Wave-Gotik-Treffen 2010 - Leipzig

14.06.2010 | 23:47

21.05.2010,

Leipzig sieht Schwarz - und POWERMETAL.de mischt die düstere Party auf!

Montag, 24. Mai 2010

Der letzte Tag des WGT ist angebrochen, und das schwarze Pfingsttreffen steuert so langsam dem Ende zu. Als wir uns auf den Weg zur Agra machen, ist ein erheblicher Teil des Publikums bereits abgereist oder mitten dabei. Und weil Verabschiedungen ohnehin so viel Spaß machen (oder vielleicht hat sich jemand im Himmel auch nur gerade an den gestrigen Auftritt von ALIEN SEX FIEND erinnert), bricht erneut ein Platzregen los. Heutiger Zusatz: Hagel! Doch kaum haben die charmanten Spielmannsleute von FEJD mit ihren mittelalterlichen Klängen begonnen, scheint besagter himmlischer Sitzgoth wieder zu strahlen und lässt prompt die Regenwolken ziehen.

Sagenumwobener Nordic Folk frisch auf dem Frühstücksbüfett, und das noch relativ lichte Publikum hat ordentlich Kohldampf mitgebracht. Die Schweden präsentieren inhaltlich feuerfeste Mythen und Legenden ihres Heimatlandes. Musikalisch paart das Quintett Folk-Einflüsse mit modernen krachenden Instrumenten. Das Ergebnis der Geschichte ist pfeffernder Folk Metal mit schwedischen Sackpfeifen, Hurdy-Gurdy, Bouzouki, Mora-Harpa und anderen Instrumenten, die hier sowieso keiner aussprechen kann.

Während Fronter Patrik Rimmerfors in fremden Zungen spricht, bricht das Publikum in den typischen Veitstanz aus und kann so die Morgenstunden mit Frühsport nutzen. Angenehmer Tagesauftakt!

Dass es aber nicht annähernd so viel aufwendige Handarbeit benötigt, um erfolgreich zu sein, beweist uns die nächste Band. DER FLUCH, ein Nebenprojekt von OHL, ist das, was man als typischen deutschen Horrorpunk oder Deutschpunk bezeichnen könnte. Die Texte, die stark von den Hammer- und B-Filmen der Universal Studios beeinflusst sind, sind dadurch gekennzeichnet, dass sie meist nur aus zwei oder drei Sätzen bestehen. Die Anzahl der Akkorde steht dem in nichts nach. Mehr als drei Stück hat im Schnitt keiner der Songs. Doch genau darin liegt auch bei dieser Band die Kunst, mit so wenig so viel Blut in Wallung zu bringen.

Mittlerweile gelten die frühen Werke von DER FLUCH, die in den Achtzigern noch belächelt wurden, als Raritäten. Dennoch werden ihre Auftritte auch gerne heute noch abgesagt, weil sie dem einen oder anderen Veranstalter zu unchristlich sind.

Mit monotonen Textzeilen wird das ganze Werk II an dieser Stelle in eine energische Trance versetzt, und es wird scheinbar willenlos zu dem unausweichlichen Beat getanzt. 'Herr der Fliegen', 'Hexen sind schön', die ultimativen Überflieger 'Rattengift' und 'Werwolf' – ohne Schnarchpause ziehen die Jungs ihre zweiminütigen Höhenflieger durch, so dass sich dem niemand entziehen kann. Sänger Deutscher W witzelt selber über die Einfachheit seiner Musik und versucht, sich mit der Akkordanzahl selber zu unterbieten. Endlich mal eine Horrorpunkband, die auf sinnlose optische Schnörkel scheißt und Beelzebub aus der Hölle ordentlich den Stinkefinger zeigt. Große Leistung, Jungs!

Da das WGT-Programm heute nur noch Electro verspricht, bleiben wir doch lieber im Werk II, wo jetzt GHOULTOWN auf dem Programm stehen. Eine bessere Wahl hätte man nicht treffen können. Die Texaner begeistern vom Fleck weg! Mit ihrem Southern Rock und Heavy-Western-Sound an der Grenze zum Rockabilly lösen sie den eindringlichen Wunsch aus, sich sofort mit einer Flasche Tequila neben die Bühne zu legen oder auf dem Tresen zu tanzen.

Die Dynamik von Psychobilly und eine gewisse Gruselatmosphäre mit dem darüber schwingenden Hammer des Westernsounds sind wahrlich eine ganz edle Kombination. Noch dazu eine Stimmung ähnlich des Films "Desperados" und Co.

Fronter Count Lyle gibt erst mal direkt zu, dass er zu besoffen ist, um die Lyrics auf die Reihe zu bekommen, und zeigt auf eine Box mit einem unidentifizierbaren Dekostück, welches an der Decke des Werk II hängt: "And what the fuck is this?" Nach etlichen Sympathiepunkten mehr schwingen die Saiten der Westerngitarre weiter zu abgefahrenen Stücken wie 'Walking Through The Desert (With A Crow)'- Howdy, Partner. Diese Band lässt nichts anbrennen. Die Fans holen das Lasso raus! Für mich einer der absoluten Höhepunkte (und die persönliche Neuentdeckung) des diesjährigen WGT.

Die Ehre, das diesjährige Treffen zumindest im Werk II zu beenden, haben nun THE CREEPSHOW. Auch eine Psychobilly-Band, die über Monster und böse Wesen singt (beispielsweise 'Zombies Ate Her Brain'). Auch eine Band, die musikalisch die Ärsche fest zudrückt. Einzige aber große Ausnahme: THE CREEPSHOW ist eine der sehr wenigen Formationen dieses Genres, bei denen eine Frau am Mikro steht. Für Emanzen mag das ja erfreulich sein, jedoch könnte man auch argumentieren, dass der Gesang von Sängerin Sarah zwar schön anzuhören ist, jedoch nicht exakt in dieses Genre passt und in der Kategorie Pop oder Alternative Rock eventuell besser aufgehoben wäre. Mit verrauchter und verrotzter männlicher Raustimme wäre diese Band leider um einiges interessanter. So erinnert sie nur an die Lieblingsmusik von achtzehnjährigen Amigören, die trotz des Harvardbesuchs Coolness beweisen wollen. Schade drum. In Kanada, dem Heimatland des Quintetts, nennt man dieses Punk-und-Rock-'n'-Roll-Gemisch übrigens Hellbilly. Alles gut und schön, jedoch fällt es mir ehrlich gesagt schwer (wenn ich mal den Text ausblende), bei dieser Musik an Furcht, Grusel und Horror zu denken und nicht an Lebensfreude, Tanzfeste und High School.

So oder so, das WGT ist nun am Ende angekommen und beschwört nach all den Konzerten in der Moritzbastei und der alljährlichen Abschiedsparty nun auch noch die letzten bösen Geister herauf. Falls es jemanden interessieren sollte: Während des WGT wurden in der Moritzbastei 48,2 km Toilettenpapier verbraucht. Damit könnte man dreizehnmal um den Leipziger Ring laufen und die ganze Innenstadt einwickeln. Wer also im nächsten Jahr zwischen dem hochkarätigen Bandaufgebot Langeweile verspüren sollte, kann sich ja daran versuchen, diesen Rekord zu brechen. Wäre doch ein schönes Geschenk für den zwanzigjährigen Geburtstag des Wave-Gotik-Treffens.

In diesem Sinne dürfen sich alle Märchenfiguren, Mittelalter-, Electro-, EBM-, Cyber-, Rock- und Metal-Anhänger schon mal mental auf das WGT 2011 vorbereiten. See you next year!

 

 

 

Bericht: Nadine Ahlig

Fotos: Christin Kersten

Redakteur:
Enrico Ahlig
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