Gruppentherapie: LINKIN PARK - "From Zero"

24.11.2024 | 18:23

Gewöhnlicher Pop Rock mit Metal-Legierung, musikalische Dubai-Schokolade oder doch das Comeback des Jahres?

Beginnen wollen wir unseren nächsten Rutsch an therapierten Alben im November mit einem Vertreter, der zwar auch im November erschienen ist, aber nicht Bestandteil des regulären Soundchecks war. Trotzdem ist die Relevanz dieser Veröffentlichung unbestreitbar. Wir haben uns "From Zero" vorgenommen, das Comeback-Album von LINKIN PARK. Unser Kollege Tobias hat sich in seiner Hauptrezension schon schwer angetan vom neuen Lebenszeichen gezeigt, aber wie beeindruckt sind unsere Therapeuten? Während es für manche Popmusik bleibt, sind andere besonders von Frau Emily Armstrong angetan und einer unserer Kollegen scheint ein ungewöhnliches Interesse für Schokolade zu zeigen. Aber lest ruhig selbst.

LINKIN PARK spielt im Grunde eine Art härteren Pop Rock. Der gefällt auch zahnspangentragenden Jugendlichen. Die Songs der neuen Veröffentlichung "From Zero" setzen auf gefällige Melodiebögen und softe Klischees, auf bewährte Kompositionen und Arrangements, die auch Nichtmetallern unbedingt gefallen sollen, ja eher jenen sogar.

Man kann sofort mitgrölen und auch eine Kinderfaust kann locker mitschwingen. Die bekannte Frauenstimme von Sängerin Emily dominiert, sie kann rockig-metallisch bis soft-schmachtend, dann setzt es gefällige, immer massenkompatible Beats, Hip-Hop ist nie weit weg, recht absehbarer Nu Metal und Stadionbombast ebenso wenig. Das Konsensmäßige ist so überhaupt nichts für mich, es passiert einfach zu wenig in den Tracks, die man im Hintergrund laufen lassen und mitsummen kann, ohne dass sie wehtun.

Schlecht ist das alles keineswegs, aber für mich nicht mit genug Tiefgang oder Langzeitwirkung versehen. Unentwegt hagelt es Mitsingchorusse, die einem bekannt vorkommen. Und wenn ich eine giftende Frauenstimme hören möchte, greife ich zu ARCH ENEMY. Aber: 'Heavy Is The Crown' ist ganz gut, da geht es etwas zur Sache. Auch 'Casualty' kann mich durchaus zum Luftgitarristen animieren. Ebenso 'Two Faced', das meine Freunde zum Track des Albums kürten. Dann folgen noch drei 08/15-Liedchen. Wäre alles so lässig wie die drei zuletzt genannten Tracks, fände ich die Mischung viel besser.

Note: 6,5/10
[Matthias Ehlert]

 

Ich habe großen Respekt davor, dass LINKIN PARK diesen Reunion-Schritt wagt. Dabei ist es nur konsequent, nach allem, was geschehen ist und bei allem, was Chester Bennington für diese Band bedeutet hat, durch Emily Armstrong einen derart radikalen Wandel am Mikrofon zu vollziehen. Hört man sich nun "From Zero" an, scheint der Plan zunächst aufzugehen. Emilys Stimme gibt vor allem im Klargesang der Band eine neue Note und die Screams sitzen ebenfalls auf ihre eigene Art und Weise. Hinzu kommt ein Mike Shinoda, der mit seinen überraschend starken Rap-Parts die perfekte Ergänzung ist und Feelings an frühe Zeiten aufkommen lässt. Dies hatten vor allem die Vorab-Singles 'The Emptiness Machine' und 'Heavy Is The Crown' versprochen. Allerdings kann LINKIN PARK dieses Back-To-The-Roots-Versprechen nicht ganz einlösen. Neben weiteren Krachern der härteren Gangart wie 'Casualty' oder dem überragenden 'Two Faced' gesellen sich einige Pop-Nummern und Synthie-Ansätze hinzu, die vage an dunkle "A Thousand Suns"- oder "One More Light"-Zeiten erinnern. Unterm Strich ergibt sich somit ein LINKIN PARK-Album, in dem sich Fans aus allen Bandphasen wiederfinden können. Vermutlich ist es deshalb die perfekte Comeback-Platte, auch wenn für mich nur die vier bis fünf Songs der härteren Gangart hängenbleiben werden.

Note: 8,0/10
[Dominik Feldmann]

 

Hätte mir vor zwei Jahren jemand gesagt, dass es wieder neue Musik von LINKIN PARK geben wird, ich hätte ihn für verrückt gehalten. Nun kam es doch anders als gedacht und ich bin mehr als froh darüber. Für viele wird dieses Comeback mit Sicherheit als eines der besonderen Ereignisse in der Musikbranche gehandelt werden. LINKIN PARK ist zurück und überrascht nicht nur mit der Besetzung, sondern blickt auch musikalisch über den Tellerrand. "From Zero" knüpft an alte Zeiten an und schafft den Spagat zwischen Tradition und Moderne. Als maßgeblicher Wegbereiter des Nu Metal setzt die Band die Messlatte wieder extrem hoch und kommt mit frischem Sound. Die Fußstapfen sind groß, in die Emily Armstrong tritt und sie musste im Vorfeld teils auch heftige Kritik einstecken, was ich eher als unsportlich sehe. Ich finde ihre Stimmfarbe klasse, da diese bei den ruhigeren Songs jede Menge Gefühl transportiert, und andersherum bei den dynamischeren Passagen eine gehörige Portion "Rockröhrenstyle" einfließen lässt. Stilistisch fehlt mir bei dem Langspieler noch ein bisschen der rote Faden bzw. erkenne ich ihn nicht. Die Tracks gehen mir dann doch ein wenig zu weit auseinander und haben da den ein oder anderen zu experimentellen Part inne. "From Zero" ist in Summe etwas ruhiger gehalten als seine Vorgänger, aber wirkt zu keiner Zeit langweilig. Wir bewegen uns hier eher in einem ständigen, gut verträglichen Spannungsbogen. Der vorab veröffentlichte Song 'The Emptiness Machine' ist für mich ganz klar das Zugpferd des Albums und siedelt sich nur knapp hinter den alten Hymnen der Band an.

Note: 8,0/10
[Norman Wernicke]

Entweder geht das richtig schief, oder es wird echt klasse! Das dachte sicher nicht nur ich mir vor "From Zero", dem achten Studioalbum von LINKIN PARK. Nach dem Suizid von Chester Bennington dachte sicher kaum jemand an einen Fortbestand der Band. Auch Original-Drummer Rob Bourdon ist nicht mehr dabei. Aber Neusängerin Emily Armstrong macht, das kann man kaum anders sagen, einen phänomenalen Job. Und, was mich als Fan der ersten beiden Alben besonders freut: Mike Shinoda ist wieder deutlich stärker als Rapper aktiv. Dadurch handelt es sich bei "From Zero" auf jeden Fall um die Nu-Metal-lastigste Scheibe der Band seit mindestens "Minutes To Midnight", vielleicht sogar seit "Meteora". Das ist natürlich ein klares Upgrade gegenüber den teils sehr poplastigen Scheiben der späteren Bennington-Phase. Es handelt sich gefühlt um eine völlig andere Band als auf "One More Light", ohne dass es eine völlige Rolle rückwärts hin zum Sound von 2000-2003 gegeben hat. Die Gitarren sind, wie früher schon, wenig originell vom Riffing, aber dafür sehr effektiv. Emily screamt sich die Seele aus dem Leib und kann textlich gut an frühere Werke der Band anknüpfen. Da der Pop- und Schnulz-Faktor sich arg in Grenzen hält, haben wir es auf jeden Fall mit einem Album zu tun, das für unsere Leserschaft nicht nur aufgrund des Backgrounds der Musiker relevant ist. Und dann ist das Songwriting einfach gelungen! 'The Emptiness Machine' ist schon jetzt unbestritten ein großer Hit, sicher der beste LINKIN PARK-Song seit den Hits von "Living Things". Aber auch viele der anderen Songs sind absolute Ohrwürmer, die nicht mehr aus den Gehörgängen verschwinden wollen. Das sehr stark produzierte Album ist natürlich nicht automatisch ein Klassiker auf dem Niveau der ersten beiden Alben. Das ist auch kaum zu reproduzieren, da auch die Zeit und das Alter der damaligen Fans dazu führten, dass die ersten beiden Alben zu ewigen Klassikern wurden. Aber dass dieses Album extrem viele Spins erhalten wird, steht außer Frage. Daher ist die Note auch angebracht.

Note: 9,5/10
[Jonathan Walzer]

 

Entgegen der Sichtweise meiner Kollegen verbinde ich nicht viel Positives mit der Vergangenheit von LINKIN PARK. Um ehrlich zu sein habe ich die Band in den Anfangszeiten zusammen mit KORN, LIMP BIZKIT und SLIPKNOT gehasst. Ich war halt ein ziemlicher Nu-Metal-Verweigerer. Gut, das hat sich zwischenzeitlich geändert, lediglich Fred Durst und seine weichgespülten Kekse können mir immer noch gestohlen bleiben. Aber auch ich habe mittlerweile die Klasse von "Meteora" oder "Hybrid Theory" erkannt und die Alben zu schätzen gelernt. Dennoch ist "From Zero" das erste LINKIN PARK-Werk, dem ich bei Release nicht abgeneigt gegenüberstehe. Dabei muss ich LINKIN PARK zur Auswahl von Emily Armstrong als neue Sängerin wirklich beglückwünschen. Zum einen war die Wahl einer Frau als Ersatz für Chester insofern clever, dass ein Vergleich mit Chester ungleich schwerer fällt und daher ausbleibt. Zum anderen ist Emilys Stimme wirklich stark und für mich das Highlight auf "From Zero". Der Moment, in dem sie zum ersten Mal in 'The Emptiness Machine' zu hören ist, sorgt bei mir nahezu jedes Mal für Gänsehaut. Und ihr Gesang erinnert mich sehr stark an die HALESTORM-Frontröhre Lzzy Hale. Und das ist aus meinem Mund ein echtes Lob, da ich Lzzy Hale wirklich überragend finde. Überragend sind auf "From Zero" leider nicht alle Songs, für mich fallen 'Overflow' und 'Stained' im Vergleich zum Rest deutlich ab. Auch 'Good Things Go' vermag nicht ganz das Niveau mitzugehen, das man auf dieser Platte geboten bekommt. So sind für mich 'The Emptiness Machine', 'Cut The Bridge' und 'Heavy Is The Crown' nicht nur Albumhighlights, sondern werden sicherlich den Weg in meine Song-Bestenliste des Jahres 2024 finden. Auch wenn drei von zehn richtigen Songs nicht sonderlich berauschend sind, so gefällt mir "From Zero" doch deutlich besser als viele andere Scheiben, die ich dieses Jahr hören durfte. Im Bereich des Nu Metals habe ich aber tatsächlich keine Scheibe gehört, die besser ist.

Note: 8,5/10
[Mario Dahl]

Haben wir denn ernsthaft eine LINKIN PARK-Reunion gebraucht? Wahrscheinlich eher nicht. Aber brauchen wir Dubai-Schokolade? Wohl auch eher nicht. Aber kaum ist sie da, entbrennt ein unbeschreiblicher Hype darum und jeder hat irgendwie eine Meinung dazu. Ich würde zwar auch nicht vier Stunden anstehen, um astronomische Beträge für eine Tafel auszugeben. Würde ich sie trotzdem probieren? Natürlich! Es besteht ja die Gefahr, dass sie tatsächlich fantastisch schmeckt. Auch bei LINKIN PARK war mein Puls erstmal im Normalbereich bei der überraschenden Ankündigung und ich hatte auch kein Interesse an gladiatorenartigen Kämpfen, nur um ein Ticket für die Deutschland-exklusive Show in Hamburg zu ergattern. Dank Streaming-Zeitalter muss ich mich auch nirgendwo in die Kälte stellen und kann ohne Aufwand das Album mir nun wiederholt zu Gemüte zu führen und nach mehrmaligem Genuss meine Meinung abgeben. Während mir das neue Pistaziengold noch eine Antwort zum Geschmack schuldet, kann ich zu "From Zero" sagen, dass es echt gut schmeckt. Wahrscheinlich genauso nahrhaft wie Engelshaar-Matsche, aber darauf kommt es ja bei Snacks auch gar nicht an. Etwas süßlich und trotzdem würzig genug. Richtung Salted-Caramel vielleicht. Man hat über die Albumdistanz jederzeit den prominenten LINKIN PARK-Flow auf der Zunge. Einzige neue Komponente bei aller Vertrautheit ist der präsente und bei so poppiger Musik doch so essenziell wichtige Gesang von Emily.

Meine Kollegen haben es schon erläutert und auch ich bin Team Frau Armstrong (unabhängig von irgendwelchen moralischen Debatten). Sie macht ihre Sache ziemlich gut und funktioniert auch im Zusammenspiel mit Mike hervorragend. Die zeitgleiche Neubesetzung am Schlagzeug dürften im Gegenzug nur die Bewohner von Nerdistan raushören. Auch ansonsten ist erfrischend vieles beim Alten geblieben. Die Singles sind weiterhin die stärksten Tracks des jeweiligen Albums ('The Emptiness Maschine' wird aus diversen Aspekten zu den besten und relevantesten Tracks des Jahres zählen) und die Band ist immer dann am stärksten, wenn sie ihr eigenes Ding dreht. Obwohl man sich viel externe Autoren- und/oder Produktionshilfe ins Studio geholt hat, strahlen die eigenen Nummern immer noch etwas heller. Wenn wir ehrlich sind, braucht es aber auch nicht mehr als 3-4 Volltreffer auf einem Album dieser Kategorie. Viel mehr neues Futter passt ohnehin nicht in eine Setlist mit dieser Armada an Hits, wenn es jetzt auf Tour geht. Ich habe nix erwartet, wurde überrascht und finde wirklich Gefallen am Gehörten. Ein solches Ergebnis muss die Dubai-Schokolade erst mal erzielen.

Note: 8,0/10
[Stefan Rosenthal]

 

Dass sich LINKIN PARK auf jedem weiteren Album noch mal gänzlich neu erfunden hat, kann man in der Rückblende sicherlich unterstreichen. Zwar bleiben die ersten beiden Releases als Meilensteine unangetastet und sind bis heute Wegbereiter für viele neue Schattierungen im modernen Crossover, doch der Mut und die Risikobereitschaft, die das Ensemble auch vor dem tragischen Ableben von Chester Bennington gezeigt hat, gehören unabhängig von allen musikalischen Irrungen und Wirrungen gewürdigt. Mir persönlich ist der etwas radiotauglichere Kurs der letzten Releases dennoch ein wenig suspekt gewesen, auch wenn sich LINKIN PARK auch hier in die Hitlisten eintragen und die Erlöse mit der Schubkarre nach Hause fahren konnte. Als die Band nun eine plötzliche Reunion ankündigte und auf ihrer Mini-Welttournee auch das Publikum von der neuen bandinternen Energie überzeugen konnte, wurden natürlich wieder Hoffnungen geweckt, dass die Band zu alter Stärke würde zurückfinden können. Die erste Auskopplung machte dann auch tatsächlich den Eindruck, dass die Auferstehung eines der wichtigsten Acts der letzten zweieinhalb Dekaden in eine Richtung gehen würde, die auch Fans von "Hybrid Theory" und "Meteora" mitnehmen könnte.

Doch nun hat "From Zero" die unglaublich schwierige Aufgabe, dies auch auf der Gesamtstrecke zu bestätigen. Und meines Erachtens ist die Rückkehr nur in Teilen wirklich überragend, wenngleich auch in vielen Parts total überzeugend. Die Experimentierfreude, die gerade zu Zeiten des zweiten Albums mächtig angeschoben wurde, ist präsenter denn je, vor allem aber sind die rockigen Gitarren wieder im Zentrum des Geschehens und schieben große Teile des elektronisch-verspielten Sounds der letzten Jahre vor dem vorläufigen Ende des ersten Kapitels auf angenehme Art und Weise beiseite. Allerdings muss man auch sagen, dass die Hitdichte infolgedessen nicht zwingend angewachsen ist. 'The Emptiness Machine' bleibt der Signature-Track des neuen Albums, das zwar hier und dort feine Refrains und vor allem auch einige ungeahnt aggressive Passagen präsentiert, aber nur selten diese wirklich kickenden Hymnen produziert, mit denen man LINKIN PARK eigentlich immer in Verbindung gebracht hat. 'IGYEIH' und 'Heavy Is The Crown' erfüllen diesbezügliche Erwartungen noch am ehesten, während die übrigen Nummern allesamt wirklich gut sind, aber nicht von jenem Format, das die Highlight-Liste im Bandkatalog erweitern könnte. Trotzdem: "From Zero" ist ein mehr als ordentliches Comeback, das an den hohen Erwartungen nicht zerbricht und die neue Sängerin wunderbar ins Bandgefüge einführt. Es rockt wieder bei LINKIN PARK, und das ist die wohl wichtigste Erkenntnis eines erstaunlich straighten Comeback-Releases!

Note: 8,0/10
[Björn Backes]

Redakteur:
Stefan Rosenthal

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