Heir Apparent' und 'Ghost Of Perdition' der reguläre Teil des Abends beendet wird, informiert uns Mr. Åkerfeldt über die morgige Location auf dem Tourplan: "Luxembourg, the centre of Heavy Metal!" Noch weitere Fragen dazu? Mittlerweile habe ich auch meinen persönlichen Frieden mit dem Hallensound gemacht, dem talentierten Bandmischer sei wohl Dank!
Nachdem die Band nach dem verdienten tosenden Applaus noch einmal die Rückkehr antritt, referiert der Meister noch kurz über das anfänglich äußerst schwierige Verhältnis zum deutschen Publikum, welches in den Anfangstagen nur in sehr spärlicher Anzahl zu den Konzerten erschienen ist. Kann ich selbst leider nicht bestätigen, da mein "erstes Mal" relativ spät gewesen ist. 2003 in der Bochumer Matrix war das, und selbst "damals" hat die Band schon eine Menge Leute gezogen.
'Deliverance' heißt die Zugabe auch hier wie schon vor einigen Monaten. Falsch machen kann man mit so einem Hammersong natürlich nicht viel. Sehen nun endlich auch alle anderen hier im nicht ganz ausverkauften Haus so, die sich nun zu guter Letzt aus ihren Theaterstühlen hochhieven und wenigstens noch einmal ein wenig gutes, altes Headbanger-Feeling aufkommen lassen, wenn auch nur für einen Song.
Fazit des Abends: Vermutlich wären OPETH hier zu Zeiten ihrer "Progphase" noch ein wenig besser aufgehoben gewesen, denn verzerrte Instrumente mit viel Dampf und Druck in Denselbigen entfalten ihre ganze Kraft dann eben doch besser in dafür ausgelegten Häusern. Und 90 Steine für die teuerste Kategorie ist und bleibt zumindest diskussionswürdig, aber das mit der Preisentwicklung ist und bleibt bekanntlich ein altes, leidiges Thema. Unterm Strich ein toller, außergewöhnlicher Abend. Im direkten Vergleich zum Clubkonzert im Februar geht die Version heute allerdings als knapper Verlierer hervor.
Setliste: Intro / Seven Bowls (APHRODITE'S CHILD); §1; Master's Apprentices; The Leper Affinity; §7; The Devil's Orchard; To Rid The Disease; The Night And The Silent Water; §3, Heir Apparent; Ghost Of Perdition; Zugabe: Deliverance
Text: Stephan Lenze
Photo Credit: Taina (Petrunella) Keck
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