LIFEND - Innerscars
Mehr über Lifend
- Genre:
- Avantgarde Gothic Death Metal
- Label:
- Cruz Del Sur Music
- Release:
- 11.10.2004
- Innerscars
- Absence
- Blood-Red-Pain
- Shattering: Assurance
- In Darkness I Bleed
- Open Wound
- Memorie
- Spiral Dance
- Congedo
Die italienischen Musiker von LIFEND um Sängerin Sara wollen offensichtlich neue Wege jenseits der ausgetretenen, ja schon zertrampelten Pfade des mainstreamigen Gothic Death Metal erkunden. Dabei sollen die liebgewordenen Kennzeichen dieser Musik aber nicht aufgegeben werden, sondern erhalten bleiben, als da wären: Duette zwischen weiblichen elfischen Hochtönen und männlichen orkischen Grunzgesängen, Riffs, die ihre Wurzeln im melodischen schwedischen Death Metal haben (die wiederum in der NWoBHM wurzeln) und eine bestimmte brachialromantische Stimmung, die nicht ohne Keyboards erzeugt werden kann. Ansonsten experimentieren LIFEND mit diesen Elementen nach Herzenslust und zersägen die üblichen Arrangementtechniken, um ganz neue Anordnungen zu ermöglichen. An den Schnittstellen werden dann ungewöhnliche Instrumente bzw. für Gothic Death Metal ungewohnte akustische Gitarrenspielweisen eingesetzt. Das ist nun sicherlich nicht die Musik, die der gestandene und sich meist klar abgrenzende Black/Death-Metaller auf seine alten Tage nun auch noch in seine geplagte Ohrenfelle gedrückt bekommen will. LIFEND sprechen wohl mehr einzelne aufgeschlossene Hörer an, die vermutlich aus dem weiten Feld des Extrem-Metals oder des Gothic stammen werden.
Dabei picken sich die Avantgardisten eine bestimmte Machart heraus, die sie auf dem Album "Innerscars" in verschiedenen Formen variieren. "Innerscars" ist das Debüt der Band, hat aber einige selbstproduzierte meist kürzere Demos als Vorgänger bzw. eine Mini-CD erschien mit der Unterstützung eines kleinen Labels. Auch die vorliegende Veröffentlichung wurde zuerst auf eigene Kosten aufgenommen und dann als Promo an Labels verschickt. Cruz Del Sur Music griffen zu, wobei entschieden wurde, das Material noch mal zu mastern. Diesen Job besorgte der allseits bekannte Alex Krull, Mastermind von ATROCITY, der zuletzt positiv bei der soundtechnischen Unterstützung des neuen ELIS-Albums auffiel. Ganz so fett ist "Innerscars" zwar nicht produziert, aber der Sound kann sich jetzt hören lassen.
Wie lässt sich nun jene für LIFEND eigentümliche Herangehensweise charakterisieren? Zuerst fallen die drei Stimmen auf, welche sich von der Häufigkeit des Einsatzes her ungefähr die Waage halten und oft zugleich auf einmal erklingen. Manchmal wechseln sie sich sich auch kurz hintereinander ab, was in beiden Fällen eine etwas schizophrene Atmosphäre erzeugt. Die männlichen Vocals kommen vom Rhythmus-Gitarristen Alberto, der für die wavig angehauchten melodischen Gesänge verantwortlich zeichnet und für die sogenannten "Screaming Vocals", die irgendwo zwischen Death und Black liegen. Die ganz tiefen Growls erzeugt Bassist Alberto und für den weiblichen Part ist natürlich Sängerin Sara zuständig. Diese Dreiteilung bleibt beim größten Teil der Gesangsparts präsent, was schon mal sehr eigen anmutet. Dazu kommen dann die akustischen folkigen Gitarrenspiele, die überraschend an jeder Stelle im Sound auftauchen können. Überraschend bedeutet, dass auch während eines Death-Riffs die Klampfen dasselbe überlagern oder ergänzen können. Die akustischen Momente lassen oft die italienische Herkunft der Musiker spüren, d. h. sie haben einen sehr romanischen Touch. Ich weiß zwar nicht, wie sich dergleichen nennt, aber an ein paar wenigen Stellen scheint es nicht weit vom Flamenco entfernt zu sein. Als exotischer Paradiesvogel trötet dann ein Saxophon, das diesen Gothic Death Metal endgültig in surreale Gefilde versetzt. Die Idee wurde zwar vor Jahren von der finnischen Gruppe PAN-THY-MONIUM schon mal aufgegriffen, hat aber nichts von ihrer Neuheit verloren.
"Innerscars" vermittelt trotz der Aggression des Death Metal eine introvertierte Stimmung. Diesen Effekt erzeugen die fast durchgängig traurigen Melodien im Einklang mit den sich wohl der inneren Seelenpein widmenden Texten - ganz besonders aber das konzentrierte Zuhören, welches die Musik von LIFEND nun mal erfordert. Sängerin Sara besitzt zudem ein zwar sehr melodisches, aber recht schweres, ja fast depressives Timbre. Mit Doom haben sie allerdings nichts am Hut. Die Stücke bewegen sich meist im Midtempo-Bereich, wobei die Geschwindigkeit hin und wieder angezogen wird. Der Gothic-Anteil ist relativ hoch, da sich hier viele besinnliche lagerfeuerklampfende Momente mit melancholischem Männer- und Frauengesang finden.
Das Titelstück wird zu Beginn gleich die Hörerschaft spalten, da es die Schrägheiten von LIFEND auf den Punkt bringt. Dabei geht aber gerade dieses Stück noch am leichtesten in den Gehörgang durch die Verwendung eines einprägsamen Refrains. Die drei Gesangstimmen wechseln sich in der beschriebenden Art und Weise ab, während die Geschwindigkeit zwischen Ruhe, Midtempo und melodischer Riffknüppelei à la AT THE GATES oder EDGE OF SANITY pendelt. Dazwischen spielen dann lauter Notenbrüche. Breaks gibt es also eine Menge, denn LIFEND verweilen ungern zu lange bei einem Part. Um Missverständnissen vorzubeugen, muss ich dazu sagen, dass hier nicht etwa hektische Breakorgien abgefeuert werden, denn dazu sind die Übergänge doch wieder viel zu sanft und langsam, wenn auch nicht immer harmonisch. Alle Harmonien und Melodien liegen immer ein wenig neben den üblichen Hörgewohnheiten. Es ist, als wöllten die Italiener musikalisch eine innere Zerrissenheit darstellen, die jedoch nie ganz auseinanderklaffen soll, sondern immer wieder auf einen verbindenden Nenner zustrebt.
Sehr gut gefällt mir der zweite Track 'Absence', der von überwiegend ruhigen melodischen Gitarrenriffs und klampfenden naturnahen Klängen lebt. Die naturnahe Atmosphäre wird durch flüsternde Stimmen verstärkt und ebenso durch das sehr sphärische Saxophon im Hintergrund. Zeitweise dürfen die Riffs trotzdem in bester Death-Manier scheppern. Wie eine kleine Achterbahnfahrt wirken die ständig wechselnden Klangbilder des folgenden 'Blood-Red-Pain', die aber eben keine Hektik verbreiten, sondern es irgendwie schaffen, völlig versunken zu wirken. Manchmal wäre ich hier versucht, von "introvertieren Breaks" zu reden, wenn das nicht zu abgehoben klingen würde. 'Shattering: Assurance' geht am Beginn nach vorne los, um schnell wieder abgebremst zu werden. Hymnische Parts werden genauso schnell wieder abgebrochen wie die Ansätze zu schwelgerischen Melodiebögen. Im Inneren der Seele schwelgen LIFEND dagegen natürlich bis zum Exzess. Das ständige Pendeln zwischen melancholischer Getragenheit und kreischender Härte, ja die Gleichzeitigkeit beider, erzeugt einen seltsamen Schwindel, der sicherlich gewöhnungsbedürftig ist.
In eine ähnlich Richtung gehen auch die die folgenden Stücke, wobei 'In Darkness I Bleed' eine ruhige Instrumentalnummer mit Saxophon ist und das kurze 'Congedo' als finsterer Industrial den Schluss der CD ordentlich psychotisch gestaltet. Irgendwie hat man bei diesem Album das Gefühl, in einer brodelnden Hexenküche zu sitzen, in der die verschiedenen Zutaten, die im Wandschrank zu sehen sind, irgendwann auch in den Topf kommen. Erwähnen sollte man auf jeden Fall noch 'Spiral Dance', das mit brutaler BM-Rhythmik beginnt, dann aber wesentlich melodischer wird. Die Band setzt hier ein Akkordeon ein, das eine sehnsüchtige Stimmung schaffen könnte, wenn nicht die Härte recht schnell zurückkehren und die entsprechenden Agreppo-Vocals erklingen würden. Und immer wieder diese Übereinanderschachtelung verschiedenster musikalischer Stimmungsmomente ... Es ist, als hätten OPETH ihre ähnlich vielfältigen, aber bei ihnen säuberlich auf einzelne Songs verteilten Ausdrucksmittel in einem Stück zusammen eingespielt.
Man darf gespannt sein, was LIFEND uns noch in Zukunft bieten werden. Ich hoffe nicht, dass sie die einmal entwickelte Linie jetzt einfach nur durchzuziehen, sondern sich weiterhin um interessante Experimente bemühen – der Gothic Metal hat solche Bands wahrlich nötig! Die Gruppe selbst ist auch noch nicht perfekt eingespielt: Mancher Übergang könnte etwas eleganter klingen und die Keyboards haben ihre deutliche Limitierung. Ein spannendes Album ist "Innerscars" jedoch allemal, insbesondere da dieser Sound momentan ausschließlich für LIFEND typisch ist und sonst von keiner anderen Combo in dieser Form geboten wird.
Anspieltipps: Innerscars, Absence, Shattering: Assurance, Spiral Dance
- Redakteur:
- Jörg Scholz