EN MINOR - When The Cold Truth Has Worn Its Miserable Welcome Out
Auch im Soundcheck: Soundcheck 08/2020
Mehr über En Minor
- Genre:
- Dark Folk / Americana
- ∅-Note:
- 7.50
- Label:
- Season Of Mist
- Release:
- 04.09.2020
- Mausoleums
- Blue
- On The Floor
- Dead Can't Dance
- Love Needs Love
- Warm Sharp Bath Sleep
- Melancholia
- This Is Not Your Day
- Black Mass
- Hats Off
- Disposable For You
Musik für die Geisterstunde in den Bayous
Der Preis für den prätenziösesten Albumtitel des Jahres geht dieses Jahr eindeutig an EN MINOR. "When The Cold Truth Has Worn Its Miserable Welcome Out" klingt ohne Kontext erst mal nach Gothic Lyrik von und für Teenager, von Menschen, die zum ersten Mal die Autoren des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert entdeckt haben und glauben, dass Sätze besser und bedeutsamer werden, je mehr Adjektive man in ihnen unterbringt. Doch weit gefehlt, denn hinter EN MINOR verbirgt sich niemand geringeres als Phil Anselmo, Berufsprovokateur, Alkoholiker und Skandalnudel, die seit mindestens einer Dekade versucht, ihre Karriere mit solch wegweisenden Bands wie PANTERA oder DOWN durch dämliches Verhalten, "White Power"-Rufe und andere Ummöglichkeiten zu ruinieren, sich in tiefschürfenden Interviews von den Fehltritten zu distanzieren und dann wieder von vorn zu beginnen.
Hier nun gibt es zwar wieder durch und durch amerikanische Musik, aber Phil lässt es deutlich ruhiger angehen, die fetten Gitarren bleiben zu Hause und statt wütendem Geröhre gibt es seine gebrochene Seele auch direkt in der Stimme zu hören. Denn EN MINOR hat sich einem gruseligen Sound verschrieben, der irgendwo zwischen Southern Gothic und Dark Americana zu verorten ist, akustische Gitarren, Fiedeln und andere Paraphernalien des Country sind zu hören, aber eben in einem düsteren, leicht gruseligen Sound. Atmosphärisch dichte Kompositionen, die dann von Anselmo mit brüchigem, tiefem Sprechgesang zersägt werden, was zur schweren, beklemmenden Atmosphäre beiträgt. Leonard Cohen nach 20 Jahren Heroinabhängigkeit, Townes Van Zandt ohne dessen magische Songwriterfähigkeiten, dazu noch etwas Soundtrack-Feeling, irgendwo in diesem akustischen Südstaatensumpf kehrt Phil mit EN MINOR sein Innerstes nach außen.
Das ist teils durchaus unterhaltsam, immer beklemmend und voller roher Emotionen. Doch es fällt auch auf, dass Anselmos Stimme schon bessere Zeiten hatte, die "Gesangslinien" teils am untersten Rand seines Stimmumfangs angelegt sind und noch tiefer gehen und in vielen Songs nicht allzu viel passiert.
Emotional ist das durchschlagend, der Unterhaltungswert geht aber spätestens nach ein, zwei Durchgängen steil nach unten. Wer sich gern mal richtig mies fühlen möchte, wer sich die bewusste Zurschaustellung eines selbstzerstörerischen Lebens anhören möchte, der wird aktuell wenig intensiveres finden als "When The Cold Truth Has Worn Its Miserable Welcome Out", wer auf etwas anderes gehofft hat, der wird bitter enttäuscht. Aber bittere Enttäuschung ist natürlich auch eine der Emotionen, um die es auf diesem Album geht. Musik, die weh tun will und das auch schafft, ich bewundere das und kann ihr einiges abgewinnen, vielen Kollegen geht es deutlich anders. Ein Album, das man lieben oder hassen kann, nicht aber entspannt nebenher hören. Hineinhören auf eigenes Risiko, aber für Mutige durchaus empfohlen.
- Note:
- 7.50
- Redakteur:
- Raphael Päbst