TOKYO BLADE: Interview mit Nicolaj Ruhnow

27.09.2011 | 13:57

Die Band, die mit ihrem Debüt-Album und dem Nachfolger "Night Of The Blade" unbestritten NWoBHM-Geschichte geschrieben hat, ging zwischen 1985 und der Neuzeit durch viele Täler, Splits und Line-up-Wechsel. Doch mit der Rückkehr von vier Fünfteln der Originalbesetzung, der Verpflichtung des deutschen Sängers Nicolaj Ruhnow, dem tollen Comeback "Thousand Men Strong" und umjubelten Liveauftritten wie beim HOA erleben die Veteranen gerade einen zweiten Frühling.

Rüdiger Stehle:
Ihr habt im Frühjahr und Sommer einige Gigs und Festivals in Deutschland und eines in Zypern gespielt, um den Leuten euer Comeback-Album und zahlreiche Klassiker vorzuspielen. Wie waren die Resonanzen, und wo hat euch der Auftritt am meisten Spaß gemacht?

Nicolaj Ruhnow (Foto rechts):
Natürlich weiß man immer um die Problematik eines Comeback-Albums, die Gefahr zu Scheitern ist extrem groß (da ein Comeback sehr hohe Erwartungen beim Hörer weckt, welcher mit SEINER Band aufgewachsen ist), denn viele Bands haben in der Vergangenheit solche Chancen vergeigt oder einfach den "Re-Union" Bogen überspannt, so dass viele Hörer solchen Comebacks mittlerweile sehr kritisch gegenüberstehen. Wir hatten keine wirklich große Erwartungen an den Erfolg von "Thousand Men Strong", wir wollten einfach "Metal" spielen, und die Jungs hatten Feuer, sich wiedergefunden, aber irgendwie keinen Sänger. Und prompt hatte ein damaliger Freund und Manager der Band mich über Facebook rekrutiert. Die ersten MP3s wurden von Andy an mich geschickt, ich schrieb die Texte/Melodien und sang am selben Tag eine Demo-Version von "Killing Rays" ein, und bumm, waren sich alle einige, dass hier die Chemie einfach stimmt. Drei Songs später stand ich schon mit der NWoBHM-Legende im Proberaum, und wir zockten fröhlich und absolut vertraut die neuen Songs wie auch diverse Klassiker. Sprich, der Spaß an der Sache war weitaus größer als irgendein Gedanke daran, unbedingt ein kommerziell "erfolgreiches" Album rauszubringen. Es ist keine 12-Mio-Dollar-Produktion. Sie ist rau & traditionell, und wie wir finden neu zugleich, dank Chris Tsangerides und Arne Lakenmacher! Kurzum, es gab schon die eine oder andere zu positive Reaktion, die so weit von unseren Erwartungen entfernt war, dass es uns etwas "spanisch" vorkam. Aber als sich herausstellte, dass die Mehrheit der Kritiken sehr sehr positiv ausfiel, spürte auch die gesamte Band, dass das, was wir vollbracht hatten, sich keineswegs verstecken musste. Um so befreiter spielte man dann auch live auf, was das Publikum, so glaube ich, honoriert. Verkrampftes Rockstar-Getue findet man bei TOKYO BLADE nicht, und diese Down-To-Earth-Mentalität, die jeder von uns innehat, springt womöglich als Funke zu unseren Fans einfach über. Demnach waren nahezu alle Festivals und Konzerte, die wir bislang spielen durften, mit fast schon frenetischer Resonanz gespickt. Es lässt sich da kaum ein favorisierter Auftritt herausheben, natürlich nennt man Wacken, weil es einfach das größte Spektakel übrhaupt ist, aber genauso wird uns der so ziemlich schweißtreibendste Auftritt für immer im Gedächtnis bleiben: Zypern im Sommer bei 45 Grad Aussentemperatur in einem Club gefüllt mit einer tobenden Menge. Eine unbeschreibliche Hitze und Luftfeuchtigkeit, die innerhalb von Minuten eine drei bis sieben Millimeter dicke Schicht Kondenswasser auf die Bühne zauberte. Der Schweiß lief uns aus allen Poren, aber das Publikum hat unermüdlich gefeiert, das war wirklich irre. Aber generell muss man einfach sagen, dass die Publikumsreaktion bei unseren Liveauftritten immer sehr sehr warmherzig ist, was wir keineswegs für selbstverständlich halten! Selbst als ich im April dieses Jahres mit Asthma Bronchiale einhergehend mit einem schmerzhaften Bronchial-Spasmus (nach der Ärzte-Odyssee, die ich hinter mir habe, kann ich da medizinisch echt mitreden) drei Shows unter kaum wirksamen Schmerzmitteln absolvierte, feierten uns die Fans und ließen mich für diese 1,5 Stunden einfach vergessen, dass es mir nicht wirklich gut ging. Und gepusht von all der Warmherzigkeit und Euphorie mobilisiert man - egal wie müde, egal wie krank, egal wie niedergeschlagen man ist - alle Reserven, und gibt alles: Als gäbe es kein Morgen mehr.

Rüdiger:
Ich konnte euch in Brande-Hörnerkirchen beim "Headbangers Open Air" live sehen und hatte sehr viel Spaß an eurem Auftritt. Wie habt ihr das Festival im "Garten" erlebt? Wie findet ihr die Location, die Atmosphäre und die Organisation bei diesem beliebten Event der traditionellen Metal-Szene?

Nicolaj:
HOA war unglaublich toll, und gleichzeitig sowas wie eine Art Reifeprüfung, denn bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir nur eine handvoll Shows mit diesem Line-up gespielt und hatten gerade besagten Gig in Zypern hinter uns gebracht (Zypern 45 Grad, Ankunft in Frankfurt 16 Grad). Zuhause spielen, also was zumindest für mich Zuhause ist, ist eine ganz besondere Herausforderung, da man im eigenen Land anders beurteilt wird als im Ausland. Wie vorhin erwähnt war/ist die Skepsis, die man einer Reunion naturgemäß gegenüberstellt durchaus nachvollziehbar, wenn man bedenkt wie viele Bandmitglieder darunter auch Sänger, diese Band schon gesehen hat. Aber die Reaktion des Publikums war unglaublich positiv, vom ersten Song an, kurzum HOA war einfach schön, familiär und doch unglaublich professionell organisiert, herzlich und vor allem ohne furchtbar langweiliges Big-Business-Getue! Eine riesige Gartenparty, mit vielen Freunden, die vor und hinter der Bühne den Besuchern und auch den Bands ein wohlumsorgtes Gefühl vermitteln! Man kann einfach direkter kommunizieren, muss nicht erst beim Executive Manager von XY anfragen, ob es möglich sei sich ein Bier mehr zu gönnen, man kann sich unter die Leute mischen, Meinungen einfangen, und das Gute an der Metalszene im Allgemeinen ist: Sie ist einfach ehrlich, sprich wenn man einen Metalhead um seine Meinung fragt, bekommt man umgehend eine ehrliche Meinung. Stell dir das mal beim THE DOME 12865 vor! Da schleimt dir jeder den Kittel voll und wetzt hinter deinem Rücken die Messer (da muss man ja paranoid werden!). Da verzichten wir doch lieber auf gekaufte Pressestimmen und auf den Echo (selbstkreierte Götzenbilder für Businessmarionetten), und machen, wonach uns der Kopf steht, oder?

Rüdiger:
2008 hatte deine heutige Band - damals noch in einem anderen Line-up - auch einen Auftritt beim Underground-Metal-Mekka "Keep It True". Würdet ihr gerne dort nochmal im neuen Line-up auftreten, um den dortigen Fans die "neuen" TOKYO BLADE vorzustellen?

Nicolaj:
Nun ich war, wie du schon angedeutet hast, nicht dabei, aber: Natürlich würden wir in dieser klassischen Besetzung (mit Ausnahme meiner Wenigkeit) das KIT unglaublich gerne besuchen. Es wäre uns eine Ehre, wieder dabei sein zu dürfen, denn beim letzten Auftritt war es lediglich Andy (Gründer der Band), der als "TOKYO BLADE" durchging. Was nun ja glücklicherweise anders ist. :-) Die Fans müssten sich das wünschen, denn soweit ich weiß passiert es selten, dass ein und dieselbe Band zweimal beim KIT auftritt?!

Rüdiger:

Es passiert zwar selten, ja, aber ausgeschlossen ist es auch wieder nicht. Die eine oder andere Band war schon zweimal dort. Jedenfalls drücke ich euch die Daumen, dass der Herr Weinsheimer euch mal wieder einlädt. Im Oktober und November geht es dann aber zuerst einmal auf Clubtour durch England, Deutschland, Holland und die Schweiz. Unter anderem für mich heimatnah in die RoFa in Ludwigsburg. Rechnet ihr mit gut besuchten Clubs, oder steht zu befürchten, dass sich wieder nur ein paar Nasen in die Clubs verirren? Es hatten ja in den letzten Jahren durchaus renommierte traditionelle Metal-Acts derbe Probleme, ihre eigenen Headliner-Touren zu promoten, obwohl sie bei den einschlägigen Festivals frenetisch abgefeiert werden. Wie sieht das bei euch zur Zeit aus? Könnt ihr eure Fans mobilisieren, auch die Clubgigs zu besuchen?

Nicolaj:
Clubtouren sind immer sehr schwierig zu beurteilen, wir hatten schon sehr gut besuchte Clubgigs (was immer im Verhältnis zum Live-Geschäft im Allgemeinen zu sehen ist, und natürlich im Verhältnis zur Bandbekanntheit), aber auch weniger gut besuchte Club-Shows. Die Ganze Live-Landschaft hat sich schwer verändert, und natürlich tragen extrem viele Variablen dazu bei, dass es weiterhin nicht leicht sein wird für eine Band, sich im Live-Geschäft zu etablieren oder gar zu halten. Die Fans spielen natürlich die größte Rolle, wenn die Nachfrage nicht da ist, sprich die Fans nicht zu mobilisieren sind, kannst du dir jahrelang den Arsch abspielen und nichts wird sich verändern. Du wirst also Geld dafür investieren, um überhaupt spielen zu können. Das wäre so ähnlich wie wenn ein Bäcker dem Kunden Geld gibt, um eine Brezel bei ihm zu kaufen. Ein Hobby lebt vom Modell der Dauer-Investition. Wir sind aber nicht in der Lage, ein solch teures Hobby (Equipment, Reisekosten, Proberaum, Studio etcpp) am Leben zu erhalten, ohne die Hilfe unserer Fans. In dem Zusammenhang sei ihnen an dieser Stelle gedankt, denn ohne das Vorfinanzierungsmodel auf welches sich viele TOKYO BLADE-Fans eingelassen hatten, und ohne unsere privaten Kassen zu schröpfen hätte es "Thousand Men Strong" nie gegeben. Kein Wunder platzt Mitgliedern einer Band dann mal der Kragen, wenn der nächste sogenannte Fan damit prahlt, wo er sich die letzte  CD "gerippt" hat, um dann zu keinem der Gigs zu kommen, aber sich darüber zu beschweren, dass es nicht so klingt wie früher! Ich lehne mich da etwas aus dem Fenster und behaupte, dass TOKYO BLADE-Fans glücklicherweise anders gepolt sind. Sie leben diese Band, und das ist der Motor, der die Band antreibt. Kurzum: Wir hoffen darauf, dass unsere Fans zu den Clubshows kommen, denn es sind Möglichkeiten wie diese, den Fans einen unvergesslichen Abend zu bescheren und ein wenig Geld zu verdienen, denn die Gagen (wenn es überhaupt welche gibt) gehen meist für die Reisekosten drauf, also bleibt nur: Merch- und CD-Verkauf als so genannte Einnahmequelle bei den Gigs.

Rüdiger:
Du hast eben das Modell erwähnt, bei dem die Fans euch quasi die Albumproduktion von "Thousand Men Strong" bereit im Vorfeld vorfinanziert haben. Wie sieht dieses Modell genau aus, und wie gut hat das funktioniert? Wie geht man mit dem Risiko um, quasi bei den eigenen Fans in der Kreide zu stehen, falls die Produktion aufgrund irgend welcher Umstände doch scheitert?

Nicolaj:
Die Vorfinanzierungs-Aktion wurde von Andy bereits ins Leben gerufen noch bevor ich zur Band stieß. Soweit ich weiß haben ca. 250-300 Fans einen Betrag überwiesen natürlich ohne zu wissen, ob das Resultat dem entspräche was sie sich wünschen! Wenn man jedoch als Fan ein Produkt vorfinanziert, muss einem fast schon klar sein, dass es a) keine großen Experimente mit Schalmeien oder Alt-Nubischen Volks-Gesängen geben wird und b) man wenn man denn bereit zur Vorfinanzierung ist, seine Band (und Eigenheiten) ja bereits kennt und genau weiß, dass diese auch aus kreativen Köpfen besteht. Die Gefahr besteht ferner ja immer, dass irgendwas in die Hose geht, in diesem Fall hätten wir das Geld zurückzahlen müssen. Ich persönlich habe nun keinen großen Druck verspürt, ich habe einfach gemacht was ich selbst gern hören würde (man hätte sich gemäß der Band-Historie auch alle 30 Sekunden verrückt machen können, was allerdings dem Resultat kaum geholfen hätte), wenn man so will, habe ich noch nicht mal darüber nachgedacht, ob es TOKYO-BLADE-Melodien oder -Harmonien sind, oder ob jene, die ich auf die Kompositionen draufpacke typisch für TB seien. Der Song generell stand im Vordergrund, keine Egos - was sehr wichtig meiner Meinung nach ist - und es stellte sich heraus, dass wir diesbezüglich alle gleich ticken. Eine bessere Verbindung gibt es ja kaum, oder? Einen erheblichen Beitrag zum Gelingen des Ganzen hat natürlich auch Chris Tsangarides geleistet, welcher einfach ein Gespür dafür hat, wie die Band am Besten arbeitet. In unserem Fall ist das beste Resultat für uns, wenn man jeden einfach "machen" lässt. Eine Art Ritterschlag war ja auch die Tatsache, das uns CT anschrieb, ob wir denn nicht Lust hätten ein Album bei ihm aufzunehmen. Wir mussten also erstens keinen Produzenten suchen, der in der Lage ist, das Flair der NWoBHM-Ära einzufangen und zweitens keine Weltreise unternehmen. Zur Zusammenarbeit mit CT kann man wirklich nur Gutes berichten: Der Mann ist tiefen-entspannt, was sich sehr positiv auf jede Band auswirkt. Unnötig zu erwähnen, dass er einfach ein Könner seines Faches ist! Dazu das wirklich fantastische Mastering von Arne Lakenmacher, und fertig war "Thousand Men Strong"!

Rüdiger:
Ist ein solches Finanzierungsmodell auch für das nächste Album ein Thema, oder meint ihr, mit "Thousand Men Strong" und den zugehörigen Auftritten und Merch-Verkäufen genug Rücklagen bilden zu können, um das nächste Album "konventionell" stemmen zu können.

Nicolaj:
Nun, das wird sich zeigen. Wie ich schon angedeutet habe, ist das Bilden von Rücklagen eine schwierig umzusetzende Option, wenn man sich die laufenden Kosten einer Band rein wirtschaftlich vor Augen hält. TOKYO BLADE waren schon immer in eher finanziell desaströsen Verhältnissen zuhause (Missmanagment, Unerfahrenheit in jungen Jahren ectpp), so dass der Lamborghini und die Finca auf Teneriffa weiter Illusion bleiben werden. Aber wer Musik macht um "reich" zu werden, hat das kreative Prinzip nicht wirklich verinnerlicht. Wer es heute schafft, durch selbst komponierte Musik aus dem Metalbereich zu überleben, gehört schon zu einer absoluten Minderheit. Viele Kollegen hauen immer auf die Kacke und sagen: "Ja, wir haben im letzten Jahr drölfzigtausend Einheiten abgesetzt, blabla!" und wenn du selbigen Aussagen dann die reellen Zahlen entgegen setzt, müsste jedem Blender da draußen eigentlich erstmal die Schamesröte ins Gesicht steigen, ob der puren Übertreibung. Das bleibt aber leider aus, da für viele Veranstalter immer noch der Richtwert verkaufter Einheiten das Argument zu sein scheint, um eine Band zu buchen. Im Prinzip ist es wie mit einer Währung oder mit Wertpapieren an der Börse, sie funktionieren nur, wenn du deren Wert mit Vertrauen und Kaufkraft der Anleger aufwiegen kannst, oder ein hervorragender Lügner bist. Für Letztere gilt die älteste Phrase überhaupt und hat wohl gerade deswegen Bestand: "Lügen haben kurze Beine!" - Was wir schmerzhaft an den Finanzmärkten erfahren dürfen, und das nur weil "geblufft" wird (um es mal oberflächlich anzuschneiden).

Rüdiger:
Zurück zur Live-Situation. Zuletzt lag der Schwerpunkt eurer Shows meiner Wahrnehmung nach auf den ersten beiden Alben samt Singles und natürlich auf der aktuellen Scheibe, während die Alben ab der zweiten Hälfte der Achtziger eher außerhalb des Focus liegen. Sind in den Setlists für die Herbst-Shows wieder vor allem die genannten Fan-Favoriten am Zuge, oder werdet ihr auch ein bisschen in der Mottenkiste kramen?

Nicolaj:
Nun Herbst ist ja fast schon, und im Großen und Ganzen werden wir uns dieses Jahr noch auf die ersten beiden Alben beschränken, mit einer sehr einfachen Begründung: Wir, also die ganze Band (ich bin ja nicht der Wendler der von sich in der dritten Person spricht… *lach*), sehen "Thousand Men Strong" als das sogenannte dritte Album, was es seinerzeit hätte sein sollen. Wissend um die Tatsache, dass es viele Liebhaber von "Blackhearts..." etc... gibt, war unser Credo jedoch eher klassische TB-Trademarks mit einem leicht modernen Hauch versehen auch live zum Besten zu geben. Wenn wir mit dem nächsten Album hinterm Busch hervorspringen, werden wir auch die Setlist danach ausrichten und verändern. Für die November-Shows haben wir dennoch ein paar Überraschungen geplant, die zwar keine weit reichende Änderung in der Setlist ausmachen, aber die man mit Spannung erwarten darf.

Rüdiger:
Du meintest eben, dass sich das aktuelle Album für deine vier Bandkollegen anfühle, als sei es die "dritte" TB-Scheibe. Soweit du das als "der Neue" beurteilen kannst: Welches Verhältnis haben deine Kollegen heute zu "Blackhearts...", auf welchem sie ja alle Viere zu hören sind? Wie stellt sich der Bruch zwischen "Night Of The Blade" und der Scheibe mit dem Affen dar?

Nicolaj:
Ich denke der Bruch war ein rein musikalischer. Jeder in der Band sieht die Scheibe mit unterschiedlichen Augen. Einige sind der Meinung "Blackhearts... " sei ein gänzlicher Griff ins Klo gewesen, andere sind entgegengesetzter Meinung, einig sind sich alle jedoch darin, dass es seinerzeit ein verhaltenes Schielen in die Glam-Metal-Ecke war, was einige Fans wirklich verschreckt hatte. Vick Wright hatte natürlich einen erheblichen Einfluss auf die Musik damals, da er ein großer Fan der Glam-Metal Ecke war, was ja auch mit seinem Umzug nach L.A. - die Hochburg des Glam - gipfelte.

Rüdiger:
Danach ging es ja dann wirklich drunter und drüber mit den Line-ups, so dass es quasi eine Zeit lang "Andy Boulton's TB" gab, dann in den späten Neunzigern mal noch Neustartversuche mit Ursänger Alan Marsh. Zu den Ursachen und den damit verbundenen Ereignissen müsste ich wohl besser Andy fragen, daher nur die Frage zur heutigen Sicht für euch als Band: Seht ihr die Alben 1987 - 1998 als Teil der Tradition eurer Band und könnte es sein, dass ihr davon irgendwann mal etwas spielt, oder ist das alles außen vor?

Nicolaj:
Es lässt sich in mancher Hinsicht, eben aufgrund des ganzen Durcheinanders seinerzeit nicht mit Sicherheit sagen, welche Alben berücksichtigt werden können/dürfen/sollen, denn "Ain't Misbehavin'" war ja beispielsweise kein "wirkliches" Tokyo Blade Album, aber ich denke wir werden das völlig entspannt entscheiden. Ich denke "No Remorse" wird genauso seinen Platz im Live-Repertoire bekommen wie "Burning Down Paradise".

Rüdiger:
Und dann noch kurz die Frage an dich: Wie gehst du als "der Neue" damit um, wenn du hörst, dass jemand sich Alan Marsh (oder meinetwegen auch Vicki James Wright zurück wünscht?

Nicolaj:
Ich kann es nachvollziehen wenn ein Fan der ersten Stunde sich das zurückwünscht, was ihn einst so an die Band gefesselt hat, ob das nun der Sänger, die Musik, das damit verbundene Gesamtpaket ist, ist völlig irrelevant (denn mit meinen Lieblingsbands verhält es sich kaum anders). Fakt ist leider, dass es Gründe dafür gibt weshalb Alan oder Vick nicht mehr dabei sind, und diese Gründe haben aus heutiger Sicht Bestand. Wie das Ganze in fünf oder zehn Jahren aussieht weiß ich nicht. Aber um Missverständnissen vorzubeugen: Ich respektiere alle meine Vorgänger, und wie wir wissen, sind das nicht gerade wenige, aber das ist eine Situation der man sich stellen muss, wenn man der "Neue" in der Band ist, das ist einfach so (ich hab da schon meine Erfahrungen).


Rüdiger:

Und wie nimmt die britische Fan-Gemeinde der Band den deutschen Sänger auf?

Nicolaj:
Die britische Fangemeinde und die Presse hat sich bislang recht positiv geäussert, was mich in starkes Erstaunen versetzt hat, da TOKYO BLADE eine ur-britische Band ist (selten genug, dass ein Deutscher bei 'ner britischen Band überhaupt in Betracht gezogen wird, den Sangesplatz einzunehmen). Ich habe auch keine Ahnung wie die Fans in England live auf mich reagieren werden, ich bin schon ein wenig nervös diesbezüglich, denn in ein paar Wochen weiß ich mehr. :-)

Rüdiger:
Dann wünsche ich dir für die britische Live-Feuertaufe an dieser Stelle alles Gute! Wir haben vorhin schon kurz vom seinerzeitigen KIT-Line-up um Andy Boulton gesprochen. Dieses Line-up ging ja unter recht seltsamen Umständen auseinander, was letztlich darin gipfelte, dass plötzlich Andys damalige Liveband ohne ihn als "amerikanische Version von TOKYO BLADE" unterwegs war. Das muss dann doch eine ziemlich bizarre Situation für ihn als Bandgründer gewesen sein, wenn nun plötzlich "seine" Band ohne jegliche Originalmusiker unterwegs ist. Habt ihr über die Geschichte mal gesprochen, und wie sieht Andy das retrospektiv?

Nicolaj:
Natürlich haben wir über diese Geschichte gesprochen, die Sache ist auch schnell erzählt: Andy wurde von ein paar amerikanischen Musikern 2007 angesprochen ob er denn nicht TOKYO BLADE re-animieren wolle. Als er dann zunächst recht ungläubig, später aber aufgrund der Reaktionen der Fans positiv überrascht war, sagte er zu. Er hatte allerdings das Problem, dass alle ehemaligen Mitglieder verschollen waren. Also tat er sich mit den amerikanischen Kollegen zusammen. Das Ganze lief - wie er mir erzählte - recht gut, auch wenn es sich oft ein wenig seltsam angefühlt hatte, so ganz ohne seine "Lads". Unglücklicherweise wurde Andy, als viele Shows schon gebucht waren, schwer krank so dass er leider einige Shows ausfallen lassen musste. Genau zu diesem Zeitpunkt wollte ein gewisser Teil (Gitarrist) der Band wohl Profit aus der Sache ziehen - ohne Andy vesteht sich, und sich mit ominösen Vertragsgeschichten die Rechte an dem Namen "TOKYO BLADE" unter die Nägel reissen, was glücklicherweise gerichtlich untersagt werden konnte. Eine recht hässliche Geschichte, die aber so unüblich nicht zu sein scheint, wenn man sich die "Namensfehden" nach Ausstieg diverser Ex-Kollegen in der Bandlandschaft anschaut. Es gibt eben viele, die sich gerne Rechte aneignen möchten, die sie einfach nicht besitzen, oder sich einen Vorteil dadurch erhoffen, mit übler Nachrede ehemaligen Kollegen gegenüber aufzufallen. Schlechten Stil nennt man sowas, glaub ich.

Rüdiger:
In letzter Zeit erschienen ja einige Rereleases über Cherry Red/Lemon Recordings, unter anderem das Debüt und "Blackhearts", aber auch "No Remorse" und "Ain't Misbehavin'" mit reichlich Bonus-Material. Ist die Band bzw. Andy hier involviert, oder ist das eine reine Business-Geschichte? Wie sieht es mit "Night Of The Blade" bzw. "The Night Before" aus? Sind da auch neue Rereleases geplant, oder bleibt es hier bei den High-Vaultage-Pressungen?

Nicolaj:
Leider bin ich was den Backkatalog und deren Vermarktung anbelangt nicht so startk involviert, aber Cherry Red/Lemon haben die Rechte daran soweit ich das weiß. Leider kann ich da auch keine fundierte Aussage machen.

Rüdiger:
Okay, dann gehen wir wieder zu einem Thema, bei dem du mehr involviert bist, nämlich zum neuen Album: Ich muss sagen, mir gefällt es sehr gut, und ich habe auch bisher fast ausschließlich positive Statements dazu gelesen. Dennoch hört man öfters, dass einige Leute sagen, dass sie das Album zwar sehr mögen, aber nicht direkt mit TOKYO BLADE in Verbindung gebracht hätten. Ich für meinen Teil sehe eine gewisse modernere Härte im Riffing, die das neue Album hier und da schon vom Frühwerk abgrenzt, aber andererseits auch einige Melodiebögen und Hooklines, die schon recht typisch nach TB klingen.

Nicolaj:
Vielen Dank, das freut natürlich zu hören! Wir - wir haben im Studio während des Mix sehr viel darüber gesprochen - sehen "Thousand Men Strong" als das eigentliche dritte Album, demnach haben die Songs schon den Geschmack der NWoBHM, allerdings haben wir nicht drüber nachgedacht, wie es denn klingen solle. Ich habe die Tracks bekommen mit der Ansage: "Mach, was dir gefällt, und wenn wir was umstricken sollen, weil irgendwas nicht hinpasst, lass es uns ändern!" - Wir wollten also alle erstmal happy mit dem Album sein. Und dass ist uns dank der Freiheit, die man dabei genießt, absolut gelungen. Wir sind sehr stolz auf dieses Album! Natürlich sag ich das nicht nur, weil ich darauf singe, sondern weil es mir wirklich gefällt.

Rüdiger:
Wie seht ihr die Parallelen und die Unterschiede zwischen TB Mk. 1 und "Thousand Men Strong"?

Nicolaj:
Parallelen sehen wir in der Ermangelung der Zeit, die wir zur Verfügung hatten, und bei der Frische der Songs. Das TOKYO-BLADE-Debüt wurde zwischen Silvester und Neujahr mit dem "Teaboy" eines Studios eingezimmert, wie mir die Jungs erzählt haben. 15-20 Tage für alle Instrumente, Vocals & Mix ist schon recht schnell wie ich finde, hat aber auch den Vorteil, dass man unverbraucht drangeht und drangehen muss. Denn je verkopfter man die Sache angeht, desto größer ist die Gefahr, dass man womöglich alles verschlimmbessert. Ich bin zumindest so jemand der alles gern mal komplett umwirft und es noch besser machen will, um am Ende festzustellen dass es am Anfang genau richtig war... hahaha.


Rüdiger:

Wie sind deine Bandkameraden bzw. deren damaliger Manager und Freund eigentlich auf dich aufmerksam geworden? Über deine Arbeit mit DOMAIN oder gar über die schwäbischen Bands aus den späten Neunzigern, bei denen du mal gesungen hast?

Nicolaj:
Gute Frage. Ich habe keine Ahnung, zumal ich nun wirklich nicht zu den Bekannten des Sängerkreises gehöre, war das auch mir ein absolutes Rätsel. Andy sagte, er sei über meine eigene Band NICK HELLFORT gestolpert, auf Anraten des Freundes/Managers, was die beiden wohl dazu veranlasste mich zu kontaktieren. Aber die ganze Angelegenheit brauchte zwei Anläufe, um ehrlich zu sein. Beim ersten Mal musste ich absagen aufgrund des sehr engen Zeitrahmens, den sich die Jungs gesteckt hatten. Zu dieser Zeit war ich mit dem "Auf-die-Beine-Bringen" meiner Selbständigkeit beschäftigt, was für mich absolute Priorität hatte. Der damalige Sänger Chris Gillen (ein toller Sänger, eher im SKID ROW-Stil) hatte wohl auch ein Problem mit dem Zeitrahmen und vor allem mit der Distanz, da jener eben aus den Staaten kam. Als dann die Fußball-Weltmeisterschaft 2010 war, und Deutschland England besiegte, hatte ich mich etwas genötigt gefühlt, Andy einen kleinen lustigen Seitenhieb zu verpassen. Da ich wusste, dass wir einen ähnlich gearteten Humor haben, hat er auch prompt darauf reagiert. Als ich von ihm dann erfuhr, dass sie den Studiotermin ein weiteres Mal verschieben mussten und dabei sehr besorgt klang, und ich sowieso ein schlechtes Gewissen hatte, ihm abgesagt zu haben, meinte ich eben: "Ich hab meine Selbtständigkeit hier am Laufen, ich könnte also nun loslegen!" - Es geschah dann eben das, was ich schon erwähnte: MP3 zugesandt, mittags den Text geschrieben, abends eingesungen und zu Andy geschickt, am nächsten Morgen das freudige "GO!" im Postfach gefunden. Und so lief es eigentlich in einem Zuge, so dass mich neun neue Songs lediglich zehn Tage mit Textschreiben, Komponieren und Demo-Einsingen gekostet haben... und wenns läuft soll man ja nicht stoppen!

Rüdiger:
Das führt uns kurz zum Off-Topic-Bereich: DOMAIN. Wie ist dort die Situation nach Axels Einstieg bei GRAVE DIGGER? Liegt die Band auf Eis oder ist dort etwas geplant?

Nicolaj:
Nunja, Axel hat natürlich erstmal viel um die Ohren, da er nebst seiner Verpflichtung bei GRAVE DIGGER auch mitverantwortlicher Versorger einer Familie ist. Wir haben über den Status von DOMAIN gesprochen und sind überein gekommen, dass wir auf jeden Fall weitermachen wollen, wir aber aufgrund der vielschichtigen Verpflichtungen so gar keinen Termin nennen können. Wir hoffen aber darauf, dass wir mit dem Songwriting zum Jahreswechsel beginnen können. Es wäre schade, wenn all die Arbeit, die wir bislang reingesteckt haben, im Nichts versinken würde. Da sind wir uns bandintern einig.

Rüdiger:
Wie lassen sich beide Bands miteinander vereinbaren?

Nicolaj:
Anhand dieser Situation lässt sich sehr leicht ablesen, dass es keine bzw. kaum Überschneidungen - weder musikalisch noch terminlich - zwischen DOMAIN und TOKYO BLADE gibt oder geben wird. Es ist lediglich eine Frage der verantwortungsvollen Planung. So lange nicht GRAVE DIGGER, DOMAIN und TOKYO BLADE auf einem Festival spielen, wird es nicht wirklich schwierig.

Rüdiger:
Und schon wieder abschließend zurück zu TOKYO BLADE: Was steht nun als nächstes an, und wie sind die Planungen für die nächsten 12 Monate?

Nicolaj:
Jetzt stehen erstmal ein paar Gigs an, die Tourdaten findet ihr auf der Homepage. Darunter eine Minitour im November, und ich denke im selben Zeitraum werden wir auch eine kleine Überraschung veröffentlichen, an der wir die letzten Wochen gearbeitet haben. Danach kommt auch schon Weihnachten (ekelhaft!). Womöglich geht's mit dem Songwriting im Frühjahr los, und der ganze Kreislauf beginnt von neuem. Das ist so unsere grobe Vorstellung, sowas wie einen Masterplan haben wir nicht wirklich.

Ich möchte die Gunst der Zeilen hier auch kurz nutzen und mich bei allen bedanken, die TOKYO BLADE so großartig unterstützt haben und weiter unterstützen. Hoffentlich sehen wir uns - kommt zu unseren Konzerten! Auch an dich und POWERMETAL.de ein herzliches Dankeschön, ich hoffe wir sehen uns.

Redakteur:
Rüdiger Stehle

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