LIFE OF AGONY - Leipzig

07.10.2009 | 11:45

13.08.2009, Werk 2

Eine gelungene Zusammenfassung der besten Phase einer vormals einflussreichen Band.

Das war ganz klar und deutlich, was wir wollten: Entweder einem Teil unserer Jugend-Helden huldigen oder einem Häufchen Elend beim Wiedererwecken der alten Geister zusehen. Egal, beides scheint spannend. Einen richtig deftigen Zug hin zu LIFE OF AGONY habe ich an diesem Augustabend bis an den Einlass hin nicht verspürt. Aber spannend ist es schon, zu sehen, wie sich eine Band ihre Tour zum Zwanzigjährigen so vorstellt. Das WERK 2 in Leipzigs Südverkehrsknotenpunkt ist voll, sofort fällt das gehobene Durchschnittsalter so um die Dreißig auf. Tattoos werden von relativ langweiligen Klamotten abgedeckt, die Gesichter strahlen Gelassenheit aus, einige hier scheinen die eigenen Kinder bei den Großeltern abgegeben zu haben – ein gemeinsamer Termin für nicht wenige bereits Verheiratete. Aber schon lange vor der Hauptband hat sich direkt vor der Bühne ein fester und vielköpfiger Pulk gebildet. Nun fehlen eben nur noch die vier New Yorker, um eine der beiden Entscheidungen zu provozieren: Hopp oder Top!

Wie immer hat Gitarrist und Sängercousin Joey Z. sein Basecap verkehrt herum auf, der Basser benutzt ein festgewachsenes Melonenhütchen. Sal Abruscato, der auch bei den Kumpels von TYPE O' NEGATIVE ab und zu mal aushilft, sieht mit seinen zugewucherten Italienerlocken aus wie der personifizierte Metaljungspund.
Apropos: So richtig ist LOA auch nie zugeordnet worden; zu den dampfigen, knackigen und einprägsamen Riffs gesellen sich nach wie vor mittelschnelle Schlagwellen des Schlagzeugs – irgendwie metallische Musik, wenn da nicht diese unverwechselbare Röhre von Sängerlein Keith Caputo wäre. Die da selbst und der dazu gehörige Unberechenbarling können einen Auftritt gern mal umschlagen lassen.

Joey Z. äugt auch dieses Mal des Öfteren grossbrüderlich zu seinem heute langgewandeten Cousin hinüber. Die Haare sind gewuchert - das scheue Reh hat sich hinter einer grossrandigen Sonnenbrille versteckt. Aber hoppla, da herrscht von Beginn an eitle Spielfreude, sofort beginnen LOA damit, die wohlbekannten und vielfach mitgesungenen Beiträge der ersten beiden Erfolgsplatten darzubringen. Das passt gut in die Erwartungen – unsere ebenso – die Stimmung ist sofort sehr gut. Das scheint vor allem auch Caputo zu bemerken: Offen und freundlich tönt er seine Parts in den aufrechten Armwald da vor ihm. Taktisch klug in der Nähe der Bar postiert beobachten wir ein Pärchen, bei dem der männliche Teil sich von hinten an den weiblichen schmiegt und unrhythmisch über dessen rechte Schulter bangt. Sieht komisch aus – trotz heute privat verordneten Toleranzedikts grinsen wir in unseren zusammenfallenden Bitterschaum.

Das Umfeld ist also wie erwartet, Keith hat heute offensichtlich große Lust. Skeptiker in der Nähe raunen, dass der Sänger "bis oben hin zu ist". Das sehe ich nicht so: Er scheint einfach einen guten, spaßigen Abend zu genießen. Das Publikum – darunter auch auffällig viele Freundinnenverbände – ist enthusiastisch dabei, die Musiker in Euphorie zu versetzen. Sehen die Instrumentalisten recht ermüdet aus und spulen auch in ihren vielfach geprobten Bewegungen das Set gekonnt professionell herunter, schmiegt und wackelt, wirbelt und jim-morrisont der kleine Vokalist, als gäbe es nichts Besseres für ihn. Für den Moment zumindest. Die zwei langsameren, älteren Darbietungen mögen nicht zünden und zeigen demnach auch deutlich, was so wirklich funktioniert (hat) bei den New Yorkern.

LOA haben sich in ihrer Auswahl querbeet durch das gesamte erfolgreiche Repertoire geklopft und sind demnach auch gern bereit, weitere Zugaben darzubringen. Nach unserer Zählung ist keiner der "Hits" ausgelassen worden - eine "Best Of"-Tour ohne einen bitteren Nachgeschmack. So ist es auch zum Ende des Auftritts so, dass alle alle zufrieden scheinen, so dass im sich draussen vor der Halle formierenden Raucherpulk ausnahmslos zufriedene Gesichter und Gespräche wahrnehmen lassen. Ein Indiz dafür, dass für eineinhalb Stunden die "gute alte Welt" zurückgeholt worden war.

Redakteur:
Mathias Freiesleben
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