Gruppentherapie ACCEPT-"Stalingrad"

23.04.2012 | 08:01

Zweiter im Soundcheck und das nur knapp vom Thron entfernt. Teutonenstahl auf dem Höhenflug? Hier erfahrt ihr, warum!

Für ACCEPT gilt etwas ähnliches wie für RUNNING WILD: Die Band gilt als eine der großen Institutionen des Heavy Metal! Vielleicht stoßen ACCEPT sogar auf eine noch breitere Akzeptanz bei der breiten Masse der Metalfans, als die zum Teil etwas kontroversen Piraten. Jeder Metaller, egal welcher Unterart er sich nun zugetan fühlt, feiert Allzeitklassiker wie 'Balls To The Wall', 'Fast As A Shark' oder 'Princess Of The Dawn'. Ihre 80er Alben mit der Reibeisenstimme von Udo Dirkschneider sind Legende (u.a."Restless And Wild" oder "Metal Heart"), die Werkschau der 90er ist auch solide, doch dann kam, ähnlich wie bei RUNNING WILD, eine große Flaute in den 00er Jahren. Seit 2010 jedoch feiert die Band mit Sänger Mark Tornillo einen zweiten Frühling. Er brachte frisches Leben in die Band, sowohl auf dem Comebackalnum "Blood Of The Nations" (damals Soundchecksieger bei POWERMETAL.de) als auch live, was man bei den Sommerfestivals erleben durfte. Nun ist also Album Nummer zwei der neuen ACCEPT-Zeitrechnung - "Stalingrad" -  da und schon wieder stürmt es locker das Treppchen. Nur UNLEASHEDs "Odalheim" war ganz knapp besser. Hier Stimmen aus der Redaktion, die verdeutlichen sollen, was denn wieder so toll an der neuen ACCEPT ist.

Zu kaum einer klassischen Metal-Band kann der Hörer besser die Faust in die Luft recken, zu hochmelodischen Leads Luftgitarre spielen und herrlich eingängige Refrains mitsingen, als zu den Klängen der teutonischen Stahlschmiede ACCEPT. Das war in den alten Zeiten mit Meister Dirkschneider so, und das ist auch heute mit Mark Tornillo am Mikro der Fall. Wolf Hoffmanns feines Gespür für neoklassisch angehauchte Leadgitarren und Soli, die eben nicht ins Gefiedel und Skalengedudel abdriften, und sein blindes Verständnis mit Gitarrenpartner Herman Frank, sind dabei nach wie vor die entscheidenden Elemente, um diese Metal-Institution über seelenlose Techniker ebenso zu erheben wie über stumpfe Bierzeltmetaller. Kaum eine traditionelle Metalband vereint instrumentalen Anspruch so gelungen mit Eingängigkeit und Bodenständigkeit. Weil sich außerdem auch auf dem neuen Album eine Hymne an die andere reiht, gibt es außer der geänderten Erwartungshaltung keinen Grund, warum "Stalingrad" sich hinter dem Vorgänger verstecken müsste.


Note: 9,0/10
[Rüdiger Stehle]

 

Ich werde jetzt ACCEPT-Fan. Oh, bin ich ja schon, sorry. Aber was die alten Männer da abziehen, ist ja wohl mal aller Achtung wert! Da rockt es an allen Enden so sehr, dass doch tatsächlich "Stalingrad" fast dem Nationenblut das Wasser reichen kann. Und dass mir jetzt keiner kommt mit "der Chor der besoffenen Russen im Titelsong ist kitschig". Dann hört eben kein ACCEPT, solche Dinge gehören dazu, spätestens seit "Metal Heart". Das ist stilistisch hundertprozentig das deutsche Urgestein, auf den Punkt und (er)füllend wie eine ganze Schweinshaxe. Ja, sicher, auch genauso wenig raffiniert, aber wer will schon jeden Tag Nouvelle Cuisine? Das Album ist ein Rocker und bleibt nur deswegen hinter dem Vorgänger leicht zurück, weil ich nichts weniger als das erwartet habe. "Blood Of The Nations" hatte mich überrascht. "Stalingrad" ist die Fortführung auf sehr hohem Niveau.

8,0/10
[Frank Jaeger]

Frank hat in vielem, was er schreibt, Recht. Ja, der Überraschungseffekt ist weg, ja, die Scheibe rockt. Es sind die Details, die kleinen, aber so wichtigen Änderungen am Gesamtsound, die "Stalingrad" auf das Niveau von "Blood Of The Nations" hieven. So singt Mark Tornillo abwechslungsreicher und zeigt, dass er mehr ist als "nur" ein Sänger mit Reibeisenröhre. Nein, gerade die extrem melodischen Gesangspassagen in 'Hellfire' und 'Shadow Soldiers' sind die Höhepunkte des Albums und zeigen eine neue Seite beim glänzenden Frontmann. Aber "Stalingrad" ist mitnichten eine One-Man-Show, Das Gitarrenduo Frank/Hoffmann sollte langsam mal ein Patent auf seine Gitarrenarbeit anmelden und Baltes/Schwarzmann grooven immer noch wie Sau. In anderen Worten: deutsche Qualitätsarbeit.


Note: 8,5/10
[Peter Kubaschk]

 

Frank wird zum ACCEPT-Fan, obwohl er es schon längst war - ich werde es durch "Stalingrad", ohne vorher Anhänger der deutschen Metal-Urgesteine gewesen zu sein. Das liegt aber nicht daran, dass ich die werten Herren vorher nicht mochte, sondern schlichtweg nicht auf dem Schirm hatte - aber das kann einem als verhältnismäßig jungem Metalfan bei einer für lange Zeit inaktiven Band durchaus mal passieren. Somit kannte ich nur einzelne Klassiker sowie ein paar Songs des Vorgängers, als mich die zehn neuen Tracks zum ersten Mal zu einer intensiven Auseinandersetzung herausforderten. Und was soll ich sagen? Das ist Heavy Metal, der in jedweder Hinsicht so gut ist, dass er jedem gefallen wird, der auch nur irgendwas für dieses Subgenre an sich übrig hat. Das ist Heavy Metal, der einfach nur noch gute Laune macht. Das ist Heavy Metal, wie in er in all seinen Facetten kaum variabler dargeboten werden kann, ohne dass dessen Kern dabei verwässert wird. Das ist Heavy Metal, der die Waage zwischen Eingängigkeit und Anspruch perfekt hält. Das ist Heavy Metal, der generationenübergreifend begeistern dürfte. Egal ob hymnisch (Titeltrack), schwelgerisch ('Twist Of Fate') oder nach vorne gehend ('The Quick And The Dead'): ACCEPT überzeugt auf jeder Ebene. Starker Gesang, mitreißendes Gitarrenspiel und dabei den Groove gepachtet: Das ist Heavy Metal, wie er sein sollte.

Note: 9,0/10
[Oliver Paßgang]


Veränderte Erwartungshaltung? Eventuell. Ich muss ehrlich gestehen, dass ich ACCEPT nach "Metal Heart" aus Augen und Ohren verloren habe, wobei ich den exakten Grund dafür kaum noch nennen kann. Denn kaum eine Band hat mich musikalisch so sehr geprägt, wie die Solinger Stahlagenten. Nachdem ich die ganzen großen Bands der frühen 80er durch hatte, gab mir ein Kumpel eine BASF-Kassette, auf der er mir "Breaker" aufgenommen hatte. Das war wie eine andere Welt. So schnelle Musik und so extremen Gesang hatte ich bis dahin nicht gehört. Ich war sofort Feuer und Flamme. Bei Erscheinen des legendären Nachfolger "Restless & Wild" bin ich am Veröffentlichungstag in den Laden gerannt und bin danach über Wochen hinweg nicht mehr von der Scheibe weg gekommen. Danach begann für mich aber das Wühlen im Untergrund und somit entfernten sich ACCEPT aus meinem Interessengebiet. Dumm gelaufen. Umso mehr hat es mich gefreut, dass das Reunion-Album so ein Knüller geworden ist, denn endlich konnte ich meine alten Helden wieder toll finden. Um nun auf die Eingangsfrage zurück zu kommen: Erwartet habe ich dieses Mal ein gutes Album, mehr nicht. Und was bekomme ich? Erneut ein erstklassiges Scheibchen, auf welchem die Herrschaften ihr vielseitiges Können eindrucksvoll unter Beweis stellen. Wo es mir bei anderen Teutonen-Vertretern zu stumpf und hüftsteif klingt, rocken ACCEPT locker aus der Hüfte. Das ist die große Kunst des Faust-Metals. Messerscharfe Riffs kombiniert mit dem einmaligen Soli von Mister Hoffmann. Weshalb es einen halben Zähler weniger gibt als beim Vorgänger? Mit 'Hellfire' und 'Flash To Bang Time' gibt es auf "Stalingrad" zwei durchschnittliche Songs. Trotzdem: "Stalingrad" – find ich gut!


8,5 /10 Punkte
[Holger Andrae]


Der verlorene Sohn ist in den Schoss der geliebten Familie zurückgekehrt. So muss man das wohl bezeichnen, gehörte mir doch, als es vor knapp zwei Jahren um das neue ACCEPT-Wunderwerk "Blood Of The Nations" ging, neben dem damaligen Soundcheck-Kollegen Schneider die einzige leicht mahnende Stimme, die zwischen den allgemeinen Jubelarien natürlich unterging. Anders als damals, als ich in der Gruppentherapie die Songs als überwiegend zu unspektakulär und gemessen an den bandeigenen Glanztaten als viel zu wenig prägnant kritisieren musste, ist "Stalingrad" in dieser Hinsicht ein großer Schritt nach vorne. Etliche tolle Songs sind abzufeiern (insbesondere das Auftaktdoppel und für die schwelgerischen Momente die Schattensoldaten), und obwohl es daneben auch zwei bis drei mittelmäßige Nummern gibt, so sind es vor allem das furiose, etwas melodischere Gitarrengegniedel (das vor allem an die "Metal Heart" erinnert) und der variablere Gesang, die die Platte zu einer echten ACCEPT-Wuchtbrumme machen. So und nicht anders müssen die Refrains klingen! Ja, ich habe die "Blood Of The Nations" extra noch einmal zur Kontrolle gehört und komme immer noch zu dem Schluss, dass "Stalingrad" um Längen besser geworden ist. Wer also in den damaligen Jubelkanon nicht so recht einstimmen mochte und die Platte eher skeptisch betrachtete, sollte der Neuen trotzdem eine Chance geben. Für meine tauben Ohren klingt das viel mehr nach den guten, alten ACCEPT - und erst jetzt wird mir klar, wie sehr ich das eigentlich vermisst hatte.

Note: 8,5/10
[Stephan Voigtländer]


Ich schließe mich dem Jubel-Konsens unter den Kollegen zu "Stalingrad" nur bedingt an. Sicherlich gebührt ACCEPT großer Respekt für die Frische, Energie und Spielfreude, mit der die Band auch im 36. Jahr ihrer bewegten Geschichte noch immer zu Werke geht. Die zehn perfekt vorgetragenen, exzellent produzierten und mächtig rockenden Tracks des neuen Albums bieten kaum objektive Angriffspunkte; alles sitzt wie angegossen, ohne allzu routiniert zu wirken. Die grandiose Gitarrenarbeit ist immer noch der stärkste Selling Point der Solinger, denn selten tönen die Äxte im traditionellen Heavy Metal-Genre so druckvoll und fein austariert wie bei Hoffmann und Frank. Mark Tornillos Organ passt wie schon auf dem Vorgängeralbum bestens zu diesem erdig-bodenständigen Sound. Aber wie das mit mir und ACCEPT nach "Restless & Wild" so oft war, haut mich auch "Stalingrad" trotz all der genannten Vorzüge und Schokoladenseiten nicht wirklich aus den Sandaletten. Ich will gar nicht um den heißen Brei herum reden: Der Knackpunkt ist, dass ich das Songwriting einfach zu gewöhnlich und berechenbar finde. Außer einer Handvoll Hooklines bleibt bei mir auch nach zahlreichen Durchläufen kaum etwas nachhaltig hängen. Ich nicke die ganze Zeit wohlwollend mit dem Kopf und wippe mit dem Fuß, reiße mir aber niemals vor Begeisterung die Klamotten vom Leib und wälze mit ekstatisch zuckend durch die Wohnung - oder so ähnlich. Dabei denke ich nach dem fantastischen Opener 'Hung, Drawn And Quartered' immer wieder, dass es doch dieses Mal klappen müsste mit der alten Liebe zu den Schöpfern von 'Fast As A Shark'. Spätestens bei 'Against The World' oder 'Twist Of Fate' aber empfinde ich "Stalingrad" dann als eine gute, äußerst professionell gemachte, aber letztlich auch recht biedere und manchmal sogar ein bisschen langweilige Metal-Scheibe. Da sind mir persönlich ein bisschen Edel-Kitsch, Pathos und Fantasie doch noch lieber als jeden Tag Pommes Schranke - egal wie toll die frittiert sind.

Note: 7,0/10
[Martin van der Laan]

Redakteur:
Thomas Becker

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