Cold Fish (DVD)
- Regie:
- Sono, Shion
- Jahr:
- 2010
- Genre:
- Thriller
- Land:
- Japan
- Originaltitel:
- Tsumetai nettaigyo
1 Review(s)
26.09.2011 | 12:26PerverShionen, Gewalt, Wahn, aber auch die Demaskierung einer Gesellschaft, die sich selbst vor ihren eigenen Abgründen versteckt - das alles sind die zentralen Themen im Schaffenswerk von Shion Sono ("Love Exposure", "Strange Circus"), welcher sich in aller Regelmäßigkeit über cineastische Grenzen hinwegsetzt und getreu dem Wahlspruch "Grenzen sind da, um überschritten zu werden" seinem Publikum mit geradezu brachialer Durchschlagskraft die dunklen Seiten des menschlichen Wesens vor Augen führt. So auch in seinem aktuellen Film "Cold Fish", in welchem der japanische Regisseur mit geradezu bitterbösen Spaß die nach außen heil wirkende Fassade einer Mittelstandsfamilie einreißt und ihre dunklen Sehnsüchte offen legt.
Nobuyuki Shamoto (Mitsuru Fukikoshi) ist eigentlich ein ziemlich normaler Typ, der mit seinem Leben aber nicht allzu zufrieden ist. Zwar hat der Vater einer pubertierenden Tochter (Hikari Kajiwara) nach dem Tod seiner ersten Frau in der deutlich jüngeren Taeko (Megumi Kagurazaka) schnell eine, deutlich jüngere, Frau gefunden, doch so wirklich rund läuft es zwischen den beiden nicht. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass Nobuyukis Tochter Mitsuko ihm und vor allem Taeko auf der Nase herumtanzt und zum anderen, dass das gemeinsame Geschäft für Tropenfische nicht sonderlich gut läuft. Als Mitsuko eines Abends mal wieder Unsinn angestellt hat, trifft die Familie auf den exzentrischen, aber sehr freundlich wirkenden Murata (Denden), welcher ebenfalls einen Laden für Tropenfische besitzt, diesen jedoch in komplett anderen DimenShionen, als Shamoto betreibt. Noch ahnt keiner, dass besagter Abend das Leben der Familie komplett auf den Kopf stellen wird. Denn hinter der fröhlichen Fassade Muratas verbirgt sich in Wahrheit ein soziopathischer Massenmörder, welcher die Shamotos längst in sein Spiel eingesponnen hat ...
Sonos "Cold Fish" bildet den Mittelteil in seiner "Hass"-Trilogie, welche 2009 mit "Love Exposure" fulminant ihren Anfang nahm und im Heimatland des Regisseurs mit "Guilty of Romance" demnächst ihr Ende nimmt. Wer sich bei Sonos aktuell in Deutschland erscheinendem Werk jedoch an dem direkten Vorgänger orientiert, der wird sein blaues Wunder erleben, unterscheidet sich die Geschichte um einen wahnsinnigen Serienmörder doch grundlegend von dem vierstündigen Epos "Love Exposure". War dieses noch ein kunterbuntes Potpourri, welches so ziemlich jedes Filmgenre in sich vereinte, so ist die Tonart von "Cold Fish" doch wieder deutlich rauer und erinnert an die früheren Werke des Regisseurs.
Der Film beginnt zunächst als Drama über eine dysfunktionale Familie, ein Motiv also, welches bei japanischen Filmemachern schon immer großen Anklang fand. Sono nimmt sich die Zeit, die er braucht, um seine Figuren einzuführen, gleichzeitig stellt er bereits die ersten Weichen für den bald krass einsetzenden Verlauf der Handlung. Dabei ist dem Zuschauer schnell bewusst, dass Murata Dreh- und Angelpunkt des Szenarios ist und dass hinter dessen freundlicher Fassade etwas nicht stimmt. Nach einer guten halben Stunde bestätigt Sono die Befürchtungen des Zuschauers und offenbart, dass Murata und dessen Frau Aiko (Asuka Kurosawa) als aus reiner Freude mordendes Gespann ihr Unwesen treiben. Jedoch belassen es die beiden nicht bei einfachen Tötungsdelikten, wird das Opfer anschließend doch noch ausgeweidet und zerstückelt, die Knochen verbrannt und die fleischigen Überreste an Fische verfüttert. Shamoto wird - von Murata entsprechend eingefädelt - Zeuge dieser grausamen Taten und unter Erpressung als Beihelfer eingespannt. Sono macht sich nun daran, die Fassade Shamotos zum einstürzen zu bringen und zu offenbaren, dass in jedem Menschen das "Potenzial" zum Mörder steckt.
Es kommt nicht von ungefähr, das der zentrale Ort der Handlung eine zur Kapelle umfunktionierte Waldhütte ist. Das System Kirche eignet sich perfekt als Paradoxon, ist sie doch der Ort, an dem Nächstenliebe und Frieden gepredigt werden, gleichzeitig aber Ausgangspunkt für Kriege und Hass. Sono benutze schon immer gerne religiöse Motive um die Instabilität, aber vor allem die spielend leichte Manipulierung des menschlichen Gewissens vorzuführen, und auch in "Cold Fish" funktioniert dieser Kniff einmal mehr. Murata ist nicht einfach so zum Massenmörder geworden, er wurde zu diesem von seinem religiös-fanatischen Vater gemacht. In Shamoto sieht er wohl eben dieses Potential, er weiß, dass sein unfreiwilliger Helfer den extremen Druck der Beihilfe nicht lange aushält, er selbst zum Monster werden wird.
Diesen Werdegang vom zurückhaltenden Familienvater, der nicht einmal den Mut aufbringt, seiner Tochter das Telefonieren am Essenstisch zu verbieten, zum gewissenlosen Mörder skizziert "Cold Fish" atmosphärisch ungemein dicht. Gleichzeitig begräbt Sono die Vorstellung einer harmonischen Gesellschaft, denn diese kann nur so lange existieren, bis eben Menschen wie Murata und Shamoto sich über ihre Wertvorstellungen hinwegsetzen und nach ihrem Bauchgefühl heraus leben. Für Sono scheint gar die Vorstellung von einer sich an Regeln haltenden Gesellschaft geradezu naiv, weshalb "Cold Fish" eine ungemein pessimistische Stimmung versprüht. Und doch gelingt es dem Regisseur einen bis an die Grenzen jeglicher Moral stehenden bitterbösen Humor mit einfließen zu lassen, der regelmäßig für laute Lacher sorgt.
Neben der stimmungsvollen Inszenierung - welche hier und da einige Längen aufweist - sind es vor allem die beiden Hauptdarsteller Mitsuru Fukikoshi und Denden, die "Cold Fish" zu seiner intensiven Wirkung verhelfen. Fukikoshi bekommt zum Glück die Zeit eingeräumt, die er braucht um die Entwicklung seiner Figur darzustellen, während der in Japan äußerst beliebte Komiker Denden als durchgedrehter Mörder sowohl Lacher als auch Entsetzen auf seiner Seite hat.
Im direkten Vergleich zu "Love Exposure" mag "Cold Fish" insgesamt gesehen nicht ganz so rund sein - doch das Vorgängerwerk zu übertreffen, dürfte für Sono sowieso ein Ding der Unmöglichkeit sein. Nichtsdestotrotz ist der zweite Teil seiner "Hass" Trilogie ein spannendes, alles andere als leicht verdauliches Stück Film, das auf den Abschluss der Reihe ungemeine Lust macht.
Anmerkung zur DVD:
Die DVD von "Cold Fish", bei dem Asien erprobten Label Rapid Eye Movies erschienen, wartet nicht mit allzu vielen Besonderheiten auf. Neben einem Originaltrailer findet sich auf dem Silberling ein sehr interessantes, ca. 21-minütiges "Making of", in welchem hauptsächlich die Darsteller des Filmes zu Wort kommen und ihre Arbeit am Set und mit Shion Sono beschreiben. Die Farben des Filmes sind - passend zur Stimmung - recht trist gehalten, während die expliziten Szenen in der Waldhütte durch die nicht gerade sparsame Verwendung mit der Farbe Rot auffallen. Auf eine Synchronisation wurde zum Glück gleich ganz verzichtet, weshalb "Cold Fish" auch auf der deutschen DVD nur im Original mit Untertiteln zu genießen ist.
Daten zum Film:
Originaltitel: Tsumetai nettaigyo (Japan, 2010)
Laufzeit: ca. 144 Minuten
EAN: 4260017064464
FSK: ab 18
Bildseitenformat: 2.35:1 (anamorph)
Sprache: Japanisch (Dolby Digital 5.1)
Untertitel: Deutsch
Erscheinungstermin der DVD: 7. Oktober 2011
Regie: Shion Sono
Darsteller: Mitsuru Fukikoshi (Nobuyuki Shamoto), Denden (Yukio Murata), Megumi Kagurazaka (Taeko Shamoto), Hikari Kajiwara (Mitsuko Shamoto), Asuka Kurosawa (Aiko Murata) ...
7/10
- Redakteur:
- Adrian Trachte