Brighton Rock (DVD)
- Regie:
- Joffe, Rowan
- Jahr:
- 2010
- Genre:
- Drama
- Land:
- UK
- Originaltitel:
- Brighton Rock
1 Review(s)
18.09.2011 | 10:00Mord per Zuckerstange: Gangsterballade und Liebesdrama
Das britische Seebad Brighton in den 60er-Jahren: Mods und Rocker erobern mit Vespas und Motorrädern die Straßen, auf dem Pier herrscht Hochbetrieb. Aber in der Unterwelt tobt ein Bandenkrieg. Besonders ehrgeizig treibt der skrupellose Kleinganove Pinkie (Sam Riley) seine Karriere voran, bis er eines Nachts zu weit geht: Unter dem Pier tötet er einen wichtigen Handlanger des mächtigen Mobsters Colleoni (Andy Serkis). Zwar steigt Pinkies Respekt in seiner Gang rasant, aber ein belastendes Foto taucht auf, und Pinkie bleibt keine Wahl, als das Vertrauen der einzigen Zeugin zu gewinnen - der gutherzigen Kellnerin Rose (Andrea Riseborough). Sogar einen Heiratsantrag macht er ihr mit gefährlichem Charme. Doch Rose' Chefin Ida (Helen Mirren) beobachtet Pinkies Avancen mit Argwohn, um die Tragödie zu verhindern ... (Verleihinfo)
Dieser Film ist ein Remake der gleichnamigen ersten Verfilmung von Graham Greenes Roman (1939) aus dem Jahr 1947.
Handlung
Anno 1964 herrscht im sonst so ruhigen Seebad Brighton Aufbruch- und Krisenstimmung. Die Banden von Kite und Mr. Colleoni kämpfen um die Schutzgelderpressung und andere Pfründe, während die jugendlichen Rocker und Mods aufeinander losgehen. Noch ereignen sich deren Schlachten in benachbarten Orten, doch früher oder später werden sie auch in Brighton auftauchen. Das Glücksspiel wurde soeben legalisiert und die Todesstrafe steht kurz vor der Abschaffung. Doch wenn das so weitergeht, wird der Henker wieder viel zu tun bekommen ...
Eines Nachts stellen Colleonis Leute Kite, den Anführer der Rivalen. Es ist Edward Hales Unglück, gerade dann sein Klappmesser zu finden, als Kite ihm praktisch in die Arme fällt, schon ist es passiert. Mit verletzter Kehle röchelt Kite sein Leben aus. Sein Kumpan Pinkie Brown ist fassungslos. So etwas hat es bislang noch nicht gegeben. Doch es kommt härter: Seine "Kollegen" Spicer, Dallow und Cubitt geben ihm den Auftrag, es Hale heimzuzahlen. Beim ersten Mal stellt sich Pinkie superdämlich an, doch dann erwischt er Hale unter Pier von Brighton und erschlägt ihn.
Leider gibt es ein Problem: Kurz zuvor hat einer der Standortfotografen des Piers ein Foto von Hale, Spicer und einer jungen Frau gemacht. Dieses Foto ist ein Beweisstück und muss beschafft werden, egal wie. Den Abholschein für das bereits aushängende Foto hat die junge Frau. Pinkie findet sie im Restaurant Snow's, das von Ida Arnold betrieben wird. Pinkie hat keine Ahnung, dass Ida die Freundin des von ihm erschlagenen Ed Hale ist.
Die Gesuchte heißt Rose, eine Serviererin. Er lädt die 16-Jährige ein, und sie verbringen einen schönen Abend bei Tanz und Tee, bis er ihr den Abholschein klauen kann. Zu blöd, dass sie in der Zeitung Ed Hales Gesicht wiedererkennt und jetzt den Abholschein vermisst. Pinkie bringt Foto und Negativ zur Zentrale, doch Zweifel bleiben: Können sie einer Frau wie Rose wirklich trauen?
Dann begeht Pinkie einen strategischen Fehler. Er weiß nicht, dass er von Polizeiagenten beschattet wird und besucht dennoch Mr. Colleoni. Er will sich wegen der Hale-Sache entschuldigen. Doch Colleoni will seinerseits Pinkie anheuern. Pinkie hat Hoffnungen auf einen Aufstieg zum Bandenchef und lehnt das Angebot drohend ab. Dummer Fehler! Gleich darauf wird er am Ausgang des Continental-Hotels festgenommen. Der Sergeant fragt vergebens nach dem Hale-Mord und muss ihn laufen lassen.
Doch sein Kollege Spicer hat alles mitbekommen und bekommt kalte Füße: Er will abhauen. Dafür verrät Pinkie ihn an Colleoni. Spicer soll genau dann in die Messer der Colleoni-Leute laufen, wenn die Schlacht der Mods gegen die Rocker stattfindet. Doch Pinkie hat nicht damit gerechnet, dass Ida Arnold ihrer Serviererin Rose nachspioniert, und als Pinkie mit blutender Hand und bedrohlichem Klappmesser vor ihr auftaucht, fasst sie den Entschluss, Rose vor diesem "Wilden" zu bewahren. (Von ihrem Freund Phil bekommt sie Infos über die Leute, mit denen Pinkie zu tun hat: Pinkie hat Phil bereits erpresst.)
Leider ist es genau dieser gut gemeinte Entschluss, der Rose in höchste Lebensgefahr bringt ...
Mein Eindruck
Der Titel "Brighton Rock" ist keine Kaugummimarke, sondern ein schön raffiniertes Wortspiel. Einerseits geht es natürlich um den Rock in Brighton und um jene Felsen, die man an Englands Südküste nicht übersehen kann: die weißen Klippen. Andererseits gibt es tatsächlich eine Marke, die "Brighton Rock" heißt - und zwar genau jene Art von Zuckerstange, mit der Pinkie seinem abtrünnigen Kollegen Spicer den Mund stopft, bis dieser erstickt. Am Ende der Zuckerstange steht immer noch das Wort "Brighton" ...
Dieses zynische Wortspiel, das schon den Roman aufpeppte, geht in der Synchronisation leider völlig verloren, so dass sich der deutsche Zuschauer fragt, was es denn mit dieser mörderischen Zuckerstange denn so Tolles auf sich haben soll. Im Original werden erst alle Anspielungen Pinkies auf "Brighton, das in jedem von uns steckt", deutlich. Auch Pinkies Name selbst ist vieldeutig: Er mag vielleicht rosig (= pink) wie ein Kind aussehen, tatsächlich aber wird der kleine Finger eines Hand im Englisch ebenfalls als "pinkie" bezeichnet. In seiner Fünf-Mann-Gang ist er als Nummer 5, der die Ausputzeraufträge bekommt. Doch er hat vor, dies rasch zu ändern und eifert seinem Vater, einem Soldaten, nach.
Die Allianz mit Colleoni lehnt er wohlweislich ab - der Mann, wunderbar gespielt von Andy "Gollum" Serkis, ist einfach eine Nummer zu groß für ihn. Und selbst der Verrat Spicers an Colleoni geht nach hinten los: Colleonis Männer nehmen jetzt auch Pinkie selbst ins Visier. Pinkie rennt um sein Leben, fort von der authentischen Schlacht der Mods gegen die Rocker (die die Vorlage für den Who-Film "Quadrophenia" lieferte).
Die Sache mit der Religion
Und nun haut den Zuschauer eine Tat Pinkies um, die man heute nie und nimmer von einem hartgesottenen Gangster erwarten würde: Pinkie betet zum Gott der Katholiken und fleht ihn um Rettung an. Diese erfolgt prompt in Gestalt flüchtender Mods, die von Bobbys gejagt werden. Den katholischen Glauben hat Pinkie mit Rose gemeinsam: "We are both Romans." Wir sind beide Römer. Und somit Außenseiter in einem Land voller Protestanten. Das schweißt die beiden zusätzlich zusammen. Auch der Autor Graham Greene war zum Katholizismus übergetreten, durfte aber dennoch seinem Land als Geheimagent dienen.
Wiederkehrende Albträume von einer gigantischen bedrohlichen Welle treiben Pinkie immer wieder zu Rose - nicht nur die Logik des Verbrechens. Er sagt ihr eindringlich: "Du weißt, ich bin böse, und du bist gut. Deshalb geben wir ein perfektes Paar ab." Nur wer an solche Kategorien glaubt, kann solche Sätze ernst meinen und nehmen. Rose hat kein Problem damit. Im Gegenteil: Als Ida sie damit konfrontiert, verteidigt sie Pinkie mit einem von dessen Messern. Kommt für Rose jede Hilfe zu spät, zumal sie nun auch noch mit Pinkie verheiratet ist - damit sie nicht gegen ihn aussagen kann, wie Ida warnt?
Wahnsinn (o)der Liebe?
In der ersten Verfilmung des Graham-Greene-Romans aus dem Jahr 1947 versuchte Pinkie Rose in den Wahnsinn zu treiben, in der Hoffnung, dass sie sich umbringen würde. Doch in der neuen Verfilmung durch Rowan Joffe ist es eher ihrer beiden verzweifelte Liebe, die Rose schlussendlich dazu bringen soll, sich für ihn zu opfern. Sie hat nämlich im Überschwang der Liebe auf eine Postkarte geschrieben, sie würde ihm überallhin folgen, wo auf immer er gehen würde - so wie ein treues Eheweib. Dieses Liebesgeständnis verwendet er nun in Joffes Fassung gegen sie. Sie soll sich eine Pistole ins Ohr stecken und abdrücken.
Feine Ironie
Es gibt noch ein fein herausgearbeitetes, höchst ironisches Motiv. Mit einem Wutgebrüll, zu dem er sie nie im Leben für fähig gehalten hätte (und wir erst recht nicht), besteht Rose darauf, dass sie ihm einen Gefallen tut - wieder auf Brighton Pier. Er soll in einer der Buden auf Schallplatte aufnehmen, dass er sie liebe. Wieder so ein Unsinn, denkt er und spricht die beleidigendsten Sätze, die er sich nur ausdenken kann.
Doch als sie die Platte ganz am Schluss des Films endlich anhören kann - sie liegt hochschwanger in einem katholischen Heim für "gefallene Mädchen" - bleibt die Nadel hängen und es ist endlos wiederholt nur der eine Satz zu hören, den jede Liebende hören will: "Ich liebe dich ..." Zu diesem Zeitpunkt hat Pinkie bereits sein ebenso dramatisches wie tragisches Ende gefunden.
Unterm Strich
Die spannende Geschichte vom aufhaltsamen Aufstieg des Junggangsters Pinkie Brown steht und fällt mit dessen Darsteller Riley. Tatsächlich musste der Produzent lange suchen, bis er in ihm den idealen Pinkie fand: halb noch ein Greenhorn, halb ein von Ehrgeiz zerfressener Doppelmörder, schließlich ein kalt liebender Ehemann, der mit Vorliebe seine Braut an gefährliche Klippen führt. Riley vereinigt diese Widersprüche, was es dem Zuschauer erschwert, sich für eine Dimension dieser Figur zu entscheiden. Andererseits macht dies die Figur spannend und ihre Entwicklung unvorhersehbar. Im englischsprachigen Original kommt dies noch besser zum Ausdruck als in der Synchronisation.
Immer wieder tauchen wie die steilen Klippen und der wacklige Pier Symbole drohender Gefahr auf - es ist das Leben, das Pinkie für sich und Rose gewählt hat, ein Leben des Risikos und am Rande der Gesellschaft. So wird aus Pinkies Abenteuer mit Rose nicht nur ein Gesellschaftsbild im Brighton des Jahres 1964, sondern das individuelle Drama eines Ehrgeizlings auf der falschen Seite des Gesetzes.
Doch es ist keineswegs eine Gangsterballade, die hier gesungen wird, sondern auch ein Liebesdrama, das unter dem Zeichen des katholischen Kreuzes stattfindet und sein unverhofft positives Ende findet. Während Pinkie in die eigene Falle tappt und darin umkommt, findet Rose kirchliche Beschützer und eine Zukunft für sich und ihr Kind.
Diese zweite Verfilmung wurde nicht in die Gegenwart verlegt, obwohl es zurzeit massenhaft solche Messerstechereien wie im Film gibt. Vielmehr musste der Regisseur und Drehbuchautor Joffe beim Jahr 1964 bleiben, konnte aber dafür das Motiv der Rockerschlachten aufgreifen, fast wie in "Quadrophenia". Außerdem wurde das Glücksspiel legalisiert und die Todesstrafe abgeschafft - vieles änderte sich für Gangster wie Pinkie und Colleoni.
Das Dekor usw. ist alles stilecht, und sogar die Schauspieler wie Helen Mirren und John Hurt wirken recht authentisch. Nur wer das original hört, wundert sich über deren amerikanische Aussprache des Wortes "either". Das passt nicht ins England des Jahres 1964. Riley ist gut, doch besser noch ist Andrea Riseborough aus "Happy Go Lucky" von Mike Leigh, die locker mit Riley mithalten kann, selbst wenn sie die naive Jungfrau zu spielen hat. Sehr dezent ist die Szene gedreht, in der Pinkie ihr erstmals den Rock hochschieben darf - sie sind ja jetzt vor dem Gesetz Mann und Frau.
Man merkt, dass man sich auf den Film einlassen muss, um ihn wirklich zu begreifen. Für eine schnelle Besichtigung zwecks Mitnehmens optischer Reize ist der Film wirklich zu schade. Die englischen Kritiker waren dementsprechend voll des Lobes, die Zuschauer vergaben aber lediglich drei von fünf Sternen.
Die DVD
Bild und Ton sind einwandfrei und entsprechen (durch alte Kameralinsen) sogar der Optik des Jahres 1964. Ich habe die deutsche und die englische Fassung miteinander verglichen und zahlreiche Unterschiede gefunden.
Selbst wenn Bild und Ton einwandfrei sind und sogar in der Optik dem Jahr 1964 entsprechen (durch alte Kameralinsen), so bietet die mir vorliegende Presse-DVD einfach zu wenig Hintergrundinformationen, um dem deutschen Zuschauer beim Verstehen des Films und seiner Inszenierung zu helfen: nämlich nichts. Wer kann, sollte sich eine Version mit Bonusmaterial besorgen.
Technische Infos:
O-Titel: Brighton Rock (GB 2010)
Dt. Vertrieb: Arthaus
Veröffentlichung: 15.09.2011 [Kauf-DVD]
EAN-Nummer: 4006680056197
FSK: ab 16
Länge: ca. 107 Min.
Regisseur: Rowan Joffe
Drehbuch: Rowan Joffe, Graham Greene
Musik: Martin Phipps
Darsteller: Sam Riley, Andrea Riseborough, Helen Mirren, John Hurt, Philip Davis, Craig Parkinson u. a.
Bildformat: 2,35:1 (anamorph)
Sprachen: Dolby Digital 5.1 (Deutsch, Englisch, Französisch)
Untertitel: Deutsch, Französisch
Extras:
- Trailer
- Redakteur:
- Michael Matzer