Euroblast Festival 2015 - Köln

28.10.2015 | 20:03

01.10.2015, Essigfabrik

Es ist nicht nur irgendein weiteres Festival. Das Euroblast-Festival hat sich mittlerweile zur festen Instanz im Progressive-Sektor entwickelt und hat uns einmal mehr ein überwältigendes Wochenende geboten.

TARDIVE DYSKINESIA beginnt mit einem schönen, ruhigen Saxophon-Intro. Na gut, dann kann ich ja etwas ausspannen und mich auf den anstrengenden Tag vorbereiten. Doch kaum ist das Intro vorüber, wird mir klar, dass Heute der Tag mal eine Spur härter anfängt auf der Hauptbühne. Die Band aus Griechenland macht schnörkellosen Progressive-Metal mit Hardcore Einflüssen, ohne dabei "stumpf" zu sein. Technisch sehr ausgefeilt und anspruchsvoll werden die Instrumente von den harten Growls begleitet. Für diese Uhrzeit ist die Halle schon ziemlich gut gefüllt und die Anwesenden bangen und tanzen in bewährter Hardcore-Manier. Wie auch schon beim vorgestrigen Opener erlebe ich hier eine Band, die aufgrund ihres Könnens überzeugen kann. Sie sind gut eingespielt, der Sänger gibt alles und interagiert freudig mit dem Publikum. Die Songs sind soundtechnisch exzellent und doch nicht so orchestral aufgeplustert, wie es im Moment wohl Mode zu sein scheint. Als einzige Band des Festivals spielen die Athener aber ohne In-Ear-Monitoring, und das, obwohl die Songs nicht gerade anspruchslos sind. Deshalb gebührt ihnen an dieser Stelle nochmal eine extra lobende Erwähnung. Diese Band macht live wirklich Spaß und auch zwei Tage später beim Bericht schreiben, lasse ich die Scheibe noch ein paar Mal durchlaufen, obwohl ich mit diesem Auftritt bereits fertig bin. Fazit: Hat mich live überzeugt.

[Yvonne Päbst]

Wir hatten die Freude, die drei der Wiener Jungs und ihren portugiesischen Drummer von GENUINE ASPECT schon einen Tag vorher zu einem kleinen Gespräch unter freiem Himmel zu treffen. Sehr sympathisch und engagiert erklärten sie uns ihr Konzept. Dass wollte dann keiner von uns verpassen und so versammeln wir uns pünktlich unten im Keller. Auf der Bühne ist bereits alles vorbereitet und für diese Uhrzeit ist eine enorme Menschenmenge hier unten versammelt. Auch jetzt ist es sehr dunkel, aber es reicht noch, um die Szenerie auf der Bühne zu erkennen. Dort sind neben den üblichen Instrumenten, Bass, Gitarre und Schlagzeug, auch noch ein Cello und eine Violine vertreten. Das verspricht interessant zu werden. Selbstverständlich denkt jeder, der ein Cello auf einer Bühne sieht, direkt an bestimmte Finnen, die sich damit einen ziemlich großen Namen in der Metal-Szene gemacht haben. Und so frage ich mich kurz, ob GENUINE ASPECT sich von diesem großen Namen lösen kann...Schon bei den ersten Tönen wird mir allerdings erleichtert bewusst, dass die Österreicher ihren ganz eigenen Stil haben. Die melancholischen Streichparts harmonieren vortrefflich mit der Gitarre und dem Bass und auch ist das Schlagzeug eine hervorragende Ergänzung. Kraftvoll und sehr spielfreudig erlebe ich die sympathische Mannschaft aus dem Süden und die Menge ist vor Begeisterung kaum noch zu halten. Sie hüpfen, headbangen, tanzen und pogen und das in einer so kleinen Location mit einer erschreckend niedrigen Dekce. Aber das scheint hier keinen zu stören, denn an den vielen GENUINE ASPECT-Band-T-Shirts kann ich erkennen, dass es sich hier wohl um zahlreiche, angereiste Fans handelt. Dass viele auch im Takt tanzen können, ist ein weiteres Indiz für die Bekanntheit der Combo auch über die Ländergrenzen hinaus. Es gibt keinen Gesang und das ist auch nicht schlimm: So kann ich mich mehr auf das Zusammenspiel der einzelnen Instrumente konzentrieren und die Komposition wirkt nicht überladen. Wie sehr die Jungs zu Hause proben und üben müssen, wird klar, als die Lieder etwas vertrakter und technisch anspruchsvoller werden. Da kann jetzt nicht jeder spielen, was er will, sondern das hier ist harte Arbeit und eine Menge Fleiß. Das Ergebnis lohnt sich, denn ich habe selten eine so gut harmonierende Gruppe gesehen. An manchen Stellen ist eine leicht orientalische Melodie herauszuhören, was bei mir ja immer auf offene Ohren stößt. Die Ansagen sind sehr hunorvoll gestaltet: "You are allowed to freak out. We are from Austria. Not Australia. No kangoroos." Musikalisch besitzen sie die nötige Härte, um sich von etwaigen Mittelalter-Band-Vergleichen abzuheben. Der Klang in dem Gewölbe ist grandios, denn man kann auch bei den disharmonischen Parts die einzelnen Intrumente sehr gut auseinander halten und es verwischt nicht zu einem Geräuschebrei. Ich bin froh, dass ich diese Gruppe einmal live sehen kann. Das ist wirklich mal mit Hingabe gespielt. For those about to Rock: We salute you! Bei meinem nächsten Urlaub möchte ich sie mal in ihren heimischen Gefilden live sehen. Da geht das bestimmt noch mehr ab.

[Yvonne Päbst]

Dänen-Djent am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen. Dass VOLA eine ganz besondere Band ist, wurde mir bereits mit dem Album "Inmazes" klar, doch live ist die Band tatsächlich so gut, dass ich ganz aus dem Häuschen bin. 'Different War' macht wie gehofft den Anfang und wird durch den erneut brillanten Sound zum Leben erweckt. Bemerkenswert ist das durchschnittliche sehr junge Alter der Band, ist der Schlagzeuger überhaupt über 18? Egal, spielen tut er wie ein großer. Nicht wenige Leute können mitsingen und kalt lässt die Musik niemanden. Die Band freut sich über den durchaus bemerkenswerten großen Andrang zur doch recht frühen Zeit und macht alles richtig. Denn nach 'Starburn' möchte sie keiner gehen lassen. Nächstes Mal gerne noch mal und länger!

[Jakob Ehmke]


Eine Band, die wohl auf jedem Festival der Welt den Exotenpreis nach Hause nimmt, ist PERSEFONE aus Andorra. Die Sympathen sind für mich alte Bekannte und ich freue mich bereits im Vorfeld auf den vertrackten Melodic Death Metal mit leichter Black-Metal-Schlagseite. Dieser wird dann auch in gewohnt hoher Qualität und mit viel Spielfreude ins Publikum geschleudert. Die Band zeichnet sich durch ausgiebiges Solieren aus, eine Disziplin, die auf diesem, durch die Rhythmusklampfe dominierten Festival eher stiefmütterlich vertreten ist und mir als Fan traditioneller Metalklänge sehr am Herzen liegt. Hier gibt es dann genug Soli für drei Konzerte und dazu noch richtig starke Songs. Auch der Klargesang des Keyboarders ist - eine Seltenheit an diesem Wochenende - gut verständlich und erinnert nicht nur mich hin und wieder an Danny Estrin von VOYAGER. Doch zu all dem hat PERSEFONE noch ein As im Ärmel, das alle Gigs der Band zu echten Parties macht: Ein Medley aus der "Star Wars"-Filmmusik, mit 'Imperial March' und 'Cantina Band' wird auch heute vom Publikum abgefeiert und hinterlässt breites Grinsen, soweit das Auge reicht. Mit einem Song vom letzten Album "Spiritual Migration" verabschiedet sich PERSEFONE und hinterlässt bei mir nur gute Erinnerungen an einen tollen Auftritt.

[Raphael Päbst]

Atmosphärischer Prog à là TOOL und CYNIC erwartet mich im Dialog im Dunkeln aka Bühne zwei von EDEN CIRCUS. Die Soundverhältnisse sind unten übrigens im Vergleich zu den letzten Jahren so gut geworden (fast besser also oben), dass die anderen Umstände (wenig Platz und Licht) kaum ins Gewicht fallen. Der rauchige Gesang blas ergänzt sich hervorragend mit den post-psychedelischen sanften Klängen der Mitmusiker. Die Musik der Hamburger käme auf der großen Bühne bestimmt noch intensiver, wer weiß, vielleicht klappt das, wenn die Band so weitermacht, mal.

[Jakob Ehmke]

Oh yes! Was für ein Power-Trio! MODERN DAY BABYLON konnte schon letztes Jahr überzeugen und schließt da 2015 nathlos an. Na gut, nicht ganz, denn nach kleinen technischen Problemen musste der erste Song noch einmal gestartet werden, aber ab diesem Zeitpuntk geht es nur noch in einige Richtung – steil nach oben, bis ins All hinaus! Der instrumentale D-d-d-d-jent [sic] der Tschechen ist wohl die beste "reinrassige Euroblast-Band" der diesjährigen Ausgabe. Bei den drei jungen Herren stimmt nämlich einfach alles. Auf der einen Seite gibt es hier Power ohne Ende (der Drummer hasst sein Kit doch!), auf der anderen Seite sprüht die Band nur so vor Musikalität. Grooves mit Punch, Melodien mit Tiefe und Akkorde mit Atmosphäre – die gesamte Klaviatur eben. Wie keine andere Band in diesem Jahr schafft es MODERN DAY BABYLON, trotz der zahlreichen Passagen zum Steilgehen diese wunderbar spacige Stimmung als großen Spannungsbogen zu erhalten. Wenn man nach dem Haar in der Suppe suchen möchte, dann kann man zwei Punkte anmerken: Zum einen hätte die Gitarre etwas lauter sein können, zum anderen hätte die zweite Gitarre, die vom Band kam und teilweise nicht unwesentliche Beiträge geliefert hat, gerne von einer realen Personen dargeboten werden können. Das war es aber auch schon mit Kritik an einem ansonsten großartigen Auftritt, der Freunde des Djents – und auch darüber hinaus – begeistert zurücklässt.

[Oliver Paßgang]

Huch, hier ist im ansonsten doch sehr gut besuchten Keller gerade mal eher wenig los. So ganz übel ist SPHERE dabei aber gar nicht mal. Den Sound der Norweger kann man am besten als eine simple MESHUGGAH-Variante bezeichnen; das ist zwar nicht innovativ, aber immerhin solide umgesetzt. Für Euroblast-Verhältnisse kommt die Geschichte daher ziemlich eingängig und unvertrackt daher. SPHERE knüppelt recht ordentlich, verzockt sich allerdings mit dem (teilweise gedoppelten) Klargesang etwas, der immer mal wieder sehr schief wirkt. Auf der Haben-Seite steht jedoch das sympathische Auftreten, bei dem mit guter Laune voran- und auf Tuchfühlung mit dem Publikum gegangen wird. Zu den großen Abräumern des Euroblasts gehört SPHERE jedoch eher nicht.

[Oliver Paßgang]

"Aaaalter, what the fuck!?!" Diese spontane Gefühlsäußerung eines groß gewachsenen Herren, den der Moshpit für einen kurzen Augenblick zu uns in die erste Reihe spült, fasst in wenigen Worten zusammen, was es über diesen vielleicht krassesten Auftritt auf dem diesjährigen Euroblast zu sagen gibt. Für mich selbst war klar, dass THE HIRSCH EFFEKT mein persönliches Highlight des Festivals sein würde, habe ich es doch bislang nicht zu einem Auftritt unserer Landsleute geschafft. Die Band ist seit der Veröffentlichung ihres neuesten Albums "Holon : Agnosie" schon richtig groß geworden, tourt sich seit dem Frühjahr den Arsch ab und hat es, für alle Beteiligten unfassbar, unter die Top 50 der deutschen Albumcharts geschafft. Ich erwarte einen hochkonzentrierten Auftritt der Hannoveraner, die eine ganze Armada an komplexen Arrangements darzubieten haben – doch stattdessen dreht das Trio von der ersten bis zur letzten Sekunde schlicht und ergreifend völlig durch. Wie rasend vor Wahnsinn sprintet, hüpft, wirft sich Sänger und Gitarrist Nils Wittrock über die Bühne, während Bassist Ilja Lappin neben irrwitzigen Bassläufen für die besonders abartigen Momente ihrer Vokalarbeit verantwortlich zeichnet. Und selbst Schlagzeuger Moritz Schmidt singt oder schreit fast jede Zeile ihrer Songs mit, trotz einer rhythmischen Darbietung, für die das Prädikat "anspruchsvoll" eine himmelschreiende Untertreibung darstellen würde. Mit 'Jayus' von der aktuellen Platte wird ein Set eröffnet, das den bass erstaunten Zuschauern Zeuge einer gänzlich entfesselten Bandperformance werden lässt. THE DILLINGER ESCAPE PLAN hat spürbar Eindruck bei den Hirschen hinterlassen, doch der Artcore der drei Niedersachsen besitzt neben all dem scheinbar unkontrollierten Lärm doch auch eine sehr menschliche, geradezu zerbrechliche Komponente. Diese Kontraste scheinen einige Euroblast-Besucher zu überfordern; vom eifrigen kleinen THE HIRSCH EFFEKT-Fanclub abgesehen regiert vor der Mainstage vor allem Staunen und spürbare Überforderung. Die Band lässt sich davon nicht beirren und reißt ihr Set gewaltsam runter, bis hin zu einem Ausflug von Nils Wittrock ins Publikum beim finalen 'Cotard'. Selbst verursachte technische Schwierigkeiten sind da wohl unvermeidlich – Wittrock demoliert bei seinen Sprüngen und Stürzen offenbar Teile seines Equipments -, aber auch und gerade deswegen hinterlässt dieser im absoluten Sinn des Wortes Wahnsinnsauftritt sicherlich bei den meisten Zeugen bleibenden Eindruck. Krassester Scheiß!

[Timon Krause]


Etwas verspätet finde ich mich nach dem Hirsche-Irrsinn wieder vor der Stage 2 im Keller der Essigfabrik ein. Hier liefert MATERIA djentigen Deathcore mit Frickelpassagen ab (mit den deutschen Rappern haben die Südeuropäer vom Bandnamen abgesehen natürlich nichts gemein). Diese aggressive Schiene sorgt für einen kochenden kleinen Pit vor der Bühne, wirkt aber auf mich insgesamt recht uncharismatisch. Auch die gelegentlichen Ruhepassagen in den Songs machen das Gesamtergebnis nicht spannender. Immerhin ist der Djent im MATERIA-Sound amtlich vertreten, und die Band liefert hier und heute eine sehr engagierte Live-Performance ab. Das reicht auch für den vom Kollegen Paßgang bereits erwähnten "guten Euroblast-Durchschnitt", allerdings bin ich nach drei musikalisch sehr reichhaltigen Festival-Tagen auch mittlerweile dermaßen gesättigt, dass mir eine Band wie MATERIA, mit wenig eigenständigem Sound oder mangels anderer markanter Merkmale, so leid es mir tut, zu einem Ohr rein und zum anderen wieder hinaus wandert. Ich begebe mich also wieder nach oben, um Zeuge einer ganz und gar denkwürdigen Darbietung zu werden. Ich sage nur: IGORRR...

[Timon Krause]

Präludium: Man lasse Wassily Kandinsky, Peter Paul Rubens, Max Ernst, Hieronymus Bosch, Caspar David Friedrich und Edvard Munch ein Bild zusammen malen. Dann möge ein Synästhetiker das Bild von links nach rechts studieren und seine Farbeindrücke übereinander in dazugehörige Noten für verschiedene Instrumente umwandeln. Spielte man diese Partitur, klänge sie wie ein Lied von IGORRR.

1. Akt: The Beauty, the Beast and the Nerd. Auf der Bühne steht ein großer Tisch mit allerlei elektronischem Gerät. Dahinter, fast unscheinbar, ein junger Herr: Gautier Serre, Mastermind und alleiniger Musiker von IGORRR. Zu seiner Linken: Strahlend schön und in ein barockes Kleid gehüllt, die atemberaubende Sängerin, die IGORRR bei Live-Auftritten begleitet. Auf der anderen Seite ihr männlicher Counterpart: Wild und zerzaust, in Lumpen gehüllt und gruselig bemalt, schaurig-schön, wie aus einem Märchen, der Live-Sänger des Franzosen. Die Bühne wird in grünes und blaues Licht gehüllt und die ersten Töne erklingen. Elektronische Klänge von digitaler Anmut, die sich mit zarten Spinett-Tönen lieblich verbinden. Bei ungefähr 100 - 150 bpm mischt sich der anmutige Arien-Gesang mit in die Komposition, nur, um dann in ein animalisches Kreischen anzusteigen. Die Verzweifelung in der Stimme weicht bald wieder einer Schönheit, die ihresgleichen sucht und auch zu Dubstep artigen Beat-Downs eine hervorragende Begleitung bietet. Geigen, mal disharmonisch mal zauberhaft, unterstreichen die Bewegungen der Sängerin, welche ihren Tanz dem Takt anpasst. Auf meinem ganzen Körper breitet sich eine Gänsehaut aus und mein Gehirn schüttet mehrere Dutzend verschiedene Hormone aus, die eine Mischung aus unendlicher Seligkeit, Erregung und Faszination bewirken.

Interludium: Berauscht tanze ich, irgendwie, schwebe durch den Raum und vergesse die Welt um mich herum. Dann ist das Lied zu Ende. Tosender Applaus. Ich bin unendlich froh, ein Teil dieses Konzertes sein zu dürfen.

2. Akt: Die Stimmung wird düsterer. Der aus einem Gruselmärchen entsprungene Sänger singt tief und volltönend zu kirchlichen Chorälen, begleitet von Stromgitarren-Motiven. Langsam erhöht sich der Takt und zu den Death-Metal-Elementen gesellen sich Speed-Core-Merkmale, die ihren Höhepunkt bei fast 1200 bpm finden; selbstverständlich untermalt von herzzerreissenden Klagelauten des gepeinigten und am Boden liegenden Vokalisten. Auch hier mischen sich wieder Dubstep Elemente mit in die Musik. Ergänzt werden diese zum Teil von Trip-Hop, Gabba, französischem Chanson, leichtem Jazz und zufällig eingestreuten Soundeffekten. Das Beeindruckenste jedoch ist, dass das Trio so unglaublich gut eingespielt zusammenwirkt-Jede Bewegung ist im Rhytmus und jedes Wort untermalt die elektronisch erzeugten Töne in epischer Weise. Selbst der Ausflug in Gefilde jenseits der 10 000 bpm wird auf der Bühne behandelt, als sei es ein fröhlicher Spaziergang im Sommerregen.

Postludium: Nun ist Zeit sich nach diesem intensiven Eindruck meinen Kollegen neben mir zuzuwenden: Sie erleben das Konzert ebenfalls auf ihre jeweils eigene Art und Weise. Die verschiedenen Ausdrücke ihrer Gesichter lassen ihre Gefühle nur erahnen, doch werfen wir einen kurzen Blick auf ihre Gedanken: "Waaaas geht aaaaab?", "Okay, das ist echt zu hart", "Nach heute kann ich endgültig sagen, Alles, wirklich Alles, live gesehen zu haben", "Ich bin mittelstark schockiert", "Passiert das gerade wirklich?".
Die Seele unseres Mitschreibers Oliver hat jedoch am meisten Schaden genommen und so versucht er, seine verstörenden Erlebnisse in Worte zu fassen, die seiner jüngsten Erfahrung gerecht werden könnten. Folgende Zeilen hat er mir sichtlich entgeistert ins Ohr gestammelt: "Nein, ich bin wirklich niemand, der auf den Mund gefallen und um Worte verlegen ist. Zum Auftritt von IGORRR fällt mir jedoch wirklich überhaupt nichts mehr ein. Wie ich da so zwischen fassungslos und entgeistert stehe, merke ich, wie mir nach und nach jegliches Gespür für die Realität und den Sinn der Dinge entgleitet. Was passiert da gerade? Was passiert mit mir? Ich kann nicht wegschauen, nicht weghören, will aber, dass es schnellstmöglich aufhört. Und wer nun meint, dass das hier erfundenes, selbstdarstellerisches Gelabere ist, der hat IGORRR noch nicht live gesehen."
Als er die Halle im Anschluss verlässt, existiert der Himmel samt Sonne noch, viele Menschen unterhalten sich, den meisten scheint es gut zu gehen. Er läuft vollkommen orientierungslos und mit hängenden Schultern durch die Gegend und braucht fast zwanzig Minuten Ruhe sowie etwas in den Magen, um wieder einigermaßen Herr seiner Sinne zu werden. "Tief durchatmen. Alles gut, es ist vorbei."
Ich jedoch, kann es kaum erwarten, IGORRR wieder live sehen zu können.

[Yvonne Päbst]

Nachdem es die Jungs von RENDEZVOUS POINT (Nomen...)  fünf Stunden zuvor nicht rechtzeitig zu unserem Treffpunkt (...NON est omen?!) auf Stage 2 geschafft hatten, weil sich der Tourbus ihrer Landsleute von LEPROUS, mit denen sie auf Tour sind, verspätet hatte, stehen zumindest die Schweden von PORT NOIR pünktlich um halb acht auf der kleinen Euroblast-Bühne. Jedoch können sie auf Grund technischer Probleme nicht gleich anfangen, was Sänger/Gitarrist AW Wiberg schließlich mit dem coolen Kommentar "You choose the sound." in Richtung Mischpult quittiert und einfach loslegt. Überhaupt wirken die beiden Gitarristen auf den ersten Blick wie Investmentbanker und strahlen eine gewisse Unterkühltheit aus. Als das Trio aber dann Gas gibt, ist davon nichts mehr zu spüren. Das Fehlen eines Bassisten wird durch herunter gestimmte Gitarren so ausgeglichen, dass es kaum ins Gewicht fällt. Lediglich der Groove geht dabei ein wenig verloren. Allerdings braucht man diesen für den emotionalen Postrock, den man sich auf die Fahnen geschrieben hat, auch nicht wirklich dringend. Als ich nach dem Gig zu Stage 1 eile, um wenigstens noch das Ende des Auftritts von UNEVEN STRUCTURE zu erleben, habe ich fast den Eindruck als würden die vier Gitarren (inklusive Bass) dort nicht halb so viel Druck erzeugen wie die beiden von PORT NOIR. Das nennt man wohl eine nachhaltige Wirkung.

[Alexander Fähnrich]

UNEVEN STRUCTURE gehört neben MONUMENTS so ziemlich zu den Dauergästen beim Euroblast. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, so passt ihr progressiver Metal einfach perfekt zu diesem Festival. Die drei Gitarristen feuern ein Rhythmusfeuerwerk ab, wie es sonst nur MESHUGGAH beherrscht. Die Band hat sichtlich Spaß in ihrem zweiten Wohnzimmer aufzutreten und Ausnahmesänger Matthieu Romarin krönt das Ganze mit einer erstklassigen Gesangsperformance. Stimmlich und irgendwie auch optisch kann ich hier doch einige Gemeinsamkeiten zu Björn Strid von SOILWORK ausmachen. Die Zuschauer sind sichtlich begeistert und nach vierzig sehr kurzweiligen Minuten bleibt einzig der Wunsch nach einem neuen Album, zumindest vorerst, unerfüllt.

[Christian Stricker]

Neben den ganzen großartigen Djent-, Prog- und Techmetal-Bands, die über die letzten drei Tage die Essigfabrik in Beschlag genommen hatten, sind die Post-Rocker von TIDES FROM NEBULA schon fast so etwas wie Exoten. Umso erfrischender kommt ihr melodischer Klangteppich daher. Während viele Post-Rock-Bands ihre Songs mit riesigen "Wall of Sounds" überfrachten, sind die Polen eher in ruhigeren Gewässern Zuhause. Mit teilweise schon minimalistischen Gitarrenspiel erzeugen ihre Songs eine unglaubliche Spannung und Atmosphäre, die nicht selten in eruptiven Ausbrüchen endet. Während ihre Musik auf der heimischen Anlage sich wie eine Wohlfühldecke um einen schlingt, ist ihr Sound heute auf der Second Stage ein wenig hart und kalt abgemischt, was dem ganzen aber auch seinen ganz eigenen Reiz verleiht. Die Band ist sichtlich begeistert und die Saitenfraktion begibt sich zum Showdown zu einem Bad in die Menge. In Zukunft dürfen gerne öfters Post-Rock/Metal Bands Einzug beim Euroblast halten. Der komplett gefüllte Keller spricht da Bände.

[Christian Stricker]

Drei Tage voller interessanter, außergewöhnlicher und teilweise exzellenter Musik neigen sich langsam dem Ende zu, als LEPROUS die Bühne betritt. Die Norweger haben sich auf einen Co-Headliner-Slot hochgespielt und zeigen in der folgenden Stunde auf beeindruckende Weise, dass diese Position mehr als gerechtfertigt ist. Im Bandüblichen grünen Licht und von viel Bühnennebel umweht liefert die Band einen Gig voller Highlights ab, in bestechendem Sound und von einer fantastisch eingespielten Band. Für die hohe Stellung im Billing hat man sich nicht lumpen lassen und fährt mit vier Bildschirmen, über die endzeitliche Filmsequenzen flimmern einiges an Bühnenshow auf. Doch diese hätte es bei der emotionalen, intensiven Performance eigentlich nicht gebraucht. LEPROUS gehört inzwischenklar zur Speerspitze des zeitgemäßen Progs und steht für einen ganz eigenen Sound, der die Hörer in seinen Bann schlägt und fesselt, voller Emotionen und gleichermaßen zerbrechlich wie energisch. Nach diesem Auftritt verlassen viele die Essigfabrik und fragen sich, wer da noch einen draufsetzen soll. Das dürfte selbst einer Legende wie CYNIC schwer fallen, oder?

[Raphael Päbst]

ALIASES habe ich vor zwei Jahren noch auf der Hauptbühne gesehen, dort haben sie eine gute Figur gemacht. Hier unten mag die Band heute irgendwie nur so mittelmäßig gefallen. Der dunkle Raum ist zum Bersten gefüllt und die Menge feiert den Tech-Metal auf jeden Fall gebührend ab. Die Jungs und das Mädel wissen natürlich, was sie machen und es ist auch wie gesagt gut, doch ich bin nicht begeistert. Zu austauschbar wirkt die Darbietung heute.

[Jakob Ehmke]

Nach dem Triumphzug von LEPROUS verlässt ein Großteil des Publikums die Essigfabrik und es ist fast zu befürchten, dass die Prog-Götter von CYNIC ihren vielleicht letzten Auftritt vor einer halbleeren Halle absolvieren müssen. Aber weit gefehlt, denn als Organisator John zu seiner letzten bewegenden Ansprache ansetzt, steht die viel zitierte "Euroblast-Familie" wieder geschlossen vor der Bühne und bildet einen würdigen Rahmen für das Grande Finale dieses Festivals. Und das nach einer Vorgeschichte, die kaum hätte dramatischer sein können: Ein paar Wochen zuvor hatte Ex-Drummer Sean Reinert, nach absolvierter Japan-Tour, eigenmächtig das Ende von CYNIC bekannt gegeben und alle Europa-Shows abgesagt. Bandleader Paul Masvidal dementierte dies umgehend, arbeitete Matt Lynch (TRIOSCAPE) in Rekordzeit als Liveschlagzeuger ein und konnte so zumindest den Headlinerslot beim Euroblast retten. In seiner Ansage zum Titelstück des aktuellen Albums "Kindly Bent To Free Us" verteilt Paul einen kleinen Seitenhieb in Richtung seines langjährigen Weggefährten Reinert, indem er die Message dieses Songs mit den Worten "Resistance is fuel." zusammenfasst. Überhaupt drückt gerade dieses Stück mit seiner Textzeile "A heart-to-heart farewell" genau das aus, was die meisten CYNIC-Jünger am heutigen Abend, an dem sie ihre Helden vielleicht zum letzten Mal gemeinsam musizieren sehen, empfinden. Sean Malone ist der stille Held, der fast stoisch sein Basswerk verrichtet, dabei jedoch jede einzelne Saite seines Instruments so sanft massiert, dass man glauben könnte, er wolle diesem eine Wellnessbehandlung zu Teil werden lassen. Immer wieder sucht er, abwechselnd mit Paul, den Blickkontakt zu Neudrummer Lynch, um ihn durch den schier undurchdringlichen Dschungel aus Breaks und Tempowechseln zu führen. Und es gelingt! Nach nur zwei Wochen intensiven Probens! Fazit: Niemand ist unersetzlich, selbst ein Sean Reinert nicht. Klar, dass man sich auf neues Material konzentriert und mit 'Veil of Maya' von "Focus" oder 'The Space For This' von "Traced In Air" nur kurze Ausflüge in die Vergangenheit macht. Interessant, dass Paul auch bei diesen Stücken gänzlich auf Growls verzichtet. Irgendwie würde dies auch nicht mehr authentisch wirken, denn der Mann hat sich nun einmal, genau wie seine Musik, seit der Bandgründung vor gut 27 Jahren enorm weiterentwickelt, nicht nur als Sänger und Gitarrist, sondern vor allem als Mensch. Der Mann verfügt jedenfalls über eine faszinierende Aura. Leider ist schon nach einer Stunde Schluss und selbst frenetische "Zugabe"-Rufe können das Trio nicht zurück auf die Bühne locken. Die kurze Vorbereitung hatte nun einmal nicht zu mehr gereicht, aber Qualität geht vor Quantität und erstere haben die drei Zyniker heute en masse geliefert. So klingt der letzte Song 'The Lion`s Roar' noch lange nach und nährt die Hoffnung, dass man diese ganz besondere Band irgendwann noch einmal live erleben wird.

[Alexander Fähnrich]

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Redakteur:
Jakob Ehmke

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