Avantgarde pur - Interview mit Dirk Rehfus

11.03.2010 | 17:46

Wie Avantgarde hierzulade definiert wird, was ALLVATERS ZORN am Köcheln haben und warum GRABNEBELFÜRSTEN-Fans nicht verzweifeln sollen - DAS KAMMERSPIEL-Mastermind Dirk Rehfus beleuchtet viele Wege.

Müßiggang kann man dem KAMMERSPIELer kaum vorwerfen: Zwei Solo-Longplayer nebst Arbeit in Black-Metal-Instanzen wie ALLVATERS ZORN und GRABNEBELFÜRSTEN, dann baut Dirk Rehfus auch noch sein eigenes Label "Lost Souls Graveyard" auf ... Gesprächsstoff ist vorprogrammiert!


Wie hat 2010 für dich so angefangen? Was gibt's Neues? Viel zu tun?

Dirk:
Bislang läuft das Jahr sehr gut, ich kann mich nicht beschweren. Zu tun ist ebenfalls genug, aber mir ist es lieber zu viel anstatt zu wenig zu tun zu haben.


Langsam füllt sich dein selbst gegründetes Label "Lost Souls Graveyard" mit exklusiven Stücken. Wie suchst du die Künstler/Alben für dein Programm aus? Wie bist du z.B. auf FLOURYNE gekommen?

Dirk:
FLUORYNE habe ich über GEIST kennengelernt, wo Falk ja bis vor kurzem an den Keyboards tätig war. Ich habe recht schnell bemerkt, dass er mehr als nur ein Keyboarder ist, nämlich auch ein guter Gitarrist und begabter Songwriter. Jedenfalls war ich von der musikalischen Güte seiner Demo-Entwürfe zum "Dämmerung"-Album regelrecht begeistert.

 

Beim Hören des neuen Werks von DAS KAMMERSPIEL fallen sofort die Unterschiede zum Vorgänger "Der Einkehr später Gast" auf. Was hat dich zu dieser Weiterentwicklung, diesem Stilwechsel inspiriert?

Dirk:
Ich würde "Wege" nicht als Stilwechsel im Hinblick auf den Vorgänger bezeichnen. Es ist eben anders, aber alle Alben, auf denen ich bisher mitgewirkt habe, unterscheiden sich voneinander. Der Sprung vom Debüt hin zu "Der Einkehr später Gast" war aus musikalischer Sicht deutlich gravierender. Das erste Kammerspiel ist ein sehr ruhiges, meditatives Stück Musik und basiert gänzlich auf Klavier, Synthesizern und ein wenig Gesang. "Der Einkehr später Gast" war dagegen deutlich songorientierter. Insofern ist "Wege" für mich schon eine logische Fortsetzung bzw. Weiterführung dieses Albums. Alles ist diesmal noch ein wenig konsequenter und auch musikalisch besser umgesetzt, wie ich finde - aber eben auch kein Stilwechsel.

 

 

'Wege' - hat dieses Thema für dich eine besondere Bedeutung?

Dirk:
Das Wort "Wege" ist ein einfaches, jedermann kann mit diesem Wort irgendetwas verbinden. Es besitzt etwas Universelles, etwas Physisches, aber auch etwas Metaphorisches. Du kannst "Wege" erlaufen, wie es z.B. religiöse Menschen auf Pilgerreisen tun, oder du kannst mittels deiner Gedanken "Wege" beschreiten. Ich finde dieses Wort als Albumtitel ungemein passend und ausdrucksstark.

 

Die Songtexte auf "Wege" sind thematisch sehr vielschichtig; ein roter Faden ist nicht sofort ersichtlich. Wie hängen in deiner Vorstellung die einzelnen Lieder zusammen?

Dirk:
Es gibt tatsächlich keinen roten Faden, der das Album thematisch durchzieht bzw. der es zusammenhält. Genauso wie der Albumtitel selbst viele Bedeutungen erlaubt, sind die einzelnen Liedtexte einzelne in sich geschlossene Konzepte, aber nicht unbedingt im Sinne eines gemeinsamen Über-Konzeptes. Jedes Lied steht für sich, von den beiden Intro-Stücken 'Spurwechsel' und '...und selbst das Meer' einmal abgesehen. Beide sind aber auch Instrumentallieder.


Und wie stimmst du Lyrics und Musik aufeinander ab? Entsteht eines davon zuerst oder ist es ein wechselseitiger Prozess?

Dirk:
Ich schreibe oftmals Texte, die ich später erst für dann entstehende Lieder verwende oder auch umgekehrt. Ich gehe eigentlich nie mit einer festen Vorstellung an das Songwriting, von Null an parallel Musik und Text für ein Lied zu erarbeiten. Ich lasse diese Dinge gerne auf mich zukommen.

 

Kannst du dir vorstellen, abgesehen von Songlyrics Gedichte zu schreiben?

Dirk:
Nicht wirklich. Ich habe eigentlich immer genügend Songideen im Kopf oder Projekte, an denen ich arbeite. Diese fressen dann auch jedes gedankliche Konzept auf. Ich schreibe deswegen ohnehin relativ viele Texte, bin aber kein allzu großer Freund einer klassischen Gedichtsform. Zwanghaftes Reimen führt oft zu schrecklichen Resultaten.

 

Wenn man DAS KAMMERSPIEL mit den GRABNEBELFÜRSTEN und ALLVATERS ZORN vergleicht (aber darf man diese Projekte überhaupt vergleichen?), so hat der Avantgarde-Anteil deutlich zugenommen. Was bewirkt deiner Meinung nach die eigenartige Harmonie zwischen Black Metal und Avantgarde?

Dirk:
Man hat unserer Musik eigentlich seit Beginn an, sprich seit den ersten Demo-Aufnahmen, attestiert, dem Avantgarde-Genre zugehörig zu sein. So richtig viel konnte ich mir unter dem Begriff Avantgarde aber nie vorstellen. Er erscheint elitär, aber elitär will auch so gut wie jede Black-Metal-Band sein. Falk von FLUORYNE hat letztens mal gesagt, ihm gefalle der Begriff ''Avantgard'', da er dem Zuhörer signalisiere, dass dieser eine gewisse Offenheit mitbringen müsse um mit dieser Art Musik zurecht zu kommen. Das ist eigentlich ein schöner Gedanke. Nicht nur der Musiker, auch sein Publikum öffnen sich neuen Ideen und lehnen diese nicht schon aus Prinzip ab, weil diese oder jene Schublade nicht 100%-ig bedient wird.

 

Was macht die deutsche Black-Metal-Szene, vor allem eben den Avantgarde-Bereich, so einzigartig?

Dirk:
Grundsätzlich gefallen mir heutzutage eher wenige Bands, folglich auch nur eine Handvoll Bands aus Deutschland. Dass die deutsche Szene insgesamt etwas Einzigartiges darstellt, glaube ich persönlich nicht. Es sind eigentlich immer nur vereinzelte Bands, die wirklich etwas Besonderes darstellen. Aber auf einen wirklich visionären Künstler wie Ihsahn 'wartet' man in Deutschland vergeblich.


Demnächst sollen sich die GRABNEBELFÜRSTEN auflösen; nach zwölf Jahren Bandbestehen ist dies sicherlich nicht leicht. Was ist der Grund für die Trennung?

Dirk:
Vorneweg, eine Entschuldigung. Ja, wir wollten uns aufgrund bandinterner, vor allem organisatorischer Probleme auflösen. Dieser Gedanke steht nach wie vor im Raum. Allerdings haben sich in den letzten Wochen einige zumindest überlegenswerte Möglichkeiten ergeben, die genau diese Probleme reduzieren könnten, so dass ein Fortleben von GRABNEBELFÜRSTEN auch nach "Pro-Depressiva" möglich ist. Ob es dazu kommt, kann ich wirklich nicht sagen, schließlich haben wir schon genug Unklarheit gestiftet. Fakt ist aber auch eins, die "Band" GRABNEBELFÜRSTEN existiert eigentlich schon seit Jahren nicht mehr, wir proben absolut unregelmäßig, spielen keine Konzerte mehr und sind dazu aufgrund der seltenen Proben auch nicht wirklich in der Lage. Folglich ist GRABNEBELFÜRSTEN schon seit längerem 'nur' ein musikalisch interessantes Projekt. Und auf dieser Ebene werden wir sehen, ob es auch nach "Pro-Depressiva" weitergehen kann oder nicht. Beides ist möglich, nur an eine Rückkehr auf die Bühne glaube ich nicht mehr. Dazu fehlt es uns an Zeit, so schade das auch ist. Wir kriegen das einfach nicht mehr organisiert, so blöd sich das auch anhört.

 

Mit "Pro Depressiva" wollt ihr euch gewissermaßen verabschieden. Was kann man als Fan von dieser letzten EP erwarten?

Dirk:
Wie gesagt, der Abschied wird ein eventueller; von der Bühne verabschieden wir uns wohl definitiv, alles weitere wird man abwarten müssen. Wir werden aber ein ganzes Album aufnehmen, da wir mittlerweile genügend starkes Material haben, das sich aufzunehmen lohnt. Musikalisch ist die "Schwarz gegen Weiß" sicherlich ein sehr guter Anhaltspunkt auch für "Pro-Depressiva". Gesanglich möchte ich im Gegensatz zur "Schwarz gegen Weiß" wieder etwas mehr Aggressivität in der Stimme. Es soll nicht ins Chaotische abdriften, wie z.B. auf der "Dynastie", aber zumindest klanglich wieder etwas mehr 'back to the roots' gehen. Ungefähr so wie auf "Wege" vielleicht.

 

Wie geht es nach den GRABNEBELFÜRSTEN weiter? Wirst du dein Solo-Projekt nun weiter ausbauen, oder etwas ganz Neues probieren?

Dirk:
Neue Projekte wird es unter meiner Beteiligung keine mehr geben, da ich inzwischen in gleich vieren involviert bin. Das reicht mir. DAS KAMMERSPIEL wird natürlich weiterlaufen, aber in den nächsten Jahren wahrscheinlich etwas weniger präsent sein. Zur Zeit fehlt mir sowohl die Zeit für dieses Projekt, aber auch ein wenig die Inspiration. Ich habe innerhalb von drei Jahren drei KAMMERSPIEL-Alben geschrieben und produziert - in diesem Rhythmus kann es ja nicht ewig so weitergehen.

 

Und was ist mit ALLVATERS ZORN? Kommt etwas Neues?

Dirk:
Ja, und ich hoffe schon 2010! Jan, mein Mitstreiter, hat ein vollständiges Album geschrieben und bereits konzeptionell ausgearbeitet. Wir müssen 'nur noch' aufnehmen, leider dauert das in Eigenregie immer relativ lange, aber ich bin zuversichtlich, dass wir zur Primetime, sprich im Herbst, wenn die Tage kühler und die Nächte länger werden, veröffentlichen können. Das Album wird wahrscheinlich "Wiedergeburt" heißen.

 

Nun etwas Privates: Ich habe gelesen, du möchtest dieses Jahr fleißig sein für dein Studium. Was studierst du denn?

Dirk:
Diese Fragestellung erscheint verwirrend. Man könnte meinen, ich wäre Student und möchte dieses Jahr ausnahmsweise fleißig sein. Ich bin ein ganz normaler Arbeitnehmer mit 40-Stunden-Woche, möchte aber ab Herbst 2010 vor allem aus Interesse noch ein Geophysik-Studium beginnen. Zum Glück legt mir mein Arbeitgeber keine Steine in den Weg, so dass ich in meinem Beruf etwas kürzer treten kann, um noch Zeit für dieses Studium zu haben. Leider werde ich aufgrund des notwendigen Einkommens nicht Vollzeit studieren können. Aber wie gesagt, mein primärer Antrieb ist mein Wunsch zu lernen und eher sekundär ein weiterer beruflicher Abschluss.

 

Aus Neugierde: Welches Konzert hast du zuletzt besucht?

Dirk:
Das müsste RAMMSTEIN gewesen sein. Das nächste Konzert wird KATATONIA sein - worauf ich mich ungemein freue. "Night Is The New Day" ist mein persönliches Album des Jahres 2009.

 

Und welches Album hast du dir zuletzt gekauft?

Dirk:
"After" von IHSAHN
. Erwartungsgemäß bin ich auch von seinem neuen Werk mehr als nur begeistert.

 

Danke sehr für deine Antworten! Ich wünsche dir weiterhin viel Erfolg und erwarte gespannt, wenngleich etwas wehmütig, "Pro Depressiva".

Redakteur:
Regina Löwenstein
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