MÖTLEY CRÜE, ALICE COOPER, SAINT ASONIA - Stuttgart

10.11.2015 | 21:07

08.11.2015, Hanns-Martin-Schleyer-Halle

Das letzte Mal.

MÖTLEY CRÜE ruft zur letzten Tour. Denn wie sie sagen "alle schlimmen Dinge müssen zum Ende kommen". Na ja, so schlimm wart ihr auch wieder nicht. Aber abzutreten, bevor man zum alten Eisen zählt, ist ja auch eine Kunst. Mit dabei ist übrigens ALICE COOPER...

Doch vorher darf SAINT ASONIA ran. Wenn mir nicht Sylvie von Black Mob bescheid gesagt hätte, ich hätte die Jungs glatt verpasst. Wer ahnt schon, dass es eine weitere Vorband gibt, die um 19.00 Uhr schon auf die Bühne tritt? Selbige zu verpassen hätte mich aber gehörig geärgert, denn mit Adam Gontier hat die Band den ehemaligen Sänger von THREE DAYS GRACE in ihren Reihen, eine Band, die ich sehr schätze. Nicht zuletzt eben wegen Gontier.

Nun habe ich das SAINT ASONIA-Debüt noch nicht gehört, das kam an unserem Cheffe nicht vorbei, der hat halt Geschmack. Als die Band aber gleich wuchtig mit 'Better Place' startet, ist mir schon klar, dass ich das Album dringend in meinen CD-Player kriegen muss. Rockiger als THREE DAYS GRACE, mitreißend und dynamisch. Das macht Appetit. Zwei Songs später fällt 'Dying Slowly' positiv auf, cooler Song. Negativ sind die genuschelten Ansagen Gontiers, der sich immerhin verständlich dafür bedankt, dass bereits so Viele da sind, um seine neue Band zu hören. Aber ich will ja auch Musik hören, kein Gerede. Dass es auch einen THREE DAYS GRACE-Song gegen würde, hatte ich erwartet. Dass es die Hitsingle des Debütalbums 'I Hate Everything About You' werden würde, überrascht mich etwas, aber hey, das kennen tatsächlich einige hier!

Mein lautes und falsches Mitgegröle ruft gleich mal jemanden auf den Plan, der mich fragt "Weißt du, wer das ist?" Natürlich wird der Kollege sofort aufgeklärt. Jeden Tag eine gute Tat. Leider gibt es danach nur noch einen weiteren Song, nach 25 Minuten ist Schluss. Sehr schade, ich hatte auf einen vollen Opener-Slot von 45 Minuten gehofft. Aber der Applaus der beinahe halbvollen Schleyer-Halle ist mehr als nur Höflichkeit. Hier hat SAINT ASONIA ein paar Freunde gewonnen. Und wenn es am Merchandise die CD zu kaufen geben würde, so würde ich sie auch gleich mitnehmen. Gibt es aber nicht. Doof.

Stattdessen gibt es erst einmal Pause. Die Halle ist immer noch nur etwa halb gefüllt. Na ja, die Tickets sind auch nicht gerade zu Schnäppchenpreisen zu haben. Draußen hatte ich Leute mit Schildern gesehen, auf denen "Suche Karten" stand. Hätten sie sich wohl einfach am Schalter kaufen können, Platz ist noch. Ein paar Blicke in die Runde, und schon um Viertel vor Acht beginnt der beinahe siebzigjährige ALICE COOPER seine Show mit einem Funkenvorhang und 'The Black Widow'. Gleich als zweites folgt 'No More Mr. Nice Guy’, Alice hat keine Zeit, alle Hits wollen gespielt werden und er ist nur Vorgruppe.

Ich bin ja kein großer Fan des Künstlers, dessen Lieder ich immer nur ganz nett fand. Deswegen habe ich ALICE COOPER tatsächlich vorher noch nie gesehen, aber natürlich kennt man viele der Showlelemente aus Erzählungen und Berichten. Eine Zwangsjacke, die Guillotine, mit der Cooper dekaptiert wird, die Frankensteinsche Erweckungsliege, und dann das mehrere Meter große Monster selbst, mit einem Nussknacker-Mund. Ziemlich cool und gelungen ist die Einlage. Weniger notwendig finde ich den Auftritt mit einer echten Riesenschlange. Ob das nun sein muss, lasse ich mal dahingestellt. Als Reptilienhalter kann ich einen Gig genießen, ohne eine solche Angriffsfläche für weltverbesserliche Tierschutzfanatiker zu bieten. Das macht der Schlange zwar nichts aus, aber notwendig ist es ganz sicher auch nicht. Zumal es vor dreißig Jahren vielleicht noch ein Raunen erzeugte, heute aber nur noch ein "Guck mal, Hermann, die Schlange is auch a bissle müd" hervorruft.

Musikalisch geht es Schlag auf Schlag weiter, wir kriegen das volle Programm im Zeitraffer. So ein Support-Slot ist wirklich ideal für mich, nur Hits, die komplette Show, ohne Füllmaterial. Super. Es bleibt einzig die Frage, wozu Cooper tatsächlich drei Gitarristen auf der Bühne verteilt hat. So gitarrenlastig ist dessen Musik wahrhaftig nicht. Aber die vier Saitenartisten machen einen gehörigen Alarm und stehlen dem gealterten Rocker mehr als einmal die Schau. So vergehen die 50 Minuten im Flug. Dann kommen die Seifenblasen von rechts und links, und der Abschluss folgt in Form von 'Schools Out'. Mittendrin eine 'The Wall'-Einlage, sehr passend, sehr kurzweilig. Daumen hoch, Herr Furnier.

Setliste:The Black Widow, No More Mr. Nice Guy, Under My Wheels, I'm Eighteen, Billion Dollar Babies, Poison, Dirty Diamonds, Go to Hell, Feed My Frankenstein, Ballad of Dwight Fry, I Love the Dead, School's Out

Zeit für den Headliner. Time to say goodbye. Oder ’So Long, Farewell’, wie uns das lange Intro mitteilt. Dann geht  es in die Vollen, und heiß los. 'Girls, Girls, Girls' mit viel Pyrotechnik gleich zu Beginn, da hat jemand vor, alle Register zu ziehen. Dazu gehören zwei tolle Sängerinnen und Tänzerinnen, die Vince Neil, der ohrenscheinlich ein wenig Schwierigkeiten hat, die Liedchen kraftvoll zu trällern, großartig unterstützen. Natürlich wäre MÖTLEY CRÜE nichts ohne die krächzende Stimme Neils, der sicher keiner der großen Sänger ist, aber charakteristisch, passend und einfach ein Teil der Band. Na, passt schon so. Und die Mädels helfen ja auch.

Beim folgenden 'Wild Side' sind die beiden Grazien genauso im Rampenlicht wie Vince selbst oder Basser Nikki Sixx, nur Mick Mars hält sich zurück. Das ist sicher seiner Krankheit geschuldet, die es ihm nicht möglich macht, eine große Show zu zelebrieren. Das überlässt er lieber seinen Bandkollegen. Es folgen die größten Hits dieses "zusammengewürfelten Haufens", immer mit viel Pyros und Getöse, es kommt 'Smokin' In The Boys' Room' und 'Looks That Kill'. Großartig, und wenn auch die Bühne selbst für die Jungs ein wenig groß erscheint, ist irgendwie immer etwas los. Lightshow, Flammen, so simpel die Lieder auch sind, MÖTLEY CRÜE setzt sie großartig und großkotzig in Szene. Dicke Hose ist ja ein Synonym für MÖTLEY CRÜE. Leider ist der Sound vor allem laut, aber nicht gut. Bei ALICE COOPER hatten wir drei klare, differenzierte Gitarren, hier haben wir gerade mal eine, und die ist Matsch. Auffällig ist, dass Neil das F-Wort viel weniger nutzt als früher. Gut, ich vermisse es kaum. Kommt ja auch noch häufig genug. Nikki Sixx darf dann auch mal etwas sagen und erzählt etwas von seiner Trailer-Kindheit und Taschenmessern, nur um dann pathetisch eine "glaubt an euch, nur nicht aufgeben, ihr könnt es schaffen"-Message loszulassen. Bub, hast du dich mal umgesehen? Dein Publikum ist durchschnittlich 45 Jahre alt und fährt Daimler. Die meisten hier haben es bereits geschafft.

The CRÜE hatte noch nie Berührungsängste, was Coverversionen angeht, und so ist es wenig verwunderlich, dass sie mit 'Anarchy In The UK' eine solche in die Mitte des Sets einbauen. Na ja, den Punkspirit können sie nicht wirklich raushängen lassen, wo es den SEX PISTOLS um Politik ging, stellte MÖTLEY CRÜE nur die Damen ins Spotlicht, wo der Punk rau, direkt und dreckig war, ist der heutige Interpret viel Tand und Drumherum, aber ganz sicher kein Britpunk. Plastik und Performance statt Bier und Schweiß. Aber wir wussten ja alle, was wir bekommen würden, und dass die US Amerikaner in der Lage sein würden, eine wirklich fette Show abzuliefern, stand niemals in Frage. In dieser geht es weiter mit 'Shout At The Devil' und Nikki Sixx mit seinem Flammenwerfer-Bass. Das ist schon ziemlich eindrucksvoll, die Bühne brennt, das Pentagramm an Nikkis Mikrohängevorrichtung brennt auch, es herrscht Endzeitstimmung. Dazu der großartige Song. Das ist für mich der Höhepunkt der Show.

Aber natürlich fehlt noch etwas: Tommy Lees Drumsolo, bei dem er mit seinem Schlagzeug samt Podest unter der Decke durch die halbe Halle geschwebt kommt. Allerdings: Drumsolo? Tommy schlägt allerlei Rhythmen zu Musik vom Band, das ist so virtuos wie ein Playback-Auftritt in einer ZDF Abendshow. Sieben Minuten inklusive Hinfahrt bis zum Mischpult, pathetischer Ansage, und retour zur Bühne. Danach ein Gitarrensolo von Mick Mars. Erst ein Geräuschorkan, dann unbeholfenes Rumtapsen auf dem Griffbrett, am Ende kommt doch noch so etwas wie ein ordentliches Solo dabei raus. Trotzdem ist das ziemlich langweilig. Beide Soloeinlagen haben zusammen etwa fünfzehn Minuten gedauert, die man durchaus besser hätte verbringen können. Drei bis vier CRÜE-Songs der Frühzeit zum Beispiel ('Come On And Dance', 'Ten Seconds To Love', 'Knock 'em Dead, Kid' und 'Red Hot' zum Beispiel hätten da alle reingepasst), oder wenn das nicht, hätte es auch ein Pilgermarsch zum Wurst- und Bierstand getan.

Die Stimmung hat die Einlage leider auch gekillt. Natürlich lassen sich die echten Fans davon nicht irritieren, aber außerhalb der Pitzone ist eher ruhiges Zusehen angesagt, selbst als der unstrittig beste MÖTLEY CRÜE-Song aller Zeiten ertönt, 'Live Wire', gefolgt von 'Dr. Feelgood'. Das ist nochmal das volle Brett und bringt tatsächlich die Halle wieder in Fahrt, wenn auch nicht so intensiv wie vor der Soloabteilung. Kurz darauf ist Schluss, es gibt noch eine Zugabe, dann ertönt 'My Way' von Frank Sinatra vom Band. Und MÖTLEY CRÜE war das letzte Mal in Stuttgart.

Sicher. Höchstwahrscheinlich. Obwohl man ja nie weiß. Abgetreten ist nicht für immer, ich bin sicher, das eine oder andere Festival werden die Vier in einigen Jahren schon noch headlinen, und was neue Musik angeht, hat man ja zukünftige Liedchen auch nicht ausgeschlossen. Aber egal, jetzt ist es erst einmal vorbei, und cool war es schon. Mehr als drei Dekaden haben sie durchgehalten, hätte ich nie gedacht. Sie bestimmt auch nicht. Tschüss, Jungs. Schön war es.

Setliste: Girls, Girls, Girls, Wild Side, Primal Scream, Same Ol' Situation (S.O.S.), Don't Go Away Mad (Just Go Away), Smokin' in the Boys' Room, Looks That Kill, Motherfucker of the Year, Anarchy in the U.K., In the Beginning, Shout at the Devil, Louder Than Hell, Drum Solo, Guitar Solo, Saints of Los Angeles, Live Wire, Dr. Feelgood, Kickstart My Heart, Encore: Home Sweet Home

Redakteur:
Frank Jaeger

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