Pokick mit steifen Knien: SMOKE BLOW in Leipzig.

20.04.2010 | 10:59

Die immer noch beste Rockerformation der Republik gab ein sächsisches Konzert.

Es ist Freitag, es ist das Conne Island, es ist Leipzig und es ist rappelpappelvoll. Es strullt wie auf die Arche Noah. Deshalb muss der öffentliche Nahverkehr den Geruch der bieratmenden Anfahrer verkraften. Der Schnauzbart vom Busfahrer winkt uns durch, er will nicht mal den gültigen Ausweis sehen. Gruß hiermit an die LVB!

Es sind zwei unbekannte Vorbands angekündigt, bei Eintritt jedoch tönen seltsame Indie-Tronic-Töne von der Bühne. Angestrengter Powerpop. Anstrengend auch. Flugs die ersten Bekannten begrüsst ... "...Ja, ha... guten Abend..... ja  ha... achso,  mmh, nee weess ich nicht ob die ...rrüöps!... Entschuldigung!... auch da sind... na denne... man sieht sich!" Auffällig und in Barnähe postiert gruppiert sich eine Gruppe Männer um ein HC-Weiblein wie aus der Fibel: Zugehackt, manischer Drehblick, die Kumpels zärtlich-fordernd anrammend, laut und mit einem Bronxtuch aus dem KIK-Shop um die blondgefärbte Blondturmstirn gewunden. Eigentlich ist das ein Anblick, der mehr Fragen aufwirft als einladend ist. Der Volksmund nennt so etwas gemeinhin "Proll". Wir tätowieren "Stimmt genau, Motherfucker!" daneben. Zumal sich auch der Männchenhalbkreis drumrum sehr körperlich ausladend schon jetzt lautstark unterhält. Angehörs und angesichts dieser Hormonschleudern nehme ich mir vor, dem Vorhaben, sich im zu erwartenden Moshpit gehen zu lassen, "Tschüssi" zu sagen. Aber lassen wir das mal. Am Alter liegt die Abneigung nicht, mit 17 ging mir das übertriebene Szenekopieren auch schon auf die Walnuss. Und seit in einem der massenhaften Vorbühnengeschubse meiner Erinnerung ein Typ mit einem Mundschutz an mir vorbeigeflogen kam - bin ja kein Nahkämpfer, ey.

Dann, nach einer ganzen Weile, erhebt sich die Stimmung und das Wartemurren ist sonderbar friedlich geblieben. In anderen Venues ist da schon ganz anderes passiert, aber Leipziger sind schon immer recht tolerant, was Künstlerbedarf und Bedürfnisse betrifft. Zugegeben: der erste Kontakt zum Bomber aus Kiel fand 1999 anhand der ersten Langspielplatte mit einer dicken Portion Ruppigrock und den dazugehörigen Ausrasterkonzerten statt. Woran ich die Truppe immer schon fast unterbewußt messe. "Damals war's!"- Gequatsche ist das aber nicht, hier schreibt ja nicht der MDR.

Real geändert hat sich folgendes: SMOKE BLOW machen wieder mehr Hardcore, was nach den Vorgängerplatten sehr angenehm ist, aber nicht wirklich neu, die Herren gehen auf die Vierzig zu, oder sind es vielleicht schon, Urkorn Jack Letten hat nun – wie explizit betont wird – einen Gleichwertsänger in MC Strassenköter und die haben auch beide Stirntücher umgebunden, unter denen die Augen aus Schlitzen hervorluken. Basser Hellhammer stampft auf der Bühne herum, zieht den Hals in Fäden, der böslige Grauseblick ist altbewährt auf Hunderten von Konzerten, aber auch Schauspiel. Einiges hier erinnert an "S-H-O-W" im wahrsten Sinne der Definition, gestenreich und hüpfintensiv nimmt auch das angebumste Publikum das Angebot an. Zumindest in den ersten vier bis sechs Reihen ist ständig Bewegung. Der Rest – wie ich – bildet den Speckgürtel und will sich auch mitreissen lassen.

Klappt aber nicht. Der Funke springt nicht über. Mit dem schnellen Material des meiner Meinung nach etwas überbewerteten Albums "The Record" als Frischgepäck können wohl nur einige etwas anfangen, es gibt hier und da eingestreut richtige Mitschreier, die dankbar bejubelt werden, die ... also doch... etwas rockigeren, alten, scheissigen Stücke kommen besser an, das Keiforgan des Letten kommt bei den Stücken dieser Phase der Bandgeschichte besser zur Geltung. Das ist für mich eines der Wahrzeichen der Nordenkrieger. Stark intoniert, sludgig-kratzig, da zuckt sogleich der Kniebereich.

Ich schleiche mich nach vorn, um bei Bedarf in Schweiß zu tauchen, allein, es gelingt mir nicht. Gerade geht's auf die Zehenspitzen, zum Sprung bereit, dann schon wieder verläßt die Lust mich. Ich weiss auch, woran das liegt: Die limitierte Edition des neuen Albums hat noch die schon 1999 limitierte EP zur Beigabe, die die Band in einem Studio in Belgien unter den wachzittrigen Augen des Knöpfchendrehers Der Diener eingeschrotet hatte. Meine Herren, was für ein Gewitter das war und ist! "Hellhammer Codeine Blues" und das gottgekreischte "Bottle Of Kerosin" schwirren mir aus den letzten Tagen Dauerbeschallung im Kopf herum, das ist, was ich hören will!!! Aber das ist ein Wunsch wie viele hier im Saale. Das ist immer noch mit Abstand der beste Genrewildmix aus Rock, Stoner und auch HC, den deutschsprachige Musikkünstler so derzeit anbieten, sehr professionell und mit dicken Liedern im Rücken, aber auch im Gesamteindruck etwas müde und recht abgepackt in tausend mal gespielten Häppchen.

Die zusammengelegte Heimfahrt vollführt eine Taxifahrerin, die es eigentlich nicht geben darf – so eine mit Verlaub lustige Wildsau... hiermit folgt ein zweiter Gruß an diesen unglaublichen Beförderungsbetrieb!

Redakteur:
Mathias Freiesleben

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