With Full Force XX - Roitzschjora

24.07.2013 | 23:59

27.06.2013, Flugplatz

Vier Tage Geburtstagsfeier auf dem selbst ernannten härtesten Acker Deutschlands: Das With Full Force lässt es auch diesmal ordentlich krachen.

Samstag

Auch dieses Jahr hat das WFF wieder mal etwas ganz Besonderes ausgegraben: Die Californische Nu Metal Band COAL CHAMBER ist so eine Perle, die als Mitbegründer eines Genres gelten dürfen, obwohl Sie nie wirklich an dem Erfolg anderer Szenegrößen herankamen. Frontman Dez Farfara ist auf dem Full Force durch die zahlreichen Auftritte von DEVIL DRIVER natürlich kein Unbekannter mehr, und so hat er das Publikum fest in seiner Hand. Dass die Band im Original-Lineup auftritt, ist schon beachtlich, denn schließlich gab's oft heftige Streitereien zwischen den einzelnen Bandmitgliedern. Heute lassen die drei Herren (Bassistin Chela Harper ausgenommen) ihre Wut am Bühnenequipment aus. Die Techniker werden wohl tief durchschnaufen, als die Band nach 40 Minuten ihren Auftritt beendet. Ständig fliegt hier etwas über die Bühne. Mikroständer, Beckenständer, Podeste, Bühnenaufbauten und Ähnliches können kaum schnell genug wieder aufgebaut werden, da segelt schon das nächste Teil durch die Luft. Aber bei Songs wie 'Loco' oder  'Big Truck' muss man wohl einfach was kaputtschlagen. Es ist nicht zu übersehen, dass die Band Spaß hat. Und das überträgt sich auch auf's Publikum, wenngleich bei 'Fiend' kurz mal die Gitarre ausfällt. Obwohl vor der Bühne mächtig was los ist, gibt Farfara sich damit nicht zufrieden. Mehrfach fordert er die hinteren Reihen auf, sich von "Beer and Sausage" zu trennen und bei den Hits 'Drove' oder 'Dark Days' die Sau raus zu lassen. Der Auftritt könnte also kaum besser sein. Die Bassistin ein Hingucker, Gitarrist und Sänger im Zerstörungswahn, und der Schlagzeuger praktiziert eine Art fernöstliche Kampfkunst hinter seinen Kesseln. "Punkrock in the rain" kündigt Farfara an, bevor es mit 'Clock' und 'I' nochmal zwei Brechersongs gibt. Am Schluss fliegen sogar die Felle vom Schlagzeug ins Publikum. Ich wundere mich etwas, dass in der allgemeinen Euphorie nicht auch die Gitarrenboxen von der Bühne geworfen werden. Fazit: Das war absolut geil!

[Chris Gaum]

Leider ist DEEZ NUTS für den gemeinen Metaller schwer zu verdauen. Bei Sprechgesang und anderen HipHop-Einflüssen ist es einfach schwer, die Worte zu finden, die der australischen Band gerecht werden. Denn die Jungs wissen, was sie tun sollen, und sie können es auch! Das Publikum lässt sich mitreißen und es wird auf der Menge gesurft, bis der Bühnengraben platzt. Einfach traumhaft! Der Fronter kommt sehr sympathisch rüber, bedankt sich bei den Fans für die Unterstützung und heizt gut an. Die Musik selbst ist auch nicht übel und auf der Bühne herrscht viel Bewegung. Nach 45 Minuten ist das Konzert zum Glück überstanden und in ein paar Stunden kann man sich bei IN FLAMES den Hardcore wieder austreiben lassen.

[Stefan Brätsch]

Wo ist denn dieser Angelripper? Wenn man das Ruhrpott-Thrash-SODOM-Urgestein sonst im Zweifelsfall am Bierstand findet, muss man heute fast 30 Minuten voller Ungewissheit ausharren, bevor endlich das Knarrenheinz-Banner hochgezogen wird. Ein heftiger Verkehrsunfall und der daraus resultierende Stau sorgen dafür, dass es heute nur ein verkürztes Set gibt. Aber was für eins! 'Stigmatized' gefolgt von 'Sodomy And Lust' werden in einem atemberaubenden Tempo rausgehauen, dass viele Headbanger kaum hinterherkommen. Auf Ansagen wird aufgrund der Verspätung weitgehend verzichtet. Stattdessen gibt's 'Outbreak Of Evil' und eine Kurzversion von 'Surfin Bird'. SODOM ist heute in Topform, und so wird auch 'The Saw Is The Law' entsprechend abgefeiert. Jetzt lässt sich Onkel Tom doch mal zu einer Ansage hinreißen und verweist auf's diesjährige Jubiläum, um dann mit 'Agent Orange' das Thrashmassaker einzuläuten. Absolutes Highlight ist allerdings die Abschlussnummer 'Fuck The Police', die viel zu selten im Liveset der Gelsenkirchener auftaucht. Also noch mal kurz die Frage "habt Ihr Bock auf Punk?" und ab geht's!

[Chris Gaum]

Wer hält dem With Full Force die Rekorde? SICK OF IT ALL. Lou Koller weiß mittlerweile selbst nicht mehr, wie oft er mit seinen Jungs schon auf dem härtesten Acker Deutschlands war, aber das tut ja auch nicht wirklich etwas zur Sache. Er liebt das Festival, liebt die Leute und anscheinend auch ansonsten die ganze Welt. Und die Fans lieben die NYHC-Urgesteine. So gibt es mal wieder ein Best-Of-Set, wie man es kennt und liebt. Alle, die was auf ihre Moshpitqualitäten halten, haben sich versammelt, um sich mal so richtig ordentlich eins auf die Glocke zu geben. Die Power, die die Band trotz ihres Alters (Pete Koller!) jedes Mal aufs Neue auf die Bretter zaubert, ist wirklich bemerkenswert, so dass sie einem quasi keine anderen Wahl lässt, als mal so richtig den Höhlenmenschen in sich herauszulassen. Zudem gibt es massig positive Shoutouts und die obligatorische, von ihnen "erfundene" Wall Of Death darf natürlich auch nicht fehlen. Eine Stunde Hardcore-Party, aus der jeder das mitnehmen kann, was er gerade braucht. Also im Prinzip alles wie immer. Und das ist auch schon der einzige Kritikpunkt: Die Band ist jetzt seit einiger Zeit mit der ewig gleichen Setlist unterwegs. Sicher, das "Problem" haben auch andere Bands, aber im Falle von SICK OF IT ALL stört es mich persönlich schon ein wenig, weil genug Alternativen vorhanden wären. Nichtsdestotrotz: Jederzeit wieder. Hardcore geht nicht besser.

[Oliver Paßgang]


Um halb 11 wird es dann Zeit für den Headliner des Abends: IN FLAMES. Die ersten Töne von 'Sounds Of A Playground Fading' erklingen, und auch wenn man sich seit Jahren unter Metalheads über den neueren Sound der Schweden streiten kann, wird hier in Roitzschjora wenigsten auf unnötige Showeffekte verzichtet. So wie das völlig übertriebene Baukastengerüst auf dem letztjährigen Wacken. Mal abgesehen von Feuerwerk, den meisten Backlights des Tages, Anders' weißem Shirt und seinen kurz geschorenen, unter einer Baseballmütze versteckten Haaren. "We like crowdsurfers to our music", ruft der vollbärtige Sänger, "we wanna smell german mud!" Dann lässt er die Fans den Refrain von 'Trigger' singen, plaudert aus dem Nähkästchen, dass Gitarrist Niclas jüngst Vater wurde und Klampfer Jensen von den Göteborger Kollegen THE HAUNTED aushilft. Herr Fridén, wie man in als sympathische Labertasche kennt. Nach den üblichen Verbundenheitsbekundungen, dass das Full Force fast so lange existiere wie man selber, setzt er sich an den Bühnenrand, lässt sich ein Handy von einem Fan aus der ersten Reihe reichen und filmt grinsend in die Menge. Anschließend wird der Handy-Besitzer sogar noch auf die Bühne eingeladen, was dieser natürlich gern nutzt, um von sich mit jedem Bandmitglied ein Erinnerungsfoto zu schießen. Ansonsten lässt die Setlist in Sachen neueres Material von 'The Mirror's Truth' bis 'Take This Live' kaum Wünsche offen. Den Abschluss bildet traditionell 'My Sweet Shadow', während die letzten Feuerwerkskörper in die Luft geschossen werden. Auf zum Saturday Night Fever nebenan!

[Carsten Praeg]

Saturday Night Fever

Seit der Samstagabend Show von VOLBEAT 2006 habe ich nicht mehr so eine Überraschung erlebt. KVELERTAK aus Norwegen sind für mich die Entdeckung des Festivals. Wenn eine Band schon mit drei Gitarristen auf die Bühne geht, dann muss man davon ausgehen, dass diese Jungs alles kurz und klein kriegen. Ein unglaublicher Sound und eine energiegeladene Performance sorgen dafür, dass niemand mehr stillstehen kann. Als die ersten Töne von ˈApenbaringˈ erklingen, läuft einem unweigerlich ein Schauer über den Rücken. Dichter Nebel gibt nach und nach das Bild auf eine im Seventies-Look gestaltete Bühne frei. Die einheitlichen "Orange Amps" der Band tun dazu ihr übriges. Aber dieser Sound bei ˈTrepanˈ ist nicht aus der Vergangenheit, sondern so klingt wohl die Zukunft von Hardcore Black ˈnˈ Roll. Auch vom Debutalbum gibt es einige heftige Songs wie ˈFossegrimˈ und ˈUlvetidˈ zu hören. Da man auf Ansagen verzichtet, bleibt mehr Zeit für neues Songmaterial, und so bekommen wir auch eine etwas längere Nummer wie ˈNekrokosmosˈ. Unerreicht bleibt für mich ein Song wie ˈEvig Vandrarˈ, der vor allem live das Zeug zu einem Megahit hat. Obwohl die Lyrics ausschließlich in norwegischer Sprache sind, fällt es bei der aggressiven Grundstimmung von ˈBlodtorstˈ nicht schwer, sich vorzustellen, worum es gerade geht. Auch zu ˈTordenbrakˈ gibt die Band alles. Und als ich mich umdrehe, muss ich erkennen, dass das Zelt komplett voll ist. KVERLERTAK hinterlassen also nicht nur bei mir einen bleibenden Eindruck. Nach der "Würgegriff"-Bandhymne ˈKvelertakˈ ist dann viel zu früh Schluss. Na gut, ich freu mich auf die anstehende Tour im Herbst.

[Christ Gaum]

Bis auf ein paar wenige Balladen und einem Videoclip im Hauskanal einer bekannten Burgerkette waren HAUDEGEN am Schreiber dieser Zeilen ehrlich gesagt ziemlich vorbei gegangen. Um sich mit diesem Gig dann doch ordentlich in den Hinterkopf zu spielen. Die beiden Hauptdarsteller Hagen und Sven verzichten beim Force auf Mütze, Hut oder Gesellenkleidung, hier sind Lederweste samt Schwert-und-Flügel-Bandlogo sowie schwarze Biker-Kluft angesagt. Plus natürlich Tattoos ohne Ende auf den zwei Zentner schweren Sängern. Während VARG-Sille und KORPIKLAANI-Jonne im VIP-Zelt erfolgreich zur Mission "Saufen bis zum Umfallen" blasen, wird auf der Tentstage mit älteren Gossensongs wie 'Halte durch' losgerockt. Und gerade bei Hagen hat man das Gefühl, ONKELZ-Röhre Kevin Russel würde höchst persönlich auf der Bühne stehen. Etwas übertrieben sind lediglich die beiden riesigen Schwerter auf der Bühne, die zugleich als Mikroständer genutzt werden und von Sven demonstrativ in die Luft gereckt werden. Oder das monotone Freiheit, Schwert und Flügel-Gerede vor wirklich jedem Song. Manchmal ist weniger mehr. Die Songs sprechen hingegen für sich: 'Ein Mann, ein Wort' oder 'Flügel und Schwert' unterstreichen, dass die früheren Aggro-Berliner wirklich singen können. Positiv ist auch anzumerken, dass sich ihr Bassist trotz kürzlichen Krankenhaus-Aufenthalts diesen Auftritt auf keinen Fall entgehen lassen wollte. Sämtliche Songs kommen live sehr viel härter als auf Platte, zum Abschluss sorgt 'Wir kommen zurück' noch einmal für Stimmung. Und man kommt zu dem Schluss, dass unter all den hier nicht weiter erwähnten ONKELZ-Plagiaten HAUDEGEN die Band sind, die selber vielleicht nie den Thron der vier Jungs aus Frankfurt erklimmen wollten, aber am ehesten dazu prädestiniert sind.

[Carsten Praeg]

Redakteur:
Nadine Ahlig

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