DELAIN: Interview mit Charlotte Wessels und Martijn Westerholt

07.11.2007 | 23:31

"Ach, Sie meinen die alte Messe! Da sind sie hier leider falsch." Hurra, das war genau das, was ich drei Minuten vor meinem Interviewtermin mit dem neuen Stern am Gothic-Himmel, DELAIN, hören wollte. "Ah, you are wrong!", brummt ebenso Rob, der Tourmanager, kurze Zeit später am anderen Ende der Handyverbindung und denkt sich wohl seinen Teil. Wenn der wüsste, was wahre schwäbische Gründlichkeit ist, würde er sich wohl nie wieder in das Bundesland trauen, in dem man alles, außer Hochdeutsch, kann. Zu der besagten schwäbischen Gründlichkeit gehört es eben auch, die Homepage der Messe Stuttgart bereits eine Woche vor der Eröffnung komplett auf den neuen Standort am Stuttgarter Flughafen auszurichten, inklusive Anfahrtsbeschreibung versteht sich. Die "alte" Messe am Stuttgarter Killesberg befindet sich aber am anderen Ende von Stuttgart und um dort hinzukommen darf man sich in die brodelnde Rushhour der Landeshauptstatt stürzen und einmal den Stuttgarter Kessel queren. In weiser Voraussicht hatte ich mich für diesen Termin für mein Motorrad entschieden und nachdem ich mich zuvor im obligatorischen Stau auf der A8 an den zwei Tourfahrzeugen von DELAIN vorbeigeschlängelt hatte, war ich eigentlich noch guter Dinge irgendwie gleichzeitig mit DELAIN am Veranstaltungsort einzutreffen.

"War wohl nichts", denke ich und steuere gedankenverloren auf den Kreisverkehr zu, der mich vom Flughafen wieder auf die A8 und näher an mein Ziel bringen soll. Vor lauter Nachdenken über die optimale Route dorthin, übernehmen aber plötzlich wieder meine Urlaubssynapsen die Kontrolle und ich brettere, wie aus den zwei Wochen Irland gewohnt, mit voller Wucht linksherum in den Kreisverkehr. Nach zwei Runden im Kreisel fällt mir allerdings auf, warum alle Autos im Kreisverkehr stehen und deren Insassen mich wie eine achtbeinige Kuh anstarren.

Unter meinem Helm hört niemand meine Entschuldigung und sieht gnädigerweise auch nicht meinen hochroten Kopf als ich mit Vollgas an der nächsten Ausfahrt mit Autobahnschild den Kreisel verlasse. Während ich von Spur zu Spur wechsle und mir Meter um Meter auf der vollen Autobahn erkämpfe, signalisiert mir mein Unterbewusstsein plötzlich, dass "Stuttgart" mit Sicherheit nicht nur mit drei Buchstaben geschrieben wird. Glücklicherweise dauert es nach diesem Geistesblitz auch gar nicht lange, bis die Esslinger Ausfahrt auftaucht und ich die Autobahn Richtung Ulm verlassen und ich mich in entgegen gesetzter Richtung zu meinem Interview aufmachen kann.

Über die nun folgende Fahrt im Stuttgarter Feierabendverkehr decken wir besser den Mantel des Schweigens und ich bin ganz froh, mein Motorrad außer Sichtweite hinter einer Hecke an der "alten" Messe am Killesberg parken, oder besser verstecken, zu können. Wider Erwarten schaffe ich es dann auch noch Charlotte Wessels (Vocals) und Martijn Westerholt (Keyboard) zwischen Soundcheck und Lunch zum Interview zu stellen. Backstage quetschen wir uns in einen Raum, der nicht nur entfernt Ähnlichkeit mit einer Kleinnager-Transportbox hat. Meine erste Frage gilt Martijn, dem Bruder von Robert Westerholt (Gitarrist von WITHIN TEMPTATION) und somit in Personalunion auch gleichzeitig Schwager von Sharon den Adel (Vocals bei WITHIN TEMPTATION).

Stef:
Was für ein Feedback habt ihr bisher auf euer Album "Lucidity" von Seiten der Fans und der Presse bekommen?

Martijn:
Es ist absolut verrückt und jenseits unserer Erwartungen. Wir sind für den TMF Award (ein holländischer Musikfernsehpreis) sowie die holländische Ausscheidung der MTV Awards "New Sound Of Europe" nominiert worden (Anmerkung des Autors: Die holländische Ausscheidung für die MTV Awards haben DELAIN gewonnen) und haben es in die Top 40 der holländischen Charts geschafft. Es ist ziemlich cool, weil wir auch Unterstützung aus dem Mainstream bekommen und viel in Radio und Fernsehen gespielt werden.

Stef:
Bekommt ihr solch ein Feedback auch aus Deutschland? Hier wurde euer Album ja erst ein Jahr später als in den Beneluxstaaten veröffentlicht?

Martijn:
Ja, das ist richtig und auch ein Teil unserer Erfolgsgeschichte. Roadrunner signt normalerweise keine debütierenden Bands und wenn sie es doch machen - was sehr selten passiert - warten sie erst einmal, was in einem Land passiert und veröffentlichen dann in einem anderen Land. Offensichtlich waren sie mit unserem bisherigen Erfolg zufrieden.

Charlotte:
Tatsächlich ist es so, dass diese Tour uns die erste Möglichkeit gibt, die Reaktion unserer deutschen Fans von Angesicht zu Angesicht zu erleben. Bis jetzt war es toll, es ist natürlich anders als in Holland oder in Frankreich, wo unser Album bereits länger veröffentlicht ist.

Stef:
Habt ihr schon Pläne für ein zweites Album und werdet ihr wieder einen so großen Anteil an Gastmusikern haben?

Charlotte:
Wir schreiben bereits an dem Nachfolger von "Lucidity" und wollen es eigentlich eher zu einem Bandalbum machen. Das Element mit den Gastmusikern werden wir beibehalten, aber nicht in dem Umfang wie auf "Lucidity".

Stef:
Habt ihr "Traumpartner", mit denen ihr gerne etwas zusammen machen möchtet?

Martijn:
Feste Namen gibt es bis jetzt noch nicht, nur vage Vorstellungen. Diejenigen sollten natürlich zur Musik passen und dem Ganzen auch noch ein zusätzliches Element geben.

Stef:
So wie Marco (Hietala) von NIGHTWISH? Er hat wirklich einen tollen Beitrag abgeliefert.

Martijn:
Ja, genau. Für mich persönlich hat er noch eine besondere Note hinzugefügt. Es war alles andere als nur Pflichterfüllung.

Charlotte:
Eigentlich war das eine ziemlich spontane Geschichte.

Stef:
Ja, darüber habe ich was gelesen. Er war wohl etwas betrunken und ihr habt das Material seinem Manager gegeben...

Martijn:
(lacht) Ja, die Geschichte war tatsächlich so. Wir beide sind auf ein Konzert gegangen und haben dort Marco getroffen. Er war ein bisschen betrunken und wir hatten eine richtig nette Unterhaltung. Ich habe ihn gefragt, ob er etwas zu dem Album beisteuern möchte, weil ich ein großer NIGHTWISH und großer Marco-Fan bin. Ich war scharf darauf mit ihm zusammenzuarbeiten, hatte aber nicht erwartet, dass er bei fünf Songs mit dabei ist. Die Zusammenarbeit hat wunderbar funktioniert und das, was hinterher dabei herauskam, war absolut toll. Ich war an dem Abend dann noch clever genug das Material seinem Manager zu geben, sonst hätte er es wohl erst drei Monate später unter seinem ganzen Zeug im Tourbus gefunden.

Stef:
Wie hat die Zusammenarbeit mit den ganzen Gastmusikern funktioniert? Haben sie euch besucht? Habt ihr sie besucht oder haben sie ihre Parts in ihren eigenen Studios aufgenommen und alles wurde bei der Produktion zusammengefügt?

Martijn:
Ein bisschen von allem. Ich bin nach Helsinki geflogen für die Aufnahmen mit Marco und nach Stuttgart für die Aufnahmen mit Liv Kristine. Sharon (WITHIN TEMPTATION) war nicht anwesend, aber ich kenne sie und sie kennt mich und weiß, was ich möchte. Deswegen konnte ich ihr das Material geben und es war perfekt, nachdem sie damit fertig war.

Charlotte:
Die Aufnahmen selber waren schon hart. Martijn hatte Pfeiffer'sches Drüsenfieber und musste deswegen vor fünf Jahren WITHIN TEMPTATION verlassen. Und drei Wochen bevor wir ins Studio wollten, habe ich die gleiche Krankheit bekommen, die aber "nur" ein Jahr gedauert hat. Zurückblickend war es aber eine gute Erfahrung.

Stef:
Martijn, hatte deine Krankheit einen Einfluss auf das Songwriting?

Martijn:
Nicht in punkto Inspiration, aber DELAIN hatte Einfluss auf meinen Krankheitsverlauf. Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn ich diese Krankheit nicht gehabt hätte. Das Einzige, was ich zu dieser Zeit machen konnte, war Musik.

Stef:
Charlotte, du bist zwanzig, und warst siebzehn, als du bei DELAIN eingestiegen bist. Hast du vor DELAIN schon Erfahrungen in anderen Bands gesammelt? Wie sieht dein musikalischer Hintergrund aus?

Charlotte:
Ich habe mit dem Singen in der weiterführenden Schule angefangen. Zuerst für sieben Jahre in einer Big Band und danach habe ich ein paar Singer/Songwriter-Geschichten mit einem Freund gemacht. Nach einer kurzen Zeit bei einer Band aus meiner Heimatstadt habe ich in einer Rockoper angefangen und da habe ich Martijn getroffen.

Stef:
Wie fühlst du dich momentan, nachdem DELAIN auf einmal so bekannt geworden ist? Du wirst nach Interviews und Autogrammen gefragt und stehst plötzlich im Mittelpunkt des Interesses.

Charlotte:
Es ist schwer zu beschreiben. Es ist auf jeden Fall ein sehr intensives Gefühl. Vor ein paar Wochen haben wir auf einem Festival gespielt und nach dem Auftritt wollten viele Leute Fotos und Autogramme. Es war sehr surreal und ich dachte "Hey, das bin doch nur ich". Aber ich glaube, ich könnte mich daran gewöhnen.

Stef:
Magst du es?

Charlotte:
Es ist seltsam, aber man gewöhnt sich daran. Aber es ist schön, weil du Anerkennung für dein Tun bekommst.

Martijn:
Es ist positive Energie...

Charlotte:
... und so lange es dir nicht zu Kopf steigt, ist es gut. (lacht)

Stef:
Was machst du außerhalb von DELAIN?

Charlotte:
Bis letztes Jahr habe ich gearbeitet und habe jetzt ein Kunststudium angefangen.

An dieser Stelle gibt das Band des vorsintflutlichen Grundig-Diktiergerätes dezent seinen Geist auf, was den Beiden aber nicht so unrecht ist, schließlich hat die Tour schon ihre Spuren hinterlassen. Wir falten uns vorsichtig wieder aus dem kleinen Backstageraum und nach einer herzlichen Verabschiedung entschwinden Charlotte und Martijn Richtung Catering um sich für den anschließenden Auftritt zu wappnen.

Redakteur:
Stef Thiel

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