BECOMING THE ARCHETYPE - Dichotomy
Mehr über Becoming The Archetype
- Genre:
- Progressive Death Metal
- ∅-Note:
- 10.00
- Label:
- Solid State/Century Media
- Release:
- 25.11.2008
- Mountain Of Souls
- Dichotomy
- Articial Immortality
- Self-Existent
- St. Anne's Lullaby
- Ransom
- Evil Unseen
- How Great Thou Art
- Deep Heaven
- End Of The Age
In mancherlei Hinsicht hofft man selbst als alltäglich und pragmatisch orientiertes Individuum hin und wieder auf erhellende Momente, auf konzentrierte temporäre Erleuchtungen im Streichholzformat. "Musik ist höhere Offenbarung als alle Weisheit und Philosophie", lautet ein altbackener, aber nichtsdestotrotz wirkungsmächtiger Satz. Doch wirklich jede Art von Musik? Bestimmt nicht, doch wer im musischen Sinne eine Offenbarung erleben und durchleben möchte, darf nicht die Gelegenheit missen den neuen Geniestreich "Dichotomy" von Amerikas innovativster christlicher Metalband BECOMING THE ARCHETYPE zu rezipieren. Ganz großes, weihevolles, mitreißendes und beflügelndes Kino!
Es ist gerade mal mehr als ein Jahr vergangen und schon kloppt uns die epischste, monumentalste, ja gewissermaßen "monolithistischste" christliche(!) Death-Metal-Band BECOMING THE ARCHETYPE ihr neues Langeisen "Dichotomy" ins selig schlummernde Gemüt. Die von der Band selbst gewählte und auch vom Fachjournalismus passend attestierte Genre-Kategorisierung "Progressive Death Metal" trifft auch hier wiederum den Nagel auf den Kopf und was uns geboten wird, ist gar erstklassiger, meisterhafter, formvollendeter, ausdrucksstark kunstvoller, fast schon ungeheuerlich-unbegreiflicher Progressive Death Metal, der in jeder Sekunde voll zu packen, überzeugen und mitzureißen weiß. Was für ein Kunstwerk, was für ein Geniestreich! Death-Prog heißt bei dieser Ausnahmeformation in erster Linie eine ausgewogene Mischung aus groovendem schwedischen Elchtod, Deathcore, progressivem Schwermetall, traditionellem Heavy Metal alter Schule, experimenteller und pompöser klassischer Musik, sowie exotischen Klängen Marke Nahost; selbstverständlich finden sich noch weitere Versatzstücke, doch der grobe Mix sollte im deskriptiven Sinne damit abgedeckt sein. "Dichotomy" ist kein normales Album, es ist ein Fest für die Sinne und genau deswegen muss (!) man mehr als nur ein paar kurze Worte über dieses Feuerwerk verlieren.
Kaum zu glauben, dass gerade mal 18 Monate seit dem letzten Release ins Land gezogen sind; besonders wenn man die verblüffende synchrone Integration traditioneller wie experimenteller Elemente in den Sound dieser musischen Krieger Gottes berücksichtigt. Man erliegt fast der Versuchung zu glauben, der Allmächtige selbst habe dieses biblisch gravitätische, mehrdimensionale Stück Musik mitgeschrieben und mitproduziert. Und ich garantiere Euch, diese Worte mögen pathetisch gewählt sein, aber keinesfalls sind sie übertrieben oder inadäquat in Zusammenhang mit diesem Album gebracht. BECOMING THE ARCHETYPE schaffen den beeindruckenden Spagat zwischen ihrem Erstlingswerk "Terminate Damnation" und dem weniger brachialen, aber nichtsdestoweniger grandiosen Zweitwerk "The Physics Of Fire" und doch klingt das aktuelle Langeisen insgesamt noch homogener und in sich schlüssiger. Auch vom Klanggewand präsentiert sich "Dichotomy" als symphonische Schnittmenge der Vorgänger: zugleich druckvoll und organisch, als auch kühl und mechanisch präzise kommt der von Devin Townsend gestaltete Finalmix daher – welcher im übertragenden Sinne übrigens perfekt die Thematik des Albums widerspiegelt, die sich um C. S. Lewis Space-Trilogie dreht, in welcher der Kampf zwischen Mensch und Maschine, Organischem und Mechanischem behandelt wird.
Ganz ehrlich: Gerade mal OPETHs "Watershed" vermag sich anno 2008 mit dieser leviathanischen Urgewalt zu messen. Wo Bands wie NECROPHAGIST, SADIST, CEPHALIC CARNAGE, BETWEEN THE BURIED AND ME oder CRYPTOPSY (dessen Klasse ich nicht im Geringsten anzweifeln möchte) sich technokratisch filigranen Spielereien und krachig virtuosen Experimenten hingeben, nutzen BECOMING THE ARCHETYPE ihre – im wahrsten Sinne des Wortes – schöpferische Kraft, um alles, aber auch wirklich alles(!) songdienlicher Arrangierweise unterzuordnen. Dabei erweisen sie sich aber keineswegs als bieder frömmelnde Christen, sondern mehr als spirituelle Medien, welche jeder Schafmentalität entsagen und eine ganz eigene musikalische Theologie darbieten. Bei den Amis wird weder konstruktivistisch aneinandergereiht, noch wird irgendeine Pointe dem bloßen Zufall überlassen; jedes Element verstärkt bloß die dem Album anheim gegebene shakespearesche Dramatik, die den Hörer von einem Höhepunkt zum nächsten katapultiert. Man weiß gar nicht, was man machen soll: Ausrasten oder Träumen? Keine leichte Entscheidung. Jeder Ton hat Gewicht – entweder volle Kanne in die untere Magenregion, voll auf die zwölf oder direkt in die linke Hirnhälfte, ins Reich unendlicher Imagination rein. Eine wahnsinnige archetypische Achterbahnfahrt mit sintflutartigen Blasteruptionen!
Die Ruhe vor dem Sturm. Eine annahende, sich auftürmende Distortionwelle. Recht weihevoll, sakral und mit einer Art mystischen Anziehungskraft rollt der Eröffnungstrack 'Mountain Of Souls' übers gespitzte Gehör. Der Song macht schon von der ersten Sekunde an aufs Allerdeutlichste klar, wohin die oben bereits beschriebene Reise gehen soll. Versehen mit orientalischen Chorälen, psychedelischen Momenten und einem abrundenden Klavierspiel am Ende mitsamt hallender Gitarren weiß er zu verzaubern und Hunger auf mehr zu machen. Beim darauf folgenden Track 'Dichotomy' scheint es fast so, als rufe Jason Wisdom (voc.) den Hörer zum Widerstand auf. Schwebende Instrumentierung, straighte Hooklines und hoher Bangfaktor. Nummer drei trägt den Titel 'Artificial Immortality'. Tanzbarer, powerful rhythmisierter Melodic Death Metal mit breakdowngeschwängerter Hypnosegarantie und fettem Egogitarrensolo. „I am not a mechanism/ I am part of the resistance/ I am an organism/ An animal, a creature, I AM A BEAST!” Hoher Suchtfaktor! Diese Zeilen möchte man beileibe nicht nur auf Konzerten der Combo mitgrölen, sondern irgendwie auch mitten auf der Straße losbrüllen, dazu das quietschende und bretternde Riffing: reinste Power. Herrlich. Einfach göttlich. Eine archetypische Tiefe, die ihresgleichen sucht. Die nächste Stufe gen Läuterungsberg heißt 'Self-Existent', ein mit wüstem Stakkato-Riffing, inbrünstigen Growls und ungewöhnlichen, beschwipsten Keyboarduntermalungen (schlichtweg genial wie sich hier Minimalistisches mit Pompösem vermengt) gewürzter Track: groovy, heavy und tricky. Pilgern wir weiter: Schon 'Night’s Sorrow' (der wirklich sagenhaft schöne Akustiktrack vom Debütalbum) vermochte durch seine südländisch warme Spielweise zu betören und auch 'Anne’s Lullaby' vermag dies. Nummer sechs heißt 'Ransom', meiner Meinung nach einer der stärksten von BECOMING THE ARCHETYPE überhaupt, auf jeden Fall mit dem Folgetrack der aggressivste Song der Platte, direkt und ohne großartige Vorwarnung auf die zwölf! Mächtig heftig! Geil! 'Evil Unseen' haut da in die gleiche Kerbe, bloß schwerer, mystischer, dramatischer und geheimnisvoller. Packend und Adrenalin provozierend. Ein Genuss. Der achte Platz wird freigehalten für 'How Great Thou Art'. Lex Mihi Ars – "Die Kunst ist mir Gesetz" ist auch hier wieder der kategorische Imperativ der Band. Alles in allem wiederholt eine Glanznummer: schwebende Melodiebögen, stürmisch-heißblütige Breakdowns und vertrackte Polterrhythmen. Die Synthiemelodie von 'Deep Heaven', dem neunten Streich, klingt ein wenig nach 'Honour Thy Father' von DREAM THEATERs "Train Of Thought", doch nicht täuschen lassen: BECOMING THE ARCHETYPE stecken dahinter, mit voller Seele und Ideenreichtum! Man wird fast schon melancholisch, wenn man sich vergegenwärtigt, dass das Ende des Albums naht. Kommen wir nun zur letzten Nummer: Wenn jeder Bibelpsalm so geil interpretiert werden würde wie in 'End Of The Age', würde sogar jeder Agnostiker oder Atheist sich von dem Buch der Bücher berauschen lassen. Keine Frage! Das Fundament besteht hier aus einer soliden repetitiven Akkordfolge, welche wie eine wild gewordene Mammutherde klingt, die durch die kälteste Eiszeit galoppiert. "Ich liebe Dich, Herr, Du meine Stärke, / Herr, Du mein Fels, meine Burg und mein Erretter“, heißt es in Psalm 18. Und auch wenn man nach dem Hörgenuss von 'Dichotomy' nicht zu seinem Glauben zu Gott gefunden hat, so fühlt man sich doch ein Stück weit mehr erhellt, erleuchtet – sowohl im musikalischen als auch im spirituellen Sinne. Garantiert.
- Note:
- 10.00
- Redakteur:
- Markus Sievers