DIE APOKALYPTISCHEN REITER: Interview mit Volk-Man

10.02.2011 | 14:38

Im Februar erscheint der "Licht"-Nachfolger "Moral & Wahnsinn". Bassist Volk-Man gibt im Interview einen Ausblick auf das Album, plaudert aber auch über Russland und Amerika. Außerdem philosophiert er über Moral und Wahnsinn.

Pia: Gib uns bitte einen Ausblick auf das neue Album. Was erwartet uns auf "Moral und Wahnsinn"?

Volk-Man: Das Album atmet Metal und Rock aus jeder Pore, geht sofort ins Ohr und ist opulent ausgestattet. Es ist hartes Kopfkino für Nacken, Beine und Gehirn. Wir haben das Album so imposant wie möglich in Szene gesetzt, einen riesigen Aufwand betrieben, mit Gastmusikern (Streicher, Bläser) gearbeitet und in einem großen Studio aufgenommen, um einen zeitlosen, authentischen und kraftvollen Sound zu kreieren. Um dieses Monster einzufangen, kamen nur schwere Geschütze in Frage.

Was hat sich seit "Licht" musikalisch verändert?

"Licht" wirkt in sich geschlossener, homogener, aufgeräumter und kompakter. "Moral und Wahnsinn" ist durchtriebener, bunter, durchgeknallter und extremer in jeder Hinsicht.

Wie lange habt ihr an dem Album gearbeitet?

Ziemlich genau zwei Jahre mit einigen Unterbrechungen.

Wie lief der Aufnahmeprozess?


Zügig und professionell, wir waren schließlich gut vorbereitet.

Zu welchem Lied wird es einen Videoclip geben?


Als erstes werden wir – beziehungsweise haben wir schon – 'Dr. Pest' abgedreht. Dr. Pest ist eine gänzlich faszinierende Kreatur, rätselhaft und unbeschreiblich. Wir haben ihm ein musikalisches Denkmal gesetzt und soeben auch in einem bombastischen Video in Szene gesetzt. Die Aufnahmen fanden in Breslau/Polen statt. Wir haben mit einem 40-köpfigen Team gearbeitet, das zuletzt BEHEMOTH auch für ihre Videos genutzt hat. Das Ergebnis ist einfach unglaublich. Das Video wird Anfang Februar veröffentlicht.

'Gib dich hin' erinnert stark an 'Adrenalin' vom "Licht"-Album, besonders am Anfang. Kann man es als eine Art Fortsetzung sehen oder sind die Lieder unabhängig voneinander?

Hmm, schwierig. Abgesehen vom pumpenden Beat am Anfang sehe ich da keine Parallelen. 'Adrenalin' hat einen getragenen, langsamen Refrain, bei 'Gib dich hin' geht’s im Refrain ordentlich zur Sache und es wird sogar geblastet. Da sind für mich musikalische Welten dazwischen.

Das Cover ist sehr interessant und zeigt die modernere Version eines Engels und eines Teufels, allerdings trägt der Engel ein Maschinengewehr und der Teufel die Rute. Was soll das Cover ausdrücken?

Da muss ich leider entschieden widersprechen, es sind nicht Engel und Teufel, sondern Jesus (mit Maschinengewehr) und ein Nazi (mit einem Hirtenstab). Sie versuchen, dem Wahnsinn einzuflüstern, was richtig und was falsch ist. Um die Verlogenheit dieses Unterfangens darzustellen, haben wir die Insignien der Macht (Hirtenstab und Gewehr)  einfach vertauscht. Der Albumtitel entstand nicht von ungefähr. Was ist Moral? Was ist Wahnsinn? Das sind sehr spannende Fragen.

Der Mensch ist ein verwirrtes Lebewesen, das sich – zumindest seit Entstehung der Hochkulturen – bemüht, moralische Richtlinien und Rechtssysteme zu begründen, aber gleichzeitig alles dafür tut, seine Artgenossen, die ihm irgendwie nicht genehm sind, zu beseitigen. Kaiser, Könige, Fürsten haben zu allen Lebzeiten Konkurrenten und unliebsame Zeitgenossen in den Kerker werfen und töten lassen. Schon Nietzsche sagte: ‚Alles ist im Grund hinein verlogen und verbogen durch die Guten.’ Genau diese Verlogenheit, die kann man ja tagtäglich studieren.

Besonders widerlich wird es halt, wenn so genannte moralische Instanzen wie Staat oder Kirche anfangen, die Moralapostel zu spielen. Zu den größten Gefahren der Menschheit zählt seit jeher der Umstand, dass sich die jeweiligen Führer auf eine höhere Ordnung berufen, den Status Quo als gottgewollt hinstellen und im Namen Gottes, der Natur oder des Vaterlandes jede ihrer Taten moralisch rechtfertigen. Aufgrund der Fähigkeit von Demagogen, Menschenmassen für ihre heilige Sache zu mobilisieren, und aufgrund der Anfälligkeit der Menschen für Demagogie hat Moral in der Geschichte bis in die Gegenwart zu kollektivem Wahnsinn geführt.

Das fängt ja im Grunde schon bei mir und dir an. Denn gewiss gab es schon mal Momente in eurem Leben, wo ihr buchstäblich vom Wahnsinn bestiegen wurdet! Das Thema ist im Grunde unerschöpflich, die Frage bleibt: Wer legt fest, was moralisch ist und was nicht? Und ist Moral eigentlich immer etwas Gutes oder kann die auch böse sein? Der Ruf nach einer verbindlichen Moral kann zu jenem moralischen Fundamentalismus führen, der dann seinerseits wieder alles erlaubt – unter anderen Prämissen – eben als moralisch verwerflich gilt. Zum Beispiel fanatische Abtreibungsgegner, die angeblich zum Schutz des Lebens angetreten sind, aber nicht davor zurückschrecken, Ärzte zu töten, die Abtreibungen vornehmen.

Es gibt kein weltweit anerkanntes Werte- und Moralsystem. Daher bleibt unser Wille zum Guten immer zwiespältig und vom Makel behaftet, dass wir anderen unsere Vorstellung vom Guten aufzwingen wollen und mit diesem Zwang zum Guten doch wieder nur auf das Böse zurückgreifen. Siehe Irak, siehe Afghanistan.

Wer hat es entworfen?
Die Idee stammt von uns, umgesetzt hat es ein Stuttgarter Künstler namens Heile. (www.heilemania.de)

Lady Catman verschwand ziemlich plötzlich aus dem Line-Up. Was ist da passiert?


Nach knapp einem Jahr haben wir uns wieder getrennt, da es schlichtweg nicht so funktioniert hat, wie wir uns das vorgestellt hatten. Sie hat viel Energie und Kraft in die Band gesteckt, dafür sind wir ihr auch dankbar, aber als Dauerlösung für die Reiter taugte die Besetzung in der Form leider nicht.

Ihr seid mit "Licht" auch durch Russland getourt. Was habt ihr dort erlebt?

Wilde Konzerte, fanatische Fans, viel Hingabe und Leidenschaft. Wir touren ja prinzipiell mit dem Zug in Russland, weil man so direkten Kontakt zu den Leuten hat. Es gibt nichts Schöneres, als stunden- oder tagelang durch atemberaubende Natur zu fahren und den Abenteuern zu harren, die am nächsten Auftrittsorte auf einen warten. Durch Russland zu touren, ist generell nur machbar, wenn man physisch und psychisch belastbar ist. Konzerte und Zeitpläne im Sinne, wie man das aus Mitteleuropa kennt, sind dort vielleicht in Moskau oder St. Petersburg möglich, außerhalb davon regiert das Chaos. Aber gerade das reizt uns persönlich immer am meisten, weil diese Shows buchstäblich erkämpft wurden und es ein bisschen was von Abenteuer hat, irgendwo in der russischen Pampa zu spielen.

Werdet ihr wieder durch Russland touren?

Ja, direkt im Anschluss an die Deutschlandtour im Mai geht es wieder nach Russland, bereits unsere vierte Tour seit 2007. Dieses Mal wird es die längste Tour werden, Städte wie Nishni Novgorod, Kasan, Ekaterinenburg und Novosibirsk stehen unter anderem auf dem Programm. Bis hinter den Ural nach Sibirien hatten wir es bis dato noch nicht geschafft, daher sind wir vor dieser Reise wieder ziemlich aufgeregt. Ich fürchte, bei den langen Zugfahrten werden unsere russischen Betreuer, die uns während solchen Reisen immer begleiten, wieder zahlreiche Flaschen Hochprozentiges vernichten und man will ja nicht unhöflich sein. Mit einem Russen nicht Wodka zu trinken und anzustoßen gilt tatsächlich als unhöflich.

RAMMSTEIN sind mit deutschen Texten in Amerika sehr erfolgreich. Ihr habt ebenfalls überwiegend deutsche Texte. Wie schätzt du eure Chancen auf dem amerikanischen Markt ein?

Das kann ich nicht sagen, aber ich denke, wir würden den US-Markt genauso rocken, wie wir es halt schaffen in Russland, Tschechien, Slowenien, Frankreich oder England. Die ganze Textdebatte ist grober Unfug. Uns nervt das, weil niemand vor der Bühne ausrastet oder eine Wall Of Death macht, nur weil er einen Text versteht. Livemusik funktioniert, weil die Energie, die von der Bühne transportiert wird, für den Einzelnen und die Massen spürbar wird und weil sie ihn ansteckt. Wir haben uns diesen Mist seit Jahren angehört, wir haben es nie geglaubt, weil unsere Erfahrungen stets andere waren. Die Reitermania funktioniert im Ausland fast genauso wie im Inland. Es wird genauso getanzt und gefeiert, man pogt und bangt, springt von der Bühne, BHs fliegen. Musik ist das universellste Medium der Welt, das Völker verbindet und nicht trennt.

Habt ihr vor, dort zu touren?

Wenn, dann wohl eher erst 2012. Dieses Frühjahr und der Sommer sind für Europa reserviert, für den Herbst gibt es Anfragen aus Asien; sogar das Goethe-Institut aus Chennai (Indien) plant ein Festival und die Verhandlungen diesbezüglich laufen.  Wir verstehen uns jedenfalls als Botschafter zwischen musikalischen und kulturellen Welten. Die Reitermania wurde zwar in Deutschland geboren, aber sie wird von Tag zu Tag internationaler. Das passt ja auch gut zum Album, denn Moral und Wahnsinn kann überall auf der Welt begegnen.

Redakteur:
Pia-Kim Schaper

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