With Full Force XX - Roitzschjora

24.07.2013 | 23:59

27.06.2013, Flugplatz

Vier Tage Geburtstagsfeier auf dem selbst ernannten härtesten Acker Deutschlands: Das With Full Force lässt es auch diesmal ordentlich krachen.

Sonntag

Nachdem MAMBO KURT samt seiner Orgel natürlich nicht fehlen darf - sei es als Special im VIP-Zelt oder als Opener am Sonntag - und eifrig zum Freibier einlädt, wird es zu BETWEEN THE BURIED AND ME erschreckend leer vor der Mainstage. Schon zu fertig und besoffen für anspruchsvolle Prog-Mucke oder was? Dabei müsste der Sound der fünf Amis, den man am besten mit OPETH - nur Metalcore an Stelle von Death Metal - vergleichen kann, doch eigentlich den Zahn des Publikums treffen. Sei's drum, die wenigen, die da sind, gehen mit und feiern den Opener 'Astral Body' vom aktuellen Album "The Parallax II: Future Sequence" (ziemlich abgefahrene Video-Auskopplung übrigens). Frontman Tommy Rogers hat neben seinem Gesang mit Keyboard-Einlagen alle Hände voll zu tun, und wer bei seinen ausladenden Songs schon kurz nach 14 Uhr ran muss, darf sich nicht wundern, wenn er gerade mal vier Songs unterbringen kann. Der härteste Song der aktuellen Langrille, 'Telos' (topt sogar OPETH in härteren Tagen), kommt zum Abschluss, ein kurzes "thank you!", dann ist das Quintett auch schon wieder von der Bühne verschwunden. Kurz, aber gut!

[Carsten Praeg]

Zu Kaffee und Kuchen gibt es guten deutschen Punk Rock mit BETONTOD auf den Teller geknallt. Knallen ist gut, denn bereits nach dem Opener 'Keine Popsongs' geht die Technik in die Hose. Fronter Oliver: "Tja, das ist Punkrock live." Sofort ertönen 'Wir müssen aufhören weniger zu trinken'-Chöre. Ja ja, später... Die Fangemeinde der Rheindorfer ist mittlerweile enorm, sodass sich schon zu dieser frühen Stunde ein Pulk an Kumpanen versammelt hat, der noch ein Bier trinken gehen will. Sound – ok. Songauswahl – läuft. Stimmung: Ziemlich bombig! Oli: "So, nachdem ich mir nun Mut angetrunken habe, können wir jetzt unser letztes Lied starten" – kleiner Schlawiner, denn ein Zugabenblock soll folgen. Die Songs treffen den Nerv des Publikums, die mit den paar Sonnenstrahlen um die Wette lachen. Gut abgeliefert.

[Nadine Ahlig]

Wer hätte gedacht, dass man nach dem treibenden Elektro-Metalcore von THE BROWNING, die bereits vergangenes Jahr beim Saturday Nightfever im Zelt ran durfte, ein paar Meter vor der Mainstage entspannt auf dem Boden chillen kann? Bei DEVIL SOLD HIS SOUL ist nämlich noch weniger los als ein paar Stunden zuvor bei BETWEEN THE BURIED AND ME. Bequem die Füße hoch gelegt beobachten wir, wie sich die fünf Briten zwar redlich bemühen und der Sänger mit Kung-Fu-Sprüngen über die Bühne fliegt – auf's spärliche Publikum will der Funken aber nicht wirklich überspringen. Vielleicht doch lieber weniger Metalcore auf der Hauptbühne oder die parallel im Zelt spielenden KASSIERER hierher verlegen? Zu KNORKATOR soll es nämlich wieder richtig voll werden.

[Carsten Praeg]

Noch ein bisschen Niveau vor dem Ende? Klar, ab zu DIE KASSIERER! Einleitung von Wölfi: "Ihr könnt euch alle ausziehen, das Zelt ist beheizt." Der Einzige, der sich hier auszieht, bleibt er heute ganz allein – zumindest wie weit das Auge reicht, denn dank des extremen Menschenaufkommens sind nackte Brüste schwer zu erkennen. Während ein kleiner frecher Troll zu 'Sex mit dem Sozialarbeiter’ tanzt – flupp – fällt auch schon Wölfis Höschen. Besagter Troll fragt sich, ob er jemals so 'nen schönen Hodensack gesehen hat und schwingt keck das Bein. Nachdem es mit 'Quantenphysik' ganz kurz "intellektuell" wird, wird 'Blumenkohl am Pillemann' in seiner neuesten Version präsentiert: Denn damit es nun alle verstehen können, hat sich Mitch einen Ärztekittel übergezogen. Dem Menschen hinter mir geht nun ein Lichtlein auf... "Ficken ist besser als in die Hände zu klatschen!" Dumm gelaufen, denn obwohl 'Arbeit ist scheiße' "hervorragend zum Nackttanzen geeignet ist", kommt zwar Bumslaune auf, wird jedoch nicht so recht umgesetzt. Während weiße Tauben durch das Zelt flattern (ein Zeichen?) arbeitet Wölfi den Programmpunkt Nacktrechnen ab ( ...tja, jetzt würdet ihr gerne Details wissen, hm?). Die mächtigen Kassierer haben den Laden wieder mal so richtig zugesetzt....

[Nadine Ahlig]

Soundcheck kurz vor 6. "Stumpen Mikro, Stumpen Mikro." Nicht ganz so einfallsreich wie die 'Aber schön muss sie sein'-Einlage der EXCREMENTORY GRINDFUCKERS, aber der Höhepunkt bei KNORKATOR ist schließlich nicht das Vorspiel. Händchenhaltend und zu fünft kommen die Ulk-Berliner zur selbst betitelten "kulturellen Mehrzweckabendveranstaltung" auf die Bühne, später wird sich auch noch eine leicht bekleidete Gitarristin hinzu gesellen. Was auf den Opener 'Der ultimative Mann' und 'Ich will nur fickn' folgt, ist das übliche Chaos, nur immer etwas einfallsreicher: Dass Sänger Stumpen unter seinem Kasperle-Kostüm einen klassischen bauchfreien Badeanzug hervorzaubert und über die Bühne zappelt, ist noch völlig normal. Doch schon nach kurzer Zeit lädt er sämtliche Knipser aus dem Fotograben auf die Mainstage ein für ein kollektives Gruppenfoto mit Publikum. Angezählt zum Jubeln wird bis 17, dann kann das Publikum "ruhig die Schnauze halten, hört man auf dem Foto eh nicht". Die Frisbees, die von einem prominenten Bourbon-Hersteller aus Kentucky verteilt werden und permanent durch die Menge fliegen, landen schließlich auch auf der Bühne, werden von Stumpen einmal kurz in die Hose geschoben und müffelnd wieder zurückgeschmissen. Auch eine Badminton-Einlage darf nicht fehlen, und während Keyboarder Alf die alte Death-Metal-Verarschung 'Böse' grunzt, braucht Stumpen viel zu lang, um in seine aufblasbare Gummikugel zu kommen (nennen sich diese Dinger Zorb Ball?). Einfach noch zwei Gedichte hinter geschoben, und dann ist Alfs Sidekick auch endlich bereit, um sich einmal im Crowdsurfen der etwas anderen Art zu probieren. Abgefahren und Durchgeknallt wie immer. Liegt das am Berliner Gras?

[Carsten Praeg]

Der Preis für die deplatzierteste Band des diesjährigen With Full Force geht ohne große Konkurrenz nach Finnland: KORPIKLAANI siegt auf ganzer Linie. Und wie feiern die Waldburschen das? Genau, mit einer ordentlichen Ladung Humppa! Lustigerweise scheint das eine Sache zu sein, die einem in den Magazinen Spott und Häme einbringt, live, und insbesondere auf Festivals, aber immer gut zu funktionieren scheint. So sind es nämlich nicht nur die Metaller und das Partyvolk, die hier ihren Spaß haben, nein: Sogar noch so tough angezogene Hardcore-Kids schwingen hier das Tanzbein (natürlich nur, um sich über die Band lustig zu machen, versteht sich!). Dabei hat KORPIKLAANI nicht einmal einen besonders guten Tag erwischt, sondern maximal einen der soliden Art; doch selbst das reicht vollkommen aus. Der Gig hängt lediglich an den Stellen etwas durch, wo die Band mal aus ihrem Schema ausbrechen und tatsächlich Metal spielen will. Das ist wohl das Dilemma einer Truppe, die sich ihr Image fast ausschließlich mit tanzbarer und kitschiger Folklore im Metallgewand aufgebaut hat. Dessen sind sie sich aber wohl auch mehr als bewusst, weshalb das letzte Drittel des 50-minütigen Sets auch nur aus Nummern diese Sorte besteht. Der ganz große Abräumer war KORPIKLAANI nun sicher nicht und wird es auf dem WFF auch nicht mehr werden, aber nach einem Wochenende voller Gebrüll gibt es sicherlich Unangenehmeres. (Mini-) Überraschung gelungen.

[Oliver Paßgang]

Vor ein paar Jahren fiel mir persönlich beim Force bei AS I LAY DYING erstmals ein kleiner Podest für den Sänger auf. "Was die Metalcore-Konkurrenz kann, können wir schon lange", haben sich wohl CALIBAN gedacht – und stellen kurzer Hand einfach vier Erhöhungen für jedes Bandmitglied auf die Bühne. Und IN FLAMES hatten Abends zuvor mehr Strahler auf der Bühne? Egal, wir haben zwar weniger, aber dafür dreimal so dicke! Abseits der Bühneneffekte nebst Feuerbällen und Nebelfontänen wird mit 'It's Our Burdon To Bleed' mächtig drauf los gebrettert, zum wiederholten Mal an diesem Wochenende ein "Happy Birthday"-Ständchen für's Festival angestimmt und natürlich sogleich zur nächsten Wall Of Death aufgefordert. Sänger Andreas zeigt sich von seiner gewohnt schlagfertigen Seite: Als eine Windel auf die Bühne fliegt, fragt er kurzer Hand "wer hat sich hier bepisst?" Danach weiß er zwar nach dem riesigen HEAVEN SHALL BURN-Circlepit um den FOH vergangenes Jahr, dass "ihr das alles schonmal gemacht habt", aber er wünscht sich den "Monstercircle" trotzdem so groß wie möglich. Zwar können die Westfalen die Vorlage der Thüringer Kollegen nicht ganz toppen, die Stimmung ist trotzdem bestens. Da fragt man sich nur, warum CALIBAN ausgerechnet das ausgelutschte 'Sonne' covern mussten, wenn es schon ein RAMMSTEIN-Song seien sollte? Da gibt es wesentlich bessere Perlen. Sei's drum, kurz vor Schluss fordert Andreas noch das gesamte Publikum zum kollektiven Hinknien auf, um zum Abschluss gemeinsam hochzuspringen. Man tut halt, was man kann, um der Metalcore-Konkurrenz Paroli zu bieten. Wenn auch mit achtbaren Erfolg.

[Carsten Praeg]

Viertel vor 10, Zeit für den letzten Headliner KORN: Nachrichtenschnipsel flimmern über eine Leinwand, dann krachen die ersten Riffs von 'Blind' aus den Boxen, während Sänger Jonathan Davis über die Bühne stapft und die langen schwarzen Haare fliegen lässt. Mal abgesehen von seinem H.R.Giger-Mikroständer wird auf außergewöhnliche Show verzichtet, die fünf Amis zeigen sich von ihrer harten Seite. 'Falling Away From Me' ist der erste Höhepunkt der Setlist, die keine Wünsche offen lässt. Selbst als nicht allzu großer Fan kennt man so ziemlich jeden Song von diversen Tanzflächen. Auch Jonathans Dudelsack-Einlage darf nicht fehlen, dann lässt er das Publikum kollektiv Mittelfinger in die Luft recken und "fuck that" brüllen. Selbstredend gefolgt von 'Y'All Want A Single'. Drei Songs gibt's noch als Zugabe oben drauf und als krönenden Abschluss den Evergreen 'Freak On A Leash'. Danach sind die Jungs noch gefühlte Stunden damit beschäftigt, all ihre Gitarrenpleks und Schlagzeugfelle an den Mann zu bringen und zeigen sich dabei erstaunlich fannah. Ein wirklich würdiger Abschluss auf der Mainstage!

[Carsten Praeg]

The Last Supper

Noch während KORN auf der Mainstage ihre Popmusik zum Besten geben, darf PARADISE LOST auf der Zeltbühne zeigen, dass sie bessere Musik machen. Leider scheinen das nicht alle zu wissen, sodass das Zelt halb leer ist. Mit zwanzig Minuten Verzögerung, um KORN nicht komplett die Show zu stehlen, legen die Veteranen um Nick Holmes mit dem 18 Jahre alten Klassiker 'Enchantment' los. Dieses Stück ist voll subtiler Kraft, die als Opener leider nicht richtig zur Geltung kommt. Nick ist mit seiner geschorenen Mähne zwar bereits ein bekannter Anblick, aber es bleibt dennoch gewöhnungsbedürftig. Mit 'Honesty in Death' folgt ein aktueller Song und direkt im Anschluss der Disco-Hit 'Erased'. Mittlerweile scheinen KORN ihren Auftritt beendet zu haben, denn die Massen strömen am Zelt vorbei. Nick versucht mit diversen Sprüchen mehr Gäste ins Zelt zu locken, dies funktioniert aber nur vereinzelt. Er hält sich aber nicht lange mit den Banausen auf, schließlich ist die Stagetime sehr begrenzt. Mit einem Dankeschön an die Fans im Zelt wird 'In This We Dwell' dargeboten. Mit 'Pity The Sadness' und 'As I Die' werden noch zwei weiterer Klassiker exhumiert, welche sehr gut aufgenommen werden. Nick hält den Mikrofonständer wie ein Zepter und feuert das Publikum an. Bei KORN war sicher keine bessere Stimmung!  Der Titeltrack des aktuellen Albums "Tragic Idol" ist mit Sicherheit ein Höhepunkt des ganzen Festivals. Leider sind die vierzig Minuten viel zu schnell vergangen.

[Stefan Brätsch]

MY DYING BRIDE mit Pikkolotrompete, oder doch lieber progressiver Esoterik-Metal auf Extasy? Irgendwie fällt es schwer, das einzuordnen, was NEGURA BUNGET eine knappe Dreiviertelstunde alles aus dem Ärmel zaubert. Mit Xylophon, Blashorn und selbstgebauter Holztrommel erzeugen die Rumänen eine erstaunlich mystische Kulisse, die ideal den Boden für AMORPHIS ebnet. Die Finnen sind beim Force als Rausschmeißer schon Programm und mobilisieren die letzten Kräfte der Fans. Das fällt auch nicht schwer mit einem derart charismatischen Frontman wie Tomi Joutsen: Die geschätzt drei Meter langen Dreads umherschwingend, in der Hand sein selbst gebasteltes Riesenmikrofon, zum Opener 'Shades Of Gray' mächtig grunzend, um dann postwendend auf stadiontaugliche Cleanvocals umzuschwenken. Von 'Silver Bride' über 'On Rich And Poor' bis hin zum alten 'Into Hiding' erzeugt das Sixtett eine dermaßen breite Soundwand, dass man völlig vergisst, bereits vier Festivaltage in den Knochen zu haben. Da vermisst man auch den Klassiker 'Black Winter Day' nicht, statt dessen beschließt 'House Of Sleep' einen großartigen Gig und ein langes Wochenende, das selbst nach 20 Jahren wieder viel zu schnell vorbei ist!

[Carsten Praeg]

Redakteur:
Nadine Ahlig

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