THE HAUNTED: Shouter Marco Aro über Songs des letzten Auswegs

05.06.2025 | 18:32

Acht lange Jahre hat es gedauert, bis der "Strength In Numbers"-Nachfolger endlich auf die Menge losgelassen werden kann. Und meine Herren, welch Bollwerk ist "Songs Of Last Resort" doch geworden! Shouter Marco und Co. haben über all der Wartezeit nichts an ihrer Wucht, Vehemenz und Durchschlagskraft verloren – im Gegenteil. Denn die neuen Songs wirken so dermaßen frisch, präzise auf den Punkt gebracht und haben eine herrliche Abwechslung am Start, ohne dass die typischen THE HAUNTED-Trademarks außen vorgelassen werden. Wir ließen uns nicht zweimal bitten, um mit der stimmlichen Naturgewalt Marco ein wenig zu plaudern.

Marco, wie ist die Lage?
Ach, im Moment fühle ich mich etwas krank. Meine Frau sagt, es sei Covid, doch es ist wahrscheinlich nur eine Grippe. Ansonsten ist aber alles in Ordnung, danke.

Dann gute Besserung, Marco. Bevor wir auf die neuesten Taten zu sprechen kommen, möchte ich etwas über deine Vergangenheit wissen. Du bist 2013 zu THE HAUNTED zurückgekehrt. Warum hast du die Jungs denn 2003 verlassen? Und wie kamt ihr wieder zusammen?
Der Hauptgrund für meinen Ausstieg war in erster Linie, dass ich mich zu sehr in den Rock'n'Roll-Lifestyle vertieft habe. Ich habe es zu sehr genossen. Also musste ich aussteigen, um mich zu retten. Und die Sache ist die, dass ich der einzige Kerl in der Band war, der all diese verrückten Sachen machte. In den Jahren dazwischen, in diesen zehn Jahren, habe ich mindestens fünf Jahre lang nicht an Musik gedacht, bis meine alte Band, FACE DOWN, mich kontaktierte und sagte, lass uns ein Album machen. Wir waren ein seltsamer Haufen, Leute, die nie etwas miteinander zu tun gehabt hätten, wenn wir keine Band gehabt hätten. Also haben wir das Album gemacht, und ich glaube, wir haben auch eine Tour gemacht. Und dann haben wir nach ein paar Monaten gemerkt, dass es doch nicht passt. Und danach hat sich mein alter Freund Jesper [Strömblad – Anm. d. Red.] bei mir gemeldet, weil wir zusammen "Call of Duty" gespielt haben und wir auf der gleichen Map gelandet sind. Ich erkannte sein Rufzeichen. Und so fingen wir an, uns dort zu unterhalten, und dann beschlossen wir eine Band zu gründen, die all der Musik Tribut zollt, die wir nie in den verschiedenen Bands unterbringen konnten, in denen wir waren. Weil wir beide große Hardcore-Fans sind und so, war THE RESISTANCE geboren. Und das haben wir ein paar Jahre lang gemacht, aber auch das hat sich dann aufgelöst. Es ist wirklich traurig für eine wirklich, wirklich gute Band, aber alle Zutaten für eine totale Katastrophe waren da. Wir haben uns einfach entschieden, es zu ignorieren.

Aber in diesen zehn Jahren, in denen du nicht bei THE HAUNTED warst, hast du die Musik mit Peter Dolving verfolgt?
Zuerst nicht. In diesen ersten fünf Jahren hatte ich die Nase voll von der ganzen Musikindustrie und allem anderen. Also habe ich mir eigentlich gar nichts angehört. Dann, so 2013, habe ich die Genialität dieser Alben entdeckt. Und ich bin jetzt ein wirklich großer Fan dieser Alben. Aber damals hatte es nichts mit Peter zu tun oder damit, dass die Band eine andere Richtung einschlug oder so, denn ich hatte einfach die Nase voll von der ganzen Sache.

Ich glaube, deine Comeback-Platte war "Exit Wounds". Und wie hat es sich für dich angefühlt, nach zehn Jahren wieder mit THE HAUNTED Musik zu machen?
Ja, es wurde von den Fans akzeptiert. Und auch mit diesen Jungs wieder Musik zu schreiben, fühlte sich an wie nach Hause zu kommen. Denn bei den beiden vorherigen Bands war es so, als würde man mit  Fußballschuhen auf eine Eishockeybahn gehen. Bevor wir dann wieder zusammenkamen, rief mich Jensen [Patrik Jensen – Anm. d. Red.] 2013 an. Dann fingen wir an zu reden und er und Jonas legten das Format für THE HAUNTED 2013 fest. Ich sagte ihm, ja, ich brauche eine Woche, um zu antworten, weil ich mit meiner Frau reden muss, weil sie von dem ganzen Scheiß, den ich gemacht habe, sehr betroffen war. Ich brauchte sie also an Bord und sie musste damit einverstanden sein, weil sie eine Menge Scheiße ertragen musste. Sie sagte dann, ja, versuch's noch mal. 

Und jetzt ist sie der größte Fan deiner Stimme bei THE HAUNTED.
Sie und meine Kinder verstehen es nicht wirklich. Sie mag 'To Bleed Out'. Es ist ein ziemlich guter Song, aber nicht mein Lieblingssong auf der neuen Platte. 

Die letzten acht Jahre waren verdammt ruhig um THE HAUNTED. Lag es an der Corona-Pandemie oder was waren die Gründe?
Zum Teil wegen der Pandemie, weil die Sache ist, dass wir nicht in der gleichen Stadt leben, keiner von uns außer mir und Ola. Adrian lebt in London und Jensen lebt unten in Südschweden. Wir kommen also nicht so oft zusammen. Und wenn wir mal zusammen sind, dann machen wir Shows. In den acht Jahren, in denen wir Shows gemacht haben, haben wir immer wieder darüber gesprochen, ein Album zu machen, aber daraus wurde nichts. Als wir dann letztes Jahr beim "Sweden Rock"-Festival waren, haben wir gesagt: "Okay, genug mit dem Scheiß. Jetzt müssen wir das machen." Also wurde das Album in etwa drei oder vier Monaten geschrieben. Wir haben eine Dropbox, die voll ist mit Musik aus acht Jahren. Und das Album wurde in nur zwei Wochen aufgenommen.

Und ich denke, die Art und Weise, wie ihr spielt, ist sehr offensiv und braucht dieses Live-Gefühl einer Live-Show. Und da ihr in den letzten Jahren nicht so viel live spielen konntet, war das auch ein Grund für die lange Zeit für die neue Platte?
Ja, ja, das ist es. Und auch der ganze Sound des Albums ist eigentlich das, was wir seit dem ersten Album versucht haben,  dass es wie ein Proberaum klingt. 

Was charakterisiert die "Songs Of Last Resort" aus deiner Sicht?
Eigentlich hat unser Designer Dias, der die ganzen Albumcover macht, die Idee zu "Songs Of Last Resort" gehabt. Und als wir uns aufmachten, dieses Album zu machen, war der einzige bewusste Gedanke, den wir hatten und auf den wir uns alle geeinigt haben, dass wir THE HAUNTED-Mucke machen werden, aber es auf die Spitze treiben. Und der textliche Inhalt kam daher, dass wir alle an verschiedenen Adressen in Schweden saßen und schrieben. Und als wir die Ideen vorstellten, stellte sich heraus, dass wir alle über die gleiche Sache schrieben, nämlich über die absolute Scheiße der Welt, in der wir jetzt leben. Und da kam Jensen auf die Idee, dass es in Großbritannien vier Atom-U-Boote gibt, die mit Atomraketen bewaffnet um die Welt fahren. Das habe ich nicht gewusst. Jeder Premierminister, der in Großbritannien ins Amt kommt, muss vier identische handgeschriebene Briefe schreiben, die an diese U-Boote geschickt werden. Wenn also das Vereinigte Königreich durch einen Atomangriff zerstört wird, stehen hier Informationen darüber, wie und an wem man sich revanchieren kann. Das sind also die Briefe der letzten Instanz.

Und ich dachte, dass die meisten Lieder vom russisch-ukrainischen Krieg handeln, wenn ich 'Warhead' oder 'In Fire Reborn' höre…
Ich habe ein Video aus den Schützengräben in der Ukraine gesehen, in dem ein russischer und ein ukrainischer Soldat mit Messern kämpfen. Und das ist ein Video, von dem ich wünschte, ich hätte es nie gesehen. Und am Ende haben sie sich gegenseitig gedankt. Und einer von ihnen ist einfach weggegangen, um zu sterben. Daher kommt 'In Fire Reborn', wenn du deine Menschlichkeit verlierst und du akzeptierst, dass es einfach das Ende ist. 

Das zeigt einem, wie unmenschlich der Krieg eigentlich nur sein kann…
Ja, das ist es. Das war der Ursprung von 'In Fire Reborn'. Als ich das Video sah, wurde mir richtig übel, weil es auch die Geräusche sind, die mich verstören. Und es ist so brutal. Gerade auch die Nähe zu Schweden macht es so unglaublich.

Richtig. Aber ich denke, wir sollten über etwas Positives sprechen, einen Punkt des Albums: die Stimme. Was zum Teufel hast du mit deiner Stimme gemacht? Sie ist so kraftvoll.
Das sagt auch jeder. Ich glaube nicht, dass ich etwas gemacht habe, außer dass ich jetzt einen anderen Gesangsproduzenten habe mit Björn Strid. Er ist schon sehr lange ein Freund von mir, aber wir haben nie etwas Berufliches zusammen gemacht. Wir hängen nur rum und trinken Bier und so, du weißt schon, Festivals und so. Jocke [Skog – Anm. d. Red.] von CLAWFINGER war mein Gesangsproduzent für 15, 20 Jahre. Und dann beschloss er, in den Norden Schwedens zu ziehen, was etwa zwölf Stunden Fahrt bedeutet. Wir haben versucht, es hinzubekommen, aber es ging nicht. Also habe ich Björn kontaktiert und gefragt, ob er es machen könnte. Und wenn ich Gesang schreibe, denke ich als alter Schlagzeuger an den Rhythmus und er denkt an Melodien. Wenn ich also bei etwas nicht weiterkam, hatte er einfach eine Idee.

Ich bin ein sehr fauler Mensch. Wenn ich müde werde, denke ich, dass jeder Take ein guter Take ist. Und er sagt, nein, Mann, wir sind nicht mal nah dran. Also hat er mich sehr gedrängt und gepusht. Die Vocals haben wir in sechs, sieben Tagen aufgenommen.

Ein neues Level.
Ja. Es kommt wahrscheinlich daher, dass du unbewusst beeindrucken willst.

Und wenn jetzt ein junger Metalhead bei dir Unterricht nehmen wollte, was würdest du ihm raten?
Puh. Ich habe eigentlich überhaupt keine Technik. Ich könnte es nicht einmal erklären, wenn ich wollte. Aber du fühlst die Musik, du fühlst die brutale Musik. Und das kommt raus, wenn ich es fühle, denn wenn ich im Studio bin, benutze ich überhaupt keine Technik. Ich schreie mir einfach die Lunge aus dem Leib. Ich kam damals aus einem Hardcore-Background. Und deshalb klingt der Gesang manchmal ein bisschen nach Hardcore. Und ich kann wirklich nicht erklären, wie ich das mache, weil ich keine Aufwärmübungen mache. Ich mache gar nichts. Ich schreie einfach. Und wenn wir auf Tour sind, die ersten zwei oder drei Tage, dann fühle ich mich, als ob ich meine Stimme verlieren würde. Es ist einfach so, dass man machen kann, was man will. Das Einzige, was ich gemacht habe, ist, dass ich Unterricht genommen habe, um zu lernen, wie man atmet, denn das ist ein großer Teil davon, weil man atmen muss. Wenn man sich anschaut, wie ein Baby atmet, dann atmet es von der Seite aus. Als ich das einmal gelernt hatte, war es überhaupt kein Problem mehr.

Interessant! Zwei meiner Lieblingssongs auf "Songs Of Last Resort" sind keine brutalen, offensiven Songs, sondern 'Labyrinth Of Lies' und 'Letters Of Last Resort', die letzten beiden Songs der Platte, weil sie etwas Episches an sich haben. Das erinnert mich also sehr an "The Dead Eye".
Das Lustige ist, dass ich 'Labyrinth Of Lies' seit unserer Aufnahme nicht mehr gehört habe. Wir hatten gestern eine Listening Session im Sony-Hauptquartier in Stockholm. Und ich merkte, dass die Jungs im Raum auch sagten: "Oh, was zum Teufel ist das? Es ist ein guter Song." Es ist ein wirklich guter Song.

Es gibt dem Album einen sehr tollen Ausklang. Es macht so viel Spaß, es wieder und wieder zu hören, wieder und wieder. In den ersten Minuten hast du diese brutale Art, diese offensive Art. Und dann nach ein paar Liedern, bekommt man dieses epische Gefühl.

Ich glaube, ihr seid auf Tour in Schweden und auch für einige Shows in Griechenland und Japan. Sind noch weitere Shows geplant?
Für 2025 war es das, weil wir die ganze Festivalsaison und alles in diesem Jahr verpasst haben, da das Album so spät rauskommt. Aber nächstes Jahr kommen wir wieder, weil wir jetzt ständig Angebote bekommen.

Perfekt. Ich habe THE HAUNTED zuletzt beim "Nords Open Air" 2018 gesehen. Wie weit hat sich Band seither live entwickelt?
Ich schätze, dass das alles von der Freude kommt, die wir empfinden, wenn wir live spielen. Jede Show wird also anders sein, weil immer etwas passiert, entweder im Publikum oder auf der Bühne. Wir haben uns also definitiv nicht beruhigt, haha. Das "Nord Open Air" gibt es doch nicht mehr, oder?

Das "Nord Open Air" ist geschlossen und das "Turock Open Air" ist jetzt kleiner.

Ich frage, weil Marco Vorst unser Booking Agent in Europa ist. Und er war der Hauptverantwortliche für das "Nord Open Air". Ein wirklich toller Kerl. Er hat sogar eine US-Tour mit uns gemacht, damals im Jahr 2001. In seinen verrückten Tagen.  

Und in deinen verrückten Tagen.
Ja, auch. Ich glaube, wir waren damals böse Zwillinge. Aber man hatte eine gute Zeit und erinnert sich an diese zurück.

Und nächstes Jahr feiert THE HAUNTED 30-jähriges Jubiläum. Gibt es da irgendwelche Highlights für dich, irgendein Ereignis, das heraussticht, wie zum Beispiel das "Nord Open Air"?

Da gibt es so viele. Ich erinnere mich, als wir das erste Mal vor einem wirklich großen Publikum gespielt haben, das war in Wacken 2000 oder 2001. Und da waren so 20.000, 30.000 Leute im Publikum. Es war verrückt. Und ich erinnere mich an Schweden: Wir hatten in Schweden zwei Grammys und so gewonnen. Wir hätten also ausverkaufte Konzerte spielen sollen. Und dann kamen wir in eine kleine Stadt in Schweden. Und es waren neun Leute da. Aber das Lustige ist, dass man automatisch in den Modus kommt, dass eine Show eine Show ist. Egal ob groß oder klein, es macht Spaß. Und das ist die Sache: Solange es Spaß macht, machen wir es auf jeden Fall. Aber wenn es zu einem Muss wird, dass wir etwas tun müssen, dann müssen wir uns hinsetzen und uns einmal unterhalten.

Ich denke, das ist ein sehr gutes Schlusswort für unser Interview. Gibt es irgendetwas, dass du über die Platte loswerden möchtest?
Nein, hör es dir einfach an und kauf es, denn das Baby braucht ein neues Paar Schuhe, haha.

 

Fotocredits: Linda Florin

Redakteur:
Marcel Rapp

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