Gruppentherapie: TEMPEL - "The Moon Lit Our Path"

28.07.2015 | 15:28

Wenn ein rein instrumentales Album bei uns das Treppchen erklimmt, dann ist das schon mal eine gesonderte Erwähnung wert. TEMPEL hat mit "The Moon Lit Our Path" eine Platte am Start, die nahezu unsere gesamte Redaktion überzeugt. Wie dies auch so ganz ohne Gesang funktionieren kann, verrät euch unsere Gruppentherapie!

 

"Wann zur Hölle setzt hier endlich der Sänger ein?" - diese Frage könnte beim Erstdurchgang von "The Moon Lit Our Path" durchaus auftreten. Das liegt allerdings weniger daran, dass hier etwas fehlt und man unbedingt einen Sänger bräuchte, damit die Angelegenheit irgendwie interessant und hörbar wird, sondern weil man es anhand der Klänge schlichtweg erwarten würde. Das hüpfende Komma, welches TEMPEL in unserem Juli-Soundcheck vollkommen zurecht auf Platz 3 gespült hat, ist allerdings ganz einfach: Die Platte ist auch ohne Sänger wahnsinnig spannend. Ganz anders als im Post Rock wird hier mit recht rabiaten Metal-Klängen gearbeitet, die man sich teils gut im Death-, Black-, Pagan- oder auch Viking-Sektor vorstellen könnte. TEMPEL bläht jedoch (im Gegensatz zu einigen Kollegen) weder irgendwelche Parts unnötig auf, noch dudelt die Band langsam fließende Entwicklungen zu. "The Moon Lit Our Path" deckt eine ausufernd breite Palette von (metallischen) Farben ab; da ist Raum zum Mit- und Abgehen, zum Sich-Verlieren und zum Staunen - und noch eine Menge Platz für so viel mehr. Die fünf Nummern, alle um die 10-Minuten-Marke, haben ihre Länge scheinbar vollkommen natürlich und sind immer mit einem karmesinroten Faden versehen. Die rhythmische Versiertheit sowie die wunderbaren Harmonien und Melodien sind nie Selbstzweck, sondern werden meisterhaft in große Songs eingebettet. Mir bleibt am Ende nichts anderes übrig, als mit Freude zu klatschen, acht Zähler zu verteilen und den (nicht ganz so) stillen Wunsch zu äußern, diese Band hoffentlich einmal live erleben zu dürfen.

Note: 8,0/10
[Oliver Paßgang]

Eine Band steht und fällt mit dem Sänger, doch wenn keiner vorhanden ist, liegt es an der Instrumentalfraktion, ein Werk so spannend und abwechslungsreich wie möglich zu gestalten. So steht auf "The Moon Lit Our Path" auch niemand anderes als die gesamte Band im Fokus, die ihre schwere Aufgabe jedoch über weite Strecken mit Bravour erledigt. Klar würde ich mir an manchen Ecken und Enden entsprechenden Gesang wünschen, der dem Hörvergnügen noch zusätzlich Zunder verleiht. Doch eignet sich so das neue TEMPEL-Album am Besten zum spannungsgeladenen Lauschen, wir achten viel mehr auf Kleinigkeiten, Besonderheiten der Instrumente und werden partout über die volle Distanz von 53 Minuten nicht gelangweilt. Im Gegenteil: Dieses Album lebt von der Epik, vom Anmut und vom dunklen Schleier, den wir schon von Bands wie TRIPTYKON kennen. Doch auch leichte Pagan- und Folk-Einflüsse dürfen hier nicht fehlen. Für mich ist das zwar auf Dauer ohne Sänger ein wenig zu eintönig und anstrengend, trotzdem blicke ich beeindruckt nach oben: Irgendetwas Düsteres, Magisches, an manchen Stellen auch Bedrohliches schiebt sich vor die warme Juli-Sonne, verdunkelt für geraume Zeit den gesamten Erdball und verleiht dem leicht apokalyptischen Szenario ein Gesicht: TEMPEL!

Note: 7,0/10
[Marcel Rapp]

Es ist ja auch ein Mondalbum, Marcel. Also ganz klar nächtlicher Kontext - musikalisch wie optisch. Schau dir doch nur mal das sehenswerte, düster-schaurige Cover an. Da brauchst du gar nicht mit der Sonne zu kommen. Oder wie man bei uns sagen würde: Dem DEMBL sei Mond machts helle uffm funzlichen Wech.
Passend zur Optik tönt auch das von monolithisch-finsterem Riffing dominierte musikalische Treiben. Und doch gelingt es, mehr als nur eine Stimmung über die fünf Überlängesongs zu transportieren. Die Band bietet eine beachtliche Palette von Black Metal bis Post Rock auf - und in jeder Stilistik funktioniert das Ganze beeindruckend flüssig. Bei 'Carvings...' und 'Descending...' dominiert eher der melodisch stampfende Black Metal mit kleineren Ausflügen in Richtung Sludge, Pagan und sogar Folk Metal; beim Titeltrack hingegen wird das Pferd von hinten aufgezäumt, da wird vom Post Rock ausgehend allerlei kraftvolle Riffkunst aufgefahren. Am besten gefällt mir an "The Moon Lit Our Path" jedoch, dass es trotz Überlängesongs keinerlei unnötige Längen gibt - ich bin jedes Mal auf's Neue überrascht, wie schnell die 50 Minuten wieder vorbei gegangen sind. Abnutzungserscheinungen: Fehlanzeige.
Ach, und die haben gar keinen Gesang? Hab ich eine ganze Weile lang tatsächlich gar nicht bemerkt (geschweige denn vermisst), weil die Musik auch so spannend genug ist.

Note: 8,5/10
[Stephan Voigtländer]

"The Moon Lit Our Path" ist der schlagende Beweis dafür, dass man mich auch mit sludgy Post-Irgendwas hellauf begeistern kann - wenn man es denn nur richtig anpackt. Bei TEMPEL geht es eben nicht um die Dekonstruktion von Musik im klassischen Sinne, sondern es spannt sich ein magischer, erhabener Bogen durch jeden Song, ja sogar durch das gesamte Album. Das Spiel mit Rabenschwärze, Monotonie und Melancholie ist schon eine Gratwanderung. Doch dieser Klang gewordene Lavastrom nimmt immer genau im richtigen Moment eine geschickte und stimmungsvolle Wendung. Dann taucht aus der Finsternis auf einmal eine sonore, monolithische Melodie auf, um die Saiten meiner Seele zum Klingen zu bringen. Oder ein kurzer ruppiger Sturm zerreißt das Meer aus majestätischem Schwermut. Auf solche Weise saugt mich dieses wunderbare Album ganz tief in sich auf und erfüllt mich mit seiner Kraft und seiner Klarheit. Marcels Vergleich mit TRIPTYKON passt ganz gut, wenn man in Gedanken ein bisschen PRIMORDIAL beimischt. Das Glanzstück der Scheibe ist in meinen Ohren ein 12-Minuten-Epos namens 'Dawn Breaks Over The Ruins', das in Gefilde kompositorischer Großartigkeit vordringt, die bisher eigentlich WHILE HEAVEN WEPT vorbehalten waren. Wenn es dem magischen Duo Rich und Ryan noch gelingt, die letzten kleinen Längen abzuschütteln und das eine oder andere extravagante Sahnehäubchen oben drauf zu setzen, dann wird das nächste TEMPEL-Album eine anbetungswürdige Göttergabe. Die Zeit bis dahin vertreibt man sich ganz vorzüglich mit "The Moon Lit Our Path".

Note: 8,5/10
[Martin van der Laan]



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Redakteur:
Oliver Paßgang

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