Metalcamp - Tolmin (SLO)

08.09.2006 | 06:51

21.07.2006, Festivalgelände

Sonntag, 23.07.

Auch am letzten Festivaltag tut uns die unbarmherzige Sonne keinen Gefallen und brezelt schon in aller Frühe mit voller Vehemenz aufs Zelt. Da hilft selbst eine Flucht ins Freie nichts, denn der Schatten neben dem Zelt verschwindet allmählich auch. Während sich Caro schon zum Abkühlen an den Strand begibt, tingele ich noch kurz in die Stadt, um mich mit etwas Essbarem, ein paar Bier und Zigaretten einzudecken - wenn die Dose Gerstensaft umgerechnet 60 Cent kostet und die Stange Kippen mit knapp über 20€ so billig ist wie sonst im Duty-Free-Shop, muss das einfach sein. Und danach noch ein bisschen am Fluss chillen, hachja...

MELY

Die Kärntner von MELY haben dann die Ehre, den letzten Festivaltag zu eröffnen - und wie! Bisher kannte ich die Jungs nur von ihrem Album "Reel Through My Wave", das ich sehr, sehr ordentlich finde. Aber was mich hier auf der Bühne erwartet, ist ja fast der schiere Wahnsinn! Natürlich hat die Band damit zu kämpfen, dass nicht gerade Massen vor der Bühne rumtoben, aber für die Uhrzeit und die Tatsache, dass das hier der letzte Festivaltag ist (wir mutmaßen einfach mal, dass die restlichen Festivalbesucher gestern ähnlich voll waren ;-)), ist schon ordentlich was los. Insbesondere nach dem tollen Intro '1' und dem anschließenden Platten-Opener 'Dust', der sich live als wahre Granate entpuppt. Sänger Andreas ist nicht nur bestens bei Stimme, sondern klingt auch deutlich aggressiver als auf Band, und so bekommen die düster rockenden Kompositionen der Süd-Ösis einen richtig heftigen Touch ab, der ihnen perfekt zu Gesicht steht. Natürlich klingt da irgendwo ein bisschen SENTENCED, eine Prise TYPE 0 NEGATIVE oder auch eine Inspiration namens PARADISE LOST heraus, aber insgesamt gesehen finde ich die Truppe heute nicht nur extrem eigenständig, sondern vor allem auch verdammt mitreißend und überraschend souverän - erstaunlich, wie schnell riesengroße Nervosität in eine perfekte Bühnenperformance umschlägt. Wenn's dann richtig hoffnungslos, doomig und dunkel wird, mag man fast vergessen, dass einem die Sonne gerade richtig ordentlich auf die Birne zwiebelt. Absolut grandioser Einstand. Und Leute: merkt euch diese Band!

MYSTIC PROPHECY

Danach kann ich erst einmal wieder ruhig Platz nehmen und 'ne Pizza mampfen, denn MYSTIC PROPHECY hauen mich nicht besonders aus den Socken. Klar, ist 'ne feine Sache, dass die Deutschen nicht quieken, trällern und kitschen, sondern wirklichen Power Metal mit dicken Eiern spielen, aber nach dem tollen Gig von MELY und in Anbetracht dessen, was heute noch kommt, gönn' ich mir lieber mal 'ne Pause und schau mir den Auftritt von der Seite aus an. Sitzend. Sehr schön, dass sich mittlerweile deutlich mehr Leute vor der Bühne eingefunden haben, und spätestens beim MANOWAR-Cover 'Fighting The World' (musste das sein?) können die Fünf auch die ersten Chöre der Fans vernehmen. Schicke Sache, reißt mich aber alles nicht vom Hocker - zumindest heute nicht, denn da kommt noch zu viel Geiles auf mich zu. Kräfte sparen.

CATARACT

Dasselbe gilt für die Schweizer von CATARACT - gegen HEAVEN SHALL BURN haben die Eidgenossen in meinen Augen und Ohren eh keine Chance, und so bin ich froh, dass ich mich bis zum nächsten Pflicht-Mosh-Termin bei GOREFEST noch ein bisschen auf meinem Sitzfleisch ausruhen kann. Tut ja auch Not. Aber siehe da, so austauschbar und vorhersehbar wie erwartet sind die Metalcore-Recken ja gar nicht. Das groovt richtig gut, das hat 'nen breiten Arsch, das hat Power, das hat Eier und das gefällt dem Publikum. Zwar versetzen mich die Songs allesamt nicht in unkontrollierbare Jubelzustände, aber ich muss dem Fünfer zugestehen, dass sie eindeutig besser rüberkommen als ein Gros der aktuellen Metalcore-Fraktion. Heftiger Gig.

GOREFEST

So, jetzt wird's langsam sehr lecker. Auf GOREFEST hab ich mich nach dem grandiosen Auftritt in Wacken im letzten Jahr ganz besonders gefreut, insbesondere, da jetzt auch noch 'ne neue Scheibe am Start ist. Von der gibt's auch gleich mal 'For The Masses' und 'When The Dead Walk The Earth' auf die Fresse, wobei auffällt, dass Front-Bass-Grunzer Jan-Chris zwar immer noch schick schwarz gekleidet ist, aber dank ebenfalls schwarz gefärbten Haaren nicht mehr aussieht wie Heino ohne Brille. Eigentlich schade. 'Low' treibt den groovigen Death-Metal-Reigen weiter, man fragt sich, wer denn auf die Idee kam, mittlerweile strunzlangweiligen Truppen wie SIX FEET UNDER das Vorrecht auf Groove-DM gegeben hat. Und man ärgert sich, dass eine Truppe wie GOREFEST nie wirklich die Anerkennung und den Stellenwert in der Szene bekommen hat, den sie definitiv verdient. Leute, hört euch mal diese Riffs an! Diesen Drive! Diese unvergleichlichen Vocals - und vor allem die göttergleichen Doppel-Leads vom Paula-Duo Boudewijn und Frank! Gerade bei Songs wie 'Lie' wird das überdeutlich, wenn diese beiden musikalischen Magier zum Doppelschlag ausholen, dann mag man nur noch voller Genuss die Augen schließen und dieses musikalische Balsam auf die Seele wirken lassen. 'Mental Misery' vom Debüt kommt natürlich auch zum Zuge, genau wie der Übersong 'Reality - When You Die' vom "False"-Meilenstein.
Hach, was ist das schön! Vor lauter Staunen, Anhimmeln und Freude komme ich kaum zum Bangen, was aber gar nicht so schlimm ist. GOREFEST kann man nämlich ob ihrer musikalischen Klasse auch ganz ohne Ausrasten genießen. Einfach mal ausprobieren!

KATAKLYSM

Ein Highlight jagt das nächste: Während ich mir über diesen hypergenialen GOREFEST-Gig 'nen Wolf freue, machen sich schon die Kanadier von KATAKLYSM warm, um der Meute in Slowenien mal ein bisschen Hyperblast näher zu bringen. Lang ist's her, dass ich die Holzfäller livehaftig bewundern durfte, und so bin ich gespannt, wie sich denn die letzten vier grandiosen Longplayer so auf der Bühne machen. Heftig machen sie sich, das wird schon gleich zu Beginn klar, während ich mich noch ein bisschen nach vorne kämpfen darf. Spätestens bei 'Let It Burn' bin ich dann an einem zufriedenstellenden Platz angelangt, mitten in der wild abfeiernden Meute, die an KATAKLYSM scheinbar einen echten Narren gefressen hat. Hier wird jedes Break, jeder Blast, Verzeihung, Hyperblast, jeder Refrain abgefeiert als wäre es die Offenbarung des Herrn höchstpersönlich. Wahnsinn. 'As I Slither' splittet Schädel, verknotet Nacken und fordert gefühlte Todesopfer, der 'Ambassador Of Pain' ist da nicht zimperlicher, und bei 'Manipulator Of Souls' könnte ich selbst vor Begeisterung geradeheraus ausrasten. Yeah! 'In Shadows And Dust' scheint kaum noch zu toppen zu sein, aber gerade auf dieser Scheibe haben KATAKLYSM einen absoluten Übersong verewigt, der dann tatsächlich auch noch im Set auftaucht: 'Face The Face Of War', mitsamt dem endlos geilen, hochmelodischen Gitarrensolo. Raaah! Mehr gibt's eigentlich nicht zu sagen.

EDGUY

Alleine schon aus Lokalpatriotismus (Hessen! Wenn auch EDGUY aus Hessisch-Sibirien kommen...) müsste ich jetzt vor der Bühne verweilen, aber der verhangene Himmel, die Verausgabung bei KATAKLYSM sowie der Hunger und der (Bier)Durst ziehen mich dann doch wieder zurück vor das Band-Hotel, so dass ich mir den Gig von EDGUY eher seitlich denn frontal anschaue. Auch besser so, denn mein leckerer Gulasch hätte wohlmöglich noch als Dünger geendet, da es vor der Bühne mal wieder gerappelt voll ist. Lustiges Volk, diese Festivalbesucher hier in Slowenien: Egal was die größeren Bands am Abend stilistisch auch bieten, es ist immer gut gefüllt, die Stimmung ist absolut auf dem Siedepunkt und mehr geht eigentlich nicht. Vorbildlich, so soll das sein! Von den Blödelbarden selbst gibt's einen souveränen, perfekten Auftritt mit sämtlichen Klassikern und neuen Stücken, wobei für meine Begriffe Evergreens wie 'Vain Glory Opera' oder 'Babylon' am meisten Laune machen. Aber auch Unvermeidliches wie 'Lavatory Love Machine' und die 'Superheroes' kommen super an, die Mitsingspielchen werden begeistert aufgenommen, und sogar eine Deutschstunde (sind halt auch viele Schweizer, Österreicher und ein paar Deutsche hier, Tobi ;-)) in Sachen "Ficken" - was sonst - findet viel Zuspruch. Zu guter Letzt beauftragt uns Frontkasper Tobi noch damit, die deutschen Kollegen von KREATOR mit "Oléee, olé, olé, olé"-Sprechchören zu empfangen, was großen Zupruch findet und ausgiebig geprobt wird. Welch obskurer Scherz hier dahintersteckt, will man fast nicht wissen.

KREATOR

Als KREATOR dann endlich loslegen, bin ich gelinde gesagt ziemlich im Arsch. Das liegt nicht am übermäßigen Alkoholkonsum, sondern eher daran, dass mir jetzt einfach drei Tage Festival bei absolut unmenschlichen Temperaturen in den Knochen stecken - und dass es jetzt noch ätzend schwül ist, macht es nicht gerade besser. Egal, die deutschen Thrash-Recken spielen, und das heißt schon einmal erhöhte Aufmerksamkeit. Ein Blück über das weite Rund lässt mich aber zum Entschluss kommen, auch die vorletzte Band lieber von etwas weiter seitlich aus zu begutachten, da alles andere nur noch weiter an den letzten körperlichen Reserven gezehrt hätte - und OPETH kommen ja erst noch. Trotzdem fühle ich mich fast versucht, mitten ins Getümmel zu stürzen, denn was hier im Publikum abgeht, spottet fast jeder Beschreibung. KREATOR kommen, sehen und siegen auf ganzer Linie. Es ist ja schon jedes Mal ein Erlebnis, die Truppe um Mille auf deutschen Bühnen zu sehen, aber das hier ist nochmal mindestens eine Nummer größer. Mindestens! Wahnsinn, wie die Leute abgehen, die Band abfeiern, sich feiern, das Festival feiern. Da ist es total egal, ob neuere Granaten von "Violent Revolution" oder ganz besonders "Enemy Of God" den Boden aufreißen oder Klassiker der Marke 'Phobia', 'Extreme Aggressions', 'Pleasure To Kill' oder 'Raise The Flag Of Hate' für Verwüstung sorgen. Ganz besonders freuen sich die Jungs natürlich über die "Olé"-Sprechchöre, die fast ununterbrochen in den Spielpausen aufkommen - Haa-haa! Ingesamt ein absoluter Hammer. Aber, wie gesagt, das Beste kommt ja noch...

OPETH

...natürlich in Form der jetzt schon Gottstatus erlangt habenden OPETH. Wenn man diese Band schon seit einigen Jahren verfolgt, so ist es eine unbeschreibliche Freude zu sehen, wie sich insbesondere Sprachrohr Mikael verändert hat. Vom schüchternen "Hello. We are OPETH, from Stockholm, Sweden." hin zu bescheuert-bekloppten Ansagen, Blödeleien mit dem Publikum und einem Selbstbewusstsein auf der Bühne, das für manchen schon hart an der Grenze zur Arroganz stehen mag. Ich persönlich habe mit Mikaels Ansagen eine Menge Spaß, sei es nun das blöde Fragespiel, welche Musikstile die Festivalbesucher besonders favorisieren (ist klar, dass "HipHop?" nur Buh-Rufe erntet) über die Anmerkung, dass er total auf Stevie Wonder stünde bis hin zum Erfahrungsbericht, dass das Wasser am Fluss total kalt sei ("I put my foot in there...and my dick shrunk") - das gepaart mit seinem trockenen Humor ist einfach nur herrlich. Oder? Vor allem, wenn man bedenkt, dass vor ein paar Jahren ein "Thank you" noch Seltenheitswert besaß. Musik gibt's natürlich auch, 'The Grand Conjuration' läutet das famose Spektakel ein, bevor es mit 'The Amen Corner' vom "My Arms, Your Hearse"-Longplayer die erste Überraschung setzt. Aber auch 'White Cluster' von "Still Life" kommt zum Zuge, eine perfekt ausbalancierte Setlist also. Der 'Ghost Of Perdition' muss natürlich auch ran, dafür leider mal wieder kein Song von meiner OPETH-Einstiegsdroge namens "Morningrise". Egal. Denn 'Leper Affinity ' mit seinem geilen Frickelpart macht das alles wieder wett. Mindestens. Und als Mikael dann vor dem letzten Song die Bandvorstellung mit den Worten "And my name, of course, is...Jon Bon Jovi." abschließt, bin ich mir sicher, den bisher besten OPETH-Gig in meiner Karriere gesehen zu haben, wenn auch nicht den längsten. Das Abschädeln zum vertrackten Ende von 'Deliverance' lässt auch das Nebensache sein. Jetzt, aber auch erst jetzt, kann ich beruhigt sterben.

Danach gibt's nur noch Bett, Bett, Bett - alleine schon, weil ich am nächsten Tag wieder in Richtung Heimat aufbrechen muss, wofür ein gesunder Schlaf durchaus vorteilhaft sein sollte. Ich habe, glaube ich, selbst auf dem Wacken noch nicht so viele geile Bands in drei Tagen gesehen. Der helle Wahnsinn.
[Rouven Dorn]

Redakteur:
Rouven Dorn

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