MESSIAH: Interview mit Brögi

01.01.1970 | 01:00

Jo, endlich wurden also auch die beiden besten Scheiben einer Schweizer Metal-Band auf CD wiederveröffentlicht, und noch dazu mit einer Latte von Bonustracks. Nein, falsch geraten, ich spreche hier nicht von CELTIC FROST, sondern von den unvergleichlichen MESSIAH, denen leider der große Durchbruch trotz zahlreicher gutklassiger Songs immer verwehrt blieb. Um euch einen Einblick in das Schaffen der Schweizer machen zu können, unterhielt ich mich mit Brögi, dem Mastermind der Kultgruppe (obwohl der Begriff inzwischen überstrapaziert ist - er trifft hier den Nagel auf den Kopf).


Jochen:
Wie ist es dazu gekommen, dass ihr eine eigene Band gegründet habt?

Brögi:
Ich erinnere mich (soweit möglich - ist immerhin 18 Jahre her...), dass die Gründung einer Band eigentlich mehr zufällig zustande kam und nicht speziell geplant war "so, jetzt gründen wir eine Band". Jeder von uns Dreien/Urmitgliedern begann sozusagen zur selben Zeit unabhängig und ohne dass wir uns kannten, sein Instrument zu spielen. Das war 1983 und der erste Kontakt entstand durch ein Inserat in einem lokalen Blatt, als ich ein Effektgerät verscherbeln wollte - und darauf meldete sich Tschösi (Vocs, Bass).
Durch das äusserst interessante Telefongespräch entdeckten wir die gemeinsamen Interessen derselben Musikrichtung und eine erste Session war plötzlich wichtiger als das zu verkaufende Effektgerät... . Jazzi, der Drummer, hatte praktisch zur selben Zeit ein Inserat in demselben Blatt, um gleichgesinnte Musiker zu finden. Dann ging es sehr schnell und es war ohne ursprüngliche Absicht MESSIAH entstanden, obwohl wir damals noch keinen Bandnamen hatten. Jeder von uns spielte sein Instrument noch nicht allzu lange - und trotzdem entstanden die ersten Stücke; einen Bassisten fanden wir nicht, was dann Tschösi übernahm und gleichzeitig mit dem Grunzen begann. Das alles machte einfach riesig Spaß und mit der Zeit, Anfang 84’, beschlossen wir, uns offiziell als Band MESSIAH zu nennen. Dann entstanden die ersten inoffiziellen Aufnahmen, von denen ein Ausschnitt auf dem „Hymn To Abramelin“-ReRelease veröffentlicht ist. Diese Aufnahmen sind als reines Zeitdokument zu verstehen und es ist unüberhörbar, welch blutige Anfänger wir waren... .

Jochen:
Wer waren eure Vorbilder?

Brögi:
Jeder einzelne von uns brachte seinen eigenen Musikgeschmack und Vorbilder mit. Jazzi und ich stammten eher aus der klassischen Heavy Metal-Ecke, Tschösi brachte all die Einflüsse der extremeren Bands mit. Allerdings gefielen mir schnelle Parts genau so gut wie auch die doomigen. Bands wie MANILLA ROAD und TROUBLE sind von der Atmosphäre her mit den düsteren und ruhigen, mystischen Gitarrenklängen für mich das Genialste, was es gibt, auch heute noch. So entstand eine Mischung und ein eigener Stil. Unser Sound wurde aufgrund der ersten Konzerterfahrungen viel extremer und es entstanden dann Stücke wie „Enjoy Yourself“, welcher textlich davon geprägt ist. Ich würde behaupten, dass uns später eigentlich mehr die ersten Fans, Konzerte und das daraus resultierende Feeling beeinflusst haben, als andere Bands als Vorbilder.

Jochen:
Was war das für ein Gefühl, mit „Hymn To Abramelin“ die erste eigene Platte in den Händen zu halten?

Brögi:
Die allerersten Aufnahmen auf Tape waren für mich persönlich eindrücklicher, später besonders auch wegen den zahlreichen Reaktionen der Undergroundscene auf die Demos. Natürlich war dann auch, die erste eigene Platte realisiert zu haben, ein gewaltiges Gefühl. Zumal es zu jener Zeit nicht so einfach war wie heute, geschweige dann einen Deal zu bekommen - und schon gar nicht für MESSIAH. Da waren wir einfach zu extrem, um bei einem namhaften Label unterzukommen.

Jochen:
Wie entstand der Kontakt zu Chainsaw Murder Records? Wer stand überhaupt hinter diesem Label? Warum wurde die Erstauflage mit einem schwarzen und die Zweitauflage mit einem roten Cover versehen?

Brögi:
Dies war ein sehr kleines, neu gegründetes „Privat-Label“ eines Freundes von uns ("Dinosaur" Surremann) aus der Zürcher Szene, und er gab uns und auch noch anderen Bands (EXCRUCIATION und PENTAGRAM) die Möglichkeit, Platten zu realisieren. Eine Pionierleistung eines der ersten Independent-Labels für Bands wie MESSIAH, zumindest für die Schweiz. Die damaligen bekannten Label zeigten kein Interesse. Ich glaube, MESSIAH verdankt alles besonders und hauptsächlich auch den Fans, die uns die Existenz von Anfang an ermöglichten. Bei uns lief es wohl umgekehrt als bei nachfolgenden Bands in der Death Metal-Szene, zumindest was den späteren Deal bei Noise anbelangte. MESSIAH war dann schon ein Begriff ohne namhaftes Label. Betreffend den Covern von „Hymn To Abramelin“ weiß ich den Grund der andersfarbigen Cover auch nicht mehr so genau, wohl einfach, um sich von der Erstauflage zu unterscheiden und darauf aufmerksam zu machen, welcher Erfolg sich mit dieser „Eigenproduktion“ einstellte und nachgepresst wurde - Faktor 4 der Erstpressung.

Jochen:
Hast du noch Kontakt zu deinen ehemaligen MESSIAH-Mitstreitern? Was macht ihr heutzutage alle? Musikalisch noch aktiv?

Brögi:
Am meisten Kontakt hatte ich in den Jahren nach der Auflösung MESSIAHs noch mit Patrick Hersche (Bass), da wir praktisch Nachbarn sind, und trotz dessen früheren Ausstiegs blieben wir befreundet. Patrick spielte und spielt in diversen Bands, zur Zeit bei einer Schweizer Gothic-Combo namens SUCCUBUS. Von der Urbesetzung hatte ich nur mit Jazzi (Drums) manchmal telefonisch Kontakt. Dieser spielte nach MESSIAH bei POLTERGEIST (heute GURD) und zur Zeit bei BRAINDEAD und in einer Blues-Band. Ab 94’ bis 2001 war der Kontakt zu allen anderen Mitgliedern abgebrochen, ich distanzierte mich von der Metal-Szene und verlor auch so ziemlich die Übersicht. Mit Christofer (THERION) hatte ich nach dem Splitt noch ca. ein Jahr Kontakt. Im Februar diesen Jahres heiratete ich und lud alle ehemaligen Members ein. So sah ich Tschösi wie auch Steve, den späteren Drummer, wieder. Zur gleichen Zeit kamen die ersten Gedanken und ein gewisses Interesse von Außen auf, ob es je mal wieder etwas von und mit MESSIAH geben könnte. Ich begann, mich aber schon ein Jahr früher wieder für MESSIAH zu interessieren, als ich im Metal Merchant-Katalog „Hymn To Abramelin“-Shirts entdeckte, Kontakt aufnahm und sich herausstellte, dass es sich um Bootlegs aus Holland handelte... . So beschlossen wir, die Shirts offiziell, aber mit kultigem Rückendruck, auf den Markt zu
bringen.
Tschösi macht schon seit einigen Jahren eine klassische Gesangsausbildung, Steve spielt zur Zeit in einer Cover-Band, Andy Kaina (späterer Sänger auf „Psychomorphia“, „Choir Of Horrors“ und „Rotten Perish“) heiratete ebenfalls und ist allerdings nach Mexiko
ausgewandert.

Jochen:
Was haben deine Eltern eigentlich dazu gesagt, als ihr eure erste Platte veröffentlicht habt? Du bist doch sicherlich mit der Scheibe gleich freudenstrahlend zu ihnen gerannt... (lacht).

Brögi:
Ähhh, sie haben mich immer unterstützt und akzeptiert, was ich musikalisch so verbrochen habe, jedoch war und ist es für sie sehr schwierig, etwas musikalisches aus dem Schaffen von MESSIAH zu definieren, und sie haben immer ein Schmunzeln bereit, wenn ich von „Gesang“ spreche...:-).

Jochen:
Wie war zu der Zeit euer Verhältnis zu CELTIC FROST/HELLHAMMER? Hattet ihr Kontakt mit ihnen oder hat jeder sein eigenes Ding durchgezogen?

Brögi:
Dinosaur (Chainsaw Murder Records) und einige Freunde aus Zürich kannten sie sehr gut und besuchten früher mit Thomas und Martin die Schule (vor HELLHAMMER nannten sie sich GRAVE HILL). Tschösi hatte da mehr den Bezug als ich. HELLHAMMER/CELTIC FROST hatten ja schon Platten veröffentlicht, später dann bei Noise, bei uns war das dann mit dem Debut später der Fall. Kontakt hatten wir zu der Zeit keinen, außer den Gig in St.Gallen 85’. Ich lernte Martin Ain erst persönlich kennen, als er nicht mehr bei CELTIC FROST war und MESSIAH schon in der neuen Besetzung Platten unter Noise veröffentlichte. Er hatte auch den direkten Kontakt zu den Metal-Freaks, da er in Zürich in einem Platten-/CD-Laden arbeitete.

Jochen:
„Extreme Cold Weather“ hatte ein für Death Metal-Verhältnisse ziemlich sickes Cover. Wie bist du zu so einer Idee gekommen? Gab es keine Diskussionen, ob das überhaupt zur Musik passt?

Brögi:
Nein, es gab absolut keine Diskussionen, ob es zur Musik passen muss. Die „Extreme Cold Weather“-Zeit ist die wohl MESSIAH-typischste und wir waren von anfänglichen Klischees ("Satan/Death/Kill-Scheiße") weggekommen und, wie zuvor erwähnt, schon sehr stark von den Konzerten und Fans beeinflusst. Darum auch die rohen und ehrlichen Live-Aufnahmen auf der B-Seite. Zur Zeit als wir die Studio-Seite aufnahmen, herrschte wirklich eine für unsere Breitengrade außergewöhnliche Kälte und die nervte uns - worauf wir uns entschlossen, dies in einem Song mit Ausdruck zu verarbeiten. Daraus wurden Titelstück und Albumtitel mit dem ausgewählten Cover, was heute als sehr kultig betrachtet wird. Und die Klänge von MESSIAH sind auch eher kälterer Atmosphäre... .

Jochen:
Auf „Extreme Cold...“ gab es mit „Johannes Paul der Letzte“ und „Radetzky March“ zwei Songs mit recht ungewöhnlichen Titeln. Wie entstanden diese? Was wolltet ihr textlich damit ausdrücken? Später hattet ihr mit „The Ballad Of Jesus“ ja auch einen ziemlich christlichen Text... .

Brögi:
Mit dem Titel „Johannes Paul der Letzte“ haben wir die Vergötterung des Papstes kritisiert und unsere Meinung kundgetan, dass dieser vor Allem in den ärmeren Ländern, wo er sehr gern empfangen wird, am wenigsten für die Leute tut. MESSIAH war nie okkult noch satanistisch veranlagt und interessiert, jedoch als Atheisten sehr kritisch gegenüber der Kirche und aller religiösen, extremen Glaubensformen. Wir hatten jedoch nicht nur „gemotzt“, sondern auch positive Aspekte verarbeitet. In diesem Zusammenhang möchte ich die Widmung eines Instrumentals namens „Mother Theresa“ an sie selbst erwähnen. Provokativ nach dem Pope-Titel auf „Extreme Cold...“ platziert! Das Stück ist übrigens erstmals wieder auf dem ReRelease zu hören – es fehlte auf der Nuclear Blast 90er-Version.
„The Ballad Of Jesus“ ist das wohl Dümmste, das MESSIAH je veröffentlichte, nicht wegen der Musik und deren Techno-Versionen, sondern wegen dem absolut hirnlosen und primitiven Text, den ich voll Christofer in die Schuhe schieben muss. Ich übernehme nur Verantwortung dafür, dass ich mitmachte und mich nicht dagegen wehrte, so einen Song zu veröffentlichen. Zu der Zeit hatte ich schon resigniert, was auf die Probleme zurückzuführen war, einen geeigneten Sänger nach Andys Ausstieg zu finden. Zu viele Kompromisse ging ich ein und das Album „Underground“ ist MESSIAH sehr entfremdet, zumindest von den Texten her. Die passen besser zu Christofers schwedischem Patriotismus... - nicht negativ gegenüber Christofer gemeint, aber halt einfach nicht zu MESSIAH passend. Wir waren selber Schuld und hatten keine besseren Texte geschrieben, und für mich war MESSIAH schon beim Antritt ins Studio für „Underground“ tot!

Jochen:
Die Wiederveröffentlichung der beiden Scheiben war ja mit eine Idee von dir. Wie bist du mit der endgültigen Umsetzung zufrieden?

Brögi:
Ich bin sehr zufrieden damit und ein großes Lob geht an die Leute von Massacre und Metal Merchant, die das genial umgesetzt haben (Shirts und ReReleases!!!). Denn es war sehr wichtig, die ReReleases möglichst originalgetreu zu gestalten, was aus meiner Sicht sehr gelungen ist. Und ich möchte auch nochmals betonen, dass die Bonustracks einfach ehrlich und unverändert als Zeitdokument aufzeigen sollen, wie sich MESSIAH aus den Anfangstagen entwickelt und angehört hat. Es war schon gewagt, die ersten Aufnahmen/Demos mit draufzupacken, aber es geht nicht unbedingt um die musikalische Leistung, die ja sehr zu wünschen übrig lässt, - vielmehr um den eigenen Stil und Originalität, die sicher auch in der Rohheit, der sehr extremen Spielart und dem „Gesang“ für die damalige Zeit liegt.

Jochen:
Gibt es eine realistische Chance auf eine Reunion von MESSIAH und sei es nur für ein paar Konzerte? Schließlich haben euch das ja bereits einige Bands vorgemacht, die beispielsweise in Wacken aufgetreten sind.

Brögi:
Alles mögliche haben wir diskutiert und es war diesen Sommer sogar ein Treffen der Urbesetzung mit den neueren Mitgliedern zusammen zustande gekommen (außer Andy, der ist ja in Mexiko). Ich hatte die Idee verfolgt, ein einziges Konzert zu realisieren und das mit allen Membern zusammen, so dass jede MESSIAH-Epoche in der jeweiligen Originalbesetzung die dazupassenden Titel brettern würde. Leider scheiterte dies, weil Tschösi aus persönlichen Gründen nicht mehr auf die Bühne will. Es gab aber sogar eine Rehearsal-Session in der Ur-Trio-Besetzung! Mit der neueren Besetzung hatten wir ebenfalls eine Session und spielten Titel wie „Choir Of Horrors“ und „Condemned Cell“ mit einem Session-Sänger von meinem Solo-Projekt MOURNINGSIDE. Es funktionierte trotz 8jähriger Pause so gut, dass ein 90minütiges Set innerhalb einer Monatsfrist eingespielt wäre. Auch mit Andy Kaina sind wir in Kontakt und er sieht die Möglichkeit eines einzelnen Gigs im Frühjahr!
Eine Reunion kommt für MESSIAH nicht in Frage, denn dies wäre nur in der Originalbesetzung sinnvoll und dies ist aus unserer Sicht nicht mehr möglich. Auch mit neuem Sänger sehen wir keine Möglichkeit, denn die Identität MESSIAHs ging spätestens nach dem Ausstieg von Andy verloren - das würde niemand mehr verstehen und es wäre eine neue Band und nicht mehr MESSIAH. Wir wollen auch nicht in der Reunion-Ecke all der 80er Bands landen. Aber die Hoffnung eines einzelnen ultimativen Konzerts im Frühjahr 03’ besteht, und da jetzt auch ein ReRelease von „Choir Of Horrors“ im Gespräch ist, macht dies auch Sinn mit der dazu passenden Besetzung!
Neben all diesen Gegebenheiten arbeite ich persönlich an meinem Soloprojekt, das ich jetzt zur Zeit forciere und da meine Ideen kompromisslos verarbeiten kann, MESSIAH hin oder her, obwohl es schon wieder danach klingt - kann halt nicht anders... .


Jochen Heinlein

Redakteur:
Gastautor

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