Wave-Gotik-Treffen 2010 - Leipzig

14.06.2010 | 23:47

21.05.2010,

Leipzig sieht Schwarz - und POWERMETAL.de mischt die düstere Party auf!

Sonntag, 23. Mai 2010

Tag drei steht in den Startlöchern. Das Wetter und die Frisur sitzen immer noch, so dass auch heute dem Maskenball der Eitelkeiten nichts im Wege steht und auf dem Walk of Fame, wie der Weg des Agrageländes auch ironischerweise genannt wird, auch heute fröhlich auf und ab gelaufen werden kann. Nachdem wir genug gesehen haben, machen wir uns auf zu den süßen finnischen Mädels von INDICA.

Und da komme ich ins Spiel. Nachdem mir die Mädels bereits bei der letzten NIGHTWISH-Tour (als sie in Deutschland noch kein Schwein kannte) schon zusagten und ich behauptete, dass sie mal groß rauskommen könnten (was sich noch zeigen wird, aber mit Nuclear Blast hat man eine starke Kraft im Hintergrund), bin ich natürlich erfreut, die Mädels endlich wieder erlauschen zu dürfen.

Mit ihrem in Kürze erscheinenden Album "A Way Away" versuchen sie auch die deutschen Charts zu erobern, nachdem sie in Finnland schon lange zu großen Stars aufgestiegen sind. Nun hat sich NIGHTWISH-Mastermind Tuomas den Mädels angeschlossen (Songwriting). Was kann da schiefgehen? Zum einen der Sound, welcher zunächst etwas wirr aus den Monitorboxen schießt. Anders ist es nicht zu erklären, dass Jonsu laufend mit dem Soundmenschen kommuniziert. Vielleicht ist sie aber auch nur scharf auf ihn? Hoffentlich nicht!

Songs wie 'Island Of Light' oder 'Precious Dark' sind dunkelsüßer Pop erster Kanone (und wenn ich Kanone sage, dann meine ich Kanone) und bezirzen die Männerwelt aufs Heftigste. Aber auch die erste Single 'In Passing' überzeugt, und die kleinen Rocker 'Scissor, Paper, Rock' sowie 'Straight And Arrow' sorgen für nickende Köpfchen. Doch den absoluten Höhepunkt stellt die wunderschöne Schauerballade 'Children Of Frost' dar. Schon seit Wochen rotiert das Stück auf meinem iPod, aber dass mir bei dieser tollen Darbietung im letzten Drittel des Stücks eine derartige Gänsehaut über den Körper läuft, hätte ich nicht gedacht. Großes Kino und selbst beim Tippen laufen die Gänse über die Haut. INDICA und Deutschland - da sollte doch in Zukunft was gehen.
[Enrico Ahlig]

Im Übrigen kann man auf dem Wave-Gotik-Treffen weitaus mehr erleben als nur Konzerte. Wem das nicht reicht, der kann sich darüber hinaus auch an dem reichhaltigen Mittelaltermarkt an der Moritzbastei erfreuen, sich Filme im Cinestar ansehen, den Autogrammstunden beiwohnen, sich an Ausstellungen erfreuen oder in die Oper gehen. Für ein reichhaltiges kulturelles Angebot ist also gesorgt. Wer es allerdings auf die Metalart mag, der stellt sich einfach gemütlich an seinen Stammgrillimbiss und fertig ist das Programm.

Musikalisch geht es auf unserer Liste weiter mit dem letzten Teil des Auftritts von DIARY OF DREAMS. Pünktlich zu 'Traumtänzer' betrete ich die Konzerthallen, wo sich bereits das typische Bild präsentiert: Lyrics wie "Die Stille schmerzt in meinem Ohr. Ich wünscht ich hätt' dich nicht verloren." entlassen die Besucher in einen theatralischen Trauerreigen. Die Körper wiegen sich in einem Nebel aus Dramatik, Seelenschmerz und glühender Schwermut. Adrian Hates schickt seinen bittersüßen Traum auf Reisen und trifft damit genau ins Schwarze der Gothic-Seelen.

Untermalt von schweren Riffs und verspielten Synthesizern, locken die Jungs die wunderschönen Facetten der melancholischen Wehmütigkeit hervor. Egal, ob es sich dabei um 'The Curse' oder das kraftvolle 'Kindrom' handelt, die Grundstimmung bleibt stabil. Für alle, die sich gerne den düsteren Seiten der Seele hingeben, wohl genau das Richtige.

Eines der Highlights des WGT steht uns aber erst jetzt mit LACRIMOSA bevor, einer Band, die wohl einen großen Einfluss auf das hiesige Publikum hatte – zumindest damals, als das Wave-Gotik-Treffen auch noch was mit Gothic zu tun hatte und man sich nicht an jeder Ecke versichern musste, dass man sich auf dem Weg zum Schnapsladen nicht aus Versehen auf die Loveparade verirrt hat.

Wie dem auch sei, Spannung macht sich in der Agra breit. Nachdem Tilo Wolff sich in Deutschland vier Jahre lang nicht blicken ließ, konnte man sich bereits auf der Tour im letzten Jahr ein Bild vom damals aktuellen Album "Sehnsucht" machen, und jetzt, nach zwanzig Jahren LACRIMOSA, geht es auf Jubiläumstour! Der Startschuss fällt dabei zu unserer Ehre beim WGT – sensationell!

Bei wem die LACRIMOSA-Glocken immer noch Trübsal blasen und nach kitschigem Gothicgejammer klingen, der sollte schnell zu seinem örtlichen Musikdealer rennen und sich diese mal auswechseln lassen. Natürlich kann man den inhaltlichen Trauergehalt nicht leugnen, aber auf welche Band in dieser Szene trifft das denn nicht zu? Fakt ist, dass Tilo auf der Bühne massiv anstachelt und Freude aufkommen lässt. Wie ein wilder Cowboy schwingt er sein imaginäres Lasso, bewegt sich cool zu den lässig rockenden Riffs und grinst fast ununterbrochen übers ganze Gesicht. Das Bild vom Trauerkloß also bitte ausradieren.

Alte Klassiker wie 'Schakal', 'Ich bin der brennende Komet', 'Alleine zu zweit' oder 'Alles Lüge' schlagen wie eine gigantische Bombe ein! Die Becher werden gehoben, die Körper fliegen, jede Silbe wird fleißig intoniert – ein unendliches Vergnügen. Ein kleiner Wermutstropfen ist der Moment, als Anne Nurmi das Mikro ergreift. Manche Dinge ändern sich eben nie. Ob es am Publikum liegt, an der Setlist oder an Tilos Professionalität, dass jedes Lied auf Anhieb zündet?

Die neuen Stücke wie 'Mandira Nabula' oder 'Ohne dich ist alles nichts' rocken so die Limette aus dem Becher, dass sogar die Security mitgeht. Besonderes emotionales Involvement wird getragen von 'Flamme im Wind' und 'Bresso' [logisch! - d. Red]. Songs, die der Seele schreckliche Fragen stellen und daher vom Gedächtnis in die letzten Reihe gepackt wurden. Ob es Tilo da ähnlich geht? 'Bresso' hat nämlich erst heute nach neunzehn Jahren Bühnenpremiere. Mentalsuizid steht auf dem Programm.

Tilo erinnert sich daran, dass damals nur wenige Leute zu seinen Auftritten kamen - und heute gibt es kaum noch freie Plätze hier in der Agra. Tilo wirkt ganz ergriffen und bedankt sich fleißig für die zwanzigjährige Unterstützung von LACRIMOSA. Volle Punktzahl – was für ein großartiger Auftritt!

Setlist:
01. Intro/Lacrimosa Theme
02. Schakal
03. Ich bin der brennende Komet
04. Alleine zu zweit
05. Requiem
06. Mandira Nabula
07. Not Every Pain Hurts
08. Alles Lüge
09. Mantiquor
10. Flamme im Wind
11. Lichtgestalt
12. Malina
13. Feuer
14. The Turning Point
15. Stolzes Herz
----
16. Bresso
17. Ohne dich ist alles nichts
18. Der Morgen danach
19. Copycat

Mit der nächsten Band und dem heutigen Mitternachtsspezial steht eine ganz große Nummer auf dem Programm: ALIEN SEX FIEND, meine Damen und Herren. Die Ikonen der Gothic/Punk/Minimal-Szene, jene Londoner Helden, deren Schriftzug auf etlichen Shirts zu sehen ist. Wer kein ALIEN SEX FIEND-Shirt hat, wird in der Batcave-Szene wahrscheinlich gar nicht erst für voll genommen. Bei diesen Vorzeichen muss man sich natürlich einfach ein Bild von diesem Aushängeschild der Szene machen. Nachdem ich das hier und heute getan habe, lautet mein Fazit: Diesen spektakulären Hype um diese Band hat sich doch jemand ausgedacht.

Ist es Konformität? Ist es soziale Erwünschtheit, dass man in einer gewissen Szene Anhänger gewisser Bands sein muss, um akzeptiert zu werden? Dass angebliche Fans und T-Shirt-Träger zusammen mit mir das Konzert verlassen bzw. bereits an der Haltestelle stehen, als ich dort ankomme, bestätigt meine Vermutung. Das Grandiose und Ikonenhafte an ALIEN SEX FIEND ist, dass Fronter Nik Fiend, ein Alkohol- und Drogenwrack, der weder gerade stehen noch gucken kann, mit einer so dermaßen nervigen Art in das Mikro lallt, dass ich Kopfschmerzen bekomme.

Im Hinter- bzw. Vordergrund steht ein einziges monotones Gitarrenriff, während Mrs Fiend völlig wirre Synths erzeugt, gekrönt von Geräuschen, die ich nur aus Psychiatrien kenne. Alles stark verzerrt, alles durcheinandergesampelt. Das Ganze nennt sich dann psychedelisch und exzentrisch, aufregend sonderbar und kultig im Volksmund.

Während die Jungs und Mädels bei dem Discohit 'I Walk The Line' ganz aus dem Häuschen geraten und ihre perfekt gestylten Iros wackeln lassen, spiele ich lustiges Geschlechterraten, da ich die Fans nicht auseinanderhalten kann. Dieser unrhythmische Soundbrei wird nur von einer Sache übertroffen: dass Nik Fiend sein Sprachgelall auch noch abliest. Es ist so düster, dass sogar der Himmel anfängt, bitterlich zu weinen, und ein plötzlicher Platzregen die Leute am Gehen hindert. Ohne Drogen ist das Ganze wohl nicht auszuhalten. Als sogar der Notarzt kommen muss, weil ein Besucher aus den Latschen gekippt ist, gebe auch ich auf.

Draußen stehen ALIEN SEX FIEND-Anhänger lieber im Regen, als zehn Meter weiter ihrer Lieblingsband zu lauschen – ist klar! Ein Fan war sogar nur in der Hoffnung da, Herrn Fiend von der Bühne kippen zu sehen, was nicht selten vorkommen soll. Ich habe genug gehört. Menschliche Überreste bekommen eben nichts mehr auf die Reihe. Für alles gibt es Grenzen, und bei mir sowie den Fans liegen diese musikalisch bei ALIEN SEX FIEND. Der Flop des WGT 2010!

 

Bericht: Nadine Ahlig

Fotos: Christin Kersten

Redakteur:
Enrico Ahlig
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