Wave-Gotik-Treffen 2010 - Leipzig

14.06.2010 | 23:47

21.05.2010,

Leipzig sieht Schwarz - und POWERMETAL.de mischt die düstere Party auf!

Samstag, 22. Mai 2010

Nachdem der erste Tag überlebt wurde, ist es auch schon wieder Zeit für Entspannung. Also ab wie nichts ins Heidnische Dorf, eine kleine Mittelalterwelt, ganz ungefärbt und fernab der zivilisierten Welt, in der es sich stilecht chillen lässt – mal abgesehen von einigen Cybergoths, die sich auf dem Weg von der Agra zum Zeltplatz hierher verirrt und die hiesigen Spielleute mit der neuen In-Band EXTIZE verwechselt haben. In dieser Welt laben wir uns an Mutzbraten am Spieß, frischen Jungfrauen, aufgespießten Spanferkeln und etlichen Metverkostungen. Eine Wonne für jeden erschöpften Besucher, während er auf der dorfeigenen Bühne diversen Musikanten beim Musizieren lauschen darf.

Doch auch hier heißt es wieder ab zurück in die Realität, welche für den restlichen Tag Kohlrabizirkus lautet. In dieser Welt werde ich im Übrigen von Drums begrüßt, die sich beim ersten Schlag anhören, als wäre ich gerade aus dem Bett gefallen. So schmerzhaft kann also der Fall ins Diesseits sein.

Während ASHES YOU LEAVE mit feengleichem Gesang und elfengleichen Melodien zu bezirzen versuchen, stirbt hier drin, um ehrlich zu sein, eine ganze Koboldgang. Jammer-Goth-Rock, bei dem die Female Vocals einen Großteil der Töne nicht treffen, lassen diese Location momentan sehr luftig erscheinen. Während mein Nachbar sich den Dreck aus den Ohren pult, versucht Sängerin Tamara, das kleine Publikum dramatisch zu umgarnen. Aber die nichtssagenden Melodien und der emotionslose wacklige Gesang können an dieser Stelle einfach nur wenig begeistern. Daumen runter.

Mit OMEGA LITHIUM geht der Kohlrabizirkus nun in eine weitere kroatische Runde. Doch der Sound des Openers und Titeltracks des Debütalbums "Dreams In Formaline" klingt zunächst wie aus einer gruseligen Blechbüchse. Glücklicherweise gibt sich dieser Makel im Verlauf des Auftritts. Im Gegensatz dazu steht die Bühnenpräsenz von Fronterin Mya Mortensen, erinnert sie doch eher an eine Schülerin, die gerade ein Gedicht vortragen möchte, als an die Sängerin einer Metalband.

Auch die Technik scheint es mit dem Quartett heute nicht gut zu meinen: Als Basser Zoltan ein "This one is for you" in die Reihen schreit, tut sich erst einmal gar nichts mehr. Ärgerlich, aber man nimmt es gelassen. Mya fängt an zu bangen, und ihr männliches Gefolge macht die Bühne dem Erdboden gleich. Die Fans lassen zu dieser Mixtur aus Industrial und Gothic Metal heftig die Zöpfe rotieren, und Songs wie das ziemlich harte 'Infest' bringen sogar den Kaffeebecher des Kritikers in Schaukellaune. Mit 'Andromeda' beenden die Kroaten ihren Auftritt vorzeitig (laut Plan wären noch weitere zehn Minuten drin gewesen). In Anbetracht der vielfältigen Probleme heute wohl nicht unbedingt die schlechteste Entscheidung.

Setlist:
01. Dreams In Formaline
02. Nebula
03. Point Black
04. Angel's Holocaust
05. Stigmata
06. Infest
07. Factor:Misery
08. Andromeda

Mit dem Opener 'Descend Into Maelstrom' und kultig schwarzer Inszenierung geht es direkt im Anschluss mit den Jungs von THE VISION BLEAK weiter. Der Kohlrabizirkus platzt plötzlich aus allen Nähten. Ausdrucks-Goths treffen langhaarige Bombenleger und Kaffeetänzer – und Graf Grusel alias Markus Stock mittendrin.

Mit 'The Night Of The Living Dead' und 'Carpathia' wird der Staub von der Perücke gewedelt, mit 'Wolfmoon' und 'By Our Brotherhood With Seth' das Holzbein unter die Erde gebracht. THE VISION BLEAK verbreiten eine Stimmung, als drehe der Leibhaftige einen Horrorfilm mitten auf der Bühne – Gänsehaut pur!

Lässige Riffs und erhabener Gesang erzeugen eine Stimmung, als irre man in einem verfluchten Wald in Rumänien umher und renne voller Angstschweiß um sein Leben. Zum Glück ist das hier heute musikalisch nicht der Fall, denn um sein Leben bzw. Gehör rennt hier keiner. This is THE VISION BLEAK. Horror-Metal vom Feinsten, haltet eure Bettdecken fest!

Genug gegruselt. Trocknen wir den Angstschweiß mit einer frischen Brise aus dem hohen Norden. Horrorwald zu und Vorhang auf für POISONBLACK aus Finnland! Ville Laihiala, einst SENTENCED-Frontsänger, und Gitarrist Janne Markus beeindrucken mit sagenhafter Handarbeit und Fingerspitzengefühl. Brodelnder Gothic Metal trifft auf melancholische und gefühlvolle Melodieführung. Ein weiterer Beweis dafür, dass die Finnen die Professionalität eben einfach mit Löffeln gefressen haben.

Während Basser Antti als Admiral of Love das Volk zum Knutschen bringt, rotzt Fronter Ville die Bühne voll und lässt das anwesende Publikum in geballter Finnenpower ertrinken. Ausgeprägte Hooklines, null Langeweile in Sicht, ganz großes Kino!

Vor lauter Mitarbeit ist auch ein Teil des Publikums erschöpft und umgefallen, so stolpere ich im Folgenden über Suffleichen und werde aufgrund des Benutzens eines Deodorants in aller Öffentlichkeit zum Antisozial-Goth. Mut zur Hygiene hat eben nicht Jede!

Während draußen der Mond am Firmament aufsteigt, mache ich mich für eine der romantischsten Metalbands bereit. Die Rede ist von MOONSPELL, die bereits fünfzehn Minuten vor Beginn ihres Auftritts ihre Videoshow in die Testphase schicken und eine lieblich knisternde Spannung entstehen lassen.

Mit dem Intro vom aktuellen Album "Night Eternal" und dessen Opener 'Tragic Heights' wird wie gewohnt von der ersten Sekunde an brutale südländische Power gezeigt. Fronter Fernando Ribeiro entblößt sofort sein loderndes Feuer und macht sich samt Jackenwurfeinlage für die Damenwelt etwas freier. Dabei kommen heute selbst die Fußballfans auf ihre Kosten: Ist es erwähnenswert, dass der Trainer des heute siegreichen Inter Mailand ebenso wie unser heißes musikalisches Eisen aus Portugal stammt?

Mit dramatisch-theatralischer Videoshow und aufgestellten Ventilatoren werden die zirkulierenden Hormone weiter zum Durchdrehen gebracht. Passend zu 'Herr Spiegelmann' trumpft Fernando mit zwei großen Spiegeln auf. Von solch optischer Überflutung kann der eine oder andere Zuschauer schon ganz schön überrumpelt werden - und bangt sich stattdessen lieber die Hirnhaut wund.

Neben Liveklassikern wie dem berüchtigten 'Alma Mater', 'Opium', dem verträumten 'Scorpion Flower' oder dem kitschig-schönen 'Vampiria' schaffen es heute auch ein paar besondere portugiesische Delikatessen auf die Setlist, wie das lieblich-brutale 'Soulsick' oder das seelenzerstörende 'Luna'.

Der Kohlrabizirkus verwandelt sich in ein lüsternes Tollhaus, animiert von Fernando Ribeiro, welcher mit Knochenkette und Mikroständer in beiden Händen um seine Seele bangt. Und obwohl die offizielle Zeit längst abgelaufen ist und das Licht bereits die bösen Geister zurückholt, rocken die Jungs von MOONSPELL einfach weiter. Denn wir wissen es alle: Ohne 'Full Moon Madness' – for all the true – wird niemand in die Welt da draußen entlassen. Eine perfekte Show, die wie immer nicht kritikwürdig ist. In diesem Sinne: frohes Verrücktwerden und eine geruhsame Nacht.

Setlist:
01. Tragic Heights
02. Night Eternal
03. Finisterra
04. Southern
05. Opium
06. Herr Spiegelmann
07. Soulsick
08. Scorpion Flower
09. Luna
10. Nocturna
11. Magdalena
12. Vampiria
13. Mephisto
14. Alma Mater
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15. Awake
16. Full Moon Madness

 

Bericht: Nadine Ahlig

Fotos: Christin Kersten

Redakteur:
Enrico Ahlig
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