Twilight Of The Idols Europe Tour 2004 - Bischofswerda/Osnabrück/Berlin

07.10.2004 | 12:12

01.10.2004, Eastclub/Tor/K 17

Es ist Sonntagmittag, der Himmel erstrahlt blau über Berlin, im Bus-TV läuft "Southpark-Der Film". Bei den versauten Auswirkungen, die die Motherfucker-Hymne der halbschalenköpfigen Kanadier Terrence und Philipp auf unschuldige Southpark-Schüler haben, muss selbst Gaahl schmunzeln. Ansonsten ist die Atmosphäre aber schon wieder angespannt. Grund: Vor dem K 17 steht nicht nur ein mit um ihr Equipment besorgten Musikern gefüllter Tourbus, sondern auch noch eine ziemlich vor den Kopf gestoßene Vorband aus Hamburg, die heute extra hier hergefahren ist um mit ihren Idolen ein Konzert zu spielen. Diese Idole sind jetzt gestorben, denn weder 1349 noch GORGOROTH erklären sich bereit ihr Backline auszuleihen. Angeblich wurde mit der Tourmanagerin telefonisch vereinbart, dass die TODTGELICHTER Frosts Drumkit etc. mieten können. Die weiß von nichts und verweist auf die Verträge, wo extra draufsteht, dass jede Band ihr eigenes Zeug mitbringt. Nach der gestrigen Katastrophe sind bei GORGOROTH eh die Schotten dicht, da fällt das Flehen einer Lokalband auf taube Ohren und erntet wenig Mitgefühl. Noch mehr Ausfälle wollen sie nicht riskieren. Da hätte heute sonst wer anfragen können, die Antwort lautet: "Nein" zu Gunsten der eigenen Kunst. Die abservierte Vorband selber ist zwar enttäuscht, zeigt aber Verständnis. Wo dann jedoch auf einmal das rot geschriebene "Gorgoroth are gay" am Spiegel auf dem Herrenklo herkommt und ob es gerechtfertigt ist, deswegen die TODTGELICHTER aus dem Club rauszuschmeißen, bleibt fraglich. Fest steht, dass noch neun Konzerte auf der "Twilight Of The Idols Tour" ausstehen und das Instrumentarium entsprechend lange halten muss. Da ist die Angst einfach zu groß, dass etwas schief gehen könnte.

Wie unendlich ernst es diesen Musikern mit ihrer Kunst ist, lässt sich am besten durch folgendes Beispiel belegen: Es ist 22.00 Uhr. Ich sitze im mit reichlich Wodka und Berliner Kindl ausgestatteten Backstageraum, gemeinsam mit 1349-Bassist Seidemann und dem nervlich angespannten Tontechniker. Seit zwei Stunden tönt nun schon ein stetes Trommeln aus dem Nebenraum, einer alten DDR-Waschmaschine nicht unähnlich. Mir fällt ein, dass mein Rucksack noch nebenan steht und betrete vorsichtig den komplett abgedunkelten Raum. Plötzlich setzt das Schlagen aus und eine Stimme ruft: "The light switcher is right beside you." Also knipse ich das Licht an und schaue entsetzt auf einen völlig verschwitzten und bis zur letzten Muskelfaser angespannten Frost, der nicht minder überrascht hinter seinem Schlagzeug hervorlugt. Dieser Augenblick wird sich mir auf ewig ins Gedächtnis brennen. Jeden Abend trommelt sich Frost mehrere Stunden lang ein um dann eine weitere auf der Bühne zu verbringen. Täglich durchleidet er physische Qualen, wenn die Spannung nach dem Konzert endlich von ihm abfällt. Er lebt für die Musik und verschmilzt mit seinem Instrument. Wer einmal so weit gekommen ist, der gibt bei aller metallischen Solidarität sein Heiligstes nicht mehr her. Das ist wahre Besessenheit!
Ich verkrümle mich schleunigst und sofort setzt das Trommeln wieder ein. Im anderen Raum sitzt nun Gaahl und übt seinen Kehlkopf ein. Atemübungen und mönchisches Summen gehören vor jeder Show dazu. Mir werden diese Musiker in ihrer abgeschiedenen Konzentration und Professionalität langsam unheimlich. Schnell den Jack Daniels entjungfert und rein ins Getose. Vorher frisst sich mir aber noch ein revolutionärer Satz von Dirge Rep im Ohr fest: "Scream you fuckin bitch! You can cry as much as you want as long as you keep on sucking my..." Ich bin raus.

1349 spielen wieder sehr tight und reißen die 250 Leute im K17 mit in den reitenden Untergang. Ich sehe die vier nun schon zum fünften Mal und sie begeistern mich immer mehr. Ravn kann es nachher kaum glauben, dass ich in den Songs vom letzten Album "Beyond Apocalypse" tatsächlich Strukturen entdecke. "Nein, wir machen nur Chaos. Darum geht es bei 1349. Pures Chaos und Zerstörung." Ihr erinnert mich trotzdem an eine ultraschnelle MOTÖRHEAD-Variante. "Mit sechs Jahren habe ich MOTÖRHEAD im Fernsehen gesehen und zu meinen Eltern gemeint: So will ich werden!". Dann ist also Lemmy daran Schuld, dass Seidemann jetzt bei 1349 Bass spielt. Darauf noch einen Jack und ne Tasse Kaffee (ich habe mindestens schon zwei Kannen intus)!

Auch GORGOROTH legen trotz aller Anfeindungen eine gelungene Show hin und wirken danach sehr zufrieden. Ein extra aus Polen angereister Fan überreicht gar ein ganz besonderes Geschenk: eine selbstgefertigte Infernus-Puppe in der Schnapsflasche. Zwei Monate hat er jeden Tag nach der Arbeit daran gebastelt. Ist das noch Black Metal? Infernus gibt seine ganz persönliche Definition: "Black Metal is about Satanism. Satanism is about being elite. The elite is only for special people."

Redakteur:
Wiebke Rost

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