JEFF LOOMIS: Interview mit Jeff

08.11.2012 | 08:01

Jeff Loomis ist relativ unumstritten einer der technisch besten Metal-Gitarristen überhaupt. Kürzlich veröffentlichte er mit "Plains Of Oblivion" sein zweites Solo-Album. Wir sprachen mit dem ehemaligen NEVERMORE-Gitarristen im Rahmen des Euroblast-Festivals. Ein Interview über unbeachtete Sängerinnen, Djent - und natürlich NEVERMORE.

Wie geht es dir, Jeff?

Ausgezeichnet, wirklich ausgezeichnet! Wir sind jetzt seit drei Tagen auf Tour und werden so langsam richtig warm. Es ist ziemlich verrückt, denn wir haben noch drei andere Bands mit im Bus. Von daher sind es 23 Leute - alle zusammen in einem Bus. Das ist ziemlich verrückt, aber wir haben eine tolle Zeit miteinander.

Wir sind hier auf dem Euroblast, einer sehr Djent-lastigen Veranstaltung. Was denkst du über diesen noch recht jungen Djent-Stil?

Ich finde ihn cool! Ich bin ein Fan von vielen dieser Bands wie z.B. PERIPHERY, mit denen wir erst vor vier Monaten noch getourt sind. Zwar muss ich ehrlicherweise sagen, dass ich kein Teil dieser ganzen Sache bin und ich nur hier und da ein paar Parts habe, die an den Djent-Stil erinnern. Ansonsten bin ich selbst eher in diesem "alten Stil" des Metals. Aber ich mag die Musik und ich mag eine Menge der Bands. Ich denke, dass es eine coole Richtung ist, die sich diese Generation anhören kann.

Wenn es um das Gitarrespielen geht, kommt immer wieder die Diskussion auf, ob Technik oder Gefühl "entscheidender" ist. Du bist als einer der besten technischen Metal-Gitarristen bekannt, wie denkst du darüber?


Ich denke, dass man beides braucht. Auf der einen Seite ist die Technik sehr wichtig, um viele Dinge überhaupt umsetzen zu können. Da ist auch eine Menge Übung erforderlich. Auf der anderen Seite bin ich selber mit Platten von Gitarristen wie Jeff Beck usw. groß geworden, weil man Vater diese Musik gehört hat – und das waren und sind alles unglaublich gefühlvolle Gitarristen! Das hat auch definitiv seine Spuren hinterlassen. Bei meiner eigenen Musik versuche ich in erster Linie nach Gefühl zu komponieren und gucke dann, was technisch notwendig ist, um das umzusetzen, was ich mir vorgestellt habe. Letztlich halte ich aber beides für extrem wichtig.

Bei vielen jungen Bands bekommt man den Eindruck, dass sie wesentlich mehr Gewicht auf die Technik legen, so vor allem auch im Djent. Gibt es bei diesen Bands deiner Meinung nach ein Mangel an Gefühl in der Musik?


Nein, das glaube ich nicht. Ihre Musik basiert auf anderen Säulen als meine bspw., insofern denke ich, dass das einfach ihre Art ist, die Emotionen auszudrücken, die sie gerne ausdrücken wollen.

Dann erst einmal Glückwunsch zu "Plains Of Oblivion", deinem neuen, aus meiner Sicht sehr gutem Album, welches vor Kurzem veröffentlich wurde.

Vielen, vielen Dank!

Wie auch "Zero Order Phase", so hat "Plains Of Oblivion" ein sehr dunkles, kaltes Artwork. Magst du es dunkel, magst du es kalt?

(lacht) Es macht den Anschein! Ich denke, das liegt vor allem auch an Seattle, wo ich sehr viel Zeit meines Lebens verbracht habe. Dort regnet es teilweise echt viel und das wirkt sich schon auf die Stimmung aus. Aber auch ansonsten habe ich wohl ein wenig den Hang zum Dunklen. Das merke ich vor allem daran, dass ich Musik hauptsächlich in moll-Tonarten schreibe.

Die Grundstimmung auf "Plains Of Oblivion" ist sehr kalt, wird jedoch immer wieder aufgelockert. Mir kommt dabei immer die Assoziation, dass das Fundament der Songs ein undurchsichtiger Irrgarten ist, durch den einen aber ein Licht, in Form deiner Melodie-Linien, zielsicher hindurchführt.

Ja, das kann ich gut nachvollziehen. Ich versuche immer einen roten Faden zu spannen, der dem ganzen Halt gibt. Man soll sich an den Melodien orientieren können.

Gab es Unterschiede im Entstehungsprozess im Vergleich zu "Zero Order Phase"?

Ja, denn dieses Mal hatte ich wirklich Zeit und Ruhe für das Album. Damals habe ich mal hier, mal dort an Songs geschrieben, dann wieder etwas aufgenommen, dann war ich wieder unterwegs... das war alles ziemlich durcheinander. Dieses Mal hatte ich nichts anderes um die Ohren und konnte mich voll auf das Album konzentrieren. Ich denke, das hört man dem Album auch an.

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Christine Rhoades und Ihsahn? Vor allem ihre Stimme passt einfach perfekt zur Musik.

Weißt du, ich wollte schon seit sehr, sehr langer Zeit mit Christine Rhoades zusammenarbeiten. Sie hat auch einige der alten NEVERMORE-Sachen gesungen. Sie hatte bisher nie die Möglichkeit Teil einer professionellen Produktion zu sein. Und ich dachte mir einfach, dass ihre Stimme viel zu gut ist, um nicht auf Platte festgehalten zu werden. Also habe ich sie eines Tages einfach angerufen und gefragt, ob sie nicht Interesse hätte, ein paar Songs auf meinem Album zu singen – und sie sagte "ja"! Sie ist eine sehr talentierte Künstlerin und ich liebe es, mit ihr zu arbeiten.

Der Song, den Ihsahn singt ['Surrender' - OP], war ursprünglich als Instrumentallied gedacht. Aber wir hatten den Eindruck, dass wir davon schon zu viele auf dem Album hatten, weshalb mein Produzent vorschlug, noch einen anderen Sänger zu finden. Also haben wir Kontakt aufgenommen, ich habe ihm den Song per E-Mail geschickt und er hat ihn sofort geliebt. Eine Woche später schickte er uns eine voll ausgearbeitete Version mit den gesamten Vocals. Ich denke, dass er genau der richtige für den Song ist.

Er hat auf jeden Fall eine sehr eigene Stimme, die man so nirgendswo hört.


Ja, sie ist ein absolutes Original und einzigartig. Was will man mehr? (lacht)

Wenn man sich die Credits im Album anschaut, stellt man fest, dass du keine der Lyrics geschrieben hast. Ist die Gitarre alles, was du brauchst, um dich auszudrücken?

So ziemlich! Als Kind begann ich ursprünglich mit dem Schlagzeugspielen. Das war auch toll und gab mir ein gutes Gespür für Rhythmen. Aber letztendlich ist die Gitarre das, womit ich mich vollständig ausdrücken kann. Es ist fast so, als würde ich mit dem Instrument singen – oder etwas in der Art. Nachdem ich einmal eine Gitarre angefasst habe, habe ich sie nie wieder losgelassen.

Wo bekommst du hauptsächlich die Inspirationen für deine Songs her? Wie malst du deine Klangbilder? Sind das andere Musik und Musiker? Die Natur? Oder persönliche Erfahrungen?

Also ehrlich gesagt ist es Konzentration, sich hinsetzen und es einfach machen. Ich höre mir auch keine andere Musik an, wenn ich selber am schreiben bin. Es ist nicht so, dass ich mir denke: "Hm... das guck ich mir mal an!" und mir dann erstmal eine MACHINE-HEAD-Platte gebe oder so etwas. Ich höre einfach auf mein Herz und gucke, wo mich das hintreibt. Es ist einfach zwei Monate hinsetzen und schreiben, bis ich ein Ergebnis habe, dass ich wirklich mag.

Kommen wir zurück zur aktuellen Tour. Wie ist es, das Solo-Material endlich live zu spielen? Denn zu Zeiten von "Zero Order Phase" meintest du, dass du gar nicht weißt, ob du es jemals auf der Bühne präsentieren wirst.

Ja, es ist schon ein wirklicher Trip, weil ich überhaupt nicht wusste, wie die Fans mich behandeln würden. Aber als wir vor vier Monaten mit PERIPHERY auf unsere erste Tour gegangen sind, fanden es alle super. Ich fühlte mich daher sehr willkommen. Die Leute wollten mich wiedersehen und gucken, was ich jetzt so mache.

Ist es für dich ein Unterschied, alleine auf der Bühne zu stehen im Vergleich zur Zeit mit NEVERMORE, wo mit Warrel Dane auch ein sehr präsenter Typ  Sänger war?

(lacht) Ein bisschen auf jeden Fall. Ich muss ehrlich sein und gestehen, dass ich mich manchmal umgucke und meine alten Bandkollegen dort erwarte. Das ist schon komisch. Nun ist der Fokus zwar nicht komplett auf mir, aber schon ein wenig. Die Leute gucken mir genau zu, wie ich die Riffs und den ganzen Kram spiele; aber ich mag das. Es fühlt sich an, als ob ich genau das, wofür ich arbeite, letztendlich wiederbekomme. Ich möchte den Leuten gerne etwas mitteilen. Sie möchten das sehen, und ich bin gerne dafür da. Ich schätze mich selbst sehr glücklich, dass ich immer noch hier bin und das machen kann. Ich bin nun 41 und könnte längst irgendwo gestrandet sein, aber ich bin nach wie vor hier und spiele Musik mit einer anderen Generation von Jugendlichen, die die Sache lieben – und das freut mich.

Bekommst du viele Nachfragen bzgl. alter NEVERMORE-Sachen?


Ja, letztens als wir in der Schweiz waren, schrie dieser einer Junge nach dem NEVERMORE-Song 'Born'. (lacht) Aber es ist schon cool, dass auch junge Leute diese Sachen nach wie vor schätzen und die Band immer noch unterstützen.

Wenn du so über NEVERMORE sprichst: Hast du deinen Frieden damit gemacht oder tut es immer noch weh?

Nee, das ist schon in Ordnung. Wir waren als Band für 18 Jahre zusammen. Nach so einer langen Zeit ist das wie eine Ehe mit den anderen Jungs. Du verbringt viel Zeit mit ihnen bei den Reisen und im Bus. Ich wollte für mich selber weiterkommen. Und genau so war das auch mit Van [Williams, Ex-NEVERMORE-Drummer – OP]; er wollte auch vorankommen. Und genau so machten wir es dann auch. Wir veröffentlichten eine Stellungnahme: "Tut uns leid, aber wir verlassen die Band." Aber genau das ist die Sache: jedes Buch hat ein Ende. Das eine schließt sich, ein anderes öffnet sich dafür. Du bekommst die Möglichkeit, etwas anderes zu tun. Ich habe meinen Frieden mit den Jungs geschlossen und spreche auch noch mit ihnen.

Wirklich?

Ja! Wie könnte ich 18 Jahre mit ihnen zusammenleben und dann nicht mehr mit ihnen reden? Das wäre traurig. So jemand bin ich nicht.

Man hatte aber den Eindruck, dass es zwischen euch nicht besonders gut geendet ist.

Am Anfang tat es das auch nicht. Aber nach den ersten sechs Monaten trafen wir uns zufälligerweise auf einem Konzert und haben uns wieder gegrüßt.

Wie unterscheidet sich das Publikum im Vergleich zu früher? Sind es mehr jüngere Leute? Mehr Progressive-Fans? Oder immer noch viele Metalheads, die "Yeah, Jeff, NEVERMORE!" schreien?

Nein, die sind nicht mehr so viele. Es sind wirklich mehr jüngere Leute heutzutage, und das ist irgendwie abgedreht, denn einige der Kids könnten Kindern derjenigen sein, die mich schon mit NEVERMORE gesehen haben. (lacht) Aber ich nehme das einfach, wie es ist, und ich bin wirklich glücklich, auch für eine andere Generation spielen zu dürfen. Aber wir haben definitiv ein jüngeres Publikum.

Was sind deine Pläne für die nähere und etwas entferntere Zukunft?

Ich mache gerade kleine Schritte und gucke, wo mich die Zukunft hintreibt; möglicherweise eine vollständige Band mit durchgehendem Gesang? Aber im Moment promoten wir "Plains Of Oblivion" als Instrumentalplatte. Wir haben für die Tour extra drei Songs mit Vocals aufgenommen und werden heute auch Lieder mit Vocals präsentieren, allerdings neues Material [siehe Bericht vom Euroblast – OP]. Wir werden sehen, was demnächst passiert. Ich habe noch ein paar Tourpläne für das Ende des Jahres, aber das ist es erstmal für den Moment.

Hast du dir mal Gedanken darüber gemacht, wieder in eine richtige Band einzusteigen?

Wenn die richtige Band anklopfen würde, dann würde ich vermutlich ja sagen.

Du hattest ja mal eine Anfrage von MEGADETH.

Ja, aber das war damals, als ich 16 war. Und ich muss glaube ich nicht extra erwähnen, dass es für einen 16-jährigen keine gute Idee ist, mit MEGADETH zu touren. Auch später im Jahr 2008 wurde ich noch einmal angefragt, aber zu der Zeit war ich sehr beschäfigt.

Das war zur Zeit von "Zero Order Phase", oder?

Genau richtig. Und letztlich ist ja Chris Broderick bei ihnen eingestiegen, und der ist eh der perfekte Gitarrist für die Band.

So Jeff, möchtest du deinen Fans zum Abschluss noch etwas mitteilen?

Es ist toll zurück zu sein und wieder in Deutschland zu spielen. Es haut mich immer noch um, dass ich so viele deutsche Fans habe. Vielen Dank, dass ihr mich wieder so aufgenommen habt. Und vielen Dank für das Interview!

Gerne, vielen Dank auch von unserer Seite aus!

Redakteur:
Oliver Paßgang

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