Im Rückspiegel: THE OFFSPRING

09.05.2023 | 13:39

Ein wenig ungewöhnlich für POWERMETAL.de, doch bei genauerem Blick kann keiner von uns seinen persönlichen THE OFFSPRING-Moment leugnen. Dexter und Co. waren für unseren musikalischen Werdegang doch stilprägender als gedacht. Und bevor die College-Punk-Veteranen aus Orange County im Zuge ihrer "Let The Bad Times Roll"-Tour auch unsere Städte unsicher machen, wagen wir einen Rückblick auf ihr bisheriges Schaffen.

Sind wir mal ehrlich, alle Leser und Leserinnen dieser Zeilen werden wohl mit einem Album zwischen "Smash" und "Americana" zu THE OFFSPRING gefunden haben. Und wenn man an den locker-flockigen melodischen Punk des Vierers aus Kalifornien gewöhnt ist, dann kann das Debüt "The Offspring" aus dem Jahr 1989 durchaus ein kleiner Kulturschock sein. Aufgenommen im South Coast Recording Studio und veröffentlicht vom Indie-Label Nemesis Records, präsentiert der Erstling nämlich noch eine deutlich ungeschliffenere, härtere und Hardcore-lastigere Version des typischen Bandsounds, der Noodles, Dexter und Co. später zu Weltruhm verhelfen sollte. Trotzdem sind schon alle Trademarks vorhanden, die man bis heute an der Band liebt. Vor allem Dexters charismatischer Gesang sticht für mich immer besonders heraus, denn der inzwischen mit dem Doktor der Philosophie versehene Fronter lässt sich nach nur zwei Tönen immer sofort heraushören und serviert seine durchaus bissigen Texte mit jeder Menge Überzeugung und Esprit. Und auch Noodles zündet an der Gitarre schon zahlreiche Riff-Feuerwerke, was in 'Elders' oder 'Out On Patrol' sogar in ersten veritablen Hits mündet, die ich mir auch durchaus auf späteren Großtaten wie "Smash" vorstellen könnte. Zugegeben, hinten raus geht dem Quartett etwas die Luft aus und die Hooklines zünden eher selten, doch zumindest hat man mit 'Kill The President' (das in späteren Veröffentlichungen vom Album genommen wurde) eine Nummer im Gepäck, die direkt für eine Kontroverse sorgte und die Band ins Gespräch brachte. Angefeuert von der Diskussion um selbigen Track und begünstigt von der Hit-DNA, die schon 1989 aus zahlreichen Nummern strahlte, konnte "The Offspring" insgesamt 5000 Einheiten absetzen, was für einen Indie-Release durchaus beachtlich ist, und das brachte der Band schließlich einen Deal mit Epitaph Records ein. Eine Partnerschaft, die sich in den folgenden Jahren als sehr fruchtbar erweisen sollte.

[Tobias Dahs]

Als 1992 "Ignition" veröffentlicht wurde, war ich als vierjähriger Bengel mit dem Hang zur Schlumpf-Musik (Stichwort "Tekkno ist cool") ganz weit entfernt von meinem 14-jährigen Ich, das durch MTV das erste Mal auf "Americana", "Conspiracy Of One" und damit THE OFFSPRING aufmerksam wurde. Auch wenn "Ignition" in der Nachbetrachtung noch weit entfernt vom poppig-rockigen College-Punk-Flair späterer Jahre war, ist das Zweitalbum der Mannen um Dexter und Noodles ein bei näherer Betrachtung starkes Werk, das – um einmal auf den Punkt zu kommen – den Weg ebnete für den Millionenseller und Schalldurchbruch "Smash" zwei Jahre später. Wenn ich überlege, dass ich "erst" vor rund acht Jahren auf "Ignition" aufmerksam wurde, muss ich mir schon in den Hintern treten, weshalb ich diese Platte erst so spät entdeckte. Doch zum damaligen Zeitpunkt – 2015 war zumindest in der ersten Hälfte ein sehr schönes Jahr für mich – wie auch heute packen mich 'We Are One', 'Take It Like A Man', 'Hypodermic' und 'Burn It Up'. Und für "Days Go By" wurde 'Dirty Magic' später extra noch einmal neu aufgenommen. Klar, das Artwork ist öde, der Sound ist noch etwas arg dumpf, weit entfernt vom klaren Wir-trinken-Bier-aus-einem-Trichter-Feeling, doch vor allem dieses Vorbrodeln größerer Taten macht "Ignition" in der Retrospektive zu einem sehr interessanten, wenngleich – und da sind wir uns alle einig – nicht stereotypischen THE OFFSPRING-Album. Doch wer weiß, wie "Smash" und somit die Karriere der Punker ausgefallen wäre, wenn "Ignition" nicht noch so herrlich ungeschliffene Diamanten im Repertoire gehabt hätte.

[Marcel Rapp]

"Smash". Über dieses Album, veröffentlicht am 08.04.1994, wurde glaube ich schon alles geschrieben und gesagt. Von nun an sollte für THE OFFSPRING nichts mehr wie zuvor sein, denn es verkaufte sich über elf Millionen Mal und ist damit nach wie vor das meistverkaufte Album, das auf einem Independent-Label veröffentlicht wurde (man war damals noch bei Epitaph-Records unter Vertrag) und hat mit 'Self-Esteem' einen Welthit an achter Stelle in den Reihen. "Ist das noch Punk-Rock?", würde jetzt vielleicht die "beste Band der Welt" fragen. Ja! Denn "Smash" versprüht trotz weiterer Überhits wie 'Gotta Get Away' und 'Come Out And Play' einen rohen und rauen Esprit, der nichts mit den folgenden, ausproduzierten Alben zu tun hat - ich liebe diesen leichten "Proberaum-Sound", der trotzdem ordentlich Druck hat. Es gibt einfach unglaublich viele ikonische Momente, begonnen mit dem coolen Intro 'Time To Relax', dem Spoken Word-Part und der anschließenden Explosion in 'Bad Habit', das simple, aber kreative Schlagzeug-Intro, sowie das orientalische Lick bei 'Come Out And Play', das gelallte Intro von 'Self-Esteem' - das nur als Auszug. Zugegeben, nach dem Überhit geht dem Album etwas die Luft aus, kann jedoch mit dem Titeltrack und den Zeilen "I'm not a trendy asshole/I do what I want I do what I feel like/I'm not a trendy asshole/I don't give a fuck if it's good enough for you/ 'Cause I'm alive" zum Schluss nochmal große Akzente setzen. Zeitgeschichte.

[Jakob Ehmke]

Nicht nur als Nachfolger des Weltdurchbruchs "Smash" hatte das 1997er OFFSPRING-Album mit dem rätselhaften Titel "Ixnay On The Hombre" einen schweren Stand. Nur ein Jahr später gab es mit "Americana" den Mainstream-Triumphzug der Band, womit "Ixnay" auch in der Retrospektive beinahe in die Bedeutungslosigkeit geschoben wurde. Dabei handelte es sich keineswegs um musikalische Pflichterfüllung nach dem Durchbruchsalbum; für mich persönlich ist "Ixnay On The Hombre" neben "Smash" sogar an der Spitze der OFFSPRING-Diskographie platziert. Vermutlich war die Erfolglosigkeit nach einem Kracher wie "Smash" vorprogrammiert; schließlich schreibt man nicht alle Jahre eine Kultnummer wie 'Self Esteem', die in den 90ern vermutlich allen Erdenbürgern mit Radioempfang bekannt war. Doch Album Nr. 4 markierte eine Weiterentwicklung der Punkrocker, die seinerzeit nur wenige anerkennen wollten: Sound- und produktionstechnisch war man schlicht besser als 1994, musikalisch abwechslungsreicher als auf "Smash". Die Resignation angesichts gesellschaftlicher und weltpolitischer Entwicklungen, die die Band in ihren Texten seinerzeit oft zum Ausdruck brachte, wurde noch treffender und markanter demonstriert, als auf dem Vorgängerwerk: 'Meaning Of Life' sei dabei an erster Stelle genannt, der mitreißende Opener (nach dem abgedrehten, herrlich selbstironischen Intro 'Disclaimer'), der ohne Zweifel zeigte, dass THE OFFSPRING nach "Smash" keineswegs an Feuer und Energie verloren hatte, der wieder direkt ins Ohr ging und zum Powerchord-Schrammeln auf der heimischen E-Gitarre animierte. Gleichzeitig drehte die Truppe aber auch dezent an der Experimentierschraube und erhöhte die Zahl der schrägen, weniger massenkompatiblen Tracks: 'Me & My Old Lady' mit der erneut hörbaren Affinität zu orientalisch angehauchten Harmonien, das unterhaltsam-abgedrehte 'Mota', der Ska-Verschnitt 'Don't Pick It Up' - vermutlich war das der sprunghaft gewachsenen Anzahl der Mainstream-Hörer zu viel des Unkonventionellen und zu weit weg von GREEN DAYscher Stadiontauglichkeit. Dabei rockte das Quartett mit fetzigen Punk-Geschossen wie 'All I Want' oder 'Cool To Hate' auch weiterhin Bühne und Schuldisco. Die aufwühlende Trauerarbeit 'Gone Away' passte der Hitparadenhörerschaft vermutlich deutlich weniger in den Kram, und am deutlichsten demonstrierte kurz vor Schluss eine ungewöhnlich getragene Nummer namens 'Amazed', dass man sich bei THE OFFSPRING in dieser Phase nicht von chartorientierten Erwartungen vereinnahmen lassen wollte: Ihren ganzen Weltschmerz, ihre Niedergeschlagenheit, die auf "Smash" noch in flotten punkigen Zweiminütern verpackt war, brachten die Amis in dieser schlichten, eingängigen und unfassbar ergreifenden Nummer zum Ausdruck. Kein Song fürs Radio, sondern für den melancholischen Blick aus dem Fenster in den Abendsmog der Großstadt, nachdem die Tagesnachrichten wieder nur Schlechtes ins heimische Wohnzimmer gebracht hatten. "Ixnay On The Hombre" wäre für mich das beste Album der Band geworden, hätte sie nicht den an sich interessanten Kniff gezogen, das nachdenkliche "Smash"-Outro wieder aufzugreifen und mit 'Change The World' in einem wie ich finde ziemlich uninspirierten Abschlusstrack zu verwursten. Auch der damals übliche Hidden Track belief sich schlicht auf die befremdliche (aber selbstverständlich nicht verwerfliche) Aufforderung "I think you guys should try Heavy Metal. Kiss my ass! Haha!" Ein eher peinlicher Abschluss. Davon abgesehen sollten alle, die die Band mögen, aber über all die Jahre stets bei "Smash" und "Americana" hängen geblieben sind, "Ixnay On The Hombre" wieder eine Chance geben. Hier wurden die Reife und Größe der Band in einem Maße deutlich, wie es aufgrund des alles überstrahlenden Massen- und Megaerfolges einer Single namens 'Pretty Fly (For A White Guy)' jahrelang überhaupt nicht nüchtern beurteilt werden konnte.

[Timon Krause]

Okay, ja ja ja ja jaaa! Eigentlich würde ich nur einen längeren Text über "All I Want" schreiben wollen. Kennt ihr noch das Spiel "Crazy Taxi", wo ihr auf der PlayStation 2 als bekloppter Taxifahrer durch zwei Welten gefahren, Passanten eingesammelt und die in halsbrecherischen Stunts an ihr Ziel gebracht habt? Und 'All I Want' war Teil dieses Soundtracks. Gott, was liebe ich diesen Song auch 20 Jahre später noch, sind diese 114 Sekunden doch kurz und knapp genau das, was ich mit College-Punk meine: Die Skateboards grinden sich heiß, das Bier wird auf College-Partys trichterweise in die Hälse katapultiert, der Quarterback der Football-Mannschaft macht sich an die Cheerleader ran und für mich bleibt eine unvergessliche Nacht mit Freunden und guter Musik in der Zeit meines Lebens. Und diese knapp zwei Minuten symbolisieren dieses unbeschwerte Freiheitsgefühl von einst perfekt und bringen es auf den Punkt. Klar, mein lieber Timon hat zu "Ixnay On The Hombre" schon alles gesagt, was es zu sagen gibt, doch denke ich an dieses Album, an THE OFFSPRING im Allgemeinen und an College-Punk im noch größeren Allgemeinen, deute ich mit meinen nun älter gewordenen Fingern mit einem nostalgisch-schelmischen Lächeln auf den Lippen auf den zehnten, rasanten Track dieser Platte. Noch Fragen?

[Marcel Rapp]

"Welcome to Americana..." - diese anfänglichen Worte sollten mein Leben von Grund auf verändern, denn "Americana" von 1998 gehört zu den wichtigsten Alben meiner musikalischen Sozialisation. Ich kann ehrlich gesagt gar nicht mehr genau rekonstruieren, wie ich zu THE OFFSPRING gekommen bin, vermutlich ging es über SILVERCHAIR, deren beide bis dato veröffentlichten Alben ich bereits kennen und schätzen gelernt hatte, oder doch über MTV? Auf jeden Fall war es am 21. August 1999, ich noch keine 14 Jahre jung, als ich mein erstes Konzert im Hamburger Stadtpark besuchte: THE OFFSPRING zur "Americana"-Tour. Ich meine mich zu erinnern, dass es mit dem Titeltrack losging und mit 'Feelings' endete, es ist aber ein paar Jährchen her. Musikalisch legte bereits der nur ein Jahr zuvor veröffentlichte Vorgänger "Ixnay On The Hombre" den Grundstein; fehlten anno 1997 aber noch die großen Hits, sollte "Americana" ein Meilenstein werden. Vom erwähnten neunsekündigen gesprochenen Intro 'Welcome' bis zum psychedelischen, über achtminütigen Ende 'Pay The Man' hat das Album Geschichte geschrieben und verkaufte sich schlappe 13 Millionen Mal (davon in den USA alleine fünf Millionen). Es sind die riesigen Hit-Singles wie 'Pretty Fly (For A White Guy)', 'The Kids Aren't Alright', 'She's Got Issues' und 'Why Don't You Get A Job', die eine ganze Generation mitsingen kann und zu denen bestimmt jeder seine eigene Geschichte erzählen kann. Vor allem aber bekomme ich immer noch Gänsehaut beim Einstieg des Albums mit dem wohl stärksten Doppel der (Punk-)Rockgeschichte: 'Have You Ever' und 'Staring At The Sun'. Ebenso zeugen das punkige 'Walla Walla' oder das düstere 'The End Of The Line' von einem Album, das man als Band wohl nur einmal schreibt. Abgerundet werden die Songs von intelligenten, sozialkritischen Texten, mal mit mehr, mal mit weniger Augenzwinkern und einem herrlich drückenden, warmen und satten Sound. Ob THE OFFSPRING das noch mal toppen konnte?

[Jakob Ehmke]

Ihr kennt das: Als Rock-/Metalhörer oder -hörerin ist man auf dem Schulhof schnell unter seinesgleichen (wenn es sie denn gibt). Ich kann mich auf jeden Fall noch sehr gut daran erinnern, als ich mit meiner damaligen Peer-Group anno 2000, noch auf der "Americana"-Wolke schwebend, voller Vorfreude auf das neue THE OFFSPRING-Album "Conspiracy Of One" war. Deutlich wurde mir bereits damals, dass es mit seinem übermächtigen Vorgänger nicht ganz mithalten kann, was allerdings kein Album bisher wieder schaffte. Der Pop-Punk-Appeal wurde nochmal deutlich hochgeschraubt und brachte Jugend-Hymnen wie 'Want You Bad', 'Million Miles Away' und den Ohrwurm 'One Fine Day'. Mein geheimer Favorit heißt 'Vultures', der an zwölfter Stelle zwar weit hinten ertönt und daher vielleicht gerne mal überhört wird, aber durch einen anderen Groove heraussticht und eine etwas "ernstere" Stimmung vermittelt. Mit 'Original Prankster' versuchte man, an große Hits wie 'Come Out And Play', 'I Choose' oder 'Pretty Fly (For A White Guy)' anzuknüpfen, was jedoch nur bedingt funktionierte. Dennoch verbinde ich mit diesem Album eine losgelöste, ja auch leicht naive Lebenseinstellung und viel, viel Nostalgie.

[Jakob Ehmke]

Machen wir weiter. Was habe ich 'Hit That' geliebt. Sowohl das Musikvideo als auch der Song sind eine absolute Wonne auf "Splinter", das mein damaliger Schulfreund mir ans Herz legte. Er war es auch, der mich grundsätzlich näher an das THE OFFSPRING-Universum heranführte, obwohl ich die fast schon totgehörten Songs wie 'Pretty Fly (For A White Guy)', 'Original Prankster' und 'Self Esteem' der Band um Dexter und Noodles auch schon vorher zuordnen konnte. Doch 2003 war das "Splinter"-Album mit meinen zarten 15 Lenzen und meiner ohnehin sehr ausgeprägten Liebe zum Rock und Metal ein gefundenes Fressen, das vom ersten bis zum letzten Song im Ohr hängenblieb. Und stolze 20 Jahre später – mein Gott, wie schnell die Zeit vergeht – zücke ich voller Nostalgiegedanken an die damalige, doch schöne Schulzeit dieses Album aus dem Regal, schaue breit lächelnd und auch mit dezentem Wehmut auf Songs wie 'The Noose' oder das bärenstarke '(Can't Get My) Head Around You' und bin einfach wieder 15. Hierbei war die größte Sorge die Mathearbeit am kommenden Donnerstag und ob ich am Wochenende mit der süßen Daniela aus der Nachbarklasse ausgehen kann. Eine aus heutiger Sicht unbeschwerte, schöne Zeit, für die mir THE OFFSPRING den passenden Soundtrack lieferte. Und natürlich hatte ich damals nach dem ersten Vollrausch einen 'Long Way Home' und 'The Worst Hangover Ever' am nächsten Morgen, was war das doch schön. Im Vergleich speziell zu den Frühwerken der College-Punk-Experten sind die Songs eine Spur eingängiger, die Melodien poppiger, was das Album allerdings nur aufwertet. Ein weiteres "Smash" wäre komplett in die Hose gegangen und während ich aus heutiger Sicht gerne meinem 15 Jahre alten Ich den einen oder anderen Ratschlag geben würde, dass ich doch die Zeit viel mehr genießen sollte als mir wegen einer Matheklausur in die Hose zu scheißen, verfalle ich erneut in wunderbare Nostalgie, wenn die ersten 'Neocon'-Töne anschlagen. Wunderbar. Was wohl aus Daniela geworden ist?

[Marcel Rapp]

"Splinter", mein lieber Marcel, hat auch für mich eine besondere Bedeutung. Es ist zwar nicht so, dass das Album mir persönlich so viel bedeutet wie etwa "Americana", aber ich meine mich daran zu erinnern, dass ich es vor 20 Jahren schon sehr ordentlich fand, es hatte aber keine riesige Euphorie ausgelöst, weshalb es nach 2003 auch nicht sehr regelmäßig lief. Als ich es aber vor zwei, drei Jahren mal wieder aus dem Regal zog, war ich selbst etwas verwundert, wie sehr ich das siebte Album zelebrierte und zuvor vernachlässigt hatte. Alleine der Sound ist eine Wucht, so frisch und unverbraucht und voller Energie, insbesondere das Schlagzeug klingt so lebendig, als ob man selbst dransitzen würde. Wie Marcel hervorhob, hatte man mit 'Hit That' noch einmal einen richtigen Hit an Bord, aber auch mit 'Never Gonna Find Me', 'Lightning Rod' (richtig stark!) und 'Da Hui' knackige Punkrocker im Programm. Es ist für mich umso unverständlicher, dass man sich mit dem Nachfolgealbum "Rise And Fall, Rage And Grace" so schwergetan hat und dass es vergleichsweise so "müde" klingt.

[Jakob Ehmke]

Dass das 2008er-Werk zu den von mir am wenigsten gehörten THE OFFSPRING-Alben gehört, bestätigte sich, als ich es im Rahmen dieses Diskografie-Checks in den Player legte, da mir kaum ein Titel im Ohr war - ein Umstand, der sonst tatsächlich auf kein weiteres Album der Kalifornier zutrifft. Was ist da also los? "Rise And Fall, Rage And Grace" ist offenbar ein Album, mit dem sich die Band selbst auch etwas schwergetan hat, denn zu "Splinter" (2003) klafft eine fünfjährige Veröffentlichungspause, was es in der Länge bis dato nicht gab (aber später nochmal getoppt werden sollte). Erst als man Produzentenlegende Bob Rock engagierte, fügte sich wohl das Songwriting-Puzzle zusammen. Herausgekommen ist beileibe kein schlechtes Album, aber ich finde es zu behäbig. Der Sound tönt sehr glattgebügelt, so richtig in Wallung kommt "Rise And Fall, Rage And Grace" nur selten, was auch daran liegt, dass Holland latent gelangweilt singt. Mit 'Hammerhead' und dem Hit des Albums 'You're Gonna Go Far, Kid' zeigt die Spannungskurve zum Glück etwas nach oben und auch das poppig-melancholische 'Kristy Are You Doing Okay?' ist gelungen. Aber unterm Strich hört sich das Album an, als ob man mit angezogener Handbremse fährt und vermag mich wenig zu begeistern. Würde ich ein Ranking machen, wäre Album Nummer acht vermutlich auf den hinteren Plätzen zu finden. Hier fehlt einfach größtenteils der typische THE OFFSPRING-Spirit.

[Jakob Ehmke]

Im Alter von 24 Jahren hatte ich mit meinen einstigen College-Punk-Lieblingen nicht mehr viel am Hut, waren all die Metal-Veröffentlichungen, die ich 2012 erlebte und aus den Vorjahren noch nachholen musste, doch weitaus wichtiger als ein neues THE OFFSPRING-Album. Aus heutiger Sicht hätte ich, inmitten einer persönlich doch schwierigen Zeit, diesen nostalgischen Glanz der Jungs gut gebrauchen können. Auch wenn das Album zum Veröffentlichungszeitpunkt komplett an mir vorbeiging, bin ich doch einem gängigen Streaming-Anbieter dankbar, der mir vor einigen Jahren einfach 'Dividing By Zero' in die Playlist packte. Moment, die Stimme kenne ich doch? Ein cooles Riff, ein flottes Tempo sowie ein leicht melancholischer Unterton? Und plötzlich standen sich "Days Go By" und ich gegenüber, schauten uns tief in die Augen und wussten, dass es funken könnte. Wer mich kennt, weiß, dass ich bedeutungsvolle Artworks genauso wichtig finde wie die Musik auf dem jeweiligen Album. Was sich auf "Days Go By" mit dem Jungen zur linken und dem alten Mann zur rechten Seite auf einer Bank inmitten eines herbstlichen Waldes zeigt, schnürt mir vor Tiefgang noch immer die Kehle zu. Und plötzlich sind da wieder die damals so geliebten und vergötterten THE OFFSPRING-Töne – ich bin wieder Teenager. Und siehe da, oh Wunder, trotz der Vielschichtigkeit der Songs haben sie nichts von ihrem Pop-Rock-Appeal verloren und hätten einen Sahneplatz auf den Alben um die Jahrtausendwende sicher gehabt: 'The Future Is Now', 'Days Go By', das offensive 'Secrets From The Underground', 'Turning Into You' – das sind absolute Hits, einfach durch und durch ach so typische THE OFFSPRING-Nummern, die eben auf einem Album stehen, das völlig zu Unrecht oftmals unter den Teppich gekehrt wird. Und während ich in den letzten Jahren auf der imaginären Waldbank immer weiter zum älteren Herrn nach rechts rutschte, hatte mein musikalisches Ich die linke Seite des kleinen Jungen zwar außer Acht gelassen, aber durch dieses Album wiedergefunden. Auch wenn das Hit-Potential ab der zweiten Plattenhälfte – mit Ausnahme eben dieses 'Dividing By Zero'-Gassenhauers – ein wenig abflacht, so beweisen Dexter und seine Mannen in Sachen Songwriting sehr viel Tiefgang, ohne dass die ganz eigenen Trademarks der glorreichen College-Zeit außer Acht gelassen werden. Ihr kennt das, neue Filme gibt es dank Netflix und Co. wie Sand am Meer, doch kein Streifen lässt euch so in Erinnerungen schwelgen und wieder Teenager sein wie "American Pie" – auch wenn da der Tiefgang aufgrund des Apfelkuchenvorfalls etwas anders verstanden werden darf.

[Marcel Rapp]

Für den Ausspruch "Das war eine schwere Geburt" gibt es wohl wenig bessere Beispiele als das zehnte Studioalbum unserer Lieblinge THE OFFSPRING. Immerhin begannen die Arbeiten an der Platte bereits im Jahr 2013 gemeinsam mit Produzent Bob Rock, wurden aber immer wieder unterbrochen und von zahlreichen Komplikationen aufgehalten. Erst verließ Basser und Gründungsmitglied Greg K. die Band, dann lief der Vertrag mit Columbia Records aus und schlussendlich kamen immer wieder Tour-Verpflichtungen dazwischen. Als wäre das alles nicht genug, grätsche schließlich nach Fertigstellung im Jahr 2020 die Corona-Pandemie dazwischen und sorgte dafür, dass der Release schlussendlich auf das Jahr 2021 verschoben werden musste. Angesichts dieser Querelen ist es fast schon ein Wunder, dass "Let The Bad Times Roll" ein so starkes Album geworden ist. Ein Beispiel gefällig? Also wer beim absolut grandiosen Titeltrack nicht mitnickt, mitsingt und angesichts des herrlich ironischen Textes grinst, der muss klinisch tot sein. Für mich ist die Nummer der beste Song, den der Vierer seit den Neunzigern veröffentlicht hat. Dicht dahinter läuft 'Army Of One' über die Ziellinie, das einem ebenfalls einen unwiderstehlichen Ohrwurm einpflanzt und zu einer absolut großartigen Fünf-Song-Attacke gehört, die einem hier zu Beginn um die Ohren gepfeffert wird. 'We Never Have Sex Anymore' und 'Coming For You' gehen ebenfalls noch als spaßige Punksongs durch und das Remake des Klassikers 'Gone Away', in Form einer Pianoballade, ist für mich sogar ein echter Gänsehautverursacher. Abseits davon gibt es gerade hinten raus allerdings auch ein paar Durchhänger wie zum Beispiel das überflüssige 'In The Hall Of The Mountain King'-Cover, doch selbige nehme ich gerne in Kauf, wenn ich dafür auch die ersten fünf Tracks, spitzfindige Texte aus Dexters Feder und diverse neue Ohrwürmer, bekomme. Entsprechend solltet ihr dem Silberling auch trotz des durchwachsenen Presse-Echos eine Chance geben, ansonsten verpasst ihr ein bärenstarkes THE OFFSPRING-Album und ein paar tolle Stunden vor dem heimischen Player.

[Tobias Dahs]

Liebe Leser und Leserinnen, wir hoffen, dass ihr mit diesem Rückblick und einer sehr schönen Reise in unsere musikalische Vergangenheit mindestens genauso viel Freude hattet wie wir. Uns persönlich war es eine große Freude, THE OFFSPRING - eine für uns doch sehr prägende Band - nochmals dem Härtetest der Zeit zu unterziehen und die Diskografie der College-Punk-Veteranen zu durchforsten.

Gibt es Rückblicke, die ihr gerne auf POWERMETAL.de lesen wollt? Dann teilt uns dies gern per Mail an info@powermetal.de oder persönlich auf einem der Deutschlandtermine von THE OFFSPRING mit. Wir sehen uns dort!

Redakteur:
Marcel Rapp

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